Dreizehn Jahre im Wilden Westen – Kapitel XIX
Dreizehn Jahre im Wilden Westen
Oder: Abenteuer des Häuptlings Sombrero
Nürnberg, 1877
XIX. Zweite Reise nach Amerika. New York. Zusammentreffen alter Krieger in Carlisle. Seereise nach Galveston. Sturm am Cape Hatteras. Marsch nach Austin. Empfang.
Nach einem Aufenthalt in Nürnberg von sechs Wochen fuhr ich wiederum Hamburg zu in Gesellschaft des H. K. von New York und seines Bruders Professor K., der uns bis an das Dampfschiff begleitete und einer jungen Dame, die unter unserem Schutz die Reise nach New York machen sollte, woselbst sie von Freunden erwartet wurde. Wir besuchten alle größeren Städte, um das Sehenswürdige zu betrachten und kamen seiner Zeit in Hamburg an, wo wir noch einige Tage Zeit hatten, ehe der Dampfer Allemania zur Abreise bereit war, was wir ausnutzten, um uns recht gut in der Stadt und Umgegend umzusehen. Den Zoologischen Garten, das Theater usw. verfehlten wir natürlich auch nicht. Endlich war alles bereit. Wir gingen aufs Schiff, wo uns Professor K. verließ. Bald waren wir in der Nordsee und im englischen Kanal, legten dann vierundzwanzig Stunden in Le Havre an, wo wir die Stadt besuchten, sodass wir doch auch sagen konnten, wir waren in Frankreich gewesen, lüfteten wieder Anker und schwammen bald auf dem Ozean. Nach einer Fahrt von sechzehn Tagen erreichten wir New York, wo sich seit meiner Abreise nichts verändert hatte. Nachdem ich mich einen Monat lang in der Stadt aufgehalten hatte, ohne irgendeine Situation zu bekommen, fuhr ich nach Carlisle, wo ich viele meiner alten Kameraden traf, die fertig waren, zum Regiment in Texas zurückzukehren. Auch General war da, mit dem ich einst war, als wir die Pferde verloren hatten und ich die interessante Fußreise machte. Er begrüßte mich herzlich, ebenso meine Freunde, die hocherfreut waren, mich zu sehen. Nach kurzer Überlegung schloss ich mich ihnen an. Wir wurden sogleich der Permanent-Troupe zugeteilt, das ist eine Truppe alter Soldaten, die als Unteroffiziere dienen und Rekruten einexerzieren. Meine Beschäftigung war hauptsächlich in der Reitschule und ich ließ die armen Rekruten oft tüchtig reiten. Wir hatten ein sehr gutes Theater, ganz von Schauspielern gehandhabt, gingen jeden Abend in die Stadt, genossen überhaupt viele Privilegien, die man Rekruten nicht gestattet. Nach einigen Monaten war ein Detachement Rekruten fertig, um nach Texas zu gehen. Wir hatten die schöne Aufgabe, sie hinzubringen. So setzten wir uns früh um vier Uhr in die Bahn mit etlichen hundert Mann und fuhren nach Jersey, N.Y., wo mich mein Bruder Karl und Vetter A. S. auf dem Bahnhof empfingen und Ersterer mich nach Betlows Island begleitete, um den Tag mit mir zu verbringen. Hier mussten wir acht Tage liegen, bis ein Transportschiff ausgerüstet wurde und hatten nichts zu tun, als Unfug zu treiben. Endlich wurden wir eingeschifft und fort ging es zu Hell Gate hinaus auf den Weg nach Galveston, Texas in den Golf von Mexiko. Nachdem wir Cape Hatteras passiert hatten, brach ein fürchterlicher Sturm los, der uns bald allen etwas teuer gekostet hatte. Er begann während der Nacht. Das Erste, was ich davon erfuhr, war, dass mein Freund Bowman von einer Seite auf mich herabflog. Ich wollte ihm eben eine hinhauen, als er zurückrollte und ich auf ihn fiel. Inzwischen waren wir völlig wach und hielten uns an den Bettpfosten fest. Bald schlug eine große Welle übers Verdeck, füllte das Maschinenzimmer und löschte die Feuer aus. Das Schiff füllte sich mit Rauch.
Ein nervöser Simpel rief sogleich: »Feuer!« Aber ein wohlgezielter Wurf mit meinem Stiefel brachte ihn zu Boden. Es kostete viele Mühe, die Leute zu beruhigen.
Einige große gefüllte Wasserfässer brachen nun von ihrer Befestigung los und flogen von einer Seite auf die andere, hätten auch viel Schaden angerichtet, wären die Matrosen nicht herbeigesprungen, um sie zu zerschlagen. Da ich nun meine Stiefel anhatte, schlüpfte ich mit den Matrosen aufs Verdeck, wo sich eine erhabene Szene dem Auge darbot, hätte man Zeit gehabt, romantisch zu fühlen. Alles auf dem Verdeck war über Bord gespült worden, ein Mast war oben abgebrochen und von Gehen oder Stehen war keine Rede. Man musste kriechen und sich dabei festhalten, denn eine Welle über die andere schlug über das Schiff und man war mehr unter Wasser als oben. Ich hing fest am Hauptmast, tropfnass und eiskalt. Alle Augenblicke war ich unter Wasser. Kaum kam ich herauf aus dem Wasser und schöpfte Luft, so ging es schon wieder hinunter auf der anderen Seite. In die Kajüte konnte ich mich nicht mehr zurückziehen, selbst wenn ich gewollt hätte, denn die Hatsches waren alle zu und so befestigt, dass sie nicht hinweggeschwemmt werden konnten. Nun aber kam der Augenblick der größten Gefahr. Die Ruderkette brach und das Schiff konnte natürlich nicht mehr dirigiert werden, sondern drehte sich um und um wie ein Kreisel. Wäre nicht die Mannschaft gleich hinzugesprungen und die Kette wieder gespleißt worden, – wobei auch ich half, denn es bedurfte der Kraft sämtlicher Matrosen, – so hätte sich das Schiff keine fünf Minuten über Wasser gehalten. Es wurde wiederum Nacht und gegen elf Uhr fing der Sturm an, sich etwas zu legen, nachdem er vierzehn Stunden getobt hatte. Aber die See ging noch sehr hoch, bis sie sich am nächsten Abend allmählich legte. Endlich wurde wieder Dampf gemacht und wir liefen im Hafen von Key West, Florida, ein, wo das Schiff erst repariert werden musste, ehe wir unsere Reise fortsetzen konnten.
Wir lagen vierzehn Tage bei einer Temperatur, die, obwohl im Januar, doch auf einhundertzehn, also etwa fünfunddreißig Grad nach deutschem Maßstab stieg. Den Tag brachten wir meistens im Wasser zu, das beinahe lauwarm war. Auch fischten wir und fingen Lobster und Hummer.
Am Abend durchstreiften wir die Insel, die von einer sehr gemischten Bevölkerung bewohnt ist, wovon die meisten große Schwämme, Korallen usw. aus dem Meer gewinnen, um sich damit das Notwendige zu verdienen. Auch hatten wir manchen Abend Wettrennen, Ringkämpfe und Boxübungen. Bei einer solchen Übung schlug ich meinen Freund Bowman so auf die Nase, dass mein kleiner Finger aus dem Gelenk kam, worauf wir uns sogleich daran machten, ihn wieder einzurenken. Wir banden ein Taschentuch an den Finger, woran drei Mann mit aller Gewalt zogen. Drei andere hielten mich fest und zogen auf die entgegengesetzte Seite, bis der arme Finger so gezogen war, dass er heute noch krumm ist. Es ist nur ein Wunder, dass sie ihn nicht ganz ausgerissen haben.
Wir verließen Key West und steuerten auf Galveston zu. Am Abend sagte der Kapitän des Schiffes, dass wir gegen zwei Uhr morgens im Hafen von Galveston einfahren würden, aber er rechnete ohne den Wirt, denn eine Stunde später brach wieder ein Sturm los, sodass wir genötigt waren, von der Küste weg auf offene See zu fahren. Nachdem wir uns vierundzwanzig Stunden lang hatten treiben lassen, steuerten wir nach beendetem Sturm wieder nach Galveston zu, wo wir diesmal richtig anlangten und unsere Rekruten ausluden. Einer derselben, der noch nie im Süden gewesen war und die vielen Insekten nicht kannte, ging hier auf die Jagd. Nachdem er einige Stunden umhergelaufen und viel Pulver verschossen hatte, kehrte er schwer beladen ins Lager zurück. Auf die Frage, was er geschossen hatte, antwortete er, dass er drei große Kraniche erlegt habe. Als wir seine Kraniche in Augenschein nahmen, stellte es sich heraus, dass es nur gewöhnliche ausgewachsene Moskitos waren, die der unwissende Rekrut für Sumpfvögel gehalten hatte.
Von hier gingen wir per Bahn nach Brenham, von dort zu Fuß nach Austin. Die Kompanie war uns acht Meilen weit entgegengeritten, um uns alte Krieger festlich zu empfangen. Ein Pferd wurde mir angeboten, was ich mit Vergnügen bestieg. Nun jagte ich mit meinen Freunden zurück zur Stadt. Dort erholten wir uns bei einem Mittagessen vom fünftägigen Marsch und labten uns an Bier, bis die Rekruten ankamen, welche dann zum Camp marschierten, wo mich mein Hauptmann sehr freundlich empfing. Wir alten Skalpjäger kehrten sogleich zu unserer Kompanie zurück, während die Rekruten nach einigen Tagen an die verschiedenen Kompanien des Regiments verteilt wurden. Mein Pferd Tom, das sich während meiner Abwesenheit ein Offizier genommen hatte, wurde mir sogleich wieder ausgeliefert und bald war alles beim Alten. Sogar mein Zelt und verschiedene Kleinigkeiten bekam ich wieder. Es war, als wäre ich nie fort gewesen.