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Leben, Taten und Schicksale der merkwürdigsten englischen Räuber und Piraten … Teil 3

Leben, Taten und Schicksale der merkwürdigsten englischen Räuber und Piraten der frühesten bis auf die neueste Zeit
Nach amtlichen Urkunden und anderen glaubwürdigen Quellen von C. Whitehead
Aus dem Englischen von J. Sparschil
Leipzig. 1834

Sir Gosselin Denville

Sir Gosselin stammte aus einem adligen Geschlecht und war zu Northallerton im nördlichen Distrikt der Grafschaft York geboren. Seine Voreltern kamen mit Wilhelm dem Eroberer nach England, erhielten für ihre Dienste Land. Sie und ihre Nachkommen bis zur Zeit Sir Gosselins standen in allgemeiner Achtung. Sein Vater bestimmte ihn für den geistlichen Stand und sandte ihn auf die Schule, wo er seine Studien emsig und anscheinend auch mit Liebe betrieb. Da er jedoch der Erbe eines sehr beträchtlichen Vermögens war und von Natur aus Hang zum Laster hatte, so stellte er sich bloß so, um seinen Vater zu blenden, bis er im Besitz seines Erbes sein würde.

Lange konnte er indessen seine lasterhaften Natur nicht zügeln und zeigte bald seinen Hang zur Üppigkeit und Ausschweifung. Seine Aufführung war so arg, dass darüber das Herz seines Vaters brach. Wenn er nicht durch und durch verderbt gewesen wäre, so hätte ihn dieses Ereignis auf sich selbst aufmerksam machen müssen und ihn vielleicht auf die Bahn der Tugend führen können. Allein der Reichtum, den er erbte, lockerte die Zügel, die er ohnehin nie mit straffer Hand gehalten hatte, gänzlich. Er vergeudete in Saus und Braus mit seinem Bruder Robert bald alles, was ihnen ihr Vater hinterlassen hatte. Dadurch sahen sie sich genötigt, vom Straßenraub zu leben, wurden durch ihre Verwegenheit und Grausamkeit der Schrecken des Landes. Die Zahl ihrer Spießgesellen wuchs so an, dass selbst die Regierung darüber in Unruhe geriet.

Das erste bedeutende Unternehmen, wovon die Chroniken melden, war eines, zu dessen Ausführung sich Sir Gosselin mit Middleton und Selby, zwei Räuber jener Zeit, verband. Ihr Plan war, zwei Kardinäle, welche unter Eduard II. vom Papst nach England gesendet worden waren, zu berauben. Dies führten sie auch mit großem Glück aus. Sie plünderten Mönchs- und Nonnenklöster, Kirchen, Häuser und begnügten sich nicht bloß mit der Beute, sondern ermordeten auf die grausamste Weise alle, welche ihnen den geringsten Widerstand entgegensetzten.

Auch ein Dominikanermönch, namens Andreas Simpson, wurde von ihnen überfallen und musste ihnen das Geld geben, was er gerade bei sich führte. Da sie sich eine Kurzweil machen wollten, zwangen sie ihn, auf einen Baum zu steigen und aus dem Stegreif eine Predigt zu halten.

Der Mönch wählte zum Text folgende Worte der Schrift: »Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho und fiel unter die Räuber, welche ihn auszogen und verwundeten, und für tot liegen ließen.«

Dann erklärte er den Text und sagte, dass ein Levite zu Christus gekommen wäre und ihn gefragt habe, was er tun müsse, um des ewigen Lebens teilhaftig zu werden. Er empfahl ihm Liebe zu seinem Nächsten und erzählte ihm die Parabel, wovon der obige Text der Anfang ist: Selbst ein Priester und Levite gingen an dem armen Mann ohne Mitleid vorüber, während der Samaritaner gerührt wurde und was in seinen Kräften stand, tat, um seine Wunden zu heilen und seiner Not abzuhelfen.

Sodann teilte der Mönch seinen Text auf folgende Weise ein: erstens von der Gefahr des Reisens; zweitens von den Personen, durch welche diese Gefahr entsteht; drittens von der Gefahr selbst, ja von dem wahrscheinlichen Verlust sowohl des Vermögens als auch des Lebens.

Um den ersten Punkt auseinanderzusetzen, sagte er, dass in einer Stadt die Menge der Einwohner dem Fremden Schutz gewähre; anders sei es auf dem offenen Land, wo man nur eine geringe Strecke von seinem Haus entfernt sein und doch unter Räuber fallen kann. Der Mann, dessen der Text Erwähnung tut, wollte bloß von Jerusalem nach Jericho, welches drei Stunden weit von jenem liegt, aber er musste durch eine Wüste, worin Räuber ihr Unwesen trieben. Da traf ihn das erzählte Unglück.

Dann sprach er von denjenigen, welche ehrbare Reisende auf der Straße überfallen, und von Spielern, Säufern und anderen lasterhaften Personen, welche Räuber werden, um ihren Lüsten frönen zu können. »Wenn es schon unrecht ist«, fuhr er fort, »einen Menschen an seinem Erwerb zu hindern, so ist es eine noch schlimmere Tat, ihm sein Eigentum zu nehmen. Daher haben sowohl die Gesetze Gottes als auch der Menschen dies zu einem todeswürdigen Verbrechen gemacht. Es gibt drei Arten zu stehlen: erstens eines anderen Gut einfach wegnehmen; zweitens dabei Raub und Gewalt anwenden; drittens Gottesraub oder Wegnahme dessen, was zu heiligen Zwecken bestimmt ist. Des letzteren Verbrechens habt Ihr Euch nun schuldig gemacht. Doch seid Ihr nicht die einzigen Diebe in der Welt, meine edlen Herren. Fürsten, wenn sie unnötige Steuern ausschreiben; Untertanen, wenn sie sich weigern, die gesetzlichen Abgaben zu bezahlen; Kaufleute, welche falsches Maß und Gewicht geben; Herrschaften, welche ihren Dienstboten den Lidlohn vorenthalten; Dienstleute, welche die Arbeit oder das Interesse ihrer Gebieter vernachlässigen; Ärzte, Apotheker, Schneider, Fleischer, Advokaten und eine lange Reihe von Professionisten jeder Art gehören alle zu Eurer Brüderschaft. Sie sind in vielen Stücken nicht besser als Diebe und Räuber, welche des Reiches Gottes nicht teilhaftig werden können. Daraus folgt: Du sollst nicht stehlen. Dies ist ein Gebot, welches Gott für alle Arten von Dieben, sie mögen was immer für ein Gewand tragen, gegeben hat. Diejenigen, welche den Pfad der Redlichkeit verlassen und sich auf Diebstahl und Raub legen, können, wenn sie nicht zu einem vorzeitigen Ende am Galgen kommen, im Kampf getötet werden, oder es ereilt sie die Strafe Gottes auf eine andere Art; sie stürzen sich und ihre Familien in den Pfuhl der Schande und müssen in der anderen Welt ewige Pein dulden. Es kann geschehen, dass Ihr lange lebt und oft entkommt, bevor Ihr ergriffen werdet, aber Eurem Gewissen könnt Ihr nicht entgehen, es wird Euch allenthalben quälen und Euch mit Furcht und Besorgnis füllen. Unrechtes Gut nagt mehr am Gemüt als verlorenes. Über dieses kränkt man sich nur einmal, jenes erhält die Seele in beständiger Unruhe. Fasst sowohl das Ende wie den Anfang aller Dinge stets in das Auge. Der Anfang des Diebstahls ist die Aussicht auf das Gefängnis, wo Hunger, Durst, Handschellen, Ketten und Ungeziefer Eure Gefährten sein werden, außer ihr trefft einen so nachsichtigen Gegner, wie Eduard der Bekenner es war. Ich will Euch die Ge schichte zu Eurer Belehrung erzählen. Als Eduard eines Morgens im Bett lag, schlich ein armer Hofherr in das Gemach, ging zur Geldkiste, nahm daraus, so viel er tragen konnte, und kam, damit noch nicht zufrieden, zum zweiten Mal. Als er aber auch zum dritten Mal stehlen wollte, unterbrach ihn der König, indem er zu ihm sagte, dass er, im Falle sein Schatzmeister ihn ertappen sollte, gehängt werden würde. Unmittelbar darauf trat der Schatzmeister in das Gemach, aber Eduard gebot ihm, den Mann in Frieden zu lassen, weil er das Geld nötiger habe als er. Daraus folgt, dass Menschen Eures Gewerbes zuweilen entkommen können; bei längerer Fortsetzung desselben könnt Ihr aber nichts anderes erwarten, als dass die verdiente Strafe Euch zuletzt doch ereile. Gott straft nicht immer plötzlich, aber er straft gewiss, außer der Sünder bekehrt sich zur Reue.«

Man sollte glauben, dass eine solche Rede auf unsere Abenteurer Eindruck gemacht hätte, aber sie hatten in der Ruchlosigkeit zu große Fortschritte getan, um umzukehren. Sie setzten ihre Lebensart fort, machten sich von Tag zu Tag mehr gefürchtet und raubten mit solcher Kühnheit, dass Landsitze verlassen wurden und die Bewohner in befestigten Städten Sicherheit suchten. Sie schlugen die Truppen, welche zu ihrer Vernichtung ausgesandt wurden, und ließen sich von einem Unternehmen weder durch die Größe der Gefahr noch durch den Rang der Personen, auf die es gemünzt war, abschrecken. Als der König einen Reisezug in den Norden Englands unternahm, wurde er von einer Bande in Priesterröcken angefallen und samt seinen Edlen ausgeplündert. Diese Raubtat erzürnte den König im höchsten Grade. Es wurde durch eine Kundmachung jedem eine hohe Belohnung versprochen, der einen der Räuber einbringen würde. Gewinnsucht erzeugte Verräter in ihrer eigenen Mitte. Ehe noch ein Monat verging, waren sechzig von ihnen den Händen der Gerechtigkeit überliefert.

Das letzte Unternehmen Sir Gosselins, dessen die Geschichte gedenkt, war ein Angriff auf den Bischof von Durham. Sie nahmen ihm alles ab, was er von Wert bei sich führte und misshandelten sowohl ihn als auch sein Gefolge. Der Glücksstern des Ritters war aber bereits im Untergang begriffen. Er hatte viele Liebschaften, und darunter eine mit der Frau eines Wirtes, dessen Haus er weniger wegen der Güte des Bieres, als wegen der Sicherheit der Wirtin besuchte. Der Wirth versuchte sich jedoch zu rächen und verriet den Ritter und seine Männer, während sie in seinem Hause zechten. Der Sheriff umringte es mit fünfhundert Mann, aber die Räuber leisteten eine verzweifelte Gegenwehr. Erst nachdem zweihundert von den Belagerern fielen, auch ihr Häuflein zusammenschmolz und jedes Entkommen unmöglich war, ergaben sie sich. Sie wurden unter starker Bedeckung nach York geführt und dort sogleich, ohne vor Gericht gestellt zu werden, hingerichtet, und zwar zur großen Freude vieler Tausende, vornehmer und geringer Personen, welche das Schafott umringten und über ihr schmähliches Ende jubelten.