Der Arzt auf Java – Zweiter Band – Kapitel 10 – Teil 3
Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Zweiter Band
Kapitel 10, Teil 3
Die finstere Majestät der Umgebung, die fantastische Schönheit Coras, welche durch den ersterbenden Schein des Feuers beleuchtet wurde, sodass sie als eine Priesterin der Nacht erschien, ihre aufgeregte Stimme bei der Monotonie ihrer Anrufung. Alles diente dazu, Eusebius Einbildungskraft zu ergreifen und sein Herz zu erweichen. Zum ersten Mal, seitdem er Gavoet verlassen hatte, vergaß er den reichen Schatz, dessen Eroberung er entgegenschritt. Er stand atemlos da, geteilt zwischen einem unbestimmen Schrecken und einem neuen Gefühl, das sich in sein Herz schlich und ihn vom Kopf bis zu den Füßen erbeben machte.
Als Cora ihre Anrufung beendet hatte, nahm sie den Kranz, der ihr Haupt bedeckte, und warf ihn ebenfalls in das Feuer. Dann beobachtete sie, über die Flamme gebeugt, voller Angst sein Verbrennen. Plötzlich und als die letzten Funken die dunklen Blätter des Malatti verzehrten, stieß sie einen Freudenschrei ans, riss den halb verbrannten Kranz aus der glühenden Asche und eilte rasch den Fels herab.
»Sieh, sieh« sagte sie zu Eusebius, indem sie ihm die geschwärzten Zweige zeigte, »sieh diese Blume der Geodonia, die unberührt aus der Prüfung hervorging. Sieh, die Flamme hat sie verschont. Sie ist so weiß, so rein, wie da meine Finger sie von ihrem Zweig pflückten.«
»Nun!«
»Nun, das ist ein gutes Vorzeichen. Der Geist ist für dich gewonnen, du wirst gesund und wohlbehalten von deiner Unternehmung zurückkehren.«
»Aber du, Cora?«, sagte Eusebius.
»Ich! Was kommt darauf an?«, erwiderte Cora, indem sie zwischen ihren Fingern die wohlriechenden Kelche des Malatti zerdrückte, welche bei dieser Zeremonie wahrscheinlich sie selbst vorstellten, und die durch das Feuer entstellt, geschwärzt und verkohlt waren.
»Nein«, rief Eusebius, »lieber wollte ich auf diese Diamanten verzichten, wären sie auch so schwer und so zahlreich wie die aller Minen von Visapour, als dass ich ein einziges deiner Haare opferte!«
Bei diesem leidenschaftlichen Ausruf, den sie Eusebius endlich entrissen hatte, fühlte Cora sich ohnmächtig werden. Sie wankte auf ihren Füßen und ließ verwirrte Blicke umherschweifen, als ob die Besinnung ihr entfliehe. Ihre Stimme erstickte in ihrer Kehle und die Tränen, welche ihr Gesicht bedeckten, bewiesen ihre gewaltige Aufregung. Sie wollte sich ihrem Herrn zu Füßen werfen, doch dieser bückte sich und breitete die Arme aus, um sie aufzuheben. Bei dieser Bewegung streiften die Haare der Negerin das Gesicht des jungen Holländers. Ihre feuchten Wangen berührten Eusebius Gesicht und dieser fühlte einen brennenden Hauch. Es schien, als sollte auch er erliegen. Die ersterbenden Augen, die Cora auf ihn richtete, bezauberten ihn, wie die der Schlange den Vogel bezaubern, den sie sich zur Beute ausersehen hat. Beherrscht durch das Übermaß des sinnlichen Ausdrucks, welches jeder Zug des Gesichts, jede Haltung des Körpers der Negerin verriet, war es ihm unmöglich, sich dieser gefährlichen Berührung zu entziehen. Er fühlte seine Lippen erbeben unter dem heftigen brennenden Kuss von zwei Feuerlippen und eine Wolke breitete sich über seine Augen. Das Gefühl war so heftig und sein Körper war so davon galvanisiert worden, dass das Übermaß des elektrischen Stromes Eusebius rettete. Die Wollust wurde zum Schmerz und erweckte ihn, indem er ihn der Trunkenheit entriss, welche sich seiner zu bemächtigen begann. Erfasst von einem Schrecken, dessen Ursache er sich nicht zu erklären vermochte, stieß er plötzlich die Negerin zurück, indem er die Arme loslöste, mit denen sein Hals umschlungen war.
Einige Augenblicke blieben sie einander gegenüber; Eusebius aufrecht und indem er sich zu erholen trachtete, Cora auf dem Rasen liegend und in einer so vollkommenen Regungslosigkeit, dass ihr Herr sie für ohnmächtig hätte halten müsse, wenn nicht die Seufzer und das Schluchzen, die sich ihrer Brust entrungen, ihm bewiesen hätten, dass sie das Bewusstsein nicht verloren hatte.
Eusebius hörte in der Entfernung einiger Schritte das Murmeln eines Baches, eilte zu demselben hin und tauchte seinen Kopf in das Wasser. Die Frische desselben befreite ihn von dem Blut, das zu seinem Gehirn geströmt war. Er atmete freier, allein indem er zu dem Gebrauch seiner Vernunft zurückkehrte, fühlte er weder Unwillen noch Zorn gegen die Sklavin.
»Ich bin nur ein Dummkopf«, sagte er halblaut zu sich selbst. »Beinahe wäre ich durch dieses Possenspiel gefangen worden. Die Diamantengrube ist nichts als eine Fabel, um die Gelegenheit zu finden, sie mit Bequemlichkeit aufführen zu können. Aber ich kann deshalb diesem armen Mädchen nicht zürnen. Ihre Liebe ist zu wahr und zu aufrichtig, als dass ich ihr den geringsten Vorwurf darüber machen könnte.« Dann näherte er sich Cora und sagte: »Komm, mein Kind, stehe auf und lass uns versuchen, noch vor Tagesanbruch nach Gavoet zurückzukehren.«
»Und weshalb?«, fragte die Sklavin erstaunt.
»Weil es nutzlos ist, diesen Scherz zu verlängern.«
»Von welchem Scherz sprecht Ihr, Herr?«
»Von dem, den du dir mit mir gemacht hast, indem du von diesen kostbaren Steinen sprachst, ein Scherz, den ich dir verzeihe, Cora. Der einzige Diamant, den du mir zu bieten hattest, ist deine Liebe, und du weißt wohl, dass es mir verboten ist, mich mit diesem zu schmücken, weil ich Esther gehöre, und weil ich ihr die Treue bewahren will.«
Bei dem Namen Esthers erhob Cora sich hastig. Eine Umwandlung ging in ihrem Gesicht vor, welches soeben noch zärtlich und wollüstig gewesen war, nun aber finster und drohend wurde. Sie zog aus ihrem Gürtel einen kleinen Kris mit silbernem Griff und reichte ihn ihrem Gebieter.
»Stoße mir dieses Eisen in das Herz«, sagte sie, »ich will es lieber hineindringen fühlen als deine Worte, die kalter und schärfer sind als das Eisen. Weshalb willst du mir die Freude rauben, durch welche die letzten Augenblicke derjenigen versüßt wurden, die dem Tod entgegengeht, indem sie dich zu den Reichtümern des Berges Taikoekoie führt!«
»Du lügst!«, rief Eusebius mit einer Stimme, die umso härter war, da er die Vermutungen seiner Habgier ersticken wollte, welche sich des Zugeständnisses weigerte, dass Cora die Absicht gehabt hätte, ihn zu betrügen.
In diesem Augenblick ließ ein dumpfes Grollen, ähnlich dem des fernen Donners, sich am Horizont vernehmen. Cora erbebte. Ihre Zuversicht verließ sie, ihre Arme sanken an ihrem Körper herab, ihr Kopf neigte sich auf die Brust.
»Du hast recht, Herr«, sagte sie mit kaum hörbarer Stimme, »lass uns nach Gavoet zurückkehren. Es muss sein.«
Diese Ergebung der jungen Negerin schien einen lebhafteren Eindruck auf Eusebius zu machen, als ihre vorhergehenden Versicherungen es vermocht hatten. Eine Minute lang hatte sein Herz sich aufs Neue der Hoffnung geöffnet. Es wurde ihm schwer, sich darein zu fügen, sie noch einmal erlöschen zu sehen.
»Also«, sagte er mit dem Ton des Vorwurfs, »hat Cora schmachvoll mein Vertrauen so gemissbraucht?«,
»Lass uns gehen, ich beschwöre dich, Herr«, erwiderte das junge Weib, welches vor Schrecken halb wahnsinnig zu sein schien. »Lass uns gehen und keine Sekunde verlieren.«
Nun war es nicht mehr ein dumpfes Grollen, welches sich hören ließ, sondern ein furchtbares donnerndes Gebrüll, das die Luft in der Entfernung von hundert Schritten hinter den beiden Wanderern erschütterte, gerade in der Richtung, in welcher Cora ihren Gefährten fortzuziehen sich bemühte.
»Ein Tiger!«, rief Eusebius, indem er den Dolch aus der Scheide zog und die Hand der Sklavin ergriff.
»Er, er!«, murmelte Cora mit so leiser Stimme, dass Eusebius sie nicht verstehen konnte.
Inzwischen wurde das Gebrüll, welches erst gellend und drohend gewesen war, dumpf. Das raue Knarren, noch immer furchtbarer, näherte sich mehr und mehr. Es schien, als sei das wilde Tier bis zum Saum des Waldes vorgedrungen. Eusebius erwartete es aus dem hohen Heidekraut, welches das Holz umsäumte, hervordringen und auf die Lichtung springen zu sehen.
»Stell dich hinter mich, Cora«, sagte er zu seiner Gefährtin.
»Nein, nein«, sagte diese, welche aus der ungeheuern Größe der Gefahr neue Kraft geschöpft zu haben schien, »nein, lass uns unseren Weg folgen. Rakschase, der Geist des Berges, war mit uns und wir haben nichts von den wilden Tieren zu fürchten. Sieh nur, Herr.«
Dabei deutete sie mit dem Finger auf einen phosphorartigen Schein, der in der Richtung des Berges auf und nieder schwebte, bald den Boden berührend, bald sich bis zu der Spitze der hohen Palmbäume erhebend.
»Aber wohin sollen wir nach der Zeit?«
»Auf den Taikoekoie. Ehe die Sonne die Hälfte ihres Laufes vollbracht hat, wirst du deine Hände in das Becken tauchen, welches den furchtbaren Reichtum enthält, von dem ich dir sagte. Ich sprach die Wahrheit, Herr, ich schwöre es dir – bei der Liebe, die mein Herz erfüllt. Lass uns gehen; er eilt, es muss sein.«
Ungeachtet dessen, was diese letzten Worte für Eusebius Unverständliches hatten, zögerte er nicht. Entflammt durch eine neue Begier folgte er Cora, welche sich durch den tanzenden Schein führen ließ, den sie ihrem Herrn gezeigt hatte, die ersten Abstufungen des Taikoekoie erstieg und ihm durch die Schlingpflanzen, die den Wald zu einer undurchdringlichen grünen Masse machen, einen Weg bahnte.