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Abenteuer des Captains Bonneville 32

Washington Irving
Abenteuer des Captains Bonneville
oder: Szenen jenseits der Felsengebirge des fernen Westens
Verlag von J. D. Sauerländer. Frankfurt am Main, 1837

Einunddreißigstes Kapitel

Weiterreise im Tal. Ein indianischer Reiter. Der Captain versinkt in eine Schlafsucht. Der Patriarch der Nez Percé. Gastfreundliche Bewirtung. Der Kahlkopf. Der Tauschhandel. Wert eines alten schottischen Mantels. Preis eines indianischen Geschenks.

Die ungestörte Ruhe einer Nacht hatte den erschöpften Wanderer hinlänglich erquickt, um seine Reise wieder fortsetzen zu können. Sie folgten nun der indianischen Spur. Bei all ihrer Begierde, sich Hilfe zu verschaffen, waren sie doch in einem so schwachen und erschöpften Zustand, dass sie nur langsam weiterkommen konnten. Auch darf man sich nicht wundern, dass sie den Mut beinahe ebenso verloren hatten wie ihre Kräfte.

Es waren nun, am 16. Februar, dreiundfünfzig Tage, dass sie mitten im Winter gereist und allen Arten von Entbehrungen und Erduldungen ausgesetzt gewesen waren. Die letzten zwanzig Tage waren sie in den wilden und öden Labyrinthen des Schneegebirges herumgeirrt, waren eisige Abhänge auf und ab geklettert und fast vor Kälte und Hunger umgekommen.

Den ganzen Morgen folgten sie der Spur der Indianer, ohne ein menschliches Wesen zu sehen, und fingen an, entmutigt zu werden, als sie gegen Mittag einen Reiter in einiger Entfernung erblickten. Er kam direkt auf sie zugeritten. Als er sie aber wahrnahm, hielt er sein Pferd plötzlich an und machte Halt. Nachdem er sie eine Zeit lang sehr scharf beobachtet hatte, schien er, sich vorsichtig zurückziehen zu wollen.

Sie versuchten ihm nun durch Zeichen ihre friedliche Absicht zu erkennen zu geben und ihn mit der größten Ängstlichkeit zu veranlassen, sich ihnen zu nähern. Er blieb einige Zeit unschlüssig. Da er sich aber endlich überzeugt hatte, dass es keine Feinde waren, so kam er auf sie zu gesprengt.

Es war ein schöner, fantastisch ausgeschmückter Wilder, mit stolzer Miene, der einen sehr feurigen Hengst mit bunter Schabracke und prächtigem Geschirr ritt. Man sah, dass er ein Krieger von Ansehen unter seinem Stamm war. Sein ganzes Benehmen hatte etwas von barbarischer Würde. Er fühlte vielleicht seine Überlegenheit in seiner Rüstung und in dem Mut seines Hengstes im Vergleich mit den armen, zerrissenen und ermatteten Biberfängern und ihren halb verhungerten Pferden.

Indem er sich ihnen mit einer Protektionsmiene näherte, reichte er ihnen seine Hand, und lud sie in der Nez Percé-Sprache in sein Lager ein, das nur einige Meilen entfernt war, wo er die Fülle für sie und ihre Pferde habe und wo er mit Vergnügen all seine gute Dinge mit ihnen teilen wolle.

Diese gastfreundliche Einladung wurde mit vielem Vergnügen angenommen. Er verweilte nur einen Augenblick, um ihnen Nachweisungen zu geben, wo sie sein Lager finden könnten, drehte sich dann um, ließ seinem feurigen Pferd die Zügel schießen und war bald aus dem Blickfeld. Die Reisenden folgten ihm mit frohem Herzen, aber mit Schneckenschritten, denn ihre armen Pferde konnten kaum ein Bein dem anderen nachschleifen.

Captain Bonneville wandelte nun jedoch plötzlich eine Änderung seiner Gefühle an. Bisher hatte die Notwendigkeit, seine Partie anzuführen und für alle Notfälle Vorkehrungen zu treffen, seinen Geist in einer gewissen Spannung erhalten und sein ganzes Wesen aufgeregt und gestärkt. Er hatte noch niemals den Mut sinken lassen oder war nahe daran gewesen, zu unterliegen. Nun jedoch, wo alle Gefahr vorüber war, wo der Marsch von einigen Meilen ihnen Ruhe und Überfluss brachte, hatte ihn seine Tatkraft plötzlich verlassen. Seine geistigen und physischen Fähigkeiten befanden sich in einer gänzlichen Abspannung.

Er war noch nicht zwei Meilen von dem Punkt gekommen, wo er die Zusammenkunft mit dem Häuptlinge der Nez Percé gehabt hatte, als er sich zur Erde niederwarf, ohne Macht und Willen eine Muskel zu rühren oder etwas zu denken. Er sank sogleich in einen tiefen und traumlosen Schlaf. Seine Gefährten machten abermals Halt, lagerten sich an seiner Seite und brachten hier die Nacht hin.

Am nächsten Morgen erwachte Captain Bonneville sehr erquickt aus seinem langen und tiefen Schlaf. Sie setzten miteinander ihren langsamen Weg fort. Sie waren noch nicht lange auf dem Marsche, als acht oder zehn Nez Percé ihnen mit frischen Pferden entgegen geritten kamen, um sie zu ihrem Lager zu bringen. So trefflich beritten, schien ihnen ein neues Leben eingegossen zu sein. In schnellem Trab erreichten sie bald die Zelthütten der Nez Percé.

Dort fanden sie zwölf Familien, die unter der patriarchalischen Regierung eines alten und ehrwürdigen Häuptlings zusammen lebten. Er empfing sie mit der Gastfreundschaft des goldenen Zeitalters und mit einem Mahl derselben Art, denn während er seine Arme zu ihrer Bewillkommnung öffnete, bestand die einzige Mahlzeit, die er ihnen vorsetzte, aus Wurzeln der Erde. Sie hätten etwas Kräftigeres und Nahrhafteres wünschen mögen, allein in Ermangelung von etwas Besserem verschlangen sie diese Mahlzeit mit großem Appetit. Nachdem das Essen vorüber war, wurde die beste Pfeife angezündet und ging im Kreis herum. Auch dieses war ihnen ein sehr willkommener Luxus, da sie zwölf Tage vorher Pfeifen und Tabak in dem Gebirge verloren hatten.

Während sie sich so erquickten, wurden ihre Pferde auf die besten Weideplätze geführt, die in der Nähe waren; wo man sie los ließ, um sich an dem frisch aufgeschossenen Gras zu laben, sodass sie eine bessere Mahlzeit hatten als ihre Herren.

Captain Bonneville fühlte sich unter diesem ruhigen, harmlosen Volk wie zu Hause. Sein langer Aufenthalt unter ihren Vettern, den Ober-Nez Percé, hatte ihn mit ihrer Sprache, ihrer Art, sich auszudrücken, und all ihren Gewohnheiten vertraut gemacht. Er fand überdies bald, dass er ihnen, wenigstens durch Gerüchte und die beständigen gegenseitigen Besuche und Botschaften zwischen den beiden Zweigen des Stammes gut bekannt war. Sie redeten ihn bei seinem Namen an, gaben ihm seinen Titel als Captain mit einem französischen Akzent. Sie belegten ihn aber auch bald mit ihrem eigenen Titel, der, wie es bei Titeln der Indianer gewöhnlich der Fall ist, eine eigene Bedeutung hatte. Jener des Captains hatte einen etwas wunderlichen Ursprung.

Wenn er unter ihnen saß, plauderte und rauchte, dann nahm er bisweilen seine Mütze ab. Wenn er dieses tat, so erregte dieses ein Aufsehen in seiner Umgebung. Die Indianer richteten sich aus ihrer liegenden Stellung halb auf und sahen, mit ihrem gewöhnlichen Ausrufe des Erstaunens, seinen unbedeckten Kopf an.

Der würdige Captain war völlig kahl; eine in ihren Augen sehr erstaunliche, Erscheinung. Sie wussten nicht, ob er in einem Gefecht skalpiert worden sei oder ob er diese Strafe des Krieges durch ein Verhängnis der Natur erhalten habe. In kurzer Zeit wurde er bei ihnen unter seinem indianischen Namen bekannt, der den kahlen Häuptling bedeutete. Ein Beiname, bemerkt der Captain, zu welchem ich in der Geschichte, seit den Tagen Karls des Kahlen, kein ähnliches Beispiel finden kann.

Obwohl die Reisenden mit Wurzeln und Tabak bewirtet worden waren, so sehnten sich ihre Mägen doch nach etwas Soliderem. Als sie sich den Zelthütten der Nez Percé näherten, hatten sie die Hoffnung gehegt, Wildbret und getrockneten Salmen zu erhalten; Träume dieser Art beseelten ihre Einbildungskraft und konnten nicht wegbeschworen werden. Der scharfe Appetit eines Gebirgstrappers, durch ein vierzehntägiges Fasten gesteigert, überwand endlich alle Bedenklichkeiten ihres Stolzes. Sie bettelten geradezu bei ihren gastfreundschaftlichen Wilden um etwas Fisch oder Fleisch. Den Letzteren hielt es jedoch schwer, ihre sehr beschränkten Wintervorräte anzubrechen. Sie waren aber bereit, ihnen Wurzeln im Überfluss zu verschaffen, die, wie sie sagten, vortrefflich schmeckten.

Endlich dachte Captain Bonneville auf Mittel, ihnen die lang ersehnte Befriedigung zu verschaffen. Er hatte, sagte er, einen warmen, schottischen Mantel bei sich; einen alten, unschätzbaren und bequemen Reisegefährten, der Regen, Schnee und Winde ausgehalten, ohne dass er hierdurch mehr als etwas von seinem früheren Glanz eingebüßt hatte. Dieser buntfarbige Mantel hatte Bewunderung auf sich gezogen und die Begierde der Krieger und Frauen in einem sehr hohen Grad erregt. Es fiel nun dem Captain Bonneville bei, dieses regenbogenfarbige Gewand in die so ersehnten, schmackhaften Speisen zu verwandeln. Es fand ein augenblicklicher innerer Seelenkampf in der Wahl zwischen einem alten, guten Bekannten und der beabsichtigten Befriedigung ihrer Gelüste statt. Er entschied sich zu Gunsten der Letzteren, sagte er mit einer größeren Eilfertigkeit, als ein richtiger Geschmack und der wahre Sinn wohl erfordert hätte.

In wenigen Augenblicken war sein schottischer Mantel in zahlreiche, längliche Stücke zerschnitten.

»Von diesen«, fuhr er fort, »verfertigte ich mit einem, an mir entdeckten, neuen Talente eines Putzmachers, schnell Turbane à la turque und anderen Kopfputz verschiedener Art.«

Diese, kluger Weise, an solche Frauen verteilt, die in den Augen der patres conscripti das meiste Ansehen und den größten Einfluss zu besitzen schienen, brachten uns in kurzer Zeit eine Menge getrockneten Salmen und Hirschherzen ein, von welchen wir ein köstliches Abendessen bereiteten. Ein abermaliges und genügsames Schmauchen folgte auf diese Mahlzeit. Ein süßer Schlaf, hervorgerufen durch die friedliche Unterhaltung mit unseren Pfeifen, lullte uns in eine erquickende Ruhe, die man nur durch Mühe und Arbeit erlangen kann.

Was den Captain Bonneville anbelangt, so schlief er in der Baracke des ehrwürdigen Patriarchen, der offenbar die uninteressanteste Zuneigung zu ihm gefasst hatte, wie sich dies an dem folgenden Morgen erwies.

Durch ein gutes Abendessen gestärkt und erquickt vom Bad der Ruhe standen die Reisenden im Begriff, sich wieder auf ihren Weg zu begeben, als dieser liebreiche alte Häuptling den Captain beiseite nahm, um ihm zu erkennen zu geben, wie gern er ihn habe. Als einen Beweis seiner Achtung hätte er sich vorgenommen, ihm ein schönes Pferd zu verehren, was mehr beweise, als Worte zu tun vermochten, und sein Wohlwollen außer Zweifel setzen müsse.

Indem der dieses sagte, gab er ein Zeichen. Alsbald wurde ein schönes, junges Pferd, von brauner Farbe, sich bäumend und schnaubend, vorgeführt. Captain Bonneville war durch dieses Zeichen seiner Freundschaft ziemlich gerührt; allein seine Erfahrung in dem, was man sprichwörtlich ein indianisches Geschenk nennt, erinnerte ihn, dass auch ein Abschiedsgeschenk von ihm notwendig sei, um seine Freundschaft seinerseits zu beweisen. Er legte daher eine schöne Büchse in die Hände des ehrwürdigen Häuptlings, dessen wohlwollendes Herz durch dieses äußere und ersichtliche Zeichen der Freundschaft sehr gerührt und befriediget wurde.

Da unser würdiger Captain nunmehr glaubte, die Rechnung der Freundschaft ausgeglichen zu haben, stand er im Begriff, seinen Sattel auf dies edle geschenkte Tier zu legen, als der liebreiche Patriarch ihn am Ärmel zupfte und ihn zu einer alten, wimmernden und weinenden Squaw führte, deren verschrumpeltes Gesicht einer ägyptischen Mumie glich.

»Dies ist«, sagte er, »mein Weib. Sie ist ein gutes Weib und ich habe sie sehr gern – sie hat auch das Pferd gern – sie hat es sehr gern und wird sehr weinen, wenn sie es verliert. Ich weiß nicht, wie ich sie trösten soll, und das erschwert mir das Herz.«

Was konnte der würdige Captain tun, um die weichherzige, alte Squaw zu trösten, und den ehrwürdigen Patriarchen einer Gardinenpredigt zu entheben? Er besann sich, dass er noch ein Paar Ohrgehänge habe. Des Patriarchen bessere Hälfte war freilich in einem Alter und von dem Ansehen, wo von einer persönlichen Eitelkeit keine Rede mehr hätte sein sollen; allein wann nimmt die persönliche Eitelkeit ein Ende? In dem Augenblick, wo er die glänzenden Ohrgehänge hervorholte, hatte das ewige Wimmern und Weinen der alten Dame ein Ende. Mit vieler Begierde befestigte sie den kostbaren Flitter in die Ohren, und ob sie gleich so hässlich war wie die Hexe von Endor, so watschelte sie doch so kokettierend weg, dass man sie für eine Semiramis an Vollkommenheit hätte halten sollen.

Der Captain hatte nun sein neues Pferd gesattelt und sein Fuß stand im Steigbügel, als der liebreiche Patriarch abermals zu ihm hintrat und ihm einen jungen Nez Percé vorstellte, der ein besonderes sauertöpfisches Ansehen hatte.

»Dieser«, sagte der ehrwürdige Häuptling, »ist mein Sohn. Er ist sehr gut, ein geschickter Reiter, er pflegte dieses schöne Pferd immer, er zog es auf von einem Füllen und machte es zu dem, was es ist. Er hat dieses schöne Pferd sehr gern. Er liebt es, wie einen Bruder. Das Herz wird ihm schwer werden, wenn es das Lager verlässt.«

Was konnte der Captain tun, um die jugendliche Hoffnung dieses ehrwürdigen Paars zu belohnen und ihn für den Verlust seines Milchbruders, das Pferd, zu trösten? Er besann sich, dass er noch ein Beil habe, das er von seinem kleinen Vorrat etwa noch entbehren könne. Er übergab dieses Werkzeug nicht sobald den Händen dieses hoffnungsvollen Jünglings, als sein Gesicht sich aufheiterte und er so triumphierend mit seinem Beil wegging, wie es seine ehrwürdige Mutter mit ihren Ohrgehängen getan hatte.

Der Captain saß nun im Sattel und war im Begriff wegzureiten, als der liebreiche alte Patriarch zum dritten Mal zu ihm trat, mit einer Hand sanft die Mähne des Pferdes streichelte und in der anderen die Büchse hielt.

»Diese Büchse«, sagte er, »soll meine große Medizin sein. Ich will sie an mein Herz drücken und sie immer gern haben, meines guten Freundes, des kahlköpfigen Häuptlings halber. Eine Büchse ist jedoch für sich stumm, und ich kann sie nicht sprechen lassen. Wenn ich ein wenig Pulver und Kugeln hätte, dann würde ich sie mit mir nehmen und dann und wann einen Hirsch schießen. Wenn ich meiner hungrigen Familie das Fleisch nach Hause brächte, dann würde ich sagen: Dieses wurde erlegt mit der Büchse meines Freundes, des kahlköpfigen Häuptlings, dem ich ein schönes Pferd gab.«

Einer solchen Anforderung war nicht zu widerstehen. Der Captain lieferte ihm sofort das verlangte Pulver und Blei, gab aber zu gleicher Zeit seinem geschenkten Pferd die Sporen und eilte, was er konnte, um von allen Freundschaftsbezeugungen des liebreichen alten Patriarchen und seiner liebenswürdigen Familie wegzukommen.