Wilder Westen Band 5
… dann kam Masterson
Das wahre Leben einer amerikanischen Legende
Der Geruch des Büffeljägercamps stieg den beiden jungen Männern lange, bevor sie es überhaupt sehen konnten, in die Nase. Die Luft war nach dem Wolkenbruch mit den verschiedensten Düften des großen Lagers erfüllt. Es roch nach aufgewühlter, nasser Erde, nach beißendem Holzrauch, Pferdedung und verbranntem Essen. Der Wind, der jetzt von Westen kam, trug ihnen aber noch einen anderen Geruch entgegen, einen Geruch, der sie angewidert das Gesicht verziehen ließ. Es war der süßlich faule Gestank von Blut und verwestem Fleisch.
Die beiden Männer, die sich vom Alter und Aussehen so ähnelten, dass selbst ein Außenstehender erkennen konnte, dass sie Brüder waren, zügelten ihre Pferde beinahe gleichzeitig auf einem sanft geschwungenen Hügelrücken.
Staunend blickten sie die Anhöhe hinunter und lauschten einen Moment geradezu andächtig dem Lärm, der die Senke unter ihnen erfüllte.
Das ganze Lager war ein einziges Gewimmel und Durcheinander.
Unzählige Ochsen- und Muligespanne beherrschten das Bild.
Ein Teil von ihnen beförderte ganze Wagenladungen von gelblich weißen Knochen an den Nordrand des Lagers, während andere zum Teil noch blutige Büffelfelle nach Süden karrten, wo sie von Männern mit Stangen in Empfang genommen wurden, die sie meterhoch aufeinanderstapelten. Über den Haufen war die Luft von unzähligen, wild zuckenden und summenden Fliegenschwärmen erfüllt und von dort kam auch der entsetzliche Verwesungsgeruch.
Insgesamt waren in dem Camp etwa fünfzig Männer versammelt.
Weiße, Indianer, Neger, dunkelhäutige Halbblute und auch Mexikaner. Inmitten des ganzen Trubels hatten zwei Händler aus Kisten, Ballen und Zeltplanen provisorische Kaufläden errichtet, in denen es alles zu geben schien, was man hier draußen in der Wildnis benötigte. Immer wieder krachten Schüsse, Männer schrien, Pferde wieherten und je näher die Brüder dem Lager kamen, umso stärker wurde der Geruch nach ungewaschenen Körpern, ranzigem Fett, Tierexkrementen, Holzrauch und faulendem Fleisch.
Obwohl diese widerwärtige Duftmischung bei jedem zivilisierten Menschen unweigerlich Brechreiz hervorrufen musste, starrten die beiden Brüder fasziniert auf das wilde Treiben, während sie langsam in das Lager ritten.
»Sei ehrlich, Ed«, sagte William Masterson und machte eine allumfassende Handbewegung.
»Das hier ist doch eine ganz andere Welt. Hier versauert keiner im Gegensatz zum Leben auf unserer Farm, hier beginnt die wirkliche, große weite Welt. Ich kann das Abenteuer förmlich riechen.«
Edward Masterson zuckte mit den Schultern, er galt als der besonnenere der beiden Brüder.
»Das Einzige, was ich hier rieche, ist Pferdescheiße, und wenn wir nicht bald einen Job finden, ist für mich das Abenteuer schnell wieder zu Ende. Unsere Vorräte gehen langsam zur Neige und ohne Geld sind wir bis zum Sommer verhungert. Da pfeife ich auf die große Welt und reite lieber wieder nach Hause zurück, wie es unser Bruder Jim bereits getan hat. Ackerland umgraben und Maisstauden ernten ist zwar nicht unbedingt das, was ich mir erträumt habe, aber es macht wenigstens satt und zu Hause hätten wir auch wieder ein Dach über dem Kopf.«
»Ach was«, entgegnete William und winkte ab.
Sein Gesicht glühte dabei angesichts des wilden Treibens, das um sie herum herrschte, vor Erregung wie ein Stück Eisen im Feuer einer Schmiede.
In diesem Augenblick trat ihnen ein untersetzter, Tabak kauender Mann in den Weg, dessen riesiger Hut und sein klobiger Büffelfellmantel, der bis zu den Knöcheln reichte, ihn weitaus größer wirken ließen, als er es in Wirklichkeit war.
»Hallo Jungs!«, sagte er mit rauer Stimme. »So wie ihr beiden ausseht, seid ihr wohl neu hier in der Gegend.«
William nickte rasch. »Yeah, wir beide kommen aus dem Osten und sind auf der Suche nach Arbeit.«
Der Mann spuckte einen gelblich braunen Tabakfladen zu Boden, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und musterte die beiden jungen Männer eingehender.
»Teufel auch, scheint heute wohl doch noch mein Glückstag zu werden.«
Während sich die Brüder noch verwunderte Blicke zuwarfen, drehte sich der Mann um und winkte sie zu einem abseitsstehenden Frachtwagen, vor den vier Maultiere gespannt waren.
»Mein Name ist Raymond Ritter, ich bin Händler und habe gestern mit der Armee einen Liefervertrag über Frischfleisch und Lebensmittel abgeschlossen«, begann er zu erklären.
»Normalerweise eine ziemlich lohnende Sache, aber um den Blaubäuchen den ganzen bestellten Proviant liefern zu können, benötige ich noch ein zweites Gespann und genau da liegt der Hase im Pfeffer. Von den Männern hier im Camp hat keiner auch nur die geringste Lust, für mich zu arbeiten. Um Geld zu verdienen, müssten sie nämlich fünf Tage die Woche ein Gespann lenken und die Wagen be- und entladen. Das ist den meisten viel zu anstrengend, lieber schießen sie einmal die Woche einen Büffel, verkaufen die Knochen und das Fell und versaufen das Geld in ihren stinkenden Zelten, anstatt einer geregelten Arbeit nachzugehen.«
»Also uns würde das nichts ausmachen, wir sind solche Arbeiten gewöhnt«, sagte William.
»Ich heiße übrigens William Masterson, aber alle sagen Bat zu mir, und das da ist mein älterer Bruder Edward.«
Der Händler blieb abrupt stehen und warf den Brüdern einen abschätzenden Blick zu.
»Könnt ihr überhaupt mit einem Wagen und einem Gespann umgehen?«
»Mister«, sagte Ed Masterson selbstbewusst. »Wir kommen von einer Farm und solche Dinge hat uns unser Vater beigebracht, noch bevor wir richtig laufen konnten.«
Ritter spuckte einen zweiten, ungleich größeren Tabakfladen zu Boden, betrachtete die Brüder erneut und kratzte sich danach ausgiebig am Kopf.
»Wisst ihr«, sagte er schließlich. »Ich denke, ihr seid zwei anständige, ehrliche Jungs. Wenn ihr also nichts Besseres zu tun habt, wie wär´s mit einem Job bei Ritters Handelsposten?«
Als der Trader seine Lohnvorstellungen nannte, hatte er einen Herzschlag später zwei neue Gehilfen und die Mastersons einen Job.
Sie machten es einen Sommer lang.
Dann sagte Ritter, er müsse in die Stadt, um den Kontrakt mit der Armee zu verlängern und neue Waren abzuholen, die er bestellt hatte. Außerdem wollte er die Fahrt auch gleich damit verbinden, bei der Bank Geld abzuholen, um den Brüdern ihren noch ausstehenden Lohn auszubezahlen.
Am frühen Mittag fuhr er mit einer Ladung Büffelfleisch und etlichen Fellen los. Drei Tage später war er immer noch nicht zurück, dafür kamen von Osten her vier Reiter, die sich zielstrebig seinem Handelsposten näherten.
Edward und William bauten sich in Erwartung zahlungskräftiger Kundschaft vor dem Eingang des Ladens auf und starrten den Reitern neugierig entgegen. Als die Männer den Hof des Handelspostens erreicht hatten, glitten sie schweigend aus den Sätteln ihrer Pferde.
Es waren durchwegs rohe, ungehobelt wirkende Männer mit harten Gesichtern und tiefhängenden Revolvern.
»Können wir etwas für euch tun?«, fragte Bat geschäftsmäßig.
Der vorderste der Reiter maß den jungen Masterson mit einem Blick, als wäre er gerade in einen Büffelfladen getreten und verzog unwillig das Gesicht.
»Seid ihr die beiden Jungs, die für Ritter gearbeitet haben?«
»Warum wollen Sie das wissen?«
»Weil ihr dann nämlich eure Sachen packt und von hier verschwindet.«
Als Bat wütend die Hand auf sein Halfter legte, hielten alle vier plötzlich ihre Revolver in den Händen.
»Macht keine Dummheiten, Jungs, steigt einfach auf eure Pferde und haut endlich ab.«
»Moment mal«, sagte Ed und es war offensichtlich, dass auch Williams ansonsten ziemlich besonnener Bruder allmählich mächtig wütend wurde.
»So geht das nicht, das hier ist Mister Ritters Handelsposten und wir sind seine Angestellten. Sie können hier nicht so einfach vorbeikommen und uns wegschicken. Mister Ritter wird sicherlich demnächst wieder auftauchen und dann werden wir ja sehen, wer hier wen wegschickt.«
Der Mann seufzte und fischte ein Papier aus der Innentasche seiner Jacke.
»Schuldet Ritter euch etwa noch Geld?«
Als die Mastersonbrüder nickten, zog der Mann mitleidig die Schultern hoch.
»Dann habt ihr leider Pech gehabt, Ritter hat euch nämlich verarscht. Als ich ihn bei dem neuen Kontrakt mit der Armee unterboten habe, hat er mir seinen Handelsposten mitsamt Wagen und Gespann verkauft. Von euch war nicht die Rede, ich brauche euch auch nicht, ich habe meine eigenen Leute.«
»Und wo ist Ritter jetzt?«, stieß Bat hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.
Der Mann wiegte den Kopf.
»Keine Ahnung, als ich ihm den Wagen abgekauft habe, ist er gleich nach Osten weitergeritten. Wahrscheinlich mit jeder Menge Kohle, nachdem ihr so dumm gewesen seid, euch euer Geld erst dann auszahlen zu lassen, nachdem ihr die ganze Saison für ihn gearbeitet habt.«
Ed knirschte mit den Zähnen.
»Er hat uns gesagt, dass er uns den Lohn zwar auch monatlich auszahlen könnte, es aber nicht ratsam wäre, sich zwischen all den Büffeljägern und im Armeestützpunkt ständig mit so viel Geld in den Taschen aufzuhalten. Es wäre auf der Bank viel sicherer.«
»Und ihr seid auf sein Geschwätz reingefallen.«
»Wir hielten ihn für einen ehrlichen Geschäftsmann.«
Der Anführer der Reiter grinste mitleidlos.
»Das Leben im Westen ist kein Zuckerschlecken, um hier zu bestehen, müsst ihr noch viel lernen. Die erste Lektion habt ihr hoffentlich inzwischen kapiert, sie heißt: Traue hier draußen niemanden außer dir selbst.«
Die vollständige Story steht als PDF-Download zur Verfügung.
Bisherige Downloads: