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Die Sternkammer – Band 1 – Kapitel 13

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 1
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Dreizehntes Kapitel

Wie Jocelyn Mounchensey auf Stamford Hill einem maskierten Reiter begegnete.

Zwei Tage nach den zuletzt erwähnten Ereignissen nahm ein Reiter Stamford Hill hinauf seinen Weg. Ihm folgte ein berittener Diener in respektvoller Entfernung. Er war jung und von sehr einnehmender Erscheinung, sein Gesicht, voll Feuer und Geist, blühte in Gesundheit. Es war leicht zu sehen, dass er sein Leben auf dem Land und in beständigen männlichen Übungen hingebracht habe; denn wenn er auch sein Pferd – ein kräftiger brauner Renner – auf die vollkommenste Weise lenkte, so hatte er doch nichts von dem eleganten Städter oder von dem Soldaten an sich. Sein Wams und Mantel waren von einfachem, dunklem Stoff und bereits etwas abgetragen, aber sie standen seiner schönen symmetrischen Figur gut, so wie auch die starken Stiefel, die seine wohlgebildeten Füße schützten. Niemand konnte besser im Sattel sitzen oder den Zügel leichter führen als er. Sein edles Ross, welches gleich ihm voll Mut und Feuer war, folgte all seinen Bewegungen und gehorchte der leisesten Andeutung seines Willens. Seine Waffen waren ein langer Degen und ein Dolch. Sein Hut, mit breitem Rand und mit einer schwarzen Feder verziert, bedeckte die vollen braunen Locken, die in langen Ringen über seine Schulter niederhingen. So graziös war die Figur und Haltung des jungen Reiters und so angenehm sein Aussehen, dass er nicht geringe Bewunderung erregte, als er zu einer frühen Stunde an jenem Morgen von Bishopgate Street ausritt, das große Tor in der alten Stadtmauer passierte und zu dem damals noch ländlichen Distrikt Shoreditch eilte, indem er Old Bedlam und die traurigen Gedanken, die der Ort erweckte, rechts, und Finsbury Fields mit ihren Gärten, Hundehäusern und Windmühlen links liegen ließ. Am Ende der äußeren Bishopgate Street hatte sich eine beträchtliche Menschenmenge um eine Gesellschaft hübscher junger Milchmädchen versammelt, die einen lebhaften und charakteristischen Tanz zu einer Sackpfeife und Geige ausführten. Anstatt Eimer zu tragen, wie es sonst ihre Gewohnheit war, hatten diese Milchmädchen, die sämtlich sehr zierlich gekleidet waren, einen gleich einer Pyramide geordneten und mit Bändern und Blumen geschmückten Haufen von Silbergeschirr, welches sie sich zu dem Zweck geborgt hatten, auf ihren Köpfen. In dieser Weise besuchten sie alle ihre Kunden und tanzten vor ihren Türen – ein hübscher Gebrauch, der in der Umgegend der Hauptstadt im Monat Mai beobachtet wurde. Die munteren Milchmädchen stimmten einen freudigen Ruf an, als der junge Mann vorüberritt. Manches helle Auge folgte seiner schönen Gestalt, bis er verschwand. An der Wasserleitung jenseits Shoreditch waren mehrere junge Mädchen beschäftigt, Wasser zu schöpfen und stellten ihre Beschäftigung ein, um ihm nachzusehen. So tat jedes hübsche Landmädchen, welches ihm begegnete und entweder auf einen Karren oder auf einem Kissen hinter ihrem rüstigen Vater saß. Jeder Gruß, der an ihn gerichtet wurde, erwiderte der junge Mann herzlich mit heiterer Stimme und Blick. In einigen Fällen, wo der Gruß von einer ältlichen Person kam oder eine Mütze respektvoll abgenommen wurde, entblößte er sein eigenes stolzes Haupt und zeigte seine schönen Züge noch deutlicher.

So viel von dem Herrn – nun müssen wir auch den Diener beschreiben. Seiner eigenen Meinung nach wenigstens – denn er war keineswegs frei von Einbildung – hatte der Letztere einen gleichen Anteil an der Bewunderung; und gewiss, wenn Unverschämtheit ihm helfen konnte, dieselbe zu gewinnen, so fehlte es ihm nicht daran. Die meisten Mädchen starrte er an, dass sie verlegen wurden. Einige sah er so beleidigend an, dass ihre Begleiter ihm mit der Faust oder mit der Peitsche drohten und zuweilen einen Stein nach seinem Kopf schleuderten. Gleich frei war er in der Anwendung seiner Zunge. Seine Scherze waren so drollig und gefielen denen, an die sie gerichtet waren, so wenig, dass es in einigen Fällen vielleicht gut für ihn war, dass der schnelle Ritt ihn aus dem Bereich der Gefahr brachte. Der Schelm sah nicht übel aus, denn er war sehr jung, hatte geschmeidige Glieder, olivfarbigen Teint, schwarze Augen, ein schlaues Aussehen, eine aufwärts gerichtete Nase und außerordentlich weiße Zähne. Er trug keine Livree und sein Anzug war mehr der eines Lehrlings als des Dieners eines Edelmannes. Er ritt ein starkes hellbraunes Pferd. Doch obwohl das Tier fügsam genug war und einen leichten Schritt ging, machte es ihm doch beträchtliche Schwierigkeit, seinen Sitz auf dem Rücken desselben zu behaupten.

Auf diese Weise kamen Jocelyn Mounchensey und Dick Taverner – denn der Leser wird keine Mühe haben, die beiden zu erkennen – auf Stanford Hill an.  Der Erstere zog den Zügel an und begann langsam die Anhöhe hinaufzureiten.

Es war ein köstlicher Frühlingsmorgen, wo die ganze Natur sich zu freuen scheint, wo die neu geöffneten Blätter am grünsten und frischesten sind, wo die Lerche sich am heitersten von der grünenden Wiese erhebt und zum Himmel auffliegt, wo tausend andere befiederte Sänger ihre Stimmen in Wäldchen und Hecken ertönen lassen, wo die Dohlen in ihren Nestern auf den hohen Bäumen krächzen, wo sanfte Regenschauer, die in der Nacht gefallen waren, die Erde auf die milde Wärme und den Sonnenschein vorbereitet haben; wenn jener Sonnenschein jeden Augenblick einen neuen Gegenstand zum Leben und zur Schönheit hervorruft; wenn alles, was man anblickt, angenehm für das Auge, und alles, worauf man horcht, ergötzlich für das Ohr ist. Kurz, es war ein köstlicher Morgen, wie man ihn nur im schönen Monat Mai erlebt und wie er nur in seiner ganzen Vollkommenheit im lustigen England vorkam.

Angekommen auf dem Gipfel des Hügels, der eine weite und reizende Aussicht gewährte, machte Jocelyn Halt und blickte mit Verwunderung zu der ungeheuren und volkreichen Stadt zurück, die er eben verlassen hatte und die sich in ihrem vollen Glanze und ihrer Schönheit vor ihm ausbreitete. Ihm erschien sie bereits übermäßig groß, obwohl sie noch nicht den zehnten Teil ihres gegenwärtigen Umfanges erreicht hatte. Aber er konnte nur nach dem urteilen, was er bereits gesehen hatte, und war nicht imstande, ihre künftige Größe vorauszusehen. Aber wenn London in den letzten zweihundertfünfzig Jahren an Größe, Reichtum und Bevölkerung zugenommen hatte, so hat es fast alle eigentümlichen Züge der Schönheit verloren, die es bis zu jener Zeit auszeichneten und es so anziehend für Jocelyns Augen machten. Die abwechselnde und malerische Bauart der alten Wohnungen, noch nicht durch die Neuerungen der italienischen und niederländischen Schule gestört und während der letzten Zeit der Königin Elisabeth zur Vollendung geführt worden waren, verlieh der ganzen Stadt ein charakteristisches und fantastisches Ansehen. Alte Kreuze, alte Schlosstürme und unzählige schlanke Kirchtürme erhoben sich unter einer Welt zierlicher Giebel und spitzer Dächer. Ein Stockwerk über dem anderen erhoben sich diese interessanten Gebäude unregelmäßig, aber doch übereinstimmend, anziehend für den Blick des Malers und Dichters, künstlich hinsichtlich ihrer Verzierung, grotesk in ihrem Entwurf, wohl geeignet für das Klima und bewundernswürdig passend für die Bedürfnisse und die Bequemlichkeiten der Einwohner, malerisch gleich dem Zeitalter selbst, gleich seinem Kostüm, gleich seinen Sitten und seiner Literatur. All diese charakteristischen Schönheiten und Eigentümlichkeiten sind nun gänzlich verschwunden. All die alten malerischen Wohnungen sind vom Feuer verzehrt worden und eine neue Stadt hat sich an ihrer Stelle erhoben – nicht zu vergleichen mit der alten – ebenso wenig, wie wir, mein würdiger Leser, in unserem förmlichen und leider schlecht erfundenen Anzug den malerisch aussehenden Bürgern von London in Wams, Mantel und Beinkleidern nach der Mode der Zeit Jakob des Ersten gleichen. Ein anderer Vorteil in jenen Tagen darf nicht vergessen werden. Die ungeheure Rauchwolke, die über dem modernen Babel schwebt und zuweilen selbst das Licht der Sonne verdunkelt, trübte nicht die Schönheiten der alten Stadt – Steinkohle wurden im Vergleich zum Holz noch wenig angewendet, welches damals, wie nun, in der französischen Hauptstadt reichlich vorhanden war. So war die Atmosphäre klarer und leichter und diente als ein schöneres Mittel, um Gegenstände zu zeigen, die nun schon beim vierten Teil der Entfernung verschwinden würden.

Schön, schimmernd und klar erhob sich damals das alte London vor Jocelyns Blick. Von grauen Mauern eingeschlossen, von Zinnen geschützt und mit hohen Toren versehen, wovon vier – nämlich Cripplegate, Moorgate, Bishopgate und Aldgate – von der Stelle, wo er stand, sichtbar waren, fesselte es die Aufmerksamkeit wegen der unermesslichen Vereinigung von Dächern, Kirchtürmen, Spitzen und Wetterfahnen, alle im Sonnenschein schimmernd, während in der Mitte von allem und über alles hinwegragend die riesenhafte gotische Kathedrale dastand. Weit nach Osten und außerhalb der Stadtmauern, obwohl umgeben von seinen eigenen, sah man den drohenden Tower von London – halb Festung und halb Gefängnis man in jenen Tagen nie ohne Schauplatz so vieler Tragödien gewesen war. Westlich blickend und rasch die Gärten und angenehmen Dörfer ansehend, die nördlich vom Strand lagen, verweilte des jungen Mannes Blick eine Sekunde bei Charing Cross – dem künstlich ausgearbeiteten Denkmal, welches Eduard I. seiner Gemahlin Eleonore errichtete – und schweifte dann über den Palast Whitehall mit seinen beiden Toren sowie über Westminster Abbey dahin – schöner ohne ihre Türme, als mit denselben – und ruhte dann auf Westminster Hall; denn dort in einem der Zimmer, dessen Decke mit vergoldeten Sternen geschmückt war, wurden die Beratungen jenes schrecklichen Tribunals gehalten, welches ihn seiner Erbschaft beraubt hatte und ihn nun mit Beraubung der Freiheit und Verstümmelung des Körpers bedrohte. Ein Schauder überlief ihn, als er an die Sternkammer dachte. Er wendete seinen Blick woanders hin, indem er die ganze herrliche Stadt zu überblicken versuchte.

Ein stolzer Anblick, in der Tat! Wohl durfte König Jakob selber ausrufen, als er wenige Jahre vorher auf derselben Stelle stand, wo Jocelyn sich nun befand, und London zum ersten Mal seit seiner Thronbesteigung in England überblickte; wohl durfte er in den Tönen des Entzückens ausrufen, als er die Pracht seiner Hauptstadt anblickte: »Endlich gehört mir das reichste Juwel in der Krone eines Monarchen!«

Nachdem sich Jocelyn an diesem neuen und wunderbaren Anblick gesättigt hatte, er seine Aufmerksamkeit auf nähere Gegenstände zu richten und beobachtete die Landschaften zu beiden Seiten der Erhöhung, die, ohne außerordentliche Schönheiten zu zeigen, im Allgemeinen lieblich waren und einen besänftigenden Einfluss auf seinen Geist äußerten. Zu jener Zeit stand ein Wäldchen auf Stamford Hill und der östliche Abhang war mit Buschwerk bewachsen. Das ganze Land auf der Seite nach Esser zu war mehr oder weniger sumpfig, bis man etwa drei Meilen weiter Epping Forest erreichte. Durch ein sumpfiges Tal zur Linken nahm der Fluss Lea, so teuer dem Angler, seinen langsamen und stillen Weg, während New River, damals erst eben eröffnet, durch ein grünes Tal zur Rechten floss. Jocelyn auf den letzteren Kanal aufmerksam machend, benachrichtigte ihn Dick Taverner, der nun auch herankam, dass er bei der Vollendung jenes wichtigen Unternehmens zugegen gewesen war. Und ein famoser Anblick, meinte der Lehrling, sei es gewesen. Der Lord Mayor von London, die Aldermen und der Recorder wären alle in ihren Staatsgewändern erschienen, um die Eröffnung der Schleusen anzusehen, welche den Strom ergießen sollten, der von Amwell Head in die große Zisterne in der Nähe von Islington floss. Und dies geschah bei betäubendem Zuruf und beim Donner des Geschützes.

»Ein stolzer Tag war es für Sir Hugo Myddleton«, fügte Dick hinzu, »und einige Belohnung für seine Ausdauer bei seinen Schwierigkeiten und Täuschungen.«

»Es ist zu hoffen, dass der gute Herr eine bessere Belohnung als die erhalten hat«, versetzte Jocelyn.

»Er hat seinen Mitbürgern ein unschätzbares Geschenk hinterlassen und hat daher Anspruch an ihre Dankbarkeit.«

»Was die Dankbarkeit vonseiten der Bürger betrifft, darüber kann ich nicht viel sagen, mein Herr, und nicht jeder erhält, was er verdient. Sonst wissen wir wohl, wo unsere Freunde Sir Giles Mompesson und Sir Francis Mitchell sein würden. Die guten Bürger sind zufrieden, das reine Wasser des New River zu trinken, ohne an den zu denken, der es bis vor ihre Türen gebracht hat. Mittlerweile hat das Werk Sir Hugo Myddleton fast zum Bettler gemacht. Er wird wohl wenig Belohnung weiter erhalten, außer der, die seine eigene wohltätige Handlung ihm gewähren wird.«

»Aber wird der König ihn nicht belohnen?«, fragte Jocelyn.

»Der König hat ihn schon mit einem Titel belohnt«, versetzte Dick, »mit einem Titel, den man heutiges Tages viel wohlfeiler haben kann, als der gute Sir Hugo dafür gezahlt hat. Aber wir müssen zum Lob unseres Monarchen gestehen, dass er viel mehr getan hat, als die Bürger von London tun wollten, denn als sie sich weigerten, Master Myddleton (wie man ihn damals nannte) bei seinem höchst nützlichen Werk zu unterstützen, unternahm es König Jakob und machte sich unter dem großen Siegel verbindlich, die Hälfte der Kosten zu bezahlen. Ohne dies wäre es wahrscheinlich nie zur Ausführung gekommen.«

»Ich hoffe, es wird endlich für Sir Hugo vorteilhaft sein«, sagte Jocelyn, »und wenn nicht, so wird er jenseits seine Belohnung erhalten.«

»Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er uns begegnen wird, denn er wohnt in der Nähe von Edmonton und ist häufig auf der Straße«, sagte Dick. »Wenn er uns begegnet, werde ich ihn Euch zeigen. Ich bin einigermaßen mit ihm bekannt, denn ich habe ihm oft im Laden meines Herrn auf dem St. Paulskirchhof aufgewartet. Da wir von Edmonton reden, so wollen wir mit Eurer Erlaubnis in der Glocke1 frühstücken, wo ich bekannt bin und wo man Euch gut bedienen wird. Der Wirt ist ein jovialer und zuverlässiger Kerl und kann uns Auskunft geben, die uns nützlich sein wird, ehe wir unsere gefahrvolle Expedition nach Theobalds fortsetzen.«

»Es liegt mir nichts daran, wie bald wir dort ankommen«, rief Jocelyn, »denn der Morgen hat so meinen Appetit vermehrt, dass der bloße Gedanke an die gute Bewirtung in der Glocke jeden Aufschub unerträglich macht.«

»Ich bin durchaus Eurer Meinung, Herr«, sagte Dick, mit seinen Lippen schnalzend. »In der Glocke zu Edmonton können wir gewiss sein, frische Fische aus dem Lea, frische Eier vom Meierhof und starkes Bier aus dem Keller zu erhalten. Wenn diese drei Dinge kein gutes Frühstück bilden, so weiß ich es nicht. Lasst uns weiter traben. Wir haben nur noch zwei Meilen vor uns. Fünf Minuten bis Tottenham – zehn bis Edmonton – und es ist geschehen!«

Die Strecke wurde indessen nicht so bald zurückgelegt, wie Dick vermutete. Ehe sie noch fünfzig Schritte weitergekommen waren, wurden sie von einem unerwarteten Ereignis aufgehalten.

Plötzlich aus einem Dickicht hervorkommend, der ihn verborgen hatte, stellte sich ihnen ein Reiter gerade in den Weg, der ihnen mit lauter und gebieterischer Stimme befahl, anzuhalten. Diesen Befehl versuchte er dadurch zu bekräftigen, dass er eine Hakenbüchse auf Jocelyns Kopf anlegte.

Die Erscheinung dieses Reiters war geheimnisvoll und furchtbar zugleich. Der obere Teil seines Gesichts war mit einer schwarzen Maske bedeckt. Seine Kleidung war schwarz, so wie auch sein kräftiges Pferd. Stiefel, Hut, Mantel und Feder waren alle von derselben dunklen Farbe. Sein Körper war kräftig gebaut und außer der Hakenbüchse war er mit Degen und Dolch bewaffnet, sodass er ein sehr unangenehmes Hindernis auf dem Weg bildete.

Dick Taverner war bei dieser Gelegenheit nicht imstande, viel Beistand zu leisten. Die Plötzlichkeit, womit der maskierte Reiter auf sie zukam, erschreckte sein Pferd, sodass es sich bäumte und endlich den Reiter abwarf – glücklicherweise, ohne ihm viel Schaden zuzufügen.

Der Reiter ließ indessen seine Hakenbüchse sinken und redete Jocelyn an, der ihn für einen Räuber hielt und sich zum Widerstand rüstete.

»Ihr irrt Euch in mir, Herr Jocelyn Mounchensey«, sagte er, »ich habe keine Absichten auf Eure Börse. Ich fordere Euch auf, Euch mir als Gefangenen auszuliefern.«

»Das soll nie lebendig geschehen«, versetzte der junge Mann. »Ungeachtet Eurer Verkleidung erkenne ich Euch als einen von Sir Giles Mompessons Söldnern. Ihr könnt aus unserem früheren Zusammen treffen schließen, ob mein Widerstand entschlossen sein wird oder nicht.«

»Ihr würdet bei jener Gelegenheit nicht entkommen sein, wäre ich Euch nicht behilflich gewesen wäre, Herr Jocelyn«, entgegnete der maskierte Reiter. »Nun hört mich an – ich will unter gewissen Bedingungen freundlich gegen Euch sein. Um meine Aufmerksamkeit zu beweisen, mache ich mich verbindlich, dass Ihr frei ausgehen sollt, wenn Ihr sie annehmt.«

»Ich fühle mich nicht geneigt, Bedingungen mit Euch zu machen«, sagte Jocelyn in strengem Ton. »Auch denke ich nicht, dass Ihr mich werdet hindern können, weiter zu reisen.«

»Ich habe einen Haftbefehl für Euch von der Sternkammer«, sagte der maskierte Reiter, »und Ihr würdet Euch vergebens zu widersetzen versuchen, wenn ich ihn ausführen wollte. Dies müsst Ihr wissen, ehe ich fortfahre. Und nun, um Euch zu zeigen, wie gut ich mit allen Euren Handlungen bekannt bin, will ich Euch erzählen, was Ihr getan habt, seitdem Ihr mit dem verwegenen Lehrling, dessen Streiche ihn gewiss nach Bridewell bringen werden, aus den drei Kranichen entflohen seid. Ihr landetet an der London Bridge und gingt mit Eurem Begleiter in die Rose in Newington Butts, wo Ihr die Nacht und den ganzen folgenden Tag, wie Ihr glaubtet, verborgen bliebet. Ich sage, Ihr glaubtet, Euer Aufenthalt wäre unbekannt, denn ich wusste darum und hätte Euch gefangen nehmen können, wenn ich gewollt hätte. In der nächsten Nacht begabet Ihr Euch in die Krone in Bishopgate Street. Da Ihr nicht in Eure Wohnung in der Nähe der St. Botolphskirche außerhalb Oldgate zurückkehren wolltet, so schicktet Ihr insgeheim Dick Taverner ab, um Eure Pferde aus dem Falken in Gracechurch Street herbeizubringen, wo Ihr sie zurückgelassen hattet, in der törichten Absicht, diesen Morgen nach Theobalds zu gehen, um Audienz beim König zu erhalten.«

»Ihr habt die Wahrheit gesprochen«, versetzte Jocelyn erstaunt, »aber wenn es Eure Absicht war, mich zu verhaften, und Ihr es tun konntet, warum habt Ihr Eure Absicht aufgeschoben?«

»Befragt mich nicht über diesen Punkt. Ich werde Euch vielleicht einmal Auskunft darüber geben, aber jetzt nicht. Genug, dass ich Rücksicht für Euch empfinde und Euch nichts zu Leide tun will, auch wenn ich durch Selbstverteidigung dazu gezwungen werde. Ja noch mehr, ich will Euch dienen. Ihr dürft nicht nach Theobalds gehen. Es ist ein wahnsinniger Plan, den ein krankes Gehirn entworfen hat. Er würde Euch ins Verderben führen. Wenn Ihr dabei bleibt, muss ich Euch dorthin folgen, um größeres Unheil zu verhindern.«

»So folgt mir denn, wenn Ihr wollt«, rief Jocelyn, »denn gehen werde ich. Aber haltet Euch überzeugt, ich werde mich von Euch befreien, wenn ich kann.«

»Geht, heißköpfiger Bursche«, entgegnete der maskierte Mann, aber er fügte rasch hinzu: »doch nein – ich will Euch nicht so der Gewalt Eurer Feinde überliefern, ohne mich weiter für Eure Rettung zu bemühen. Da Ihr entschlossen seid, nach Theobalds zu gehen, so müsst Ihr einen Beschützer haben – einen Beschützer, der imstande ist, Euch selbst vor Buckingham zu schirmen, dessen Feindschaft Ihr zu fürchten Grund habt. Es gibt nur eine Person, die dies kann, und das ist der Graf Gondomar, der spanische Gesandte. Glücklicherweise ist er gerade jetzt beim König. Anstatt vergebliche Versuche zu machen, eine Audienz beim König zu erhalten oder Euch ohne Erlaubnis in die königliche Nähe zu drängen, was zu Eurer Verhaftung durch den Marschall führen würde, sucht den Grafen Gondomar auf und überliefert ihm dieses Zeichen. Erzählt ihm Eure Geschichte und tut, was er Euch gebietet.«

Während er sprach, streckte ihm der maskierte Reiter einen Ring hin, den Jocelyn nahm.

»Ich beabsichtigte Euch gewisse Bedingungen vorzulegen«, fuhr der geheimnisvolle Mann fort, »wegen des Dienstes, den ich Euch leisten wollte, aber Ihr habt meine Pläne durch Eure Widersetzlichkeit vereitelt. Ich muss sie auf unsere nächste Zusammenkunft aufsparen, denn wir werden einander wiedersehen, und zwar bald. Und wenn Ihr mir dann für das dankt, was ich für Euch getan habe, will ich Euch sagen, wie Ihr die Verpflichtung wiedergutmachen könnt.«

»Ich schwöre, sie wiedergutzumachen, wenn ich kann – und wie Ihr es wünscht«, rief Jocelyn, betroffen von dem Benehmen des anderen.

»Genug!«, versetzte der maskierte Mann. »Ich bin zufrieden. Setzt Euren Weg fort und möge das Glück Euch begleiten! Euer Geschick ist in Euren eigenen Händen. Gehorcht dem Grafen Gondomar und er wird Euch guten Beistand leisten.«

Und ohne weiter ein Wort zu sagen, setzte der Mann mit der Maske seinem Pferd die Sporen in die Seiten und galoppierte den Hügel hinunter auf London zu.

Jocelyn sah ihn nach und hatte sich noch nicht von der Überraschung erholt, die dieses seltsame Zusammentreffen verursacht hatte, als er schon verschwunden war.

Dick Taverner, der nun wieder auf seine Füße gekommen war, kam auf ihn zu gehinkt und führte sein Pferd am Zügel.

»Es muss der Teufel in eigener Person sein«, sagte der Lehrling, der wieder in den Sattel gelangte. »Ich hoffe, Ihr habt keinen Vertrag mit ihm gemacht, mein Herr.«

»Keinen sündhaften, hoffe ich«, entgegnete Jocelyn, den Ring ansehend.

Hierauf setzten sie ihren Weg nach Tottenham fort und wurden gleich darauf von dem fröhlichen Geläute der Glocken begrüßt, welches eine ländliche Festlichkeit verkündete.

Show 1 footnote

  1. Damit man uns keinen Fehler in der Zeitrechnung zur Last legen möge, können wir erwähnen, dass die Glocke zu Edmonton, unsterblich geworden durch die Geschichte von John Gilpin, zu der Zeit, von der wir reden, in gutem Ruf stand, wie aus dem folgenden Auszug aus John Saviles Schrift, betitelt: König Jakob, seine Bewirtung in Theobalds, nebst seinem Willkommen in London, hervorgeht. Nachdem er den ungeheuren Zusammenlauf des Volks beschrieben hatte, welches herbeigeströmt war, um den neuen Monarchen bei seinem Einzug in London zu begrüßen, sagt der redliche John: »Nach unserem Frühstück in Edmonton im Zeichen der Glocke nahmen wir Gelegenheit, zu beachten, wie viele in der nächsten Stunde herunterkommen würden, gingen in ein Zimmer an der Straße, wo wir alles deutlich sehen konnten, und ließen uns ein Stundenglas bringen. Dann machten wir untereinander aus, wer die Reiter und wer die Fußgänger zählen sollte, und wendeten das Stundenglas um. Doch ehe es zur Hälfte abgelaufen war, konnten wir sie nicht mehr zählen, so rasch strömte die Menge herbei. Aber da brachen wir ab und brachten eine Summe von 309 Reitern und 137 Fußgängern zusammen, was an dem Tag von vier Uhr morgens bis drei Uhr nachmittags, und den Tag vorher auch, wie der Wirt des Hauses uns sagte, ohne Unterbrechung fortdauerte.« Außer dem Beweis für das Vorhandensein der berühmten Glocke zu jener Periode ist die vorhergehende Stelle auch in anderer Hinsicht interessant.