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Der Arzt auf Java – Zweiter Band – Kapitel 10 – Teil 4

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Zweiter Band
Kapitel 10, Teil 4

Bald verließen Eusebius und Cora die Region der großen Bäume, um die zu betreten, in welcher der Boden ausgedörrt durch die Asche, die Lava, mit denen die Oberfläche bedeckt ist, nur noch verkrüppelte Mimosen und Zwergpalmen trägt. Bei der Annäherung des Morgens waren die Sterne erloschen und die Nacht noch dunkler geworden. Gleichwohl folgte das junge Mädchen den Irrgewinden, indem welche der Irrwisch in eigensinnigen Sprüngen vor ihr und ihrem Gefährten beschrieb.

Eusebius wagte einige Bemerkungen, aber obwohl Cora am ganzen Körper zitterte, als müsste sie sich noch von ihrer gewaltigen Erregung erholen, bestand sie doch mit der größten Zuversicht darauf, um nicht vom Weg abzukommen, müssten sie genau dem tanzenden Licht vor ihnen folgen, welches, wie sie sagte, Rakschase selbst, ihr Gebieter, abgesendet hätte, um sie zu führen und sie von dem Tiger fortzubringen. Eusebius wagte darauf keine weiteren Einwände.

Allmählich kamen sie über die letzten Mimosen hinaus. Der Boden, auf dem sie gingen, wurde immer schwieriger und schwieriger. Bald mussten sie über erkaltete Lavahaufen oder Basaltblöcke steigen, die ringsumher verstreut lagen; bald sanken sie bis an die Knie in die bewegliche Asche, welche die Erde mit einer mehrere Fuß hohen Lage bedeckte.

»Deinem Bericht nach, Cora«, sagte Eusebius, »glaube ich, dass wir alle diese Felsen vergeblich erklettern. Der senkrechte Fels und der Bach, der die Diamanten mit sich führt, müssen sich auf dieser Höhe des Taikoekoie befinden, aber mehr zur Rechten. Es muss auf der Seite des Berges sein, welche zu dem Pazandajan, seinem Nachbarn, blickt.«

Statt aller Antwort zeigte Cora ihrem Herrn das bleiche Licht, welches fortwährend vor ihnen her schwebte. Als Eusebius die finsteren Massen des Berges näher besichtigte, die sich vor ihm erhoben, glaubte er, dass sie noch nicht mehr als den dritten Teil seiner Höhe erreicht hätten, und dass die Negerin daher wohl recht haben könnte.

»Gleichviel«, sagte er, »ich glaube dennoch, dass wir gut tun, hier den Tag zu erwarten. Ich habe mehr Vertrauen auf deine Erinnerungen als auf den guten Willen, den Rakschase für mich zeigt.«

Als Eusebius diese Worte sprach, verhedderte er sich mit seinen Füßen in irgendeinen Gegenstand, über den er strauchelte. Er fühlte mit der Hand danach und stieß einen Schreckensruf aus, denn er erkannte in diesem Hinderni ein menschliches Skelett.

Auf seinen Schrei antwortete ihm ein ähnlicher Schrei Coras. Die Negerin ihrerseits hatte, wie durch einen mächtigen Hauch angetrieben, die Flamme verschwinden sehen, von der sie bisher geführt worden waren. Zugleich verursachte ein stinkender scharfer Geruch den beiden Wanderern Schwindel. Eusebius gab sich nicht sogleich Rechenschaft von dem, was um ihn hervorging.

Aber in diesem Land erzogen, konnte Cora sich nicht täuschen und schrie sogleich:. »Wir sind verloren, rettungslos verloren! Der Geist des Berges hat uns in das Gebiet des Quevoupas gelockt!«

»Der Quevoupas? Was ist das?«, fragte Eusebius.

»Es ist das fürchterliche Tal, aus dem noch keiner von denen, die es betreten haben, jemals zurückgekehrt ist. Blicke um dich und du siehst den Boden bedeckt mit den Gebeinen all derer, welche hier den Tod gefunden haben.«

»Das ist eine Fabel«, entgegnete Eusebius. »Der Bohonupas hat denen, die in seinem Schatten einschliefen, nie den Tod gebracht. Sein Saft ist nur dann tötlich, wenn er in die Adern eindringt.«

»Wer spricht von dem Bohonupas?«, sagte Cora ungeduldig. »Ich sagte dir, dass wir in Quevoupas sind, in dem Tal des Giftes. Es ist nicht der Schatten des verfluchten Baumes, der uns tötlich ist, sondern es sind die Ausdünstungen, die der Erde entströmen und die Rakschase seinen Feinden sendet, um sie zu ersticken.«

Eusebius begriff, dass die Negerin die Wahrheit sprach, und dass sie sich bei einem jener erloschenen Schwefelkrater befanden, in welchem die kohlensauren Dünste, die in der Atmosphäre verbreitet sind, alle lebenden Wesen ersticken, welche in diese vergifteten Räume einzudringen wagen.

Bei jedem Schritt, den er auf diesen verfluchten Boden machte, stieß er an das Skelett eines Menschen oder eines Tieres. Er hörte und fühlte, wie die ausgedörrten Gebeine unter seinen Füßen brachen und krachten. Ein kalter Schweiß badete seine Stirn und sein Herz klopfte, als wollte es die Brust zersprengen.

Cora lief außer sich hin und her, als suchte sie einen Weg aus diesem Tal, als hoffte sie, irgendein Mittel der Rettung zu entdecken.

»Rakschase hat sich nicht geschämt, sich mit dem Barkasaham zu verbinden. Sein Feuergeist hat sich dem Willen dessen unterworfen, der gleich dem ekelhaften Wurm aus den Gräbern die Nahrung saugt, die sein Leben verlängert! Und gleichwohl hatte er selbst dem Barkasaham nur geschworen, dass er sich mit einem Opfer begnügen würde! Wenn du mich betrogen hast, als ich dich auf den Knien bat, die Tage dessen zu erhalten, der mir teurer ist als mein Leben, sei verflucht, o Basilius!«

Dieser Name erweckte Eusebius aus der Betäubung, in die er entweder durch die Wirkung des Schreckens oder durch den Einfluss des eingeatmeten Gases versunken war, sodass er beinahe niederstürzte. Er sprang auf Cora zu und ergriff sie beim Arm in dem Augenblick, als sie einen gewaltigen Basaltblock erklettern wollte, der allein über die Todesebene hervorragte.

»Weib«, schrie er, »antworte mir, wie du deinem Gott antworten würdest! Welchen Namen hast du soeben ausgesprochen?«

»Gnade! Gnade!«, antwortete Cora, indem sie die Knie ihres Herrn umschlang.

»Ha! Jetzt begreife ich alles! Ich erblicke mich gefangen in einer höllischen Schlinge! Du, die ich für gut hielt, für zärtlich, für ergebungsvoll, du, deren Leidenschaft, wo nicht ein Echo, doch wenigstens Mitleid in meinem Herzen erweckte, du bist gleich der gemeinen Rangune bei Mynheer Cornelis gedungen worden, um mich in das Verderben zu stürzen! Nun wohl, Weib oder Phantom, kehre zu dem zurück, der dich zu diesem schmachvollen Possenspiel der Liebe antrieb. Sage ihm, dass ich seinen Anstrengungen und seiner Wut trotze, dass Esther noch immer die ist, welche all meine Liebe besitzt, dass du, weit entfernt von Eusebius ein Wort der Zärtlichkeit oder der Liebe zu erlangen, nur von ihm beschimpft wurdest, dass er nicht warten wollte, bis das Gift des Quevoupas dich von deinem elenden Leben erlöste, dass er dich mit seinem Dolch traf und dass du nur seine Fläche und seinen Hass mit dir hinwegnimmst.«

Indem Eusebius diese Worte sprach, versetzte er der Negerin mit dem Kris, den er in der Hand hielt, einen so gewaltigen Stoß, dass die arme Cora auf den Fels niederstürzte und von dort in den Spalt hinabglitt, der sich auf der entgegengesetzten Seite von der, welche sie erstiegen hatten, zeigte.

Eusebius hörte, wie der Körper des jungen Weibes auf dem Abhang hinabrollte, indem er zahlreiche Steine mit sich fortriss. Dann vernahm Eusebius einen letzten Liebesruf, den die Negerin ihm zusendete und alles versank in Schweigen.

Wie gerechtfertigt ihm auch seine Rache erschien, wie glühend und gewaltig der Gedanke des Hasses war, den der Name seines Verfolgers in ihm erweckte, wurde Eusebius doch beinahe augenblicklich von Reue über das vollbrachte Verbrechen ergriffen. Er schleuderte die blutige Waffe, die er in der Hand hielt, weit weg, vergaß seinen Zorn gegen Cora und seine eigene Lage und weinte über das Geschick des unglücklichen jungen Mädchens. Die Schmerzen, die er empfand, riefen ihn zu sich selbst zurück. Sein Atem wurde schwerer und schwerer, sein Gehirn verwirrte sich mehr und mehr. Es schien ihm, als würde er in allen Richtungen von tausend feurigen Nadeln durchbohrt.

Er versuchte zu gehen, doch seine Beine brachen unter ihm zusammen. Er taumelte wie ein Betrunkener und jede Bewegung, die er machte, tönte in seinem Kopf wider und verursachte ihm unerträgliche Schmerzen. Er erkannte, dass die Buße dem Verbrechen auf dem Fuße folgen würde und setzte sich auf den Basaltblock nieder, um den Tod zu erwarten.

Vor ihm dehnte sich die Ebene aus. Er hörte das Rauschen des Windes, der durch die Wipfel der Bäume strich. Er sah, wie die finsteren Massen, die ihn von dem Horizont trennte, sich hier und dort mit Licht färbten. Diese Lichter waren die, welche die Wohnungen beleuchteten. Eines derselben brannte vielleicht an dem Kopfende des Lagers, auf dem Esther ruhte, während er fern von ihr starb.

Er suchte seine Gedanken auf die zu richten, die er liebte und das Bedauern über die Reichtümer, die seine letzten Augenblicke verdunkelt hatten, zurückzuweisen. Allmählich wurde sein Kopf immer schwerer und sein mit lauter Stimme gesprochener Name traf sein Ohr, wie der unbestimmte verworrene Ton eines Traumes.

Indessen gab die frische Seeluft, die kühl über seine Stirn strich, ihm seine Besinnung in etwas zurück. Es schien ihm, als ob diese Stimme die Coras sei, und als ob die Negerin aus der Tiefe des Abgrundes herauf, in den er sie hatte stürzen sehen, ihre Rettung verkündete.

Dieser Gedanke erweckte in ihm das Gefühl der Selbsterhaltung, welches bei dem Menschen so schwer zu töten ist, und er versuchte sich aufzurichten, aber seine gelähmten Glieder verweigerten ihm den Gehorsam.

Die Rufe verdoppelten sich. Die Stimme Coras flehte Eusebius an, zu ihr zu kommen, bei dem Namen all dessen, was ihm auf dieser Welt teuer sei, bei seiner Frau und seinem Kind. Ein plötzlicher Gedanke erleuchtete Eusebius mitten unter den Nebeln, die ihn umhüllten. Er warf sich auf den Rücken und gab sich an dem Abhang des Berges der Schwere seines Gewichtes hin. Aber diese letzte Anstrengung nahm den ganzen Rest seiner Kraft in Anspruch. Als er die Spitzen des Felsens, über denen er hinabglitt, seinen Körper zerreißen fühlte, wurde er ohnmächtig.

Diese Ohnmacht währte nur wenige Augenblicke. Ein lebhaftes Gefühl des Wohlbehagens und der Frische rief ihn zu sich selbst zurück. Er öffnete die Augen und fand sich am Boden liegend neben einem Bach, der aus dem Felsspalt des Felsens hervorquoll. Sein Kopf ruhte auf den Knien Coras, die sich selbst gegen den Fels lehnte, und nahe daran schien, das Leben auszuhauchen.

»Gerettet! Gerettet!«, sagte die Negerin, in dem sie die Hände faltete. »Verzeih, Rakschase, dass ich an der Aufrichtigkeit deiner Prophezeihung zweifelte!«

»Ja, gerettet«, sagte Eusebius, »und gerettet durch die, der ich das Leben rauben wollte, denn deine Stimme war es, die mir den Entschluss einflößte, in diesem Spalt hernieder zu gleiten, der gegen die Dünste des Vulkans geschützt ist. Cora, meine Dankbarkeit gegen dich wird ewig sein.«

»Desto besser! O, jetzt mag der Tod kommen, da ich gewiss bin, deine Flüche nicht mit in das Grab zu nehmen!«

»Der Tod! Du täuschst dich. Wenn du nicht gleich unter dem Stoß erlegen bist, so wirst du leben.«

»Nein, nein«, erwiderte Cora, »in wenigen Augenblicken werde ich zu dem zurückgekehrt sein, der uns seine Arme öffnet, welche Farbe auch unsere Haut haben möge. Deine Sorge ist nutzlos. Aber sei gesegnet für den Gedanken des Mitleids, der auf deinen Zorn folgte, und der meine letzten Augenblicke versüßen wird.Vielleicht wird dein Lohn für dieses Mitleid nicht auf sich warten lassen.«

»Was willst du sagen?«

»Rakschase ist gerecht, Rakschase ist groß. Der mächtige Geist des Berges konnte sich nicht mit dem schmutzigen Barkasaham verbinden.«

»Wohin zielst du?«

»Rakschase spottet derer nicht, die ihn mit inbrünstigem Herzen anflehen.«

»Ich kann dich nicht verstehen.«

»Er muss unsere Schritte zu dem Ort geleitet haben, wohin du wolltest. Ich habe ihm mein Leben angeboten, wenn er gestatten wollte, dass du aus den Eingeweiden dieses Berges die Steine nehmen dürftest, nach denen du verlangst. Ich sterbe und Rakschase kann uns nicht getäuscht haben. Wir müssen dem Ort nahe sein, wo unter dem klaren Wasser die Kiesel schlummern, die dein Glück machen sollen.«

»Unglückselige! Wieder sprichst du von den Diamanten? Wir sind in einem Abgrund ohne Ausgang, und wenn es uns nicht gelingt, den Abhang des Quevoupas wieder zu ersteigen und wir uns der Gefahr aussetzen, aufs Neue die vergiftete Ebene zu überschreiten, wie wollen wir dann von hier fort? Komm zu dir, Cora, und höre auf, meine Leichtgläubigkeit zu verspotten, indem du noch von den fabelhaften Reichtümern sprichst.«

»Cora hat deine Leichtgläubigkeit nicht verspottet, Herr. Im Angesicht des Todes schwört sie es dir: Sie hat einen Fehler begangen, indem sie dem Barkasaham gehorchte und dir entgegenkam, um seinem Hass zu dienen. Aber es ist ebenso wahr, dass ich, sobald mein Blick deinem Blicke begegnet war, wirklich die Liebe empfand, die zu erheucheln er mir befohlen hatte. Ich erkannte, dass mein Herz seinen König gefunden hat. Es ist wahr, dass ich zu den Füßen meiner toten Mutter die Steine angehäuft sah, von denen du behauptest, dass sie so kostbar sind.«

»Mein Gott! Mein Gott!«, rief Eusebius in einer schwindelnden Aufregung, »ist es nicht der Fieberwahnsinn, der sie so sprechen lässt? Sagt sie die Wahrheit?«

»Mir scheint, als hätten meine Augen schon einmal diesen Ort des Entsetzens erblickt. Wenn meine Kräfte mich nicht verlassen hätten, so würde ich dich, wie schwarz auch die Nacht ist, sicher durch dieses Gewirr leiten und dich zu dem ersehnten Schatz führen.«

»Nein, du darfst dich nicht rühren. Jede Anstrengung, die du machst, würde deine Kräfte erschöpfen und den Augenblick beschleunigen — o mein Gott, weshalb gab ich denn meinem Zorn nach? Weshalb habe ich dich verwundet? Cora, ich gehe! Sprich, nach welcher Richtung soll ich mich wenden?«

Um Cora neu zu beleben, deren Stimme dem Erlöschen nahe schien, tauchte Eusebius sein Taschentuch in den Bach und benetzte ihr damit das Gesicht. Dann richtete er behutsam ihren Oberkörper in die Höhe und lehnte den Kopf des jungen Weibes an seine Brust.

»Cora, komm zu dir! Suche deine Erinnerungen zu sammeln. Ach, wenn ich diese Reichtümer besäße, so könnte ich Basilius trotzen! Cora, nach welcher Seite muss ich meine Schritte lenken?«

»Ach«, sagte die Negerin, ohne Eusebius zu antworten, und als ob sie von einem neuen unbekannten Wohlbehagen ergriffen würde, »die Liebe ist stärker als die Materie. Deine Zärtlichkeit bezwingt den Tod. Seitdem ich dich neben mir fühle, scheint es mir, als hätte mein Blut etwas von seiner Wärme wiedergewonnen und rinne aufs Neue durch meine Adern. Bleibe so, Herr, bleibe so. Wer auf Erden oder im Himmel könnte Anstoß an diesen Liebkosungen nehmen, welche die Hand des schwarzen Engels sogleich unterbrechen wird?« Nach einem kurzen Schweigen fuhr sie dann fort: »Du sprachst soeben von Gott. Ich habe keinen anderen Gott als dich. Du machst für mich den Tag und die Nacht und wenn dein Lächeln meine Tränen trocknete, fühlte ich mich so glücklich, wie man es nur im Paradies der Erwählten sein kann.«

Eusebius Hand, welche die der Sterbenden hielt, antwortete auf diese Worte durch einen zärtlichen Druck.

»Hast du mir verziehen, Herr?«, fragte sie.

»Ja, aber kannst du jetzt deine Gedanken sammeln und mir sagen, nach welcher Seite ich meine Nachforschungen richten muss?«

»Glaubst du jetzt, dass ich dich nicht belogen habe?«

»Der Schatz besteht, doch die Augenblicke sind kostbar. Du musst mir einige Andeutungen geben, die mich leiten können, nicht nur, um ihn zu finden, sondern auch, um aus diesem Abgrund zu gelangen, der nichts anderes sein kann als einer von den Kratern des Vulkans. Wenn du mich wahrhaft liebst, Cora, so wirst du sprechen. Einige Minuten werden mir genügen, um zu sammeln, was uns für immer reich und mächtig macht. Dann trage ich dich auf meinen Armen fort. Die Wissenschaft gehört dem, der sie bezahlt, und ich werde sie so teuer bezahlen, dass sie deinem Haupt den Tod, der dir droht, abwendet. Du kannst noch lange Tage leben und glücklich an meiner Seite sein. Sage, willst du das?«

»Bin ich nicht so schon glücklich?«, erwiderte die Negerin, welche, indem sie Eusebius’ Worte hörte, in eine Art von Extase verfallen war. »Die Stimme, die ich höre, scheint mir der Gesang himmlischer Geister zu sein, die mir entgegen kommen. Dein Herz, das ich klopfen fühle, macht meinen Körper in unendlicher Wollust erbeben. Ach, sei es der Tod, sei es das Leben, so fühle ich mich glücklich und ich verlange kein anderes Glück.«

»Komm zu dir, Cora, sprich zu mir von dem Schatz.«

»Der wahre Schatz ist die Liebe; sie ist der einzige Schatz, den man über das Grab mit hinweg nimmt, der einzige, der unter Rosen die eisige Stirn des Todes verbirgt.

»Mein Gott, mein Gott, sie wird sterben, ohne dass ich etwas von ihr erlangt habe!«

»Cora, Cora!«, rief er, »ich beschwöre dich, mir zu antworten! Wo ist der Bach? Wo sind die Diamanten?«

»Ja«, fuhr die Negerin mit wachsender Überspanntheit fort, »die Liebe macht uns unsterblich. Ich fühle das an meiner Aufregung, an dem Entzücken meiner Seele. Wenn du über die Erde schreitest, unter der ich schlafe, wird meine Seele bebend erwachen und meine Gebeine werden erzittern, wie jetzt.«

Eusebius empfand Schwindel. Eine Art Wahnsinn bemächtigte sich seines Gehirns, das schon durch die Erschütterungen geschwächt war, die er seit einigen Stunden zu erdulden hatte.

Bei den letzten Worten Coras hatte seine Habgier sich mit neuer und unbezähmbarer Glut belebt. Er zweifelte nicht mehr. Eine Art Vision zeigte ihm den Schatz wenige Schritte von ihm entfernt. Er fühlte, er sah ihn und es schien ihm, als ob ein Wort Coras ihn in seine Hände bringen könnte.

Seine Ungeduld, ihn zu ergreifen, raubte ihm jede Überlegung. Er wurde von einer wahnsinnigen Wut gegen die Negerin, gegen den Tod selbst ergriffen, indem er daran dachte, dass er, dem Ziel so nahe, es dennoch verfehlen könnte.

Er war vor der Negerin niedergekniet und hielt deren Kopf in seinen verschlungenen Händen. Ihre Gesichter berührten sich beinahe.

»Ja«, entgegnete Cora, »ja, so ist es besser; so bist du mir näher und dein Mund kann den letzten Seufzer derjenigen empfangen, die dich so sehr geliebt hat!«

»Was kümmert mich deine Liebe! Das ist es nicht, was ich von dir will. Antworte auf das, was ich dich frage.«

»Verzeihe Herr, verzeihe. Es schwebte eine Wolke vor meinen Augen, aber auf dieser Wolke sehe ich noch immer dein geliebtes Bild, welches mich zu dem begleiten wird, zu dem ich gehe.«

Eusebius sah wohl, dass er von der Sterbenden nichts mehr erlangen würde. Er ließ den Kopf der Negerin sinken, sodass er mit einem dumpfen matten Ton auf den Fels schlug, und setzte sich auf einen Stein des Baches, indem er finstere sorgenvolle Blicke umhergleiten ließ.

Dieser Bach floss, wie wir bereits sagten, auf dem Boden eines Abgrundes zwischen zwei ungeheuren Felswänden, in die ein furchtbarer Krampf des Berges den Spalt zerrissen hatte.

Hundert Schritt von dem Ort entfernt, an welchem er sich befand, schloss eine dieser beiden Granitmauern sich wieder an den Berg an, dessen Grundlage sie bildeten. Die andere stieg in einer gezackten Spitze zum Himmel empor und senkte sich dann zu den Schatten der Ebene hinab. Was aber Eusebius bisher in der Dunkelheit nicht hatte bemerken können, war, dass der Abgrund in dieser Entfernung endete. Zwischen den beiden schwarzen Riesenwänden und durch deren gähnende Öffnung, bemerkte er nun eine glühende Linie, von welcher rosige Strahlen ausgingen, die sich in Streifen über den blauen Himmel verbreiteten. Das war die Morgenröte. Er hörte das Murmeln des Baches, welcher in einzelnen Absätzen am Ende der Schlucht niederstürzte. Das war der Ausgang aus dem Abgrund.

Er eilte zu diesem Spalt. Zwanzig Schritt unter sich bemerkte er die kleine Fläche, die Cora ihm so gut beschrieben hatte, und auf dieser folglich das Becken, welches der Bach, in dem er von dem Fels herabstürzte, sich gebildet hatte.

»Der Diamantenbach!«, rief er.

In demselben Augenblick fiel ein Strahl der Sonne schräg zwischen den beiden Felswänden herein, gerade auf das Wasser, welches zu den Füßen des Holländers sprudelte. Unter dem durchsichtigen Quell funkelten tausend Lichter in dem Strahl des Feuers.

Eusebius’ Aufregung war so groß, dass er taumelte. Seine Knie wankten, als sollte er niederstürzen. Aber der Anblick der Schätze, welchen jeder Augenblick ihm entdeckte, gab ihm seine Besinnung zurück. Er stürzte sich auf die kostbaren Steine, als ob er gefürchtet hätte, sie möchten ihm doch wieder entrinnen. Mit vollen Händen aus dem Becken schöpfend, setzte er seine Ernte mehrere Minuten lang fort, indem er den Lauf des Baches aufwärts ging und neues Freudengeschrei bei jedem neuen Diamanten ausstieß, den er denen hinzufügte, welche sich in seinen Händen befanden.

Eine schwarze Masse, welche das Bett des kleinen Baches versperrte, hielt ihn auf. Er erhob die Augen und erkannte Cora.

Die Negerin machte keine Bewegung mehr. Ihr Kopf lag auf dem Stein, auf welchen Eusebius ihn hatte niederfallen lassen. Ihre Lippen waren weiß und halb geöffnet. Er richtete auf sie einen Blick des Mitleids, aber in diesem Augenblick trafen seine Augen auf die ihren. Ungeachtet des Todes schienen diese Augen ihm noch zu folgen und er erkannte in ihrem feuchten Stern den Ausdruck leidenschaftlichen Schmachtens, den er so oft an Cora bemerkt hatte.

Mitten in der Todesstarrheit des übrigen Gesichts hatte der Blick der Negerin das Leben bewahrt. Er sagte: »Herr, ich liebe Dich.« Er drückte die Glut der Wollust aus.

Eusebius versuchte sich umzuwenden, aber eine übermenschliche Macht führte ihn gegen seinen Willen immer wieder zu der Betrachtung zurück. Unwillkürlich fühlte er, wie dieser Blick in seine Seele eindrang, wie sein Blut in seinen Adern zu sieden begann.

Sein Herz, welches durch die ungeheure Freude über seinen Fund schon erschüttert war, schmolz nun. Er fühlte sich von einem zärtlichen, innigen Mitleid für die ergriffen, die er getötet hatte. Er ließ die Diamanten fallen, mit denen seine Hände angefüllt waren.

»Cora!«, rief er, indem er sich zu den Füßen seines Opfers niederwarf. »Cora, Cora, jetzt ist es an mir, dich um Verzeihung zu bitten! Cora, wenn du wahr gesprochen hast, wenn die Liebe die Vernichtung unserer Hülle überlebt, so möge ein Zeichen dieses Körpers, den deine Seele verlassen hat, mir sagen, dass du keinen Hass gegen mich mit hinweggenommen hast.« Mehr und mehr dem zauberhaften Einflusse des sonderbaren Blickes der Negerin erliegend, fuhr er fort: »Nein, du kannst nicht tot sein. Dieser so vollkommene Körper, diese so liebende Seele konnten sich nicht voneinander trennen. Ja, sprich zu mir oder sieh mich nicht so an. Cora, komm zu dir!«

Der Unglückliche hob den starren Körper der Sklavin auf und versuchte ihn an seiner Brust zu erwärmen.

»Mein Gott, wenn man bedenkt, dass ich soeben noch deine Stimme hörte! Weshalb habe ich dich verlassen? So lange ich bei dir gewesen wäre, würde deine Seele sich nicht entschlossen haben, zu entfliehen! Aber es muss ein Mittel geben, dich in das Leben zurückzurufen.«

Und wie von einer plötzlichen Eingebung ergriffen, heftete Eusebius seine Lippen auf die seines Opfers.

»Ja«, rief er, »diesen Kuss, den du so sehr ersehntest, kann dein Mund dem meinen nicht verweigern. Cora, lass mir nicht die Reue darüber zurück, dir das Leben geraubt zu haben! Cora, Cora komm zu dir und höre, wie meine Stimme dir sagt: Ich liebe dich!«

Eusebius hatte diese Worte noch nicht vollständig ausgesprochen, als ein schneidendes Gelächter über seinem Kopf ertönte. Er hatte dieses Lachen unter so schmerzlichen Umständen gehört, dass er den, von welchem es herrührte, erkannte, noch ehe er die Augen erhoben und Noungal bemerkt hatte, ebenso gekleidet, wie er es an dem Tag gewesen, als er an der Mündung des Tjiliwong in seiner Tracht als malaiischer Pirat mit ihm sprach.

»Du! Wieder du?«, schrie er.

»Ja«, erwiderte der Malaie. »Ich überstelle nicht anderen die Sorge, mich zu überzeugen, dass ich Schritt für Schritt wieder in Besitz meines Eigentums komme. Dieses Mal, Eusebius van der Beek, wirst du dich, wie ich hoffe, nicht bitten lassen, den Willen deines Onkels Basilius zu erfüllen. Sonst würde ich gezwungen sein, zu sprechen. Wenn ich diesem Dolch glauben darf, den ich am Saum Quevoupas Gebietes fand, so ist hier ein Mord begangen worden, und das könnte dir mehr als 600.000 Gulden kosten.«

Eusebius hörte weiter nichts. Halb wahnsinnig vor Schrecken lief er der Mündung des Abgrundes zu, sprang von der Felsfläche hinab, auf der die Mutter der armen Cora einen so entsetzlichen Tod gefunden hatte, und setzte seinen Lauf gegen die Ebene fort, ohne zu bemerken, dass er in der Hand der Negerin, die sich seinen Fingern krampfhaft zusammengezogen, einen kleinen silbernen Ring zurückgelassen hatte, der dem gleich war, den seine Frau trug und diese eines Tages mit so vielem Stolz dem Notar Maes zeigte.