Romantruhe-Western Band 42
C. C. Slaterman
Romantruhe-Western Band 42
Viva Mexiko
Western, Paperback, Romantruhe, Kerpen-Türnich, September 2019, 64 Seiten, 4,95 Euro, Titelbild: Maren
www.romantruhe.de
Kurzinhalt:
Zuerst war es nur ein dumpfes Grollen, welches durch das fahle Grau der Morgendämmerung drang. Dann tauchte auch schon ein riesiger Reiterpulk am Horizont auf, kaum dass die aufgehende Sonne das Land purpurn färbte.
Der Wind trug den Hufschlag der vielen Pferde wie Donner durch die Luft.
John Kent, der mit zwei Männern, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können, im Glockenturm der Kirche von Zacatecas stand, nahm seinen Feldstecher hoch und richtete ihn auf die Reiter, die in gestrecktem Galopp rasch näher kamen. An der Spitze ritt ein Offizier, gefolgt von einem Fahnenträger …
Leseprobe
In dem Gesicht des alten Indianers zuckte kein Muskel. Es glich einer starren Maske, während der Blick aus seinen dunklen Augen Everett Wilson regelrecht zu durchbohren schien.
Je länger der Tonkawa schwieg, umso größer wurde Wilsons Unsicherheit.
Kalter Schweiß perlte auf der Stirn des Texaners, obwohl die Sonne von Mexiko beinahe senkrecht am stahlblauen Himmel stand.
Irgendetwas stimmte hier nicht, der Alte wirkte viel zu selbstsicher.
Er fühlte es, er hatte schließlich Erfahrung mit den Indianern. Trotzdem ließ er sich nicht anmerken, dass er immer nervöser wurde.
»Verdammt!«, durchzuckte es Everett Wilson. »Was ist los mit dir? Seit wann scheißt du dir wegen eines alten Indianers in die Hosen?«
Seine Blicke zuckten hektisch umher.
Sie waren alleine, warum also gab sich der Indianer so überlegen? Er war ihm doch sowohl körperlich als auch in der Bewaffnung hoffnungslos unterlegen.
Doch so sehr er sich auch das Gehirn zermarterte, er fand keine Antwort.
Stattdessen verharrte der Indianer beinahe regungslos und starrte wie gebannt auf ihn.
Eine unwirkliche Stille lag plötzlich über der Schlucht.
Das Schnauben seines Pferdes war für Sekunden das einzige Geräusch, das zu hören war. Wilson war beinahe erleichtert, als der Indianer, nachdem die Stille fast nicht mehr zu ertragen war, endlich wieder zu reden begann.
»Wie viel Schnaps hat er dieses Mal verlangt?«
Wilson runzelte irritiert die Stirn. »Ich verstehe nicht …«
»Spar dir deine Ausflüchte, Blassgesicht. Ich weiß, dass Takoma dem Feuerwasser der Weißen verfallen ist. Der Rat der Alten hätte ihn niemals zu einem Wächter des Schatzes ernennen dürfen. Also, für wie viel Flaschen hat er uns verraten?«
»Drei«, platzte es aus Wilson heraus.
Im gleichen Moment schalt er sich insgeheim einen Narren. Verdammt, was hatte das den Alten eigentlich zu interessieren?
Der Indianer senkte den Blick und schüttelte resignierend den Kopf.
»So etwas Ähnliches habe ich mir beinahe gedacht. Wo ist Takoma jetzt?«
»Tot«, sagte Wilson knapp, weil er keinen Grund mehr sah, dem Indianer auch diese Tatsache zu verheimlichen.
»Hast du ihn …«
»Nein, drei Flaschen Schnaps waren auch für ihn zuviel. Er hat sich totgesoffen.«
Der Indianer wiegte den Kopf.
»Yasastine, der große Geist, hat endlich entschieden. Trotzdem hättest du nicht hierherkommen dürfen.«
Wilsons Miene verhärtete sich. Instinktiv legte er die Rechte auf den abgenutzten Walnussholzgriff seines Revolvers.
»Was soll das heißen?«
Der Tonkawa hob den Blick und starrte den Texaner finster unter seinen zusammengezogenen Augenbrauen hervor an.
»Diese Schlucht ist der heiligste Ort meines Volkes und ich, Petone, bin ihr Wächter. Kein Weißer, außer John Kent, darf sie je betreten, und wenn doch, wird er sie lebend nicht mehr verlassen.«
Wilson lachte kalt. »Für einen alten Mann nimmst du den Mund ziemlich voll. Wenn ich will, kann ich hier ein- und ausgehen, wie es mir gefällt. Niemand wird mich daran hindern, und du schon gar nicht. Hast du verstanden?«
Petones Antwort war knapp und klar: »Verschwinde!«
Für einen Moment war Wilson verblüfft.
Heiliger Rauch! War der Indianer jetzt völlig übergeschnappt?
Der Alte war so mager, dass sich die Rippen deutlich unter seiner Haut abzeichneten, und außer einem Messer, das in dem Lederriemen steckte, der seinen Lendenschurz um die Hüften hielt, waren keine anderen Waffen zu sehen.
Damit hatte er nicht die geringste Chance gegen seinen Revolver, außerdem war er allein, wie ihm ein schneller Rundblick aufgezeigte.
»Den Teufel werde ich tun, Alter«, blaffte der Geschäftsmann und zog seinen Revolver. »Der Einzige von uns beiden, der hier verschwindet, bist du. Los, hau ab, bevor ich wütend werde!«
Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, wedelte er mit dem Revolverlauf vor dem Gesicht des Indianers herum.
Dass er von dem Tonkawa tatsächlich angegriffen werden würde, kam ihm nicht in den Sinn. Deshalb kam der Angriff für ihn völlig überraschend.
Wie ein Longhorn in die Knie ging, wenn man ihm mit einem Lasso die Hinterbeine unter dem Leib wegzog, so ging der Texaner unter dem Ansprung Petones zu Boden.
Bevor er wusste, wie ihm geschah, war der Indianer über ihm. Einen Augenblick später spürte er auch schon dessen knochige Fäuste in seinem Gesicht. Mit einem Schrei, in den sich Überraschung, Wut und Schmerz gleichermaßen mischten, ließ Wilson den Revolver los.
Bunte Sterne tanzten vor seinen Augen.
Für einen Moment sah es so aus, als würde der Indianer die Oberhand behalten, aber nur für einen Moment. Dann zog Wilson die Knie an und stieß sie Petone in den Unterleib. Der Indianer wurde zurückgeschleudert, indes der Texaner, wie von einer Feder abgeschnellt, wieder auf die Beine kam.
Mit einem Wutschrei riss Petone das Messer aus dem Gürtel. Die Klinge funkelte gefährlich im Sonnenlicht.
Wilson sprang mit einer geschmeidigen Bewegung, die man dem bulligen Geschäftsmann gar nicht zugetraut hätte, auf den Indianer zu, packte seine Waffenhand und riss sie mit einem wilden Ruck nach unten.
Petone stand für einen Moment starr wie ein versteinerter Baum, dann drehte er sich halb um seine eigene Achse, stöhnte und fiel auf das Gesicht. Die Rechte umklammerte dabei den Griff seines eigenen Messers, das bis zum Heft in seinem Bauch steckte.
Einen Atemzug lang blieb Wilson überrascht stehen.
Dann, als ihm bewusst geworden war, was er getan hatte, blickte er sich hektisch um. Aber außer seinem Pferd schien es keine weiteren Zeugen zu geben. Dennoch war er sich darüber im Klaren, dass er die Leiche des Indianers so schnell wie möglich verschwinden lassen musste. Wilson fluchte, kaum dass er Petone an den Füßen gepackt hatte, um ihn zurück in seine Höhle zu zerren.
Das Ganze gestaltete sich weitaus schwieriger, als er gedacht hatte.
Zwar wog der alte Indianer kaum mehr als einhundert Pfund, aber es war starres, lebloses Gewicht und so wurde das Vorhaben für jemanden wie ihn, der in seinem ganzen Leben bisher kaum etwas Schwereres in den Händen gehalten hatte als einen Colt, zu einer ziemlich schweißtreibenden Arbeit.
Der Blick danach in die Schatzhöhle entschädigte ihn allerdings wieder für alles.
Wilson stellte rasch fest, dass die eigentliche Schatzkammer nicht mehr als eine ovale Öffnung im Fels war, die etwa fünf Yard in der Breite wie auch in der Höhe maß. Dennoch versetzte ihn dieses düstere Loch in helle Aufregung, kaum dass er es mit eingezogenem Kopf betreten hatte. Vor ihm lag ein Reichtum, wie er ihn sich selbst in seinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können.
Auf dem Boden der Höhle standen zwei sperrige Kyacks[1]. Der Zustand dieser Kisten war zwar erbärmlich, dafür raubte ihr Inhalt Wilson fast den Atem.
Edelsteine, die im fahlen Licht der Höhle wie die Augen einer sinnlichen Frau funkelten, silberne Leuchter, glitzerndes Geschmeide und goldene Kruzifixe ergaben ein Bild, dessen Anblick ihn beinahe blendete.
Wilson vergaß alle Vorsicht, stürzte sich schreiend auf die Kisten und wühlte mit beiden Händen sekundenlang wie von Sinnen in der gleißenden Pracht. Dabei lachte er laut und warf immer wieder Gold und Edelsteine durch die Luft.
Es dauerte geraume Zeit, bis er realisiert hatte, was für ein Vermögen ihm da in die Hände gefallen war, aber dann gewann sein Geschäftssinn rasch die Oberhand.
Hastig verstaute er die seiner Ansicht nach wertvollsten Stücke des Schatzes in seinen Satteltaschen. Erst danach füllte er den Rest in mehrere Mehlsäcke, die er dazu extra mitgebracht hatte.
Obwohl er noch viele Dinge zurückließ, weil sie einfach zu sperrig waren – bestickte Seidenteppiche, Gemälde und glänzende Brustharnische französischer Kürassiere –, war der Schatz trotz allem noch so schwer, dass er die Mehlsäcke kaum alleine hochheben konnte. Als sie schließlich zusammengebunden links und rechts am Sattel baumelten, runzelte Wilson nachdenklich die Stirn.
Er musste sich etwas einfallen lassen, und zwar schnell.
So wie sein Pferd im Moment beladen war, konnte er von Glück sagen, wenn es ihm gelang, die anderen zu erreichen, ohne dass ihm das Tier vorher zusammenbrach. Aber damit war das Problem noch längst nicht erledigt. Selbst wenn sie den Schatz danach auf alle Pferde verteilten, waren diese kaum in der Lage, damit eine Verfolgungsjagd zu überstehen.
Zähneknirschend musste sich Wilson eingestehen, dass er das immense Gewicht des Schatzes bei seinen Planungen völlig unterschätzt hatte. Nachdenklich nahm er die Zügel in die Hand und machte sich, um das Pferd zu schonen, zu Fuß auf den Rückweg zu seinen Männern. Vielleicht wussten Crown oder Harper ja eine Möglichkeit aus dem Dilemma.
[1] Kyack kommt aus dem Englischen und bedeutet Packkasten. Diese zumeist selber gebauten hölzernen Behältnisse wurden im Wilden Westen vor allem in den Bergen benutzt, wo man sie zum Transport der verschiedensten Dinge auf dem Rücken von Mulis befestigte.