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John Sinclair Classics Band 37

Jason Dark (Helmut Rellergerd)
John Sinclair Classics
Band 37
Die Totenkopf-Gang

Grusel, Heftroman, Bastei, Köln, 29.01.2019, 66 Seiten, 1,90 Euro, Titelbild: Ballestar
Dieser Roman erschien erstmals am 05.10.1976 als Gespenster-Krimi Band 160.

Kurzinhalt:
Verdammt! Der Mandarin ist entkommen und untergetaucht! John Sinclair hat es nicht geschafft, ihn endgültig zur Strecke zu bringen.

Jetzt lauert dieser teuflische Verbrecher auf seine nächste Chance. Im Geheimen bereitet er ein gigantisches Verbrechen vor. Mit Hilfe der Schwarzen Magie versammelt er neue Diener um sich. Schon bald hat er eine Bande zusammen, die an Brutalität alles bisher Dagewesene übertrifft. In der Londoner Unterwelt beginnt das große Zittern. Die Totenkopf-Gang ist auf dem Weg …

Leseprobe

Die Nacht hatte einen heißen Tag abgelöst. Über die dunklen Fluten der Themse strichen hauchdünne Ne­belschleier. Das Wasser gurgelte und schmatzte. Klatschend brachen sich die Wellen an der hohen, mit Algen bedeckten Kaimauer.

Wie eine graue Decke wirkte der Himmel. Nicht ein Stern funkelte. Es war drückend schwül, und die Luft war kaum zu atmen. Kein Windhauch brachte Kühlung, und die Themse stank wie eine Kloake.

Tief flogen die Schwalben, schnapp­ten mit ihren Schnäbeln nach Mücken und Fliegen.

Weiter östlich quietschten die Ver­ladekräne. Dort wurden auch in der Nacht Schiffe be- und entladen. Starke gleißende Scheinwerfer vertrieben die Dunkelheit. Doch die Lichtglocke reichte längst nicht aus, um die zahl­reichen stillgelegten Piers auch noch zu erleuchten.

Hier ballte sich die Dunkelheit, schluckte die Lagerhäuser und die zer­fallenen Holzbauten. Ratten hatten ihr Paradies gefunden. Fiepend und pfei­fend wieselten die fetten, ekligen Tiere über den mit Schlaglöchern übersäten Boden.

Dieser Teil des Londoner Hafens war schon lange dem Verfall preisgegeben. Die Stadt hatte die einzelnen Grund­stücke aufgekauft, wollte ein Handels­zentrum errichten, doch die schwache Finanzlage hatte dieses Vorhaben erst einmal verzögert.

Der Wagen näherte sich aus Rich­tung Osten. Es war ein dunkler Mer­cedes, und die vier Männer, die sich in dem Gefährt verteilt hatten, waren alles andere als Chorknaben.

Sie waren Gangster, gehörten zur Elite der Londoner Unterwelt.

Wie ein Pascha hockte Henry Graf im Fond des Mercedes und starrte durch die schusssichere Scheibe. Graf war eine Größe auf dem Rauschgiftmarkt, er kontrollierte den gesamten Londoner Süden und regierte mit eiserner Faust.

Dabei sah er aus wie ein Gentle­man der alten Schule. Graues, leicht gewelltes Haar, das sich an der Stirn schon lichtete. Ein schmales, gebräun­tes Gesicht, in dem hellblaue Augen funkelten. Außerdem zierte ein grauer Ziegenbart sein Kinn.

Henry Graf stammte aus Deutsch­land. Sein Vater war Deutscher gewe­sen, seine Mutter Engländerin. Die El­tern hatte es aber dann schon sehr bald nach London verschlagen, wo sie sich dann nach zwei Jahren getrennt hatten. Henry Graf war praktisch auf sich al­lein gestellt gewesen, und er hatte sich in seinen Kreisen durchgesetzt.

Jetzt, mit fünfundvierzig, hatte er es geschafft.

Graf blickte auf den breiten Rü­cken seines Leibwächters, der neben dem Fahrer saß. Unzählige Gedanken gingen dem Gangsterboss durch den Kopf. Er dachte an den unbekannten Anrufer, der ihn in die Hafengegend bestellt hatte. Zuerst hatte Graf die Anrufe einfach ignoriert, aber der Un­bekannte hatte nicht lockergelassen, bis Graf einverstanden gewesen war.

Tagelang hatte er sich den Kopf zerbrochen, wer hinter diesen Anru­fen stecken konnte. Am stärksten hatte er ja Jamie Tyler in Verdacht. Tyler – auch König von Soho genannt – war der zweite Rauschgiftfürst in London. Er hatte noch etwas mehr Macht als Henry Graf. Und das wurmte Graf. Irgendwann würde es zu einer Aus­einandersetzung kommen, da war sich Graf ganz sicher. Ein Burgfrieden unter Gangstern hielt nie lange.

Der Mercedes fuhr jetzt langsamer. Immer wieder musste der Fahrer allzu tiefen Schlaglöchern ausweichen. Er stieß dann jedes Mal einen wüsten Fluch aus.

Seufzend steckte sich Graf eine Zi­garette zwischen die Lippen. Der Mann, der neben ihm saß, gab ihm Feuer. Graf bedankte sich nicht einmal mit einem Nicken. Für ihn war es selbstverständ­lich, dass seine Leute wie Marionetten reagierten.

»Wann sind wir denn da?«, fragte er.

Der Fahrer hob die Schultern. »In wenigen Minuten, Boss. Es bleiben dann immer noch dreißig Minuten bis zum vereinbarten Zeitpunkt.«

»Seht euch aber die Gegend vorher an«, mahnte Henry Graf. »Ich möchte keine unliebsamen Überraschungen erleben.«

»Keine Angst, Boss, das geht schon in Ordnung.«

Henry Graf blies den würzigen Rauch durch die Nasenlöcher aus. Im­mer wieder kehrten seine Gedanken zu dem unbekannten Anrufer zurück. Was wollte dieser Kerl von ihm? Und weshalb hatte er ihn um Mitternacht in den verlassenen Hafen bestellt?

Graf spürte, wie eine prickelnde Spannung von ihm Besitz ergriff. Er schielte auf seinen neben ihm sitzen­den Leibwächter, der stur vor sich hinstarrte und auf den Knien eine Thompson-Maschinenpistole liegen hatte.

Ja, die Killer waren bestens ausge­rüstet. Sogar Handgranaten hatten sie mitgenommen.

Der Wagen rollte jetzt um einen Backsteinbau herum und hielt an. Die Scheinwerfer erloschen.

Sekundenlang sprach keiner der Männer ein Wort. Dann zischte Graf: »Los, steigt aus und seht euch die Um­gebung an. Bud und Torry, ihr versteckt euch in dem Bau.«

Der Fahrer und der Beifahrer nick­ten. Synchron öffneten sie die beiden

 Vordertüren. Augenblicklich drang die schwüle Nachtluft in das Innere des Mercedes.

Die Türen schnappten wieder zu.

Wie Schatten glitten die beiden Männer durch die stockdunkle Nacht und verschwanden in der Steinbaracke. Nicht ein Fenster war dort mehr heil, und das Dach war zum Teil eingestürzt.

Henry Graf lehnte sich in seinem Sitz zurück. Er drückte die Zigarette aus und ließ sich einen Whisky geben. Der Arzt hatte ihm zwar den Genuss von Al­kohol verboten, aber es gab Momente, da brauchte er einen Schluck.

»Soll ich auch draußen warten?«, fragte Killer-Pete, der neben seinem Boss sitzen geblieben war.

»Nein.« Graf schüttelte den Kopf. »Es reicht, dass du aussteigst, wenn die anderen kommen.«

»Rechnen Sie denn mit mehreren, Boss?«

»Natürlich. Glaubst du denn, einer allein bringt den Mut auf? Nein, das wird eine Gang sein.«

Killer-Pete grinste verschlagen. »Die werden ihr blaues Wunder erleben.« Mit der rechten Hand streichelte er den Lauf seiner Waffe.

Die Leute, die über Killer-Pete Bescheid wussten, hielten den Mund. In ihrem eigenen Interesse. Dabei sah Killer-Pete relativ harmlos aus. Er hatte flachsblondes Haar und trug eine getönte Goldrandbrille. Als Hobby gab er Tontaubenschießen an. Er gehörte sogar einem Verein an, aber manche meinten auch, dass Killer-Pete nicht ganz richtig im Kopf war. Laut wagte das natürlich keiner zu sagen.

Killer-Pete peilte nach draußen. Bald würde es Arbeit für ihn geben, er spürte das direkt.

Henry Graf blickte auf seine Uhr. Noch fünfzehn Minuten bis Mitter­nacht.

Hoffentlich sind die anderen pünkt­lich, dachte er. Keine Minute länger würde er hierbleiben. Schließlich wartete Rosy, das heiße Luder, auf ihn.

Graf wischte sich über den Mund. Langsam ergriff auch die Nervosität von ihm Besitz. Wenn er nur wüsste, wer ihn da angerufen hatte.

Ein Schatten tauchte neben dem Wa­gen auf. Es war Torry, einer der beiden anderen Leibwächter. Torry bückte sich und drückte seine eingeschlagene Nase gegen die Scheibe. Dann hob er die Schultern.

Graf öffnete die Tür. »Geh wieder auf deinen Platz!«, befahl er.

»Ich glaube, die haben uns verladen, Boss!«

»Hast du nicht gehört? Ver­schwinde!«

Torry zog wieder ab. Mit der rechten Fußspitze kickte er einen am Boden liegenden Stein weg.

Noch fünf Minuten!

Henry Graf wurde immer nervöser. Er hatte sich vorgebeugt, die Arme auf die Rückenlehne des Vordersitzes gelegt und starrte durch die breite Frontscheibe. Killer-Pete peilte durch die linke Seitenscheibe.

Doch die Männer irrten sich beide.

Das Verderben kam aus der Tiefe!

Hinter dem Wagen hob sich plötzlich der Kanaldeckel. Stein kratzte über Stein. Unendlich langsam wurde der Deckel zur Seite gedrückt.

Eine Hand tauchte auf.

Eine Knochenhand …

Die beiden Männer in dem Mer­cedes waren nach wie vor völlig ah­nungslos.

Jetzt lag der Deckel frei. Ein fins­terer Schacht gähnte. Die Spitze eines breitkrempigen Hutes wurde sichtbar – ein Gesicht folgte.

Ein Totenschädel …

Ein schwarzer langer Umhang ver­deckte das Gerippe. Bleich leuchteten die skelettierten Finger, die eine Maschinenpistole umklammert hielten.

Doch die Gestalt kam nicht allein. Drei weitere Knochenmänner verließen den Schacht. Auch sie hielten Maschinenpistolen in den Händen.

Das Grauen war gekommen und näherte sich unaufhaltsam dem par­kenden Wagen.

Die vier Knochenmänner hoben die Waffen. Die Zeigefinger lagen um die Stecher.

In diesem Moment drehte Henry Graf sich um. Er wusste selbst nicht, was ihn dazu getrieben hatte, vielleicht der Instinkt für Gefahr.

Auf jeden Fall sah er die vier Un­heimlichen und öffnete den Mund zu einem gellenden Warnschrei.

Und dann brach die Hölle los …

 

 

Vier Maschinenpistolen hackten gleichzeitig ihre Todesmelodie. Rote Feuerzungen leckten aus den Läufen, Kugeln heulten durch die Nacht und klatschten in die Rückscheibe der Mercedes-Limousine.

Das Panzerglas hielt.

Es bekam zwar Risse und wurde mil­chig, doch es schluckte die Geschosse.

Im Wagen hatte sich Henry Graf nach vom geworfen und war zwischen Vorder- und Rücksitz gekrochen.

»Verriegle die Türen!«, brüllte er seinen Leibwächter an.

Killer-Pete gehorchte. Auch ihm, dem abgebrühten Töter, stand das nackte Entsetzen im Gesicht geschrieben. So etwas hatte er noch nicht erlebt. Skelette griffen an. Das durfte es ein­fach nicht geben.

Die unheimlichen Todesboten schos­sen noch immer. Nur hatten zwei von ihnen jetzt Henry Grafs Killer aufs Korn genommen. Die Männer waren schon nach den ersten Schüssen aus dem Lagerhaus gerannt gekommen, hatten sich jedoch flach zu Boden geworfen, als die Bleihummeln über sie hinwegjaulten.

Torry hatte als Erster reagiert. Er war zurückgehechtet, in Deckung der großen verrosteten Metalltür. Bud lag noch auf dem Boden. Er hielt seine Maschinenpistole in den Händen und streute mit einer langen Garbe die Flä­che vor dem Mercedes ab.

»Komm in Deckung!«, brüllte Torry. »Scheiße!« Bud sprang plötzlich auf.

Er hatte einen der Kerle genau auf das Lagerhaus zurennen sehen. Die Mün­dung der Maschinenpistole zeigte zu Boden.

Bud stellte sich breitbeinig hin, fe­derte leicht in den Knien. Den Kolben der MPi hatte er in die rechte Hüfte gestemmt. Dann zog er durch.

Das Blei zuckte auf den Ankömmling zu, stanzte eine Naht von der Schul­ter bis hinunter zum Becken. Nach menschlichem Ermessen musste der Bursche tot sein.

Doch nichts geschah. Wenigstens nicht das, was Bud angenommen hatte. Die Kugeln hatten den Angreifer zwar gestoppt, aber nicht töten, geschweige aufhalten können.

Der Unheimliche kam weiter auf Bud zu.

Der Schießer war starr vor Entset­zen. So etwas hatte er noch nicht erlebt. Der Mann musste einfach tot sein, die Kugeln hatten ihn regelrecht perforiert.

Doch das Gegenteil war eingetreten. Der Mann kam auf Bud zu, diesmal hielt er seine Maschinenpistole schussbereit.

Vielleicht zehn Schritte war er noch von dem Gangster entfernt. Und nun sah Bud auch das Gesicht des Unheimlichen.

Ein bleicher Totenschädel grinste ihn an!

Bud begann seine Panik hinaus in die Nacht zu schreien. Er ließ seine Waffe fallen, riss die Hände vor das Gesicht.

Der Unheimliche blieb stehen. Dann drückte er ab.

Die Kugelgarbe hob Bud förmlich aus den Schuhen. Er wurde gegen den linken Türflügel geschleudert, der un­ter dem Gewicht nach innen schwang.

Und das Skelett schoss noch immer.

Einen Tod, den auch sein Kumpan Torry mit ansah. Er kauerte im toten Winkel, konnte zwar durch das Tor blicken, sah aber nur die Umrisse des Unheimlichen.

Personen

  • Henry Graf, Gangster
  • Killer-Pete, Bud und Torry, Grafs Kumpane
  • vier Knochenmänner, Skelette mit Maschinenpistolen
  • Jamie Tyler, König von Soho, zweiter Rauschgiftfürst Londons
  • Blondy, Girl in der Red Roof-Bar
  • Ricky Lord, Besitzer der Red Roof-Bar, Stellvertreter des Mandarin
  • Inspektor Spencer, Leiter der Bereitschaftspolizei
  • John Sinclair, Oberinspektor bei Scotland Yard
  • Hausmeister
  • Bill Conolly, freier Reporter, Hobby-Geisterjäger
  • Lana Leroy
  • Sir James Powell, Superintendent
  • Mandarin
  • Paul Casey, der Vierschrötige
  • Arzt
  • Georg, Bootsführer
  • Kathy, Mädchen
  • Mr. Dobbs, Schrottgroßhändler

Orte:

  • London

Quellen:

  • Jason Dark: John Sinclair Classics. Geisterjäger John Sinclair. Band 37. Bastei Verlag. Köln. 29. 01. 2019
  • Thomas König: Geisterwaldkatalog. Band 1. BoD. Norderstedt. Mai 2000