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Die Sternkammer – Band 1 – Kapitel 9

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 1
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Die Patentbriefe

Diese Rede brachte einen fast günstigen Eindruck für Sir Giles hervor, aber Jocelyn erlangte seine Gunst bei der Gesellschaft wieder, als er ausrief: »Mein Vater wurde ungerecht verurteilt. Sein Ankläger war ein Schurke und das Urteil ungerecht.«

»Ihr habt Eure eigene Verurteilung ausgesprochen, Jocelyn Mounchensey«, rief Sir Giles mit wildem Lachen. »Zu Eurem Schrecken kann ich Euch sagen, dass der hohe Gerichtshof der Sternkammer bereit ist, die Ehre seiner Urteile aufrechtzuhalten, und dass er immer die, welche dagegen sprechen, mit der größten Strenge bestraft. Ihr habt Euren Skandal öffentlich ausgesprochen.«

»Unbesonnener junger Mann, Ihr habt Euch in der Tat in große Gefahr gebracht«, sagte Jocelyns Nachbar. »Entflieht, wenn Ihr könnt. Ihr seid verloren, wenn Ihr hier bleibt.«

Anstatt aber den freundlichen Rat zu befolgen, würde Jocelyn Sir Giles angegriffen haben, wenn dieser Herr ihn nicht mit Gewalt zurückgehalten hätte.

Der Ritter benutzte sogleich den erlangten Vorteil. »Tretet vor, Clemens Lanyere«, rief er gebieterisch.

Der Denunziant näherte sich augenblicklich.

»Seht diesen Mann an«, fuhr Sir Giles zu Jocelyn gewendet fort, »und Ihr werdet bemerken, wie die, welche von der Sternkammer übel reden, behandelt werden. Dieses entstellte Gesicht war einst so frei von Makel und Narben wie das Eure und doch ist es wegen eines leichteren Vergehens wie das Eure, wie Ihr seht, mit unauslöschlicher Schande gebrandmarkt. Antwortet mir, Clemens Lanyere, und antwortet mir nach Eurem Gewissen: War das Urteil des hohen und ehrenvollen Gerichtshofes gerecht, durch welches Ihr bestraft wurdet?«

»Es war gerecht«, entgegnete der Denunziant, in dem ein dunkles Rot sich über sein grässliches Gesicht verbreitete.

»Und gelinde?«

»Sehr gelinde, denn es ließ meiner bösen Zunge die Fähigkeit der Sprache.«

»Von wem wurdet Ihr vor der Sternkammer verklagt?«

»Von dem, welchem ich jetzt diene.«

»Das heißt, von mir. Hegt Ihr deshalb Groll gegen mich?«

»Ich habe es nie gesagt. Im Gegenteil, Sir Giles, habe ich immer erklärt, ich sei Euch viel Dank schuldig.«

»Den Ihr abzutragen bemüht seid?«

»Den ich abtragen will.«

»Ihr hört, was dieser Mann sagt, Mounchensey?«, rief Sir Giles. »Ihr habt Euch desselben Vergehens schuldig gemacht wie er. Warum solltet Ihr nicht auf gleiche Weise bestraft werden?«

»Wenn ich so bestraft werden sollte, würde ich meinem Ankläger das Herz durchbohren«, entgegnete Jocelyn.

Bei dieser Antwort erhob Lanyere, der bisher seine Augen auf den Boden gerichtet hatte, seinen Blick mit eigentümlichem Ausdruck zu dem Gesicht des Redenden.

»Hm!«, rief Sir Giles. »Ich sehe, ich muss äußerste Mittel bei ihm anwenden. Beobachtet ihn genau, Lanyere, und folgt ihm, wenn er hinausgeht. Spürt ihm bis in seine Höhle nach. Nun zum Geschäft. Gebt mir die Patentbriefe, Lupo«, fügte er zu dem Notar gewendet hinzu, als Lanyere sich entfernte. »Diese Patentbriefe«, fuhr Sir Giles fort, indem er Lupo Vulp zwei Pergamentrollen, woran große Siegel hingen, abnahm und sie der Versammlung zeigte, »diese königlichen Briefe«, fuhr er in festen und strengen Tönen fort, indem er sich mit trotzigem Blick umsah, »die, wie Ihr seht, das große Siegel und des Königs eigenhändige Unterschrift tragen, meine Herren, bilden die Vollmacht, wonach ich handle. Sie gewähren mir und meinem Partner, Sir Francis Mitchell, die unbeschränkte Macht, allen Schenkwirten und Gastgebern in London Konzessionen zu bewilligen und zu entziehen. Sie geben uns das Recht, zu jeder Zeit in alle Gastwirtschaften und Herbergen einzutreten und sie zu beaufsichtigen, alle ungesetzlichen Spiele, die dort vorgenommen werden, zu verhindern und darauf zu sehen, dass gute Regel und Ordnung erhalten werde.

Es wird auch den Schenkwirten und Gastgebern in London zur Pflicht gemacht, uns Sicherheit für die Beobachtung unserer Regeln und Anordnungen zu gewähren und zwei Bürgen zu stellen. Im Falle einer Übertretung ist es bestimmt worden, dass die eine Hälfte der Strafsumme der Krone und die andere uns zufällt. Ich bitte Euch, meine Herren, leiht mir noch weiter Euer Ohr. Diese königlichen Briefe ermächtigen uns, allen denen Strafen aufzuerlegen, welche unserem Ansehen zuwiderhandeln und sich unseren Ansprüchen widersetzen, und sie ohne weitere Vollmacht, als diese Briefe enthalten, zu ergreifen und ins Gefängnis zu werfen. Kurz, meine Herren«, fuhr er in gebieterischem Ton fort, als verlange er Aufmerksamkeit, »Ihr werdet bemerken, dass die gänzliche Beaufsichtigung aller Gasthäuser, wo aufregende Getränke verkauft werden, uns von Seiner gnädigsten Majestät dem König Jakob übertragen worden ist. Zu dem Zweck hat Seine Majestät uns gänzliche Vollmacht gegeben. Wollt Ihr diese Briefe ansehen, meine Herren?« fügte er hinzu, indem er sie ihnen vorhielt. »Ihr werdet finden, dass Seine Majestät seine eigene königliche Unterschrift darunter gesetzt hat. Niemand von Euch wird vermutlich die Echtheit bezweifeln?«

Es trat ein tiefes Schweigen ein und dann brach es Jocelyn Mounchensey heraus: »Ich bezweifle es«, rief er. »Ich will nimmer mehr glauben, dass ein König, dem gleich unserem gnädigen Oberherrn, die Wohlfahrt seiner Untertanen am Herzen liegt, den Druck und die Ungerechtigkeit gutheißen werde, wozu diese Vollmacht, wenn sie gewissenlosen Händen anvertraut wird, notwendig führen muss. Ich zweifle daher an der Echtheit der Unterschrift. Wenn sie nicht nachgemacht ist, hat man sie durch Betrug oder Täuschung erlangt.«

Ein Gemurmel des Beifalls folgte auf diese kühne Rede; aber der Herr, der dem jungen Mann schon früher geraten hatte, flüsterte ihm ins Ohr: »Eure unbesonnene Heftigkeit wird Euch zu Grunde richten, wenn Ihr Euch nicht in Acht nehmt. Ohne Zweifel hat Sir Giles die Genehmigung des Königs zu dem, was er tut, und ihn tadeln, heißt die Krone tadeln, und das wird fast für Hochverrat geachtet. Lasst Euch von mir raten, mein guter junger Herr, und mischt Euch nicht mehr in die Sache.«

Sir Giles, der einige Schwierigkeit hatte, seinen Zorn zu unterdrücken, sprach nun: »Ihr habt eine Beschuldigung gegen mich erhoben, Jocelyn Mounchensey«, rief er mit heftiger Wut, »und Ihr sollt genötigt werden, sie ebenso öffentlich zu widerrufen. Einen Beamten der Krone bei Erfüllung seiner Pflicht beleidigen, heißt die Krone selber beleidigen, wie Ihr erfahren werdet. In des Königs Namen befehle ich, Euch ruhig zu verhalten, oder ich verhafte Euch augenblicklich in des Königs Namen und verbiete allen, Euch Beistand zu leisten. Ich will nicht so belästigt sein. Von Seiner Majestät zu einem Amt bestimmt, übe ich dasselbe ebenso sehr zum Vorteil der königlichen Schatzkammer wie zu meinem eigenen Vorteil aus. Ich habe die vollkommene Billigung Seiner Majestät zu dem, was ich tue, und mehr bedarf ich nicht. Ich bin keinem Menschen verantwortlich, als dem König«, fuhr er fort, indem er seine Drohungen ebenso wohl an die übrige Gesellschaft als auch an Jocelyn richtete. »Aber ich kam nicht hierher, um Erklärungen zu geben, sondern um zu handeln. Heda! Madame Bonaventure! Wo seid Ihr, Madame? O! Ihr seid da!«

»Bon jour, lieber Sir Giles«, sagte die Wirtin mit tiefer Verneigung. »Was wünscht Ihr von mir, mein Herr? Und welcher Veranlassung habe ich die Ehre dieses Besuches zuzuschreiben?«

»Still, Madame. Ihr wisst sehr wohl, was mich in dieser Begleitung hierher führt«, entgegnete er. »Ich komme infolge einer Mahnung hierher, die ich Euch vor einem Monat erteilte. Ihr werdet nicht leugnen, sie erhalten zu haben, da der Offiziant, der sie Euch einhändigte, hier zugegen ist.«

Er deutete auf Clemens Lanyere.

»Au contraire, Sir Giles«, versetzte Madame Bonaventure. »Ich gebe gern zu, eine schriftliche Botschaft von Euch erhalten zu haben, die, wenn auch kaum verständlich für meine Einsicht, nicht so angenehm abgefasst zu sein schien, wie ein billet-doux.

Mais ma foi! Ich legte derselben wenig Wichtigkeit bei. Ich hielt es nicht für möglich, und halte es auch jetzt nicht für möglich«, fügte sie mit bezauberndem Lächeln hinzu, welches für Sir Giles gänzlich verloren war, »dass Ihr so strenge Maßregeln gegen mich anwenden solltet.«

»Meine Maßregeln mögen Euch streng erscheinen, Madame«, versetzte Sir Giles kalt, »aber ich bin bevollmächtigt dazu – ja, ich sehe mich dazu genötigt. Da Ihr die geforderte Genugtuung nicht geleistet habt, so habt Ihr Euch selber des Schutzes beraubt, den ich Euch gewähren wollte. Ich bin jetzt nur Euer Richter. Die Strafen für Eure Nachlässigkeit sind Folgende: Eure Konzession wurde schon vor einem Monat aufgehoben, denn die Ankündigung besagte ausdrücklich, dass sie Euch entzogen werden sollte, wenn nicht gewisse Bedingungen erfüllt würden. Folglich, da Ihr seit jener Zeit verzollbare Getränke ohne gesetzliche Erlaubnis verkauft habt, so unterliegt Ihr einer Geldstrafe von hundert Mark täglich, was eine Totalsumme von dreitausend Mark macht, die Ihr zum Teil Seiner Majestät und zum Teil den Repräsentanten Seiner Majestät schuldig seid. Diese Summe fordere ich jetzt.«

»Ah, mon Dieu! Dreitausend Mark!«, schrie Madame Bonaventure. »Welche Räuberei ist dies! Welche Barbarei! Es ist mein Untergang – mein völliger Untergang! Ich kann ebenso gut mein Haus ganz schließen und in mein schönes Vaterland zurückkehren. So wahr ich ein redliches Weib bin, Sir Giles, ich kann es nicht bezahlen. Daher ist es von Eurer Seite völlig nutzlos, eine solche Forderung zu machen.«

»Ihr schützt Unfähigkeit zu zahlen vor, Madame«, entgegnete Sir Giles. »Ich kann es Euch nicht glauben, da ich einige Kenntnis von Euren Mitteln habe. Dennoch will ich Euch mit einer Regel bekannt machen, die auf Euren Fall anwendbar ist. Quod non habet in aere, luet in corpore, ist ein Beschluss der Sternkammer und bedeutet, denn ich erwarte nicht, dass Ihr Latein versteht, dass der, welcher nicht mit der Börse zahlen kann, die Strafe an seinem Körper abbüßen muss. Da Ihr wisst, was Ihr in beiden Fällen zu erwarten habt, so mögt Ihr Eure Wahl treffen. Ihr könnt mir danken, dass Ihr nicht sogleich, wie ich die Macht gehabt hatte, zu drei Monaten Gefängnis in Wood Street verurteilt worden seid.«

»Ah! Sir Giles, welche schreckliche Idee. Sie sind schlimmer als ein Wilder, von einem so ekelhaften Gefängnis mit mir zu reden. Ah, mein Gott! Was wird aus mir werden! Ich wollte, ich wäre wieder in meinen lieben Bordeaux!«

»Ihr werdet Gelegenheit haben, jene schöne Stadt wiederzusehen, Madame, denn Ihr werdet nicht länger imstande sein, Euer Geschäft zu betreiben.«

»Himmel! Sir Giles! Was meint Ihr?«

»Ich meine, Madame, dass Ihr auf den Zeitraum von drei Jahren der Erlaubnis, eine Gastwirtschaft zu betreiben, verlustig erklärt werdet.«

Madame Bonaventure schlug ihre Hände zusammen und schrie laut: »Habt Mitleid, Sir Giles, habt Mitleid!«

Der unerbittliche Ritter schüttelte den Kopf. Das leise Gemurmel des Unwillens der Gesellschaft, welches, während dieses Zwiegesprächs zugenommen hatte, wurde nun laut.

»Ein höchst skandalöses Verfahren!«, rief einer.

»Uns der besten französischen Wirtstafel zu berauben!«, rief ein Zweiter.

»Schändlicher Erpresser!«, schrie ein Dritter.

»Wir wollen keine solche Ungerechtigkeit gestatten. Lasst uns selber das Gesetz ausüben und die Frage beseitigen!«, rief ein Vierter.

»Ja! Nieder mit dem Ritter!«, fügte ein Fünfter hinzu.

Aber Sir Giles blieb völlig unbewegt bei dem um ihn herrschenden Sturm und lachte über diese Drohungen, indem er sich damit begnügte, Captain Bludder einen Wink zu geben, sich in Bereitschaft zu halten.

»Lasst das, Ihr Herren«, donnerte er endlich. »Des Königs Vollmacht muss respektiert werden!«

Wieder bat Madame Bonaventure um Mitleid, aber vergebens. Sie fasste seinen Arm und tat, als wollte sie vor ihm niederknien; aber er schüttelte sie kalt von sich.

»Ihr seid ohne Zweifel eine höchst reizende Frau«, sagte er sarkastisch, »und einige Männer möchten Euch unwiderstehlich finden; aber ich bin aus keinem so weichen Stoff gebildet und Ihr könnt Euch die weitere Mühe ersparen, denn alle Eure Überredungsgabe wird bei mir vergebens angewendet sein. Ich erneuere meine Frage – und zwar zum letzten Mal. Zwingt mich nicht, zu äußersten Mitteln zu greifen. Es würde mir leid sein«, fügte er mit bitterem Lächeln hinzu, »eine so hübsche Frau gleich einem gemeinen Schuldner durch die Straßen ins Gefängnis schleppen zu müssen.«

»Gnade! Gnade! Sir Giles«, rief Madame Bonaventure. Dann fügte sie in verändertem Tone hinzu, als sie bemerkte, dass er unbeugsam blieb: »Ich werde mich nimmermehr lebendig einer solchen Schmach fügen!«

»Wir alle wollen Euch beschützen, Madame«, riefen die Gäste einstimmig. »Lasst ihn Hand an Euch legen, und er soll sehen!«

Sir Giles sah sich nach seinen Söldnern um.

Alle näherten sich ihm auf einmal. Zu gleicher Zeit sprang Jocelyn Mounchensey, den keine Bemühungen des freundlich gesinnten Herrn zurückhalten konnten, vorwärts. Sein Schwert ziehend kam er gerade zur rechten Zeit, um sich vor Madame Bonaventure hinzustellen, als sie sich hastig zurückzog.

»Habt keine Furcht, Madame, bei mir seid Ihr sicher«, sagte der junge Mann, zornig den Ritter und seinen Trupp ansehend.

Die größte Verwirrung herrschte nun im Zimmer. Noch andere Schwerter wurden gezogen und mehrere von den Gästen stiegen auf die Bänke, um die Szene zu übersehen. Cyprien und die übrigen Kellner und Diener des Hauses stellten sich hinter ihre Gebieterin, bereit, sich jedem Versuch der Söldner zu widersetzen, sich ihrer zu bemächtigen. Der Vorhang am oberen Ende des Zimmers wurde teilweise auf die Seite gezogen und zeigte, dass die ausgezeichneten Personen an dem oberen Tisch gleich aufgeregt waren.

»Meine Herren«, sagte Sir Giles, bei dem Tumult seine vollkommene Ruhe behauptend, »ein Wort mit Euch, ehe es zu spät ist. Ich wende mich nicht an Euch, Jocelyn Mounchensey, denn Ihr verdient keine freundliche Rücksicht – aber allen anderen möchte ich raten, sich vorzusehen und sich nicht zu widersetzen. Liefert mir dieses Weib aus!«

»Ich will lieber auf der Stelle sterben, als dass Ihr ausgeliefert werden sollt«, sagte Jocelyn, die Wirtin ermutigend, die sich an seinen freien Arm hing.

»Oh! merci! Grand merci, mon beau gentilhomme!«, rief sie. »O Dank, vielen Dank, mein schöner Herr!«

»Und soll ich denn verstehen, dass Ihr mich verhindern wollt, an der gesetzlichen Ausführung meiner Vorsätze, meine Herren?«, fragte Sir Giles.

»Wir wollen eine ungesetzliche Verhaftung verhindern«, entgegneten mehrere Stimmen.

»So sei es«, sagte der Ritter, »ich stehe nicht für die Folgen.« Dann wendete er sich zu seinen Begleitern und fügte hinzu: »Meine Leute, bemächtigt Euch auf jede Gefahr der Person der Dameris Bonaventure und führt sie in das Gefängnis. Zu gleicher Zeit verhaftet den jungen Mann neben ihr – Jocelyn Mounchensey mit Namen – welcher eine verräterische Sprache gegen unseren Herrn und König geführt hat. Ich will Euch sogleich sagen, wie Ihr mit ihm zu verfahren habt. Befolgt sogleich meinen Befehl.«

Aber ehe der Befehl befolgt werden konnte, rief die gebieterische Stimme, die man schon vorher vom oberen Tisch her gehört hatte: »Halt!«

Sir Giles hielt inne, sah sich eine Minute lang unentschlossen um und wies dann seine Söldner durch eine Bewegung der Hand zurück.

»Wer ist es, der die Ausübung des Gesetzes verhindern will?«, sagte er mit dem Blicke eines Tigers, dem man einen Knochen entrissen hat.

»Einer, dem Ihr notwendig gehorchen müsst, Sir Giles«, versetzte Lord Roos, von dem oberen Tisch her auf ihn zukommend. »Ihr habt unbewusst eine Rolle in einer Komödie gespielt, und zwar sehr gut, aber es ist Zeit, das Stück zu Ende zu bringen. Wir nähern uns fast den Grenzen der Tragödie.«

»Ich verstehe Euch nicht, Mylord«, entgegnete Sir Giles. »Ich unterscheide nichts Komisches in der Sache, wenn auch viel Wichtiges.«

»Ihr habt die Komödie nicht bemerkt, weil es ein Teil unseres Planes war, Euch in der Dunkelheit zu erhalten, Sir Giles.«

»So! Hier ist also ein Plan im Werk, Mylord? Ha!«

»Ein kleines Komplott, nichts weiter, Sir Giles, bei dessen Ausführung Euer würdiger Partner Sir Francis Mitchell wesentlich geholfen hat.«

»Ha!«, rief Sir Giles, seinen Partner ansehend, der noch seine erhöhte Stellung auf dem Tisch behauptete, »so habe ich Euch vermutlich für die Schmach zu danken, Mylord, die man meinem Freund angetan hat?«

»Wie Ihr wollt, Sir Giles«, entgegnete Lord Roos nachlässig. »Ihr nennt es eine Schmach; aber meiner Meinung nach ist das Beste, was man mit einem Mann tun kann, dessen Kopf so vom Wein schwindelt, dass seine Beine ihn nicht aufrecht halten wollen, ihn an einen Stuhl festzubinden. Er kann sonst seine Würde aufopfern und unter den Tisch rollen. Aber lassen wir das jetzt. Ehe Sir Francis gänzlich vom Wein überwältigt war, hatte er die Güte, mir seine Unterschrift zu geben. Ihr saht, wie er es tat hatte, meine Herren?«, fügte er hinzu, indem er sich an die Gesellschaft wendete.

»Ja, ja, wir sahen, wie er sie schrieb!«, war die allgemeine Antwort.

»Und zu welchem Zweck geschah es, Mylord?«, fragte Sir Giles finster.

»Um mich in den Stand zu setzen, eine Quittung über Eure vereinten Ansprüche an Madame Bonaventure auszufertigen«, versetzte der unerschütterliche junge Edelmann. »Ich habe es getan, Sir Giles, und hier ist sie. Ich habe auch Sorge getragen, ihre Konzession zu erneuern, sodass sie keine Strafen wegen Vernachlässigung treffen können. Nehmt, Madame Bonaventure«, fuhr er fort, indem er ihr das Papier einhändigte. »Es ist eine vollständige Quittung.«

»Und denkt Ihr, Mylord, dass dieser leere Kunstgriff, um keinen härteren Ausdruck anzuwenden. Euch etwas helfen wird?«, rief Sir Giles verächtlich. »Ich werde die Sache sogleich beseitigen.«

»Ich bitte um Verzeihung, Sir Giles. Ihr werdet dergleichen nicht tun.«

»Und wer wird mich hindern? Ihr, Mylord?«

»Ja, ich, Sir Giles. Fahrt fort auf Eure Gefahr.«

Die Zuversicht des jungen Edelmannes machte seinen Gegner stutzig.

Er muss jemand haben, der ihn unterstützt, sonst würde er nicht so zuversichtlich sein, dachte er. Wessen war die Stimme, die ich hörte? Sie tönte gleich – einerlei, man muss vorsichtig sein.

»So haltet Ihr Euch also durch die Handlungen Eures Partners nicht gebunden, Sir Giles?«, fragte Lord Roos.

»Ich leugne, dass dies seine Handlung ist«, versetzte der Ritter.

»Befragt ihn lieber sogleich darüber«, sagte Lord Roos. »Lasst ihn frei, Cyprien.«

Der Gascogner tat, wie ihm geboten wurde, und mithilfe seiner Dienstgenossen half er Sir Francis vom Tisch. Zur Überraschung der Gesellschaft schwankte der Ritter dann ohne Unterstützung herbei und würde Sir Giles umarmt haben, hätte ihn dieser nicht mit Verachtung von sich gestoßen.

»Welche Torheit ist dies, Sir Francis?«, rief Sir Giles zornig. »Ihr habt Euch auf seltsame Weise vergessen – es scheint, Ihr seid von Sinnen!«

»Nicht im Geringsten, Sir Giles – nicht im Geringsten. Ich war nie mehr mein eigener Herr, wie gegenwärtig, und das will ich Euch beweisen.«

»So beweist es denn, indem Ihr erklärt, wie Ihr dazu kamt, dieses Papier zu unterzeichnen. Ihr konntet mir doch nicht entgegen handeln wollen?«

»Das wollte ich gerade«, entgegnete Sir Francis, der sich sehr beleidigt fühlte. »Ich wollte Euch entgegen handeln, als ich das Papier unterzeichnete, und will es noch jetzt.«

»Zum Henker! Hartgesottener Tor, Ihr arbeitet ihnen ja in die Hände!«

»Ich gebe Euch den hartgesottenen Toren zurück, Sir Giles. Ich bin so nüchtern, wie Ihr. Ich habe das Papier unterschrieben und bleibe bei dem, was es enthält.«

»So beabsichtigt Ihr also, Madame Bonaventure frei ausgehen zu lassen? Bedenkt, was Ihr sagt!«

»Es ist unnötig zu bedenken. Ich habe es immer beabsichtigt.«

»Tausend Dank, Sir Francis!«, rief die Wirtin. »Ich wusste wohl, dass ich einen vortrefflichen Freund an Euch habe.«

Der verliebte Ritter ergriff die Hand, die sie ihm hinreichte. Als er sie aber küssen wollte, fiel er bei dem Gelächter der Gesellschaft auf den Boden nieder.

»Ihr seid jetzt überzeugt, nicht wahr, Sir Giles?«, fragte Lord Roos.

»Ich bin überzeugt, dass Sir Francis hintergangen worden ist«, versetzte er, »und dass er, wenn sein Gehirn wieder frei vom Weindunst ist, seine Torheit bitter bereuen wird. Aber selbst seine Freisprechung wird ungenügend sein. Wenn sie auch mich bindet, wird sie doch die Krone nicht binden, die ihre Ansprüche dennoch geltend machen wird.«

»Das werde ich der rechtmäßigen Autorität zu entscheiden überlassen«, versetzte Lord Roos sich zurückziehend.

Als er sich entfernte, wurde der Vorhang vor dem oberen Tisch völlig weggezogen, sodass die ganze glänzende Gesellschaft sich zeigte, und an der Spitze derselben eine Person, noch viel glänzender und ausgezeichneter als die Übrigen.

»Buckingham!«, rief Sir Giles. »Ich glaubte die Stimme zu kennen.«

Es war in der Tat des Königs mächtiger Günstling. Prächtig gekleidet, übertraf der Marquis von Buckingham seine Tischgenossen ebenso sehr an Glanz der Kleidung wie an Stattlichkeit des Benehmens und Schönheit der Person. Vom Tisch aufstehend und seinen befiederten mit diamantener Agraffe versehenen Hut mit einer Gebärde, die eines Monarchen würdig war, aufsetzend, während alle Übrigen wie aus Anerkennung seiner höheren Würde unbedeckt blieben, stieg er hinunter und ging zu der Stelle, wo Sir Giles Mompesson stand. Wir dürfen kaum noch erwähnen, dass Jocelyn Mounchensey nie vorher den stolzen Günstling gesehen hatte; aber man durfte ihm nicht erst sagen, wen er vor sich hatte, so vollkommen entsprach Buckingham den ihm erteilten Beschreibungen. Ein wenig über der gewöhnlichen Größe und bei einer Figur von der vollkommenen Symmetrie besaß er so aristokratische, stolze und schöne Züge, dass man sich unmöglich eine stolzere und edler aussehende Person als den Marquis denken konnte. Sein Kostüm war glänzend und bestand in einem Wams von weißem geschorenem Samt, mit Perlen besetzt, welches ihm bewundernswürdig stand. Um seine Schultern trug er einen Mantel von blassblauem Samt; sein Hals war von einem niederfallenden Band umgeben, und seidene Beinkleider von derselben Farbe wie das Wams vollendeten sein Kostüm. Seine Haltung war außerordentlich würdevoll, aber sein Wesen wäre einnehmender gewesen, wenn es weniger gebieterisch und verächtlich geschienen hätte.

Sir Giles machte eine tiefe Verbeugung, als Buckingham sich ihm näherte. Sein Gruß wurde stolz erwidert.

»Ich habe etwas von Eurem Verfahren gegen die Inhaber von Gasthäusern und Hotels gehört, Sir Giles«, sagte der stolze Marquis, »aber dies ist die erste Gelegenheit, wo ich es habe in Anwendung bringen sehen – und ich muss bekennen, dass Ihr nicht allzu gelinde mit ihnen verfahrt, wenn die gegenwärtige Verhandlung als eine Probe von Eurer gewöhnlichen Handlungsweise gelten kann. Die Patentbriefe wurden Euch nicht von Seiner Majestät anvertraut, um seine Untertanen zu Eurem eigenen Vorteil und Nutzen zu belästigen, sondern um der Einwohnerschaft zu nützen, indem Ihr solche Orte in besserer Ordnung erhaltet, als bisher geschehen ist. Ich fürchte, Ihr habt Eure Vollmacht überschritten, Sir Giles.«

»Wenn mich mit Herz und Seele dem Dienst Seiner Majestät zu weihen und die königliche Schatzkammer zu bereichern, meine Vollmacht überschreiten heißt, so habe ich es getan, Herr Marquis – aber nicht anders. Ich habe immer die Würde und das Ansehender Krone aufrechterhalten. Ihr habt eben gehört, dass ich die Ansprüche des Königs geltend gemacht habe, obwohl mein Partner meine eigenen rechtmäßigen Ansprüche aufgegeben hat.«

»Der König gibt im gegenwärtigen Fall seine Ansprüche auf«, entgegnete Buckingham. »Seine aller gnädigste Majestät erteilte mir die Erlaubnis, in dieser Sache ganz nach meinen Gefallen zu handeln, und ich handle, wie ich weiß, dass er gehandelt haben würde.«

Eine Bewegung mit der Hand machend, um anzudeuten, dass er keine Gegenvorstellungen anhören wolle, wendete sich der Marquis an Madame Bonaventure, die sich sogleich vor ihm niederwarf, wie sie es vor dem König würde getan haben, und ihm für seinen Schutz dankte.

»Ihr müsst Lord Roos danken und nicht mir, Madame«, versetzte Buckingham, indem er sie gnädig vom Boden hob. »Auf die Bitte Seiner Herrlichkeit kam ich hierher. Er nimmt ein lebhaftes Interesse an Euch, Madame.«

»Ich werde Seiner Herrlichkeit ewig dankbar sein«, sagte Madame Bonaventure, indem sie errötend oder ein Erröten affektierend ihre Augen niederschlug«, sowie auch Euch, Monseigneur.«

»Lord Roos behauptete«, fuhr Buckingham fort, »dass ich in den drei Kranichen die hübscheste Wirtin und den besten Wein in London finden werde. Auf mein Wort als Cavalier, er hatte in beiden Fällen nicht unrecht. Nie sah ich glänzendere Augen und nie trank ich köstlicheren Rotwein.«

»O Monseigneur! Ihr überschüttet mich mit Gnade. Mein armes Haus kann kaum hoffen, zum zweiten Mal mit Eurer Gegenwart beehrt zu werden, aber sollte es der Fall sein …«

»So werdet Ihr mich ebenso gut wie heute willkommen heißen. Keine üble Lockung, meinen Besuch zu wiederholen. Sir Giles Mompesson!«

»Herr Marquis.«

»Ich erteile Euch meine Befehle, mein guter Sir Giles, dass Madame Bonaventure nicht weiter belästigt werden soll, sondern dass Ihr einen guten Bericht über ihr Haus erteilt. Entfernt Eure Begleiter augenblicklich.«

»Eure Befehle sollen befolgt werden, Herr Marquis«, versetzte Sir Giles, »aber ehe ich gehe, habe ich eine Verhaftung vorzunehmen. Jener junge Mann«, auf Jocelyn deutend, »hat hochverräterische Reden geführt. «

»Es ist falsch, Herr Marquis«, versetzte Jocelyn. »Seine Majestät hat keinen getreueren Untertanen wie mich. Ich würde mir lieber die Zunge herausschneiden, als gegen ihn sprechen. Ich habe gesagt, dem König werde schlecht gedient von solchen Beamten, wie Sir Giles Mompesson und Sir Francis Mitchell, und ich bleibe bei meinen Worten. Sie enthalten nichts Nachteiliges für Seine Majestät.«

»Doch scheinen sie die Ansicht anzudeuten, dass Seine Majestät seine Beamten schlecht gewählt habe«, sagte Buckingham, den jungen Mann fest ansehend.

»Nicht so, Herr Marquis. Diese Männer mögen dem König günstig geschildert worden sein, der ohne Zweifel über ihr boshaftes Verfahren in Unkenntnis erhalten wird.«

»Worauf wollt Ihr hinaus, Herr?«, rief Buckingham fast zornig.

»Ich meine, Herr Marquis, dass diese Personen vielleicht die Kreaturen eines mächtigen Edelmannes sind, in dessen Interesse es liegt, ihre ungerechten Handlungen mit einem Mantel zuzudecken.«

»Beim Himmel! Dies scheint eine versteckte Beleidigung zu sein«, rief Buckingham. »Wer ist dieser junge Mann, Sir Giles?«

»Er heißt Jocelyn Mounchensey, Herr Marquis, und ist der Sohn eines alten Baronet aus Norfolk, der, wie Ihr Euch vielleicht erinnert, von dem Gerichtshof der Sternkammer mit einer schweren Geldstrafe belegt und eingekerkert wurde.«

»Ich erinnere mich der Sache und des Anteils, den Ihr und Sir Francis daran hattet, Sir Giles«, entgegnete Buckingham.

»Es ist mir sehr lieb, dies zu hören, Mylord«, sagte Jocelyn. »Ihr werdet Euch daher nicht wundern, wenn ich mich für den tödlichen Feind dieser beiden erkläre.«

»Wir lachen über diese törichten Beschuldigungen«, entgegnete Sir Giles, »und wenn es gestattet wäre«, fügte er, seinen Degen berührend, hinzu, »würde ich ein leichtes Mittel finden, ihn zum Schweigen zu bringen. Aber der tollkühne Bursche, dessen Gehirn von dem eingebildeten Unrecht verdreht zu sein scheint, ist nicht zufrieden, uns zu schmähen, sondern er erhebt seine Stimme gegen jede Autorität. Er hat verächtlich von der Sternkammer gesprochen – und das, Herr Marquis, ist, wie Ihr wisst, ein Vergehen, welches nicht übersehen werden kann.«

»Es ist mir leid«, versetzte Buckingham, »aber wenn er zurücknehmen will, was er gesagt hat, wenn er Reue zeigt und künftig Besserung verspricht, so will ich meinen Einfluss anwenden, damit ihm nichts zu Leide geschehe.«

»Ich will nimmermehr zurücknehmen, was ich gegen jenes ungerechte Tribunal gesagt habe«, versetzte Jocelyn mit Festigkeit. »Ich will lieber als Märtyrer sterben, wie mein Vater, in der Sache der Wahrheit.«

»Eure Güte ist gänzlich weggeworfen, Mylord«, sagte Sir Giles mit geheimer Freude.

»So bemerke ich«, versetzte Buckingham. »Unser Geschäft ist beendet«, fügte er zu den ihn umgebenden Edelleuten hinzu. »Wir können also zu unseren Barken gehen. Ihr, Mylord«, sagte er zu Lord Roos, »werdet ohne Zweifel dableiben wollen, um den Dank unserer hübschen Wirtin zu empfangen.«

Madame Bonaventure gnädig begrüßend, verließ er in Begleitung eines großen Zuges das Gasthaus, trat unter dem Zurufen der Zuschauer in seine Barke und wurde nach Whitehall gerudert.