Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 60
Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845
60. Wie Rübezahl einmal ein armer Hund war.
Im Jahre 1645 gingen zwei böhmische Metzger übers Gebirge, um in Schlesien Vieh einzukaufen. Wie nun jeder, nicht bloß ein Handwerksmann, gern von seinem Fach spricht, so reden auch die Metzger von ihrem Vieh und kommen von den Schöpsen auf die Schweine, von den Ziegen auf das Rindvieh und vergessen dabei die ganze Welt um sich her. Nur manchmal wirft einer oder der andere seinen Blick auf die Seite der Straße oder geradeaus, ohne aus seinem Text zu fallen.
Da sagte der eine: »Schau Gevatter, was ist das dort auf dem Weg?«
»Ach«, versetzt der andere, indem er flüchtig hinblickt, »die kenne ich, sie sind im Rössel über Nacht gewesen. Es sind fürstliche Regierungs- und Schulräte.«
»Narr«, erwiderte der Erste, »sie haben vergoldete Hörner.«
»Ja«, versetzte der andere, »sie gehen mit Diäten auf Kommission«, und wollte wieder auf die gepflogene Unterhaltung zurückkommen.
Aber der Erste sagte: »Was redest du für Zeug, Bonifazel, schau nur, schau, es sind gewiss Meisterochsen.«
Der Bonifazel schaute nun erst in die Ferne, und die Sache klärte sich auf. Denn vor ihnen wankte langsam eine Kutsche in dem schlechten Weg hin. Ein Paar Ochsen mit vergoldeten Hörnern und mit Blumen geschmückt, schritten, von ein paar Treibern geleitet, auf die Männer zu. Es traf richtig ein, was der eine gesagt hatte. Es waren wirklich die auf sie Zuschreitenden ein Paar Meisterochsen. Die Metzger konnten, als sie sich ihnen völlig genähert hatten, sich gar nicht sattsehen an dem schönen Vieh. Sie reden nun auf dem ganzen weiteren Weg von nichts als von Ochsen. Wenn einer zugehört hätte, so hätte es ihm scheinen können, als wären sie aus dem Kuhländl da oben herunter, wo die Leute noch die altdeutschen schönen Lieder singen. Sie waren aber aus Böhmen. Indem sagt der eine, – der Kräuterklauber weiß nicht, welcher –: Schau, schau, Bonifazel, schau die schönen Schöps!«
Der Bonifazel schaute auch hin. Das Wasser lief ihm im Munde immer ärger zusammen, je länger er hinschaute, denn am Berghang weidete Rübezahl als Hirt eine Herde Schafe, die wirklich nicht schöner sein konnten.
Die Männer waren beide in Bewunderung versunken und gestanden sich ein, so etwas hätten sie doch noch nicht gesehen, und wenn einer auch sonst der schönste Schöps wäre, so müsse er sich doch hier vor diesen da verkriechen. Endlich fasste sich der eine ein Herz und fragte den Hirten, ob er die Schöpse verkaufe.
Und der sagt: »Ja.«
Nun redeten sie auf böhmisch miteinander, gingen etliche Mal um die Tiere herum, befühlten sie hinten und vorn, oben und unten, hoben sie mehrmals in die Höhe und meinten endlich, sie würden einige vierzig Stück kaufen, wenn der Hirt billigen Preis mache.
Der Hirt sagte, da sie sähen, wie schön die Schöpse wären, so dürften ihnen gewiss zwei Reichstaler für das Stück nicht zu viel sein. Sie handelten hierauf hin und her, und der Hirt schlug ihnen endlich die Schöpse das Stück zu vierzig Silbergroschen zu. Wer war froher als nun unsere Metzger.
Sie zählten also die Schöpse ab. Nachdem sie dem Hirten das Geld ausgezahlt hatten, trieben sie vergnügt ihre Herde vor sich hin. Nur eins war ihnen leid, nämlich dass sie nicht die ganze Herde gekauft hatten.
Sie waren schon ein großes Stück fort und sahen den Kamm des Hochgebirges nahe vor sich, so kam ein großer schwarzer Hund auf sie zugelaufen, als ob er sie beißen wolle. Die Männer setzten sich zur Wehr. Der Hund aber war gewandt und sprang bald auf diese, bald auf jene Seite. Indem sie immer auf den Hund schauten und wie sie ihm mit ihren Stöcken begegnen wollten, so liefen die scheuen Schäflein indessen nach allen Richtungen auseinander. Endlich wurde der Hund ruhiger und die Leute sahen sich nach ihren Schöpsen um. Aber wie scharf sie auch nach allen Richtungen hinschauten und wie oft sie sich auch nach allen Strichen der Windrose drehten, ihre Schafe waren verschwunden; aber auch des Hundes wurde keiner mehr gewahr.
So standen die Metzger fast leblos, und wenn sie der günstige Leser so hätte stehen sehen, so hätte er gewiss gedacht, die Schöpse wären noch da, so unschuldig standen sie.