Marshal Crown – Band 39
In Texas ist der Teufel los.
Obwohl der Krieg gegen Mexiko bereits mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegt, haben einige fanatische Hazienderos die Niederlage immer noch nicht verwunden. Mit Geld und Beziehungen planen sie eine Revolte, die ihnen ihre verloren gegangenen Privilegien und Ländereien zurückbringen soll.
Waffentransporte und Nachschubdepots werden überfallen, Armeeoffiziere getötet.
Als US-Marshal Jim Crown Wind von der Sache bekommt, ist es bereits fünf vor zwölf und in Texas brennen schon die Lunten.
Crown wird schnell klar, dass er Kopf und Kragen riskieren muss, um zu verhindern, dass diese selbst ernannten Patrioten das ganze Land ins Verderben stürzen.
*
Morgendämmerung am Nueces River.
Nur mühsam drang das erste Licht des neuen Tages durch den Frühnebel. Der Wind war kaum zu spüren und der Morgendunst hing wie nasse Watte im Schilfdickicht des Uferrandes. Es dauerte lange, bis die Strahlen der aufgehenden Sonne so viel an Kraft gewonnen hatten, um die Nebelschwaden aufzulösen.
Inzwischen war auch die kleine Adobehütte zu sehen, die oberhalb des Flusslaufes unter dem weit ausladenden Astwerk eines Pekanbaumes stand.
Die einstmals weiß getünchten Wände hatten im Laufe der Jahre eine schmutzig graue Farbe angenommen, das Dach war eingefallen und die beiden Fenster völlig zerschlagen und mit Spinnweben bedeckt.
Dennoch wirkte die Stille an der alten Adobehütte beinahe beschaulich und nichts deutete auf nahendes Unheil hin.
Da kam Hufschlag auf.
Zuerst nur dumpf und leise, dann immer lauter, grollender, wie der Donner eines sich rasch nähernden Gewitters. Sekunden später tauchte die schattenhafte Gestalt eines Reiters aus einer nahen Bodensenke auf.
Der stämmige, schnauzbärtige Mann trug die dunkelblaue Uniform eines Sergeants der US-Cavalry. Er zügelte seinen hochbeinigen Wallach unweit der Hütte und blickte sich um. Das harte Gesicht des Soldaten wirkte dabei ernst und verkniffen, die Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt.
Der Platz vor der Hütte war bis auf einen blattlosen Dornenstrauch leer, die Unterkunft selbst verlassen.
Trotzdem ließ der Mann noch einige Minuten verstreichen, bis er aus dem Sattel glitt.
Sein Gesicht war schweißbedeckt, obwohl der Morgen noch empfindlich kühl war.
Gehetzt blickte er sich immer wieder nach allen Seiten um, doch nichts geschah.
Niemand war zu sehen, niemand war zu hören.
Nichts, nur Stille.
Der Sergeant schüttelte den Kopf und schalt sich insgeheim einen Narren. Schließlich wickelte er die Zügel um den Dornenstrauch, machte einen Schritt vorwärts und – horchte plötzlich auf.
Jemand schlich hinter dem Haus herum.
Also war doch jemand in der Nähe, das Knirschen von Stiefelsohlen war unüberhörbar.
»Wer ist da?«, keuchte der Soldat und nestelte nervös am Verschluss seines Waffenholsters.
Seine Augen flackerten.
»Graham?«, rief jemand.
Als Sergeant Andrew Graham die Stimme erkannt hatte, stieß er im ersten Moment einen erleichterten Seufzer aus, um dann im nächsten lauthals zu fluchen.
»Verdammt Martinez, was schleichst du da wie ein Dieb hinter dem Haus herum? Du blöder Hund, ich war gerade drauf und dran meinen Colt zu ziehen!«
Die Antwort des Mannes, den der Sergeant Martinez genannt hatte, war ein spöttisches Lachen. Kurz darauf trat der Mexikaner hinter der Hütte hervor und ging auf den Soldaten zu.
»Jetzt scheiß dir mal nicht gleich in die Hose. Sag mir lieber, ob du die Unterlagen dabeihast.«
»Natürlich, was dachtest du denn? Im Gegensatz zu euch Greasern steht ein Sergeant der US-Cavalry immer zu seinem Wort.«
»Okay«, sagte Martinez, ohne auf die Anmerkung einzugehen. »Und wo ist das Zeug?«
Graham grinste, drehte sich um und wandte sich seinem Pferd zu. Mit geübten Griffen löste er die Riemen an seiner Satteltasche, wühlte kurz darin herum und hielt dann, als seine Hand wieder zum Vorschein gekommen war, mehrere wichtig aussehende Dokumente in die Höhe.
»Hier!«, sagte er und wedelte dem Mexikaner mit den Papieren vor dem Gesicht herum.
»Ich hoffe deine Bezahlung erfolgt genauso prompt wie meine Lieferung.«
»Natürlich«, erwiderte Martinez. »Ich habe das Geld wie vereinbart dabei, hier drin.«
Dabei klopfte er sich mit der Rechten auf die Brusttasche seiner eleganten Anzugsjacke. Diese war – wie auch der Rest seiner Kleidung – für ein Treffen mitten in der Wildnis völlig unpassend. Darin machte Martinez eher den Eindruck, als wäre er gerade auf dem Weg zu einem Empfang im Gouverneurspalast in Austin und nicht in die Abgeschiedenheit eines Grenzflusses irgendwo in der Wildnis zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten.
Aber Graham hatte es längst aufgegeben, sich über den Kleidungsstil des Mexikaners zu wundern, zumal Bemerkungen in diese Richtung äußerst gefährlich sein konnten.
Hinter der Fassade eines affektierten Dandys verbarg sich nämlich ein eiskalter Killer.
»Gut«, sagte er stattdessen. »Dann rück mal die Scheinchen raus.«
»Hola Amigo, warum so eilig?«
Graham verzog das Gesicht. »Weil ich es mir nicht leisten kann, dass man uns hier so nahe an der Grenze zusammen sieht. Wissen deine Auftraggeber eigentlich, was für ein Risiko ich eingehe, wenn man die Papiere bei mir findet?«
»Stell dich nicht so an, schließlich wirst du von ihnen auch dafür fürstlich belohnt.«
»Ich weiß, das ist auch der einzige Grund, warum ich euch die Unterlagen überlasse.«
»Und du bist dir sicher, dass die Route des Waffentransports nicht mehr geändert wird?«
»Todsicher, der Plan ist schließlich von keinem Geringeren als dem Fortkommandanten persönlich abgesegnet. Aber jetzt genug gequatscht, gib mir endlich mein Geld!«
»Wie du willst«, sagte Martinez und öffnete bedächtig die obersten Knöpfe seiner Anzugsjacke.
Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung fuhr seine Rechte unter die halb geöffnete Jacke.
»Bevor ich es vergesse, ich soll dir im Übrigen ausrichten, dass du dir wegen uns keine Sorgen mehr machen musst. Es war das letzte Geschäft, das wir miteinander getätigt haben.«
»Wieso das jetzt? Ich …«, sagte Graham und verstummte mitten im Satz.
Mit vor Schreck geweiteten Augen sah der Sergeant zu, wie der Mexikaner die Hand aus der Jacke zog und mit seinen Fingern statt eines Bündels Geldscheine den ledernen Griff eines beinahe fünfzehn Zoll langen Messers umklammert hielt.
Bevor er reagieren konnte, war Martinez auch schon bei ihm und stach zu.
Graham war auf der Stelle tot.
Er sah nicht einmal mehr, wie sich sein Mörder über ihn beugte und ihm die Papiere, für die er nicht nur seine militärische Karriere aufs Spiel gesetzt hatte, einfach so aus den Händen nahm.
*
Don Miguel Hernandez de Soto war so fett, dass weder der großzügig geschneiderte Anzug noch das unverhältnismäßig weit geschnittene Rüschenhemd seinen unförmigen Körper kaschieren konnten.
Im Gegenteil, in seinem mit goldenen Applikationen versehenen Anzug aus bestem englischen Tuch, dem wagenradgroßen Sombrero und den riesigen Sporen an den blank gewienerten Stiefeln sah er aufgrund seiner geringen Größe und der immensen Fettleibigkeit geradezu lächerlich aus.
Wie eine Kugel mit Füßen.
Trotzdem hütete sich jedermann davor, über ihn zu lachen.
Miguel de Soto war nicht nur reich und mächtig, sondern auch ein eiskalter Geschäftsmann, der über Leichen ging. Für den Haziendero galt ein Menschenleben weniger als das Schwarze unter seinen Fingernägeln.
Im Moment jedoch war der Mexikaner weit davon entfernt, sich in seiner Macht zu sonnen, sondern hastete stattdessen keuchend durch die abendlichen Straßen der Stadt.
Er hatte eine wichtige Verabredung, zu der er höchstwahrscheinlich zu spät kam, denn seine kurzen, krummen Beine brachten ihn trotz aller Eile nicht schneller voran als sonst auch.
Normalerweise pflegte der Haziendero mit dem Pferd zu seinen Terminen zu kommen, aber das war in diesem Fall zu gefährlich.
Er konnte sich nicht das geringste Aufsehen leisten, jedenfalls im Moment noch nicht. Nur deshalb huschte er wie ein Dieb zu Fuß durch die nächtlichen Straßen der Stadt.
Als er sein Ziel endlich erreicht hatte, lehnte er sich einen Moment lang an die Wand des Hauses, bevor er mit der Faust das vereinbarte Klopfzeichen gegen die hölzerne Eingangstür hämmerte. Der ungewohnte Fußmarsch hatte seinem Körper alles abverlangt. Sein Puls raste und die Lungen rasselten wie ein altersschwacher Blasebalg.
Seine einzigen Gedanken galten in diesem Moment einem Stuhl oder irgendeiner anderen Sitzgelegenheit, auf der er sich endlich ausruhen konnte.
Er war deshalb mehr als nur erleichtert, als er hörte, wie sich drinnen bereits nach dem ersten Klopfen jemand an der Haustür zu schaffen machte.
Einen Augenblick später wurde die Tür auch schon aufgerissen und eine breitschultrige Gestalt hielt ihm eine Kerosinlampe direkt vor sein vor Anstrengung gerötetes Gesicht.
»Du kommst spät«, sagte der Mann, nachdem er Miguel de Soto erkannt hatte. »Die anderen sind schon alle hinten.«
Miguel nickte stumm und drängte sich keuchend an ihm vorbei. Er hängte seinen Sombrero an einen Haken neben der Tür und knöpfte seine Anzugsjacke auf.
»Ich weiß«, antwortete er, während er weiterging. »Aber ich hatte noch etwas Dringendes zu erledigen.«
Eine Lüge, die glatt über seine Lippen kam, aber er konnte ja schlecht zugeben, dass er nur deshalb zu spät gekommen war, weil er mit einem fetten Wanst und den viel zu kurzen Füßen einfach nicht schnell genug vorankam.
Der Breitschultrige blickte indes nach draußen, sah die Straße entlang und schloss, nachdem niemand zu sehen war, zufrieden die Tür. Dann folgte er de Soto bis zu einem Zimmer am Ende des Hausflurs. Dort saßen drei Männer im Schein einer Petroleumlampe um einen Tisch herum und starrten ihm erwartungsvoll entgegen.
Don Miguel gab jedem Einzelnen von ihnen die Hand.
Er kannte sie alle, José Palacios, Francisco Dominguez, Pablo Aldama und den breitschultrigen Hernando Diaz, der ihm die Tür geöffnet hatte.
»Die Ratten sind ruhig«, sagte er anstelle einer Begrüßung. »Niemand von diesen verdammten Tejanos ahnt auch nur das Geringste. Das wird ein böses Erwachen geben, wenn wir losschlagen.«
»Bist du dir da sicher? Also ich weiß nicht, mir ist langsam nicht mehr wohl bei der Sache«, sagte einer der Männer.
Der Blick, mit dem ihn Miguel de Soto daraufhin bedachte, war beinahe mörderisch.
»Verdammt noch mal, José, wann wirst du endlich mit deiner ständigen Unkerei aufhören? Wenn wir unseren Plan jetzt nicht umsetzen, wann dann? Willst du für immer und ewig ein Sklave der Gringos sein?«
»Nein, natürlich nicht, aber …«
»Nichts aber«, unterbrach Miguel de Soto den anderen schroff. »Und jetzt hör zu, was ich zu sagen habe, ich bringe nämlich gute Nachrichten. Vielleicht eröffnet sich uns eine Möglichkeit, um die Texaner noch schneller ins Meer zurückzutreiben.«
»Wie meinst du das?«, fragte Pablo Aldama.
Anstelle einer Antwort zog Miguel de Soto ein großes, mehrfach zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Innentasche seiner Anzugsjacke, das sich nach und nach als eine Landkarte aus Armeebeständen entpuppte, und breitete es vor ihnen auf dem Tisch aus.
»Wie ich aus einer sicheren Quelle erfahren habe, ist das Oberkommando der texanischen Armee seit Jahresbeginn dabei, die Schlagkraft ihrer Grenztruppen zu erhöhen. Zu diesem Zweck wird von Kingsville aus demnächst ein als Siedlertreck getarnter Transport nach Laredo abgehen. Die Ladung besteht aus nicht weniger als zweihundert nagelneuen 73er Colt Single Action Army Models. Diese Waffen sind das Neueste, was es auf dem Markt gibt. Damit könnten wir die Kampfkraft unserer Männer auf einen Schlag verdoppeln.«
»Woher weißt du denn das schon wieder?«, wollte Hernando Diaz wissen.
Miguel de Soto lächelte einen Augenblick lang süffisant, um gleich darauf wieder ernst zu werden. Dann deutete er mit dem Zeigefinger auf einen imaginären Punkt am unteren Ende der Karte.
»Hier wird der Transport nächste Woche vorbeikommen. Das hüglige Umland ist für einen Hinterhalt geradezu wie geschaffen.«
»Mag sein, aber ich glaube kaum, dass uns die US-Army die Waffen freiwillig übergibt.«
Miguel de Soto runzelte ärgerlich die Stirn, als er José Palacios antwortete. Seiner Stimme war deutlich anzuhören, dass ihn die ständigen Einwände des anderen allmählich zur Weißglut trieben.
»Das weiß ich selbst«, sagte er scharf. »Aber Martinez, mein Segundo, wird schon dafür sorgen, dass sie es dennoch tun.«
»Soso, und wie will er das anstellen?«
Der Haziendero lächelte kalt. »Ganz einfach, wer sich seinen Anweisungen widersetzt, wird erschossen!«
»Schön und gut«, warf Pablo Aldama ein. Der grauhaarige Haziendero, der mit seinem gutmütigen Gesicht wie ein liebevoller Großvater wirkte, hatte seinen Reichtum im Gegensatz zu den anderen Großgrundbesitzern nicht durch Viehzucht, sondern mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen erlangt.
»Der Ort, an dem wir uns die Waffen holen, liegt meilenweit von deiner Hazienda entfernt und noch weiter von unserem Basislager. In dieser unwegsamen Gegend sind deine Männer mit den sperrigen Fuhrwerken tagelang unterwegs. Das ist viel zu gefährlich, denn der Raub dieser neuartigen Colts wird mit Sicherheit eine Menge Staub aufwirbeln.«
Miguel de Soto lächelte milde.
»Keine Angst Pablo, bis die Gringos anfangen, da draußen nach den Waffen zu suchen, lagern diese schon längst in Corpus Christi in meinem Schiffskontor. Dort werden sie sofort auf die Smooth Ride umgeladen, mit der die Ladung dann den Rio Grande hoch ins Hinterland gebracht wird. Dieses Frachtschiff ist das schnellste, das ich habe, es bewältigt die Strecke zu unserem Camp in der Hälfte der Zeit, die selbst ein geübter Reiter auf einem Rennpferd benötigen würde. Wie ihr seht, habe ich an alles gedacht. Also, noch irgendwelche Fragen?«
»Was ist mit eventuellen Zeugen?«
»Es wird keine Zeugen geben.«
»Und die Person, von der du den Tipp bekommen hast?«
Der Blick, mit dem Miguel de Soto den Sprecher bedachte, war mörderisch.
»Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe, Jose? Es wird keine Zeugen geben! Und jetzt hör endlich auf mit deinem Gejammer, sonst könnte es sein, ich vergesse, dass wir Freunde sind.«
Die vollständige Story steht als PDF, EPUB, MOBI und AZW3 zur Verfügung.
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