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Deutsche Märchen und Sagen 71

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

76. Engel schauen

Zu Hemmenrode lebte ein Laienbruder, der war Aufseher über die Scheunen des Klosters, ein guter und braver Mann. Oft sah ein anderer gar einfältiger Laienbruder desselben Klosters neben jenem einen Engel, wenn er einige Arbeit zu verrichten ausging.

Als dieser dem Abt Hermann das hinterbrachte, sprach der: »Nun wirst du den Engel nicht mehr sehen, weil du von seiner Erscheinung gesprochen hast.« Das ist auch eingetroffen.

77. Wasserteufel im Tabakfeld

Einem Mann zu Wetleren wurde in jeder Nacht, die Gott erschaffen hat, sein Tabakfeld zerstört, die Blätter niedergeschlagen, abgebrochen oder was anderes, kurz, er fand jeden Morgen eine neue Ursache zu Ärger und Verdruss. Darüber wurde er endlich so böse, dass er sich eine Flinte lud und sich in der Nähe des Feldes gegen Abend verbarg. Bis Mitternacht blieb alles still, dann aber regte es sich in den Blättern und eins wurde nach dem anderen geknickt. Der Mann legte seine Flinte an, zielte und drückte los, aber der Hahn gab kein Feuer. Dagegen bekam er selbst einen so gräulichen Schlag in den Nacken, dass er fast besinnungslos zu Boden stürzte. Das machte ihn aber nicht irre. Er tat frisches Pulver auf die Pfanne und als die Blätter sich wieder regten, drückte er noch einmal los, aber kein Schuss folgte und er empfing denselben Schlag.

»Das muss ich doch dreimal wagen«, sprach der Mann, tat noch einmal Pulver auf und drückte noch einmal los, doch derselbe Ausgang erfolgte. Es wurde ihm dieses Mal der Hut vom Kopf gerissen und eine Viertelstunde weit geschleudert. Dabei hörte er ein schallendes Gelächter.

»Ha, ha, ha! Da habe ich Euch einmal fest gehabt.«

Da erkannte der Mann, dass der Wasserteufel ihm den Streich gespielt habe, und ging still nach Hause zurück, zufrieden, dass er noch so leichten Kaufes von dem Geist weggekommen war.