Hannikel – 13. Teil
Christian Friedrich Wittich
Hannikel
oder die Räuber- und Mörderbande, welche in Sulz am Neckar in Verhaft genommen und daselbst am 17. Juli 1787 justifiziert wurde
Verlag Jacob Friderich Heerbrandt, Tübingen, 1787
Noch hatte Hannikel die Hoffnung auf Befreiung nicht ganz aufgegeben. Auf dem ganzen Weg bis hin zum Rheinstrom nährte er sie. Oft wandte er sich zu dem in großer Menge nachgelaufenem Volk, um zu sehen, ob sich solches nicht noch für ihn verwenden würde. Wahrscheinlich hätte er aufs Neue um Hilfe gefleht, wenn sich nicht der beherzte Gulzinger vor ihn auf den Wagen hingestellt und ihm mit drohender Miene Stillschweigen zugewunken hätte. Sobald er aber sah, dass er mit den Übrigen vom Sarganser Landwaibel und den acht Füsilieren dem Herrn Oberamtmann und seinen Leuten ganz übergeben worden waren, wurde er ruhig, warf sich in sein Strohlager und blieb lange in demselben ganz possierlich liegen. Schon warteten diesseits des Rheins sechs Kreissoldaten, welche der rechtschaffene Landvogt Gilm von Rosenegg beordert hatte, auf das Sulzer Kommando, welche dasselbe durch die ungebahnten und unsicheren Wege nach Vaduz begleiten sollten und wirklich recht gute Dienste leisteten.
Nun muss ich doch auch noch erzählen, wie es mit Hannikels Ausbruch aus dem Gefängnis eigentlich zuging.
Es ließ sich sogleich mit Händen greifen, dass die Churer Stadtknechte, denen die Gefangene übergeben waren, hauptsächlich schuld daran waren. Und dazu bewog sie, wie einige biedere Bürger aus der Stadt selbst bemerkten, folgender Umstand: Sobald die Inquisition anfing, taten sich diese Leute auf ihren dabei zu hoffenden Verdienst im Voraus schon recht vieles zu gut. Sie besuchten die Wirtshäuser fleißiger als sonst, machten Schulden, und alles ging auf das Konto dieser Inquisition; denn sie zweifelten keineswegs, es werde ihnen alles ohne den geringsten Abzug ausbezahlt werden, was sie nur fordern würden. Um sich von ihrer selbst gemachten hohen Taxe einige Begriffe zu machen, bemerke ich nur dies, dass der Hausmeister für die Kost, die er den 16 Verhafteten zu reichen hatte, täglich 7 fl. 4 kr. und die Stadtknechte bloß für das Essentragen täglich 6. fl. 4 kr. verlangten; ungeachtet ihrer 8 Gefangene sich in einem Logis befanden. Nach dieser Berechnung waren auch die übrigen Forderungen eingerichtet. Doch die Vorgesetzen in Chur waren zu billig, als dass sie solche nur so obenhin gut geheißen hätten. Sie erinnerten sich an die vielen Dienste, die der Schweiz nicht nur von Württemberg überhaupt, sondern besonders auch von dem Oberamt Sulz in Inquisitionssachen unentgeltlich erwiesen worden waren. Die hohen Stände vermittelten die Sache dahin, dass die von dem Kriminaltribunal selbst zu fordernde Unkosten nicht angerechnet, sondern von dem Land übernommen und die von den Gerichtsdienern vorgelegte Zettel gehörig moderiert wurden.
Dies gefiel Letzteren durchaus nicht. Sogleich sannen sie auf eine Tücke, die diejenige empfindlich genug kränken sollte, die ihre Pläne vereiteln halfen. Ihr böser Anschlag gelang. Als sie dem Hannikel des Nachts zu essen brachten, schlugen sie das Schloss an seiner rechten Handschelle nicht ein, sodass es ihn nicht viel Mühe kostete, sich derselben ganz zu entledigen. Da ihm nun die Fessel an der linken Hand ohnehin zu weit war, so konnte er sie auch leicht abstreifen. Nun zog er mit seinen freien Händen das in dem Schließgloben gesteckte eiserne Täuglein heraus, wodurch er seinen Füßen im Block Luft machte, hebelte mit einem Klammhacken, den er im Gefängnis losgerissen hatte, das Madenschloss an seinem Halsring auf und auf diese Weise entledigte er sich aller seiner Bande.
Nun hatte ihm nach seiner eigenen Aussage einige Tag zuvor ein Mädchen von 14 Jahren, das ihn mit vielen anderen Leuten im Kerker sehen wollte, in das Ohr gezischt: Da, wo sie ihren Fuß hinhalte, sei ein Windloch, durch welches er ganz gemächlich hinausschlupfen könne. Der Schlaue merkte sich das Plätzchen, löste mit einem im Turm gefundenen Stück Eisen den Quaderstein ab, stieß sodann mit demselben und einem in der Nähe gelegenen Fleckenstück den Stein hinaus und flüchtete durch einen etwa 12 Schuh hohen Sprung durch die Öffnung in den unten am Gefängnis befindlichen Garten. Da er in demselben schon auf dem freien Feld war, so war es ihm leicht möglich, in kurzer Zeit sehr weit zu kommen, wie er dann auch wirklich in 3 Stunden derselben in aller Eile zurückgelegt hatte. Nun hätte dieser Ausbruch sehr leicht entdeckt und verhindert werden können, indem er mit den Anstalten dazu vier ganzer Stunden zubrachte. Da aber weder der Wachtmeister noch die Stadtknecht in jener Nacht nach ihm sehen und sein Gefängnis visitierten, so war es gar kein Wunder, dass er sich unsichtbar machen konnte. Doch sagte er, dass er nie von dieser Verwegenheit Gebrauch gemacht haben würde, wenn man es ihm nicht hinterbracht hätte, dass er am folgenden Tag nach Sulz abgeliefert werden solle und dort der schmählichste Tod durch Rädern und Vierteilen seiner warte.
Der Transport mit den Arrestanten ging ungehindert fort, ohne dass auf dem Weg etwas Besonderes vorgefallen wäre.
In Feldkirch ließ Herr Oberamtmann dem Hannikel eine schwarze Maske aus Leder machen, welche ihm vor das Gesicht gebunden wurde, weil ihm keineswegs zu trauen war, denn in Vaduz schon erklärte er sich selbst gegen den Wächtern, dass es ihm gar nicht bang zu entkommen sei und er innerhalb acht Tagen wieder dort sein wolle.
Am 18. September nachmittags um 4 Uhr kam der ganze Zug unter starkem Zulauf und Anstaunen des Volks in Sulz an. Jeder von den Mördern wurde in ein besonderes Gefängnis gebracht.
Der Anblick ihrer neuen Unterkunft war ihnen schauervoll, dann sie sahen es sogleich ein, dass es einfach unmöglich sei, aus derselben zu fliehen. Hannikel und Wenzel wurden auf das obere Tor, Duly hingegen auf das Bruck-Tor gelegt.
Ich vermute selbst, dass die Sulzer Gefängnisse mit unter die sichersten im ganzen Land gehören.
Drei neue Türen, deren jede 10 Zoll dick und mit mehr als handbreiten, fingerdicken, eisernen Bändern, dreipfündigen Kloben und einem sehr starken französischen Schloss versehen waren, und die noch nebenher mit zwei sehr dicken eisernen Querstangen durch starke Schließe befestigt wurden, führten Hannikel in das für ihn bestimmte enge sehr verriegelte Blockhaus.
Nachdem sein Aufenthalt in demselben etliche Monate gedauert hatte, wurde er, um des eingebrochenen rauen Winters willen, in ein benachbartes, von allen Seiten her ebenso wohl verwahrtes Behältnis gebracht. Dieses, sein neues Logis, das er nachher nie wieder wechselte, war sieben und einen halben Schuh breit, acht Schuh zwei Zoll lang und acht Schuh vier Zoll hoch.
Alle vier Wände waren von innen und außen mit starken Blöcken getäfelt, über deren Fugen sehr breite eiserne Leisten genagelt wurden. Den eisernen Ofen schloss ein enges Gitter aus Eichenholz, welches nach der Länge und Breite mit eisernen Stangen stark beschlagen war, ein. An der vorderen Seite gegen der Stadt hin war ein weites Luftloch angebracht worden, das mit einem guten Fenster und zwei hintereinander stehenden, engen undurchdringlichen Gittern versehen wurde. Ein Strohlager und ein Nachtstuhl machten die ganze Gerätschaft aus. Hier sollte Hannikel, angeschlossen an einem dicken Wandkloben, bis zur weiteren Entwicklung seines Schicksals harren. Seine Rottgesellen wurden auch wie er in ganz ähnlichen Gefängnissen verwahrt.
Ehe sie ihre Sulzer Quartiere bezogen, mussten sie sich reinigen und umkleiden. Dies war umso notwendiger, da sich in ihrer mitgebrachten grünen Montur sehr verdächtige Hausleute aufhielten. Ihr neuer Habit bestand in einem weiß reustenen Hemd, abwerkenen Wams, Beinkleidern und Wollstrümpfen.
Auch musste sie der Kleemeister1 Bürk auf Befehl des Herrn Oberamtmanns sogleich am ganzen bloßen Leib besichtigen. Er fand aber außer den Spuren eines Schrotschusses auf Hannikels linkem Schulterblatt und einer Narbe von einem Kugelschuss auf dem rechten Schulterblatt des Wenzels, die sie einem Streif zu verdanken hatten, sonst kein Brandmal.
Ungeachtet nun sämtliche Verhaftete in den undurchdringlichen Behältnissen eingeschlossen waren, so wurden sie doch noch nebenher sorgfältig bewacht und in jeder Nacht alle Stunde von den gewöhnlichen Beiwächtern, vom beherzten und besorglichen Amtsdiener Grauen aber noch besonders, wenigstens einmal visitiert. Sie verhielten sich aber immer ruhig und versuchten es niemals, durchzukommen. So oft sie ins Verhör kamen, schloss man sie an einen zentnerschweren behauenen Stein.
Bei der Inquisition selbst legte sich Hannikel lange aufs Leugnen. Sein Vorsatz war schon bei seinem Abzug von Chur, sich lieber lebendig schinden zu lassen, als etwas, besonders was Tonis Mordtat betreffe, einzugestehen. Hierzu versuchte er auch seine Mitkonsorten zu bereden.
Erst dann, da seine eigenen Kinder, seine Frau, seine Brüder und übrige Mitgefangene, und besonders der zur Konfrontation aus dem Ludwigsburger Zuchthaus herbeigerufene reuevolle Konstanzer Hans, ihn seine Unwahrheiten ins Gesicht überwiesen und ihn mehrmals auf den Knien und unter Vergießen häufiger Tränen um sein Geständnis baten, legte er solches ab.
Außer des Grenadier a Cheval Pfisters Mord fielen dem Hannikel noch zwei ähnliche, nur mit minder Grausamkeit verübte Taten zur Last.
Vor 16 Jahren übernachtete er mit einem großen Pack seines Gesindels in einem Wald nahe bei Lützelstein. Ganz von ungefähr überfiel sie gegen die Morgendämmerung hin ein Streif von sechs Hatschier und ungefähr zwölf Bauern. Es war eben an dem, dass sie alle in Arrest genommen werden sollten. Allein Hannikel und die übrigen Zigeuner fanden noch Gelegenheit, sich zurückzuziehen, stellten sich sodann ins Gewehr, fielen auf ihre Verfolger ein, gaben Feuer auf Feuer und jagten ihnen wirklich ihren schon arretierten Kameraden Mauser und ihre Weibsleute, bis auf die Mietsfrau und die Hellbronn, wieder ab. Bei diesem auf beiden Seiten sehr hitzigen Gefecht wurde ein Bauer durch eine Kugel dergestalt verwundet, dass er zwar noch vom Platz gehen konnte, aber an der Tür seines nicht sehr weit vom Wald entfernten Hauses tot zu Boden fiel. Ein zweiter Bauer wurde bei eben diesem Vorfall so hart getroffen, das er auch am neunten Tag den Geist aufgab.
Alle Umstände ließen vermuten, dass Hannikel Hauptverursacher von dieser traurigen Begebenheit gewesen sei. Mehrere der Verhafteten beschuldigten ihn auch dessen gerade zu. Er selbst konnte auch nicht in Abrede sein, dass er damals sein mit Kugeln geladenes Gewehr auf die Streifer abgedrückt habe. Er fügte aber auch hinzu, dass seine Kameraden ein Gleiches getan hätten und dass damals alles so durcheinander gegangen sei, dass keiner mit Gewissheit dartun könne, welcher eigentlich die Bauern erschossen habe.
Da diese Behauptung sehr wahrscheinlich war und man überhaupt bei der ganzen Sache auf keinen gewissen Grund kommen konnte, so ließe man die zweite Untersuchung derselben auf sich beruhen.
Es wurde auch auf Hannikel angegeben, dass er in einem Wald bei Oettingen einen Juden erschossen habe. Allein auch hiervon konnten keine überzeugende Beweise geführt werden.
Übrigens war Hannikel im Verhör und Gefängnis immer unerschrocken, munter und oft schnaubend. Seine Misslage schien ihn niemals zu kränken, Als man ihn einmal fragte, ob er auch einen Geistlichen verlange, sagte er, er wolle lieber einen schwarzen Hund als einen Pfarrer sehen.