Das Gespenst im alten Schloss – Kapitel V
Das Gespenst im alten Schloss
Oder: Ein Verbrecher verrät sich selbst
V.
Seit dieser Zeit war der Förster immer aufgeregt und sichtbar in einem inneren Streit mit sich selbst. Äußerlich aber benahm er sich milder und freundlicher als jemals. Es mochte ihm klar geworden sein, dass es in der Försterei nicht bleiben konnte, wie es war, und, wenn gegen die Übeltäter nicht eingeschritten würde, ihm eine Entscheidung zu seinem Verderben drohe. Geschähe aber dieses, so stehe ihm die Entdeckung eines Geheimnisses fürchterlich bevor. Es war dies ein schwerer Schlag für den hartsinnigen und mutigen Mann: Er schien sich in einer Falle selbst gefangen zu haben, aus der nicht leicht mehr zu entkommen war. Schwere Kämpfe gab es in seiner verschlossenen Brust. Tagelang blieb er fern der nahen Herrschaft und beim Gericht. Wenn er zu Hause war, hatte er vor Geschäften in seiner abgeschlossenen Wohnung kaum Zeit zu essen und mit jemand zu reden. Seine Frau ahnte einen fürchterlichen Sturm. Als nun einmal wieder der Förster von einem mehrtägigen Außenbleiben heimgekehrt war und es sich bequem gemacht hatte, setzte er sich auf die Hausbank und befahl seiner Frau, die in der Wohnstube drinnen spann, den Caspar zu holen.
»Caspar«, redete ihn der Förster an, »es kann nicht so mit den Wilddieben und dir bleiben, wie bisher und besonders mit dem Loisl muss ein Ende gemacht werden. Die Burschen sind so frech geworden, dass sie Schimpf und Schande über die Försterei bringen. Aber siehe, ich werde der Sache aus dem Weg gehen: Ich bin zu alt für diesen ewigen Krieg und Streit mit dem Gesindel und auch nicht gesund genug seit langer Zeit. Traurige Ereignisse, erlittene Falschheiten und bittere Täuschungen haben an meinem Leben genagt. Ich gehe für alle Zeit aus dem Weg. Ich war bei der Herrschaft und habe meinen Abschied begehrt. Dein Schaden wird es nicht sein. Ich habe ein Vorwort für dich eingelegt. Du hast Aussicht, meine Stelle zu bekommen, du wirst Ordnung schaffen da in den Wäldern, wie es ehemals war, da ich jung gewesen bin. Ich wandere aus, weit übers Meer … es gehen nächstens viele hinüber … in Amerika hat schon mancher sein Glück gemacht … auch ich will es versuchen.«
Caspar glaubte zu träumen. Er starrte den Förster an und meinte, es müsse nicht ganz richtig sein im Kopf des Försters.
»Aber, Herr Förster! Kann denn das doch Ihr Ernst sein, was Sie mir jetzt gesagt haben – diese Gegend zu verlassen und den schönen Dienst; weit jenseits des Meeres eine neue Heimat zu suchen, in Ihren Jahren und ins Ungewisse hinein. Das lässt sich nicht leicht denken«, sprach endlich Caspar teils verlegen, teils bemitleidend.
»Es muss sein«, antwortete der Förster fest, »so ist es am besten. Ich bin eins mit mir – es ist nichts mehr zu überlegen. Alles habe ich schon abgemacht. Nimm das Glück, Caspar, in die Hand!«, fuhr er fort und legte fast zärtlich seine Rechte auf Caspars Schulter, »nimm das Glück, das dir zufällt. Hause mit Vefe nach mir in der Försterei – für mich wird sich schon ein Winkel finden – sei es wo immer in der weiten Welt.«
Damit wendete sich der Förster gegen die Haustüre. Caspar aber ging dem Wald zu, um sich einigermaßen allein zurechtzufinden.
Die Förstersfrau hatte alles gehört. Es stand das Fenster offen, welches gerade über der Hausbank sich befand. Die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, sie war einer Ohnmacht nahe. Sie konnte anfangs nicht weinen und nicht reden. Gespensterartig starrte sie ihren Mann an, als er düster vor sich hinschauend in die Wohnstube eintrat. Die heftige Gemütsbewegung seiner Frau war dem Förster nicht
entgangen. Holla, dachte er, sie hat es auch gehört, das wollte ich – so brauche ich es ihr nicht eigens zu entdecken. Was wird es aber jetzt abgeben?
Schmerzlich bewegt legte die gute Frau ihre zarte Hand auf seine Schulter und sprach zu ihm voll Sanftmut: »Nicht wahr, Simon, was du vorhin vom Auswandern dem Caspar gesagt hast, war nur Scherz?«
»Nein«, antwortete er barsch, »es war kein Scherz, es ist Ernst. Es muss sein, und dabei bleibt es.«
»Aber was wird denn aus mir werden?«, seufzte sie.
»Du musst auch mit«, sprach er im halben Grimm, »denn, wo der Mann ist, gehört auch das Weib hin.«
»Ach, das kann ich nicht. Ich bitte dich auf den Knien, verlasse die Heimat nicht – lass mich hier sterben hier. Lieber nimm das Gewehr, Simon, und drücke es ab auf mich. Es ist besser für mich sterben als auswandern und verderben!« Bitteres Weinen mischte sich in diese Worte der Frau.
Einen Augenblick schien dies den Förster zu rühren, aber bald erhielt die alte Härte wieder die Oberhand. »Wozu dieses Gerede, Weib, und solches Gewinsel? Es muss sein. Und du solltest mit mir nicht mitziehen können in deiner Jugend und Kraft! Du kannst es nicht, sagst du? Aber ich habe schon alles tragen, zahlen und ausgleichen können, als es deinen Eltern so schlecht gegangen ist, dass sie kein Brot mehr zu essen und kein Bett mehr zu schlafen gehabt haben. Ich habe schon mein erspartes Geld aufzählen können, um dich und die deinen vor Pfändung und gerichtlichem Verkauf zu retten, deine Eltern bis an ihr Ende von meinem mühsamen Verdienst zu erhalten und dich da herein als Frau Försterin zu setzen. Das hast du schon können; das war nicht zu schwer für dich! Aber meinetwegen, gehe hin, wo du willst. Ich werde auch den Weg allein durch die Welt finden.«
Wie Messerstiche durchbohrten diese Reden das Herz der armen Frau. Sie erhob sich rasch, wischte die Tränen weg und sprach mit gebrochener Stimme: »O Simon, mein Mann, wie quälst du mich! Was du getan hast für uns, das weiß ich und werde es nie vergessen. Deine Wohltaten und deine Opfer sind eben die eisernen Ketten, die mich an dich festhalten. Aber so ganz umsonst hast du dein Erspartes auch nicht hergegeben. Um meine armen und bedrängten Eltern loszukaufen, bin ich dein Weib geworden, habe dir meine Unschuld, meine Jugend, mein Glück, mein ganzes Leben geopfert. Du hast mich nicht geliebt. Dein Herz hing an Anna, die ein anderer dir weggeheiratet hatte, das wusste ich. Ihr zum Trotz wolltest du diejenige als Frau heimführen, welche man in der Umgegend für die Schönste hielt, und da traf mich das Los, die Tochter armer Eltern. Dass es so war, weißt du und hast es selbst bekannt. Nach meiner Liebe, nach meinem Herzen, nach meinem Glück hast du nicht gefragt. So ein Ehestand aber macht schrecklich unglücklich. Du hast es nie gefühlt, aber ich leide dabei und glaube es mir, Simon! So ein Elend wiegt deine Guttaten tausendfach auf!«
Mit einer unmenschlichen Gleichgültigkeit brummte der Förster: »Heute bist du wohl sehr beredt, weißt du vielleicht noch etwas?«
»Ja«, antwortete die Frau blitzschnell, »ich weiß noch etwas, nämlich ich fürchte, dass etwas Schweres auf deiner Seele dich zum Auswandern treibt, und ich bitte täglich den Vater im Himmel, dass es nicht so sein möchte, wie ich ahne. Sollte aber wirklich ein Unrecht, eine Schuld, das böse Gewissen dich zu dem fast tollen Entschluss gebracht haben, so büße, bekenne und bekehre dich hier; denn so weit die Welt ist, so ist sie doch zu eng, um dem bösen Gewissen entlaufen zu können. Unrecht und Schuld bleiben, so weit Himmel und Erde reichen, wenn man nicht Buße tut.«
Der Förster wusste nicht, welche Macht heute seinen Zorn und Wutausbruch zurückhielt, um all dieses von seiner Frau anhören zu können. Mit Gelassenheit sagte er zu ihr: »Mache dir keinen Kummer. Verdruss, Galle und Sorgen an diesem Ort machen mich vor der Zeit altern und unaufgelegt, noch an meiner Stelle zu bleiben. Es wird mir alles zur Last; diese will ich wegwerfen und ein neues Leben in der neuen Welt beginnen.«
»Gebe es Gott«, sprach die Frau, »dass du die Last abwirfst, die dich bedrückt. Und ich werde die Treue halten, die ich dir geschworen und mit dir ziehen, komme was immer, und sollte es mir auch nichts einbringen als eine Kugel und ein Brett, womit man auf der Fahrt verstorbene Auswanderer in das Meer wirft.« Damit entfernte sie sich. Auch der Förster begab sich in sein Zimmer, das er aber bald wieder verließ, um sich aus dem Haus zu begeben.
Was der Förster zu Caspar gesprochen hatte, machte den Jungen fast verwirrt. Die bevorstehende Auswanderung des Försters erregte in ihm die Gefühle des Dankes und des Leides um ihn – hatte der Junge doch neben vielem Unlieben auch viel Gutes in der Försterei genossen und wäre ohne dem alten Förster nie ein so tüchtiger Fachmann geworden. Laut hätte er aber weinen mögen um die gute, sanfte Förstersfrau, die wohl keiner guten Zukunft entgegen zu gehen hatte. Die Aussicht auf den einträglichen Dienst nun schon in seiner Jugend machte ihn besorgt, ob er wohl imstande sei, seinen Pflichten genügend nachzukommen, hier auf diesem Posten, wo das Gesindel der Wilddiebe gehätschelt wurde und auch gegen andere Unordnung kein ernstes Einschreiten geschah. Andererseits aber drohte ihm diese Aussicht vor Freude das Herz zu zersprengen, denn sie gab ihm ja auch die Hoffnung, sich bald schon mit seiner geliebten Vefe auf immer vereinigen zu können.
Dieses drängte ihn nach Hause. Als er, wie er wünschte, Vefe allein in der Wohnstube spinnend und ein Lied für sich hinsingend fand, erzählte er ihr alles halblaut, fügte aber hinzu, dass alle Hoffnungen und Freuden für ihn keinen Wert hätten, wenn sie nicht sein werden wollte für alle Zukunft. Vefe antworte nichts; sie war bei jedem Wort Caspars trauriger geworden und lehnte zuletzt den Kopf auf das Spinnrad, das ihre Hände festhielten.
»Aber was ist denn das?«, flüsterte Caspar betrübt und verlegen, »dass du mir gar nichts auf meine Rede erwiderst. Habe ich mich betrogen, dass du mich lieb hast?«
»Nein«, sprach sie endlich, »daran hast du dich nicht betrogen, aber dass ich dein und du mein werden sollst, das ist leider nichts als ein Traum für mich und dich. Du weißt nicht, wie du mit mir daran bist. Aber ich wäre wirklich eine Falsche gegen dich, wenn ich dir auf dein Geständnis hin nun nicht alles mitteilen würde. Höre mich an, rücke näher herbei, denn außer dir braucht es niemand zu hören.«
Caspar nahm an dem Tisch Platz, in dessen Nähe Vefe spann. In diesem Augenblick ließ sich außen ein Geräusch vernehmen und ein Mann schlich sich näher zum offenen Fenster, um ja kein Wort der jungen Leute zu verlieren. Doch das hatten beide nicht beobachtet.
»Siehe, Caspar«, fing Vefe an, »ich bin die Tochter der Anna, welche der Förster hat heiraten wollen und mein Vater ist derjenige, der sie ihm weggeheiratet hat. Die Eltern des Försters und die Eltern der Anna, meiner Mutter, waren gute Nachbarn, lebten in Freundschaft und hatten den Wunsch, dass einst ihre Kinder ein Ehepaar werden sollten. Dem hochfahrenden Simon gefiel das schöne aufblühende Mädchen, aber Anna mochte den Burschen nicht leiden, denn er war grob, spöttisch, voll beleidigender Späße, herrisch und zornmütig zum Erschrecken. Da fügte es sich, dass der Vater des Simon sich bereden ließ, in den Dienst einer weit entfernten Herrschaft zu treten, die ihm goldene Berge versprach. Der leidenschaftliche Simon verlangte bei der nun bevorstehenden Trennung einen Treueschwur von Anna und sagte ihr im Guten und Bösen, dass sie ihm gehöre und auf ihn warten müsse. Meine Mutter weigerte sich, so ein Versprechen zu geben. Da aber der unbändige Simon immer zudringlicher wurde, sagte sie endlich lachend zu allem ja, um ihn nur los zu werden. Himmel und Hölle rief er zu Zeugen an, dass es ihr Unglück sein sollte, wenn sie ihn vergessen würde. So schieden sie; aber all dieses machte auf das junge Mädchen so wenig Eindruck, dass sie nach ein paar Tagen des Aufdringlichen nicht mehr gedachte.
Etwa ein Vierteljahr danach kam der von der Herrschaft angestellte neue Förster. Binnen weniger Wochen war Anna, meine Mutter, seine Frau. Einige Jahre vergingen in Glück und Frieden. Von den Ausgewanderten waren nur wenige und widersprechende Nachrichten gekommen, bald sollten sie in Armut und Elend geraten sein, bald wieder ihr Glück gemacht haben.
Da hieß es auf einmal, die Herrschaft, zu der die Försterei gehörte, sei an einen anderen Herrn verkauft von der Gegend der Ausgewanderten, und Simon sei angekommen als einstweiliger Geschäftsführer des neuen Gutsbesitzers, eines jungen leichtfertigen Kavaliers, der ihm sehr zugetan sein soll. Bald zeigte es sich auch, dass dies kein leeres Gerede sei. Als sich nun Simon überzeugt hatte, dass Anna, meine Mutter, auf ihn nicht gewartet hatte, tobte er anfangs, brütete aber danach Rache und ließ sich öfters laut vernehmen, dass er nicht ruhen werde, bis sie und ihr Mann elend und unglücklich sein werden. Der Schreckliche führte auch dieses Vorhaben aus. Mit Spott und Schmähungen verfolgte er meine Eltern; mit Lüge und Verleumdung suchte er meinen guten Vater überall und besonders bei der neuen Herrschaft zu verdächtigen. Meine Mutter war sogar vor tätlichen Beleidigungen und Misshandlungen oft nicht mehr sicher.
Er trieb es so arg, dass sich mein Vater schon entschlossen hatte, sich an einem anderen Ort um einen Dienst zu bewerben. Aber auch das sollte nicht ausgeführt werden. Auf einmal erhielt mein Vater den Abschied in der härtesten Weise – es war nichts anderes als eine Absetzung und Entlassung mit der Bemerkung, dass er in kürzester Frist dem Simon als Förster Platz zu machen habe. Es half keine Gegenvorstellung. Mit weinenden Augen zogen meine Eltern aus der liebgewordenen Försterei aus, wo sie unter sich die glücklichsten Tage verlebt hatten und begaben sich vorläufig zu den Eltern meiner Mutter, die mich dorthin auf dem Arm trug. Aber auch hier verfolgte uns das Unglück. In einer entsetzlichen Nacht brannte die Heimat meiner Mutter ab. Es hieß, dieses Feuer sei gelegt worden von einer ruchlosen Hand, aber man kam auf nichts Gewisses. Jetzt war unseres Bleibens nicht mehr. Vater und Mutter mussten sich in der weiten Welt ein Unterkommen suchen. Mich ließ meine gute Mutter unter heftigem Weinen bei einer weitschichtigen Verwandten zu Ch., die keine Kinder hatte. Sie gewann mich lieb und ihr habe ich alles zu danken, was ich gelernt habe. Die Mutter erhielt einen Dienst in einer großen Wirtschaft und für den Vater eröffnete sich ein gar merkwürdiger Platz. er sollte nämlich mit einem alten reichen Herrn auf Reisen gehen. Es lässt sich nicht sagen, mit welchem Schmerz sie Abschied nahmen. Aber wenn sie sich genug erspart haben würden, so wollten sie sich wieder vereinigen und mich zu sich nehmen. Ich verstand damals wenig von dem Kummer meiner Eltern, aber jetzt kann ich es mir beiläufig vorstellen. Jahre der bittersten Trennung, voll schwerer Entbehrungen und Ertragens sind über sie gekommen. Mein Vater hatte sogar eine Reise nach Persien und Indien mit seinem Herrn zu machen. Von dort aus schrieb er endlich an die Mutter, dass er auf der Heimreise mit dem alten Grafen begriffen sei, dass er sich etwas erspart und Aussicht auf eine bleibende Versorgung durch seinen Herrn habe. Er erwarte an dem festgesetzten Tag in M. Frau und Kind, um sie wieder an sein Herz zu drücken. Wie meine Mutter gejubelt hat, lässt sich nicht schildern. Aber kaum waren acht Tage vorüber, schrieb der Vater einen anderen Brief mit der Nachricht, dass der alte Herr auf der Heimreise nach einer kurzen, aber heftigen Krankheit gestorben sei. Der alte Herr habe ihm auch in seinen letzten Stunden alles Vertrauen geschenkt und ihm den Auftrag gegeben, einen angekauften kostbaren Schmuck und eine große Summe Geldes in Gold und Wertpapieren eigenhändig dem jungen Grafen, der zu K. auf seinem Schloss sich befinde, zuzustellen. Mein Vater traf endlich in dem Ort ein; aber, obwohl er dem jungen Grafen jeden Auftrag seines Herrn Vaters und auch den Tag geschrieben hatte, wenn er einträfe, so war der junge Graf doch nicht zu Hause, sondern in der Hauptstadt, und mein Vater hatte ein paar Tage zu warten.
Peinlichst war ihm jeder Augenblick des Wartens. Endlich kam der junge Herr. Mein Vater wollte sich seines Auftrages entledigen, öffnete den Koffer und statt den Kostbarkeiten lagen Kieselsteine darin. Schmuck und Gold waren und blieben verschwunden.«