Sir Henry Morgan – Der Bukanier 46
Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845
Sechsundvierzigstes Kapitel
Morgans schwankende Gesundheit. Seine Furcht vor dem Tod. Seine träumerischen Hoffnungen. Seine letzter Krankheit. Verschiedenheit der Ärzte und die seltsame Behandlung, welcher er unterworfen wird. Die Rache des Negers und die nächste Ursache zu dem elenden Tod unseres Helden.
Sir Henry Morgan hatte mit seiner Gattin seit mehreren Monaten zu Monmouth im Sprengel St. Thomas in verhältnismäßiger Abgeschiedenheit gelebt. Lady Morgan war eine wahre und fromme Christin, denn ihre Religion wurzelte wirklich im Herzen. Allerdings konnte sie sich für den Glauben, der in ihr lebte, seinen Grund angeben; aber darum war es ihr auch nicht zu tun, denn sie fühlte und betete oft. Wenn die Augenblicke der Bitterkeit den Geist unsres Helden bedrängten und die Vergangenheit in schrecklichen, anklagenden Gestalten vor ihm hintrat, pflegte er, aufs Kläglichste nach seiner Gattin zu rufen.
»Teure Amine, was ist Friede? Ich habe ihn nie gekannt. Vergnügungen, Triumphe, Entzücken – alles ist mein gewesen; aber Ihr, – verzeiht mir – Ihr, deren Gesichtskreis nicht über Euer Hauswesen hinausgeht, scheint stets heiter zu sein. Ist mein Leben wohl ein einziger großer Irrtum gewesen?«
»Ich fürchte sehr, Henry, dass dies der Fall war, und möchte Euch daher ans Herz legen – lernt beten.«
»Ah! Aber in welcher Weise? Wie der frömmelnde Covenanter, der götzendienerische Papist oder der zeitdienerische Episkopale?«
»Ich verstehe mich nicht auf religiöse Streitigkeiten, bin aber überzeugt, dass Disputieren und Religion etwas Verschiedenes sind. Ich möchte Euch sagen, betet wie der Covenanter ohne die Frömmelei, wie der Papist ohne den Götzendienst, und wie der Episkopale ohne seinen Zeitendienst – betet mit ihnen und für sie alle.«
»Aber wozu – o ich Elender – wozu? Und doch tut man gut, sich auf die sichere Seite zu halten. Angenommen, dass alles, was die Pfaffen sagen, wahr ist – hätte ich, der einst so wilde Bukanier Henry Morgan, wohl auch noch Aussicht, gerettet zu werden?«
»O welche köstlichen Worte sind dies! Ja, mein Geliebter – gewiss könnt Ihr es, wenn Ihr bereut.«
»Bereuen? Nein, nein – das kann ich nicht. Es war herrlich – beim Himmel, es war glorreich! Jede Tat wurde gut und mannhaft ausgeführt – jede Schlacht edel gefochten, selbst bis auf das kleinste Scharmützel. Könnte ich es wieder tun, so würde ich es mit tausend Freuden.«
»Aber das Foltern von Greisen und Frauen! O Henry!«
»Vergeltung, Madame, Vergeltung! Wer hat uns alles dies gelehrt? Die Spanier. Tausend und abertausend argloser, unschuldiger Mexikaner, könnten sie aus ihre Asche auferstehen, würden mich rechtfertigen und jubelnd bis ans Ende des Himmels verkünden, dass ich wohl getan habe.”
Verzeih mir, mein Gatte, das ist Sophisterei. Eure Opfer waren nicht die Vollbringer jener Schrecken an den Mexikanern.«
»Aber doch ihre Söhne oder ihrer Söhne Söhne Madame. Was sagt unser eigenes Gesetz von den Sünden der Väter, die heimgesucht werden sollen an den Kindern, sogar bis ins dritte und vierte Glied?«
»Ach wollte Gott, dass Ihr alle Eure Taten durch dieselbe gebenedeite Quelle rechtfertigen könnte. Beruft Euch nicht auf einen Teil derselben, sondern studiert sie ganz und glaubt mir, es können Euch noch viele Jahre des reinsten Glückes vorbehalten sein. Ihr steht erst in der Mitte des Lebens.«
»Schmeichlerin«, versetzte Morgan, indem er freundlich und augenscheinlich vergnügt zu ihr aufblickte, aber unmittelbar danach fuhr er mit großer Bitterkeit fort: »Arge, arge Schmeichlerin. Ist dieser schwere Atem das Zeichen eines langes Lebens, das schreckliche Gesicht des roten Nebels, das mich alle Morgen quält, eine Bürgschaft für die Siebzig? Und dann diese abgezehrte Gestalt diese hageren Züge – können Sie mir ein gesundes Alter in Aussicht stellen?«
»Ihr seid noch nicht achtundvierzig. Mäßigkeit ist für den Leib und Religion für den Geist die beste Arznei. Wenn Ihr mich je geliebt habt, so versucht es damit. Rafft Euch wieder auf. Wir wollen nach Euren Wales, mein Wales, so gut wie das Eurige, ziehen, und das Schloss Glenllyn wieder aufbauen. Eure Brüder sind noch am Leben und mit zahlreichen Familien gesegnet.«
»Es ist ein hübsches Gemälde und verdiente wohl den Versuch einer Verwirklichung. Wir müssen mit dem Doktor und dem Pfarrer anfangen – der Doktor ist leicht gewählt – aber der Pfarrer – da sitzt die Schwierigkeit – ha, ha, ha! Ist es nicht maßlos lächerlich, dass ich nach einen Pfarrer schicken soll? Indessen können wir den Anfang mit Albemarles Beichtvater machen. Unser herzoglicher Gouverneur hat das Papsttum hier in die Mode gebracht, und wie ich höre, geht es in England ebenso zu. Jedenfalls wollen wir ihn kommen lassen.«
»Nur nicht in dieser Stimmung, Henry Morgan.«
»Nun, und welche Stimmung würde Euch belieben, Lady Morgan?«
»Die der Demut und eines christlichen Geistes.«
»Ich will der Gehorsam selbst sein.«
Der gute Doktor Hans Sloane, der später den Ritterschlag erhielt, war mit dem Herzog von Albemarle zum zweiten Mal nach Jamaika gekommen, um dessen Familie als Arzt zu behandeln und in dem damals neuen Land zu botanisieren. Sir Henry begab sich mit einer kleinen Viper, einige Würmern, etlichen kunstgerecht gespießten Motten und Schmetterlingen und einer Handvoll dürrer Kräuter zu dem Doktor, der ihn um seiner Gaben willen höchstgnädig aufnahm. Nachdem Morgan dem Arzt gebührend Zeit gelassen hatte, um sein Entzücken über die neuen Erwerbungen, unter denen sich eine Flaschenbaummotte, die Größte auf der Insel, befand, in beredten Worten zu erschöpfen, begann er, von seinem körperlichen Leiden zu sprechen. Des Doktors Benehmen änderte sich augenblicklich. In einem Ton, welcher die größte Teilnahme und das angelegentliche Mitleid verriet, befragte er den Patienten über die besonderen Symptome seines Zustandes.
»Darf ich nach Eurem Alter fragen, Sir Henry?«
»Fünfundvierzig«, entgegnete unser Held keck; denn wer gestünde je mehr zu?
»Hm, mein teurer Sir Henry, auf Ehre, Ihr seht wenigstens wie Fünfzig aus – das heißt medizinisch gesprochen.«
»Zu frei gelebt, Doktor, nichts weiter. Ihr seht, wie abgezehrt ich bin.«
»Es wäre in der Tat Raum da für ein Zulegen.«
»Und diese gelbe Farbe – wenn ihr mich dagegen vor fünfzehn oder zwanzig Jahren gesehen hättet! Dieses Klima spielt den Teufel mit uns, Doktor!«
»Nicht doch, mein guter Sir Henry; Ihr seid es, der den Teufel in dem Klima spielt. Wisst Ihr auch, dass dasjenige, was in Eurem Augen weiß sein sollte, so gelb ist, wie eine Guinee?«
»Nein, das weiß ich nicht. Ich bin in der letzten Zeit ein solcher Kobold gewesen, dass ich mich in der Tat schon seit Monaten fürchtete, in einen Spiegel zu sehen. Obwohl noch flott, bin ich doch zusammengebrochen, Doktor. Feste Nahrung kann ich gar nicht genießen. Ich stehe morgens mit einem Schwindel im Kopf auf und alles scheint sich mir in einen roten Nebel zu hüllen, bis es endlich vergeht. Ich leide an einem beharrlichen Durchfall und gegen die Nacht zu wird mein Asthma schrecklich, obwohl ich mir durch eine Flasche Madeira oder so einige Erleichterung verschaffen kann.«
»Ihr schildert mir da einige sehr beunruhigende Symptome; das schlimmste darunter aber ist die Flasche Madeira oder so.«
»Ah, Ihr Doktoren bringt den Menschen halb mit Kasteien um und nennt es dann Gesundheit. Mag es mir noch so schlecht sein, so wird es stets bei der zweiten Flasche besser, und ich fühle mich ordentlich wohl bei der dritten – aber es hält nicht, Doktor, es hält nicht.«
»Sollte mich auch sehr Wunder nehmen. Da bemerke ich weiter – so mager Ihr auch seid, habt Ihr doch eine unbequeme Gedunsenheit vor Euch – Ihr seid entschieden wassersüchtig, Sir Henry Morgan.«
»Weiß es nicht. Ich wollte, das Feuer in meinem Gehirn trocknete das Wasser in meinem Bauch auf! In der Nacht ist die Qual am ärgsten, Doktor. Die Nächte sind schrecklich – das einzige Argument, welches mir je zwingend nahe legte, dass der Mensch eine von seinem Körper verschiedene Seele habe, gibt sich mir in der Qual meiner Nächte. Über körperliche Leiden könnte ich lachen, aber diese …«
»Das sind traurige Enthüllungen, mein lieber Freund, doch braucht Ihr nicht gerade zu verzweifeln. Beschwichtigt Eure Nerven durch eine heitere, aber ruhige religiöse Gemütsstimmung. Hofft auf alles, und auch ich will die Hoffnung nicht aufgeben.«
»Erst heute Morgen redete mir Lady Morgan zu, wir sollten miteinander nach Wales gehen und das alte Schloss in der Nähe meines Geburtsortes wieder aufbauen.« Dann fügte er mit peinliche Hast und einen Widerspruch befürchtend bei: »Mein lieber Doktor, war das nicht sehr abgeschmackt?«
»Durchaus nicht, Sir Henry, durchaus nicht. Zeigt jetzt nur ein klein wenig von dem Mut Eures früheren Lebens, und es kann noch alles gut werden.«
Dadurch sehr ermutigt, machte sich Morgan zu allem anheischig. Um einen guten Anfang zu machen, kehrte er zu seiner Gattin zurück und nahm sie zu seiner Religionslehrerin an. Was sie ausrichtete, werden wir später finden.
Kuriositätshalber wollen wir Sir Hans Sloanes eigenen Bericht über die Behandlung geben, welche er einschlug, um einen trunkliebenden Bukanier mit vielen schwarzen Taten auf dem Gewissen von seiner verwickelten Krankheit zu heilen.
»Ich fürchtete eine beginnende Wassersucht und riet ihm ein leichtes Vomitiv aus Oxymel squilliticum und dünnem Haferschleim, dem er mit einer Federspüle nachhelfen sollte, weil ich fürchtete, dass der Brechwein allzu sehr erschlaffen und zu reichliche Ausleerungen herbeiführen könnte. Dann gab ich ihm ein weiniges Infus von Enzianwurzel, herba Centaureii, usw. Das Vomitiv wirkte leicht und der bittere Wein, welcher einige Tage jeden Morgen genommen wurde, besserte seinen Magen, sodass er beträchtliche Zeit ganz wohl blieb.«
Lady Morgan ging den Bemühungen des Doktors edel an die Hand, indem sie zuvörderst auf strenger Mäßigkeit und gewissenhafter Beobachtung aller ärztlichen Vorschriften bestand. Sie wollte sich nicht auf doktrinelle Punkte und ebenso wenig auf eine Kontroverse über das Jenseits mit ihm einlassen, sondern bat ihn bloß, das Letztere als eine Gewissheit anzunehmen, wäre es auch nur um des Glückes willen, welches uns durch eine derartige Überzeugung in diesem Leben gesichert werde.
Wenn wir auch im Irrtum wären, würden wir nicht ebenso gut fahren wie der Ungläubige?«, konnte sie ihn mild fragen und dann in edlem Entzücken fortfahren: »Denkt nur an den unaussprechlichen Segen, der darin liegt, Henry. Es muss so sein. Es ist ein Prinzip unsres Daseins, diese Überzeugung zu fühlen. Wir bedürfen ihrer, so lange wir leben. Nehmt sie in der einen Form hinweg, so schaffen wir sie uns in einer andern. In Eurem törichten Aberglauben liefert Ihr selbst den Beweis, dass Ihr etwas haben müsst, was von diesem Leben gesondert ist, und außerhalb desselben liegt.«
Und so wurde der finstere Pirat allmählig geschmeidig. Er sagte, dass er glaube, und redete sich ein, dass er bereut habe. Das Bild von Glenllyn Castle, das er sich in mehr als früherer Herrlichkeit wieder aufgebaut vergegenwärtigte, wurde immer bestimmter. Er näherte sich zum ersten Mal in seinem Leben einer Stimmung, die einem vernünftigen Glück ähnlich sah.
Aber die Umstände verschworen sich gegen ihn. Er kämpfte ein wenig an, wurde aber überwunden. Von Natur aus und durch Gewohnheit war Sir Henry Morgan ein Tyrann – allerdings ein versöhnlicher, aber dennoch ein Tyrann, – und Tyrannen können am allerwenigsten eine an ihnen geübte Tyrannei ertragen. Unser Held erfreute sich einer gebesserten Gesundheit, lebte mäßig und gewann bald eine gewisse Heiterkeit des Geistes, sah sich aber nun mit einem Mal durch aufregende öffentliche Ereignisse aus seiner Abgeschiedenheit herausgezogen. Der herzogliche Gouverneur trieb die Assembly durch Bedrückung und Gewalttat zu offener Rebellion. Eines der Mitglieder war, nachdem es im Haus gegen die Anmaßung des Herzogs Widerspruch eingelegt hatte, ermordet in den Straßen gefunden worden, und ein anderes wurde aufgesucht, um wegen persönlicher Bemerkungen über den Gouverneur öffentlich ausgepeitscht zu werden. Dies war zu viel – und selbst Lady Morgan willigte ein, dass Sir Henry den öffentlichen und Privatmeetings, welche durch dieses Treiben hervorgerufen wurden, anwohnen sollte.
Unter reichlichen Verwarnungen, Einschärfungen und der bereitwillig erteilten Zusage, stets die größte Mäßigkeit zu beobachten, ging Morgan hin, sprach, wurde lebhaft und aufgeregt. Es folgte ein Souper, welches damit endete, dass unser Held im Zustand völliger Betrunkenheit unter dem Tisch liegen blieb. Diese Nacht kam er nicht nach Hause, und auch die drei nächsten blieb sein Fuß der heimischen Schwelle fremd. Die Debatten bei Tag und die Schlemmerei bei Nacht währten fort, bis seine Konstitution nicht mehr standhalten konnte. Er musste in einem Zustand der größten Gefahr zu seinen jammernden Gattin nach Hause gebracht werden.
Wir lassen nun Sir Hans Sloane wieder das Wort nehmen.
»Weil er es nicht über sich gewinnen konnte, sich von der Gesellschaft fern zu halten, blieb er lange in die Nacht hinein auf und trank zu viel. Nun kehrten nicht nur seine ersten Symptome wieder zurück, sondern er beklagte sich noch über … «
In der Tat stand er in so großen Gefahr, dass der zweitausgezeichnetste Arzt der Insel, Doktor Rose, beigezogen wurde. Nach einer langen Beratung verordneten sie ihm eine Cassia-Latwerge, oleum Juniperi, Cremor tartari usw., usw. nebst einer Fortsetzung der früheren Arzneien.
Unter dieser Behandlung ging es unseren Helden leidlich gut, aber er verderbte alles wieder durch sein Ungeduld, und die Scham über seinen letzten Rückfall erzeugte in ihm eine törichte Abneigung, der Beschwichtigung und den zärtlichen Trostworten seiner musterhaften Gattin Gehör zu schenken. Der Umstand, dass er an den aufregenden Ereignissen der Zeit nicht Anteil nehmen konnte, hetzte ihn fast in Wahnsinn. Sein Husten und seine Schweratmigkeit nahmen zu. Er berief nun einen anderen Arzt, welcher grundgelehrt von Hippokrates zu sprechen wusste und die Behandlung der früheren Ärzte für dasselbe erklärte, was die Krankheit des Patienten sei – nämlich für Wind. Man habe es damit nicht weiter zu tun als mit einer ordentlichen Tympanitis. Unter der neuen Behandlung ging es viel schlechter, und Sir Henry wurde nun ganz wütend.
Sir Hans Sloane, der eine wahre Freundschaft für unseren Helden fühlte und ihn nicht für rettungslos hielt, trat, ohne auf seine und Doktor Roses kränkende Entlassung Rücksicht zu nehmen, an die Hängematte des Patienten und überzeugte ihn auf möglichst freundliche Weise bald von der Unwissenheit seines neuen Doktors. Er schreibt darüber:
»Wir gaben ihn dann alle Diuretica, die wir in Jamaika finden konnten, Leinsamen und Wachholderbeeren, mit Rheinwein infundiert, milliped. ppd. in Pulver, Juniperus-Wasser, rieten ihm, Wachholderbeeren zu essen, und wandten äußerlich Skorpionöl mit unguentum de Althea an, durch welche Mittel er wieder genas.«
Wir müssen diese seltsame Behandlung der Wassersucht, in welchem Tausendfüße und Skorpione ebenso merkwürdige wie ekelhafte Bestandteile bildeten, der Nachwelt aufbewahren. Die Arzneien dürften übrigens hoch zu stehen kommen, und ich zweifle sehr, ob sie sich in unserer heutigen Pharmakopöen finden lassen. Sir Henry muss einen wunderbar guten Urstoff besessen haben, wenn wir bedenken – nicht was er durchmachte, sondern was er kriegte; doch wir dürfen uns nicht allzu sehr auf die Medizin einlassen.
Wir nähern uns nun der letzten traurige Szene. Unserem Helden waren schon zwei Warnungen zugegangen, die aber nicht zureichten. Weder die Tausendfüße noch die Skorpione konnten ihn von dem Madeira, den Branntwein und den Rumpunsch zurückschrecken. Er wies alle Vorstellungen von sich ab und verschmähte jeglichen Rat. Mit dem wilden Ungestüm des Wahnsinns sich seinen Ausschweifungen hingebend, konnte ihm nur durch die Wiederkehr seiner Wassersucht Einhalt getan werden, welche sich jetzt so schlimm gestaltete, dass sie ihm zu einer schweren Last wurde. Doktor Sloane war ihm ganz zuwider geworden, weil er stets und dringlich auf die unbedingte Notwendigkeit einer mäßigen Diät hinwies. Er spricht sich folgendermaßen aus:
»In seiner Angst schickte er nach vier anderen Ärzten, welche die Krankheit nicht für Wassersucht erklärten, weil seine Beine nicht geschwollen seien. Dies hatte aber nur in dem Umstand seinen Grund, weil er mit erhöhten Beinen in einer Hängematte lag und sich nur sehr wenig Bewegung machte. Sie rieten ihm ein Kataplasma aus dem ein heimischen Eisenkraut usw. auf den geschwollenen Bauch und wollten ihm an anderen Morgen ein Vomitiv geben. Indessen war es ein unglücklicher Tag für ihn und wäre es auch aller Wahrscheinlichkeit nach noch mehr gewesen, wenn er das Brechmittel eingenommen hätte; denn er verfiel natürlich durch das einzige Kataplasma in eine sehr gefährliche Dysenterie, die ihn fast das Leben gekostet hätte. So wurde denn dieses Verfahren aufgegeben.«
Morgan wurde nun im höchsten Grad kleinmütig, schickte alle seine Doktoren fort und wollte durchaus nichts mehr von ärztlichem Rat hören. Seine edle Gattin näherte sich ihm wieder und brachte es mit der Zeit so weit, seinen Geist teilweise zu beruhigen. Da er fast nichts genoss und sich ihm keine Fakultätsherren nähern durften, so hätte sich seine eherne Konstitution wohl wieder aufraffen können, wenn nicht eine geschwätzige, alte schwarze Tollhäuslerin von einer Wärterin in seiner Hörweite den Obeismus zur Sprache gebracht hätte.
Dies machte anfangs nur wenig Eindruck auf ihn; bald aber musste ihm die Alte wieder und wieder von den guten Wirkungen erzählen, welche dieses Verfahren da und dort zur Folge gehabt hatte. Er duldete es durchaus nicht, dass Lady Morgan die schwarze Hexe von seinem Bett entfernte.
Sir Henry war nicht wenig überrascht, als er hörte, dass Hecattykick, welchen er früher wegen seines Betruges so grausam züchtigen ließ, sich seit einiger Zeit in der doppelten Eigenschaft eines Obimanns und Arztes zu Kingston niedergelassen habe und unter den Unwissenden der höheren und niedrigeren Stände, bei denen er sehr im Ruf stehe, eine ausgedehnte Praxis besitze. Es währte einige Zeit, ehe sich Morgan mit dem Gedanken versöhnen konnte, nach dem gelehrten Doktor Hecattykick zu schicken; denn er kannte die rachsüchtige Natur eines beleidigten Negers und nahm klugerweise Anstand, sein Leben in die Hände eines Menschen zu geben, den er so hart behandelt hatte. Als sich aber seine Gesundheit ein wenig besserte, lebte auch sein Mut wieder auf, und der verhängnisvolle Schritt wurde endlich eingeschlagen.
Doktor Quashie Hecattykick erschien in einen ziemlich abgetragenen Galakleid von hellgrünem, reich mit Silber verzierten Samt und in einer seidenen Weste, deren Grund sich unter der grellen Stickerei nicht unterscheiden ließ. Sie war mit breiten Goldborten besetzt, und ihre Batten fielen weit über die krummen Dickbeine des Negers nieder. Seine Modesten bestanden aus einem sehr beschmutzten Scharlachstoff. Über denselben stiegen fast bis an die Batten seiner Weste ein paar fleischfarbiger seidener Strümpfe, die viel gestopft waren, aber doch nicht so sehr, um nicht an etlichen Stellen die schwarze Haut durchblicken zu lassen. Seine Schuhe waren ungeheuer groß, weil seine Unterfüße dieselbe Eigenschaft besaßen. Die Schnallen standen im Einklang mit den Schuhen. Um den Hals trug er eine Spitzenkrause, die aber so schmutzig war, dass sich die Beschaffenheit des Gewebes nicht gut unterscheiden ließ. Die Krone des Ganzen bildete eine wallende, reichlich mit Mehl bestreute Perücke, welche einen lächerlichen Gegensatz zu dem darunter steckenden kleinen, pechschwarzen Gesicht bildete. Unter seinem linken Arm steckte der winzigste dreieckige Hut, der sich nur denken lässt. Um den Leib trug er ein schwarzes Lederkoppel zur Führung eines Degens, der ihm aber leider, obwohl seine Negerfreiheit nicht beanstandet werden konnte, durch den Kirchspielkonstabel von der Seite genommen und über dem Kopf zerbrochen worden war. Seine Hauptglorie bestand aber in einem ungeheuren Stock mit einem goldenen Knopf, den er pomphaft vor sich her trug. Das Rohr war viel stärker und länger als das, welches der Leibarzt des Gouverneurs zu tragen pflegte. Als Doktor Quashie eintrat, drückte er den Knopf an seine flache, breite Nase.
Ein lauter Schrei der Bewunderung vonseiten der schwarzen Diener bewillkommnete ihn. Wie sehnten sie sich nicht alle, krank zu sein, um von einem so großartigen Arzt kuriert zu werden.
Schon sein Anblick tat Sir Henry Morgan gut, denn so schwach er auch war, brach er doch in ein langes und erfrischendes Gelächter aus. Dies brachte übrigens Doktor Hecattykick nicht im Geringsten aus der Fassung. Nach gebührender, feierlicher Einleitung erklärte er, sein Patient leide unter zwei Heimsuchungen: Einmal sei er »von einem verdammten schwarzen Neger verzaubert« und dann »brüte er Ameisen in seinem Innern« – Gebrechen, die er zuversichtlich zu beseitigen versprach, was aber nur gegen doppeltes Honorar geschehen könne. Der schlaue Spitzbube hatte seinem Opfer Geheimhaltung eingeschärft und während seiner Besuche die Abwesenheit von Lady Morgan und allen weißen Personen zur unerlässlichen Bedingung gemacht. Natürlich erhielt er auch freigebige Vorschüsse.
Was der Schuft mit der Verzauberung anfing, weiß niemand – wahrscheinlich nichts; aber was er mit Sir Henry trieb, war augenfällig genug. Der arme Mann musste wohl damals alle seine Besinnung verloren haben, sonst hätte er sich wohl nicht all den bestialischen Entwürdigungen unterworfen, denen sich sein leidender Körper unterziehen sollte. Wir können nicht alle die ekelhaften Operationen berichten, welche man mit ihm vornahm. Durch die Qualen, welche sie über ihn verhängten, fanden die Spanier, welche er gefoltert und lebendig verbrannt hatte, volle Rache. Die Letzte gab in der Sache den Ausschlag. Der schwarze Doktor brachte zwei so schwarze Gehilfen, wie er selbst war, nebst einem Eimer voll kalten Wassers und einem anderen voll fettem bläulichen Tones mit sich. Damit überstrichen sie nun den nackten Körper des unglücklichen Morgan auf die Dicke eines halben Zolls. Nur seine Augen, seine Nase und sein Mund blieben ungepflastert. Dann wurde er ohne andere Bedeckung als die des Tones in seine Hängematte gebracht. Die beiden Schwarzen blieben die ganze Nacht bei ihm, um die Schicht feucht zu halten, indem sie unablässig mithilfe einer großen Haarbürste Wasser darauf sprenkelten.
»Diese Behandlung«, bemerkte Sir Hans Sloane sehr naiv, »vermehrte seinen Husten.« Und wir schenken ihm gerne Glauben.
Doktor Quashie Heeattykick versprach mit der größten Zuversicht, dass durch dieses Verfahren die Kur fast augenblicklich herbeigeführt werden müsse. Niemand dürfe bis zum anderen Morgen um neun Uhr ins Zimmer treten; dann aber könne der ganze Haushalt kommen, um sich zu überzeugen, wie Sir Henry zum Frühstück gepfefferten Lendenbraten esse und Sangria trinke. All dies glaubten die Schwarzen und einige Narren unter den Weißen buchstäblich.
Sir Henry Morgan verbrachte eine lange Nacht in bitterer Qual. Sein Atem wurde so beengt, dass er nicht sprechen konnte; die Kälte erregte den heftigsten Schmerz in seinen Gliedern und drang bis in die Eingeweide. Hätte er sich erheben können, so würde er die zwei Dämonen, welche ihn so sorgfältig nass erhielten, ermordet oder wenigstens zu erschlagen versucht haben. Unmöglich lässt sich diese Nacht der Qual schildern; auch würde die Aufgabe zu peinlich sein, wenn sie möglich wäre.
Um sechs Uhr morgens kam Doktor Hecattykick, um seinem Patienten den letzten Besuch abzustatten. Er war augenscheinlich für die Reise ausgerüstet – keine Perücke, kein Stock: sein ganzer Anzug der eines achtbaren freien Negers. In seinem Gesicht lag eine heitere Teufelei, die ihn ganz abschreckend machte. Sir Henry lag regungslos und hin und wieder einen kurzen schweren Atemzug ausgenommen, scheinbar ohne Leben da; aber nie zuvor war seine geistiges Bewusstsein klarer gewesen.
»Hab ihr ihn noch lebig, he? Pirat sterb hart, Massa Cesar – ah! Annibal, ihr schwarze Negers, er noch nicht tot – denk, er wiss, was wir sag, Cesar? Wie fühl Ihr Euch, Massa Gubernör von alde Zeit, he? Hör, wie seine verdammt Zähn grit, grit, grit.
Wiss Ihr noch, Sär, wie Ihr peitsch arme schwarze Mann an Bord des Satisfaktion, he? Arm Quashie sehr heiß damals, Gabernör jetzt zu kalt, he? – Ihr will nicht sprech? – Da – zwick Eure verdammt hässlich Nas. Massa Sir Henry, Ihr liep Euer Doktor, he? Geb ihm goldene Uhr vor Liep. So, Cesar. Gubernör, erinner Ihr Euch, Ihr gelbfarbig Deiffel – geb mir Pflaster von Schwefel und Salz – für arm Negers wunde Rück – wie Euch jetzt gefall, Sär, Eure hibsche kalte Rock von schöne blaue Ton? Einer zahl der ander – verdammt! kein Peitsch keine Neger nicht mehr – bald jetzt sterb, Ihr Piratendeifel. Da, da, fahrt zur Höll – werd warm dort – Annibal, such – such!« –
Und die drei Diebe raubten nun in dem Gemach alles, was sich Tragbares von Wert vorfand, nebst einer großen Menge bar daliegenden Geldes. Nachdem dies geschehen war, übten sie noch allerlei Unbill an dem hilflosen, aber doch völlig bei Besinnung sich befindlichen Sir Henry Morgan. Als sie abzogen, teilten sie der Dienerschaft mit, der Kranke liege jetzt im Schweiß und in einem erfrischenden Schlaf. Man solle ihn nicht vor zehn Uhr stören, zu welcher Stunde der Doktor zurückkehren werde, um Zeuge seiner völligen Wiedergenesung zu sein.
Aber weder der Doktor Quashie Hecattykick noch seine zwei Gehilfen ließen je wieder in Jamaika etwas von sich hören.
Um zehn Uhr trat Lady Morgan mit einigen Freunden und Dienern des Hauses in Morgans Gemach. Sie fanden ihn nicht nur fast tot, sondern auch beinahe begraben, denn er war ganz in Ton eingebettet. Groß war nun die Verwirrung und die Klage.
Der Raub wurde zu gleicher Zeit entdeckt, und man sah klärlich ein, dass hier ein Meuchelmord beabsichtigt worden war.
Es dürfte vielleicht unglaublich erscheinen, dass durch warme Bäder und umsichtig angewendete Belebungsmittel Morgan sich wieder so weit erholte, um das ganze Verfahren des Schwarzen ausführlich zu beschreiben. Indessen sah man doch, dass seine Stunden gezählt waren und seine Kräfte schnell dahin sanken.
Dann sammelten sich die Advokaten um ihn, um ihm seine Unterschrift abzunehmen. Im Gemach herrschte Bestürzung, Weinen und Wehklagen. Aber die Rachsucht gegen den schwarzen Doktor schien Morgans Gedanken in so hohem Grad erfüllt zu haben, dass er nicht einmal den herben Schmerz seines Leidens empfand. Auf jede Frage über sein körperliches oder geistiges Befinden ächzte er nur eine schreckliche Verwünschung oder eine ungeduldige Frage heraus, welche Mittel eingeschlagen worden seien, um die schändlichen Meuchelmörder festzunehmen. Sein Sterbebett war das eines Gottlosen.