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Teufelswahn epidemisch in der Lombardei 1504 – 1523

Teufelswahn epidemisch in der Lombardei 1504 – 1523
Aus: Der Wahnsinn in den vier letzten Jahrhunderten. Nach dem Französischen des Calmeil. Bearbeitet von Dr. Rudolf Leubuscher. Halle. 1848

Der Papst Adrian VI. hatte auf die Bulle Innozenz VIII. und ein Breve von Julius II., der schon Georg von Kasal mit ausgedehnter Vollmacht gegen die Blutsauger in Ita­lien versehen hatte, gestützt, den Dominikanern die Leitung der Hexenprozesse in der Lombardei über­tragen. Dieser heilige Orden war in der Erfüllung seiner Pflichten so tätig, dass er in Como allein in einem Jahr mehr als 1000 Untersuchungen anstellte, mehr als hundert verbrannte. Wie viele Opfer mussten im Zeitraum weniger Jahre in Piemont, in der Lombardei, in Mirandola umkommen! Man sieht aus dem Breve des Papstes, dass man in Italien über ähnliche Verbrechen handelte, wie in Basel, in Konstanz, in Oberdeutschland, Es wa­ren wieder hauptsächlich Frauen, die auf den Bänken der Inquisition figurierten. Die meisten hatten sich den Mord von Erwachsenen oder Neugeborenen vorzuwerfen. Aus der Hand des Teufels, dem sie Seele und Leib übergaben, empfingen sie etwas Pulver, das sie ihr ganzes Leben lang versteckt in den Kleidern trugen. Ein einziges Körn­chen dieses Pulvers reichte hin, um zu töten. Manch­mal küssen und herzen die Blutsauger die kleinen Kin­der und vernichten sie dadurch, indem sie dabei den Na­men des Teufels anrufen. Am häufigsten aber ver­wandeln sie sich in Katzen, schleichen unter dieser Ge­stalt behände durch die kleinsten Öffnungen und schlür­fen gierig das Blut ihrer Opfer, an den Fingern, den Zehen, den Lippen der Kinder, an den Fontanellen ihres Schädels. Mit einem Nagel oder einer Nadel machen sie sich eine feine Öffnung, und die Mutter, die von dem Geschrei ihres Kindes erwacht, bemerkt nur an der Röte der Haut, an einzelnen Blutflecken, dass ihr Kind von einem Blutsauger heimgesucht worden ist. Selbst die Hospitäler waren keine Zufluchtsstätte gegen ihre An­griffe. Auch gemeinschaftliche Versammlungen wurden von den Strigen gehalten. Sie wurden manchmal von dem Teufel bis an die Ufer des Jordans geführt, gewöhnlich aber brachte sie der Teufel bloß bis an den Fuß des Berges Paternus bei Bologna, in die Ebene von Mirandola. Wenn sie zu Fuß gehen wollten, – gewöhn­lich aber kamen sie zu Pferde an, – so beschleunigte der Teufel ihren Gang dadurch, dass er gegen ihren Rücken und gegen ihre Schultern heftig blies. Sie wurden durch einen so raschen Lauf schwindlig. Beim Nachhause kommen waren sie selbst am anderen Tage noch sehr müde und abgeschlagen. In ihren Versammlungen führte eine Art Teufelin, welche sie die weise Göttin nannten oder auch die weiße Sibylle im Gegensatz zur Königin der Engel, den Vorsitz, vor der alle große Furcht hatten. Wenn sie zusammen waren, so wurde getanzt und gegessen. Die Speisen waren zum Teil nur Scheingerichte, zum Teil aber wirkliche, große Ochsen, die sie von den Tischen der Reichen gestohlen hatten. Die weiße Göttin brauchte aber nach der Mahlzeit bloß die abgenagten Knochen auf der abge­zogenen Haut sammeln zu lassen, um die Tiere wieder lebendig und den Diebstahl unbemerkt zu machen.

Die Blutsauger, welche als Katzen die ganze Nacht um­herschweifen, verbergen unter der Schwelle ihres Hauses eine bezauberte Kröte, durch deren Hilfe sie ihre mensch­liche Gestalt wieder annehmen können.

Calmeil bemüht sich, den Wahnsinn der Hinge­richteten aus den vorhandenen Daten heraus zu folgern. Dass Mordtaten an kleinen Kindern wirklich verübt worden seien, ist höchst unwahrscheinlich. Die Kinder wurden von ihren Eltern bewacht, die selbst ganz frei von jeder Halluzination waren und die sich über einen di­rekten Mordangriff auf ihre Kinder gewiss nicht getäuscht hätten. Katzen hatte man wohl mehrmals in den Häu­sern an den Betten der kleinen Kinder gefunden, Men­schen aber nie. In Bezug auf die Verwandlung in Katzen gesteht selbst Spina zu, dass der Geist und die Sinne der Strigen durch einen dämonischen Einfluss bezaubert gewesen seien, sodass sie sich selbst wie Katzen vor­gekommen waren, dass die Täuschung auch wohl eine gegen­seitige gewesen sei, sodass sie auch anderen als Katzen erschienen. Die Hauptsache ist ihm bei den Mordtaten die teuflische Hilfe, welche im Augenblick des Mordes unsichtbar zu machen vermöge. Calmeil vermutet, dass die Strigen am Tag frei von Halluzinationen gewe­sen seien, dass sie in ihren Träumen zuerst mit dem Teufel verkehrt hätten, und dass ihre Träume dann mit einer solchen Lebendigkeit vor ihr Bewusstsein getreten seien, dass sie als objektive Erlebnisse in den wachen Zustand sich herübergezogen, bestätigt und bekräftigt durch die allgemein herrschende Furcht, durch die Erzählungen von Teufelsanfechtungen, die von Mund zu Mund gingen. Beweis für diese Erklärung ist ihm die Müdigkeit, die sie am anderen Morgen gespürt hätten. Die Anwendung von betäubenden und schlafmachenden Salben als Erklä­rung zu Hilfe zu nehmen, ist ihm nicht zulässig. Spina erwähnt allerdings die Geschichte einer Hexe, die versprach, den Sabbat vor aller Augen zu besuchen, wenn man ihr erlaubte, sich einer gewissen Salbe zu bedienen. Sobald sie sich eingerieben hatte, fiel sie wie tot nieder, blieb starr, regungslos und erzählte nach einigen Stunden, als sie wieder zum Bewusstsein kam, beim Sabbat gewesen zu sein. Calmeil hält die Phantasien der Angeklagten für die Erzeugnisse eines kataleptischen oder ekstatischen Zustandes. Er zitiert dabei noch einen Fall aus Spina von der Frau eines Notars bei der Inquisition in Como, die bisher immer ein frommes, gottesfürchtiges Leben geführt hatte und von ihrem Mann an einem Freitag ganz nackt und unbeweglich auf einer Mistgrube gefunden wird. Als sie zu sich kommt, erzählt sie eben­falls vom Sabbat. Um der Gefahr des Verbrennens zu entgehen, stürzt sie sich dann ins Wasser.

Calmeil kann recht haben, aber aus dem Geständnis der Ange­klagten ist seine Ansicht nicht unwiderleglich zu demonstrieren.

Die Anwendung von Salben geht durch die ganze Hexengeschichte hindurch. Wier gibt ihre Zu­sammensetzung nach der magia naturalis des Joannes Baptista Porta an:

Puerorumpinguedinem aheneo vase decoquendo ex aqua capiunt, inspissando, quod ex elixatione ultimum novissimumque subsidet;  cum hac immiscent eleoselinum, aconitum, frondes populneas et fuliginem. Vel aliter sic: Sium, acorum vulgaref pentapbgllon vespertilionis sanguinem, solanum somni­ferum et oleum.

Öl oder Fett soll bloß deshalb ange­wendet werden, damit die Poren geöffnet werden und die Substanzen besser eindringen können. Andere Schrift­steller vermuten die Einmischung von Bilsenkraut. Remigius erzählt, dass im Sep­tember 1589 in einem lothringischen Dorf zwei Hexen zwei Büchsen mit Salben weggenommen worden seien, in denen sich Bitumen befand, mit gelben und weißen Tropfen gemischt und mit verschiedenen Stücken farbiger Metalle. Außerdem bemerkt er in demselben Kapitel: »Die Hexen bestrichen mit ihrer magischen Salbe ihre Hände und sich selbst ganz und gar ohne Schaden. Für andere ist sie aber sogleich tödlich, sobald sie nur den äußersten Saum des Kleides damit berühren, wenn der animus laedendi damit verbunden ist. Remigius glaubt daher: »Unctionem illam exteriorem symbolum solum esse ejus conscientiae, quam ad tarn nefarium facinus miseri illi ejus ductu (sc. diaboii) ac consilia afferunt.«

Diese Worte sind sehr wichtig. Wenn bei der Überwirkung auf andere eine arzneiliche, eine stoff­liche Übertragung nicht für notwendig erachtet wird, sondern der animus laedendi allein genügt, so ist selbst im Sinne der Hexenrichter auch die eigene Einreibung der Hexe mit Salbe nicht notwendig. Das Hineinziehen von arzneilichem Stoff in den wüsten Hexenspuk er­scheint mir von diesem Gesichtspunkt aus als ein ratio­neller Erklärungsversuch, als eine Tätigkeitsäußerung der gegen die Macht des Aberglaubens sich sträubenden Vernunft, welche die wirren Träumereien an einen wirk­lichen Stoff anheften will.

Ob Salben mit narkotischen Substanzen tatsächlich angewendet worden sind, dürfte in den einzelnen Fällen sehr schwer zu ermitteln sein. Die in der neuesten Zeit mit dem Haschisch, einem Ex­trakt aus dem Samen der cannabis indica und gewöhn­lichem Berauschungsmittel im Orient vielfach angestellten Experimente, wobei wunderliche Sinnestäuschungen zum Vorschein kommen, rücken die Möglichkeit einer narko­tischen Einwirkung zu bestimmten Zwecken wieder näher. So soll der Alte vom Berge sich des Haschisch zur Berauschung seiner Untergebenen bedient haben, die sich dann in fanatischer Begeisterung für ihn in den Tod stürzten. Im Ganzen fällt indessen die Untersuchung, ob in einem einzelnen Fall Salben angewendet worden sind oder nicht, einem mehr antiquarischen Interesse an­heim. Glaubt man nämlich, dass die Angeklagten freie Selbstbekenntnisse abgelegt haben, so ist die Anwendung von Salben nicht notwendig zur Erklärung. Wenn sie angewendet worden wären, so mussten dann ihre Halluzinationen, wie das bei den Sinnestäuschungen durch Nar­kose der Fall ist, einen wirren, unbestimmten, verschwimmenden Charakter gehabt haben, aber nicht jene scharf abgegrenzte, übereinstimmende Form. Diese lässt sich nur auf psychischem Weg durch die Macht der in der subjektiven Vorstellung wurzelnden Zeitidee erklären.

Leugnet man dagegen alles und hält es bloß für Er­findung der Inquisitoren, so kann der ganze Hexengräuel den Angeklagten mit oder ohne Salben imputiert werden.