Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Die Hexen von Forres – Kapitel 5

Die Hexen von Forres
Oder: Der unglückliche König Stuart Robert III. und seine Söhne
Eine wahre Schauergeschichte aus alter Zeit
Fünftes Kapitel

Der Hungerturm

Kaum waren einige Stunden verflossen, nachdem Rothsay das Schreiben an Douglas abgesendet hatte, fühlte er auch all sogleich, dass er einen unbesonnenen Streich vollbracht habe und hätte ihn gern wieder ungetan gehabt, wenn mit dem Wünschen etwas geholfen gewesen wäre. Er hatte nicht einen einziger Freund bei Hofe, dem er sich vertrauensvoll hätte mitteilen und seine Vermittlung anrufen können. Er stand allein und verlassen; ja selbst seinem Vater konnte er sich nicht mit Vertrauen nähern, weil er wusste, dass auch er beigestimmt hatte, ihm eine Braut anzuheiraten, zu der er auch nicht ein Fünkchen von Liebe in seinem Inneren verspürte. Und doch wusste sein Vater so gut wie Albany, dass ihm schon der Name Douglas das Blut in den Adern sieden mache.

In dieser trostlosen Lage fanden wie nun den unglücklichen Prinzen am Anfang des vierten Kapitels im Wald sitzend und sein hartes Schicksal beklagend. Wie gern hätte er seine Prinzenrechte für den armseligen Bauernkittel hingegeben? Dann hätte wenigstens das Recht gehabt, sich nach seinem Gefallen eine Frau zu nehmen. Als Prinz wurde er aber wider seinen Willen hingegeben. Was man weiter wegen seines Schreibens an Douglas über ihn verfügen würde, wer konnte es voraussehen? Jedenfalls hatte er nicht geahnt, dass der Schlag so schnell und gewaltig treffen würde. Denn während er im Wald klagte und seufzte, hatte man zu Hofe sein Verderben beraten und seine Gefangensetzung beschlossen.

Es war nicht zu erwarten, dass Albany lange mit der Ausführung dieses Beschlusses zaudern würde. In derselben Stunde noch sandte er seine Leute mit dem Befehl aus, den Prinzen, wo sie ihn treffen, gebunden auf sein Schloss Falkland zu bringen.

Eben wollte Rothsay von dem Baumstamm, auf welchem er saß, sich erheben, da sprangen auf einmal zwei Männer auf ihn los, warfen ihn, ehe er es sich versah, zu Boden und banden ihn gefesselt an Händen und Füßen rücklings auf das Pferd, und fort ging es in wilder Eile über Stock und Stein, dass der Prinz von dem wilden Jagen ganz wund und zu Schanden geritten wurde. Doch das wäre wohl noch das Wenigste gewesen. Aber nun brach die Nacht herein.

Die Wege und Steige wurden immer erbärmlicher. Zu allem Überfluss ereilte sie ein Gewitter, welches schon lange drohend am Horizont gestanden hatte. Der Regen goss in Strömen herunter. Und wie auch der Jüngling, geschüttelt von Frost, flehentlich bat, man möchte ihn eine sitzende Stellung einnehmen lassen oder doch ihn mit einer Decke schützen, dass der Regen ihm nicht immer ins Gesicht strömte, konnte er doch weder das eine noch das andere von den hohnlachenden rohen Gesellen erhalten und musste so zwei Stunden lang in Sturm und Regen rücklings auf dem Pferd liegen. Was half es, dass er den elenden Burschen mit Strafe und furchtbarer Rache drohte? Sie wussten zu gut, dass, wer einmal in Albanys Klauen gefallen war, kaum mehr Zeit fand, sich an ihm und seinen Dienern zu rächen.

Rothsay sollte es an sich selbst erfahren. Auf dem Schloss Falkland angekommen, durchnässt, von Frost und Fieber geschüttelt, wurde er in ein finsteres Kellerloch geworfen und seinem Schicksal überlassen. Allerdings fühlte er in selbiger Nacht nichts mehr; denn erstarrt vor Kälte und ganz besinnungslos von dem wütenden Schmerz, welchen ihm die Wunden verursachten, die er auf diesem grausamen Ritt erhalten hatte, fiel er bewusstlos zur Erde und war froh, endlich einmal ruhen zu können, unbekümmert darum, wie sein Ruhelager beschaffen war. Aber welch ein trauriges Erwachen, als er den folgenden Tag erschrocken die Augen aufschlug und erst nach und nach sich ins Gedächtnis rief, wie er in diesen elenden Zustand gekommen sei.

Da lag er nun, der königliche Prinz, der bisher in den weichsten Lagern geruht hatte, auf schmutzigem Boden, in einem Kellerloch ohne alle Bequemlichkeit, ohne Bett und ohne Bank, kaum dass durch eine kleine Öffnung, welche in schiefer Richtung nach oben in den Schlosshof hinausging, einige spärliche Strahlen hereindrangen und seine Behausung, von deren Wänden das Wasser herunterrann, ein wenig beleuchteten und erwärmten. Mühsam erhob sich nun der Prinz. Seine Haare, welche ein Königsdiadem hätten schmücken sollen, waren mit Schmutz und Schlamm besudelt, seine Kleider durchnässt und vom Blut seiner Wunden aneinandergeklebt. Als er sich nun eine trockene Stelle zum Liegen oder Sitzen suchen wollte, glaubte er nach langem, vergeblichem Umhertasten im Halbdunkel endlich in einer Ecke des Kerkers einen weißen Stein entdeckt zu haben. Freudig über die gemachte Entdeckung schleppte er sich in die Ecke. Aber welch schreckliche Enttäuschung! Statt des Steines fand er das entfleischte, ausgedorrte Gerippe eines Menschen, der wohl auch einmal hier sein Leben hat beenden müssen. In jedem anderen Augenblick wäre ihm wohl vor diesem schrecklichen Anblick das Blut in den Adern gestockt. Nun nahm Rothsay, durch sein Unglück schon beinahe stumpf geworden, den hohlen Schädel und sprach wie im Irrsinn: »O du einziger Genosse meiner Leiden, du hast wohl auch durch die Menschenfreundlichkeit des Schlossherrn hier einst deine Tage beschlossen und ich sollte wohl dein Unglück in mir selber ehren. Aber höre den Pakt, den ich mit dir schließen will. Solange ich bei dir hier weile, gewährst du mir ein trockenes Plätzchen auf deinen dürren Gebeinen. Ich aber schwöre dir: Wenn mein Schicksal besser sein soll, als einstmals das deine war und ich jemals noch diesen Kerker verlasse, ich werde dich rächen, wie noch keiner gerächt worden ist, und wie du hier vermodert bist, soll es Albany an deiner Seite!«

So sprach der unglückliche Prinz, welchen das Unglück bereits halb irrsinnig gemacht hatte, sich auf die Totengebeine hinstreckend.