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Stephen King – Das Institut

Stephen King
Das Institut
Horror, Hardcover, Heyne, München, September 2019, 768 Seiten, 26,00 Euro, ISBN: 9783453272378, Übersetzung aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt

Übersinnlich begabte Kinder, eine geheime Organisation, die sich ihrer Kräfte bedienen will – und ein junger Rebell, der aus einer ihrer Einrichtungen ausbricht: Das sind die Zutaten für Stephen Kings neuen Roman Das Institut. Daraus könnte eine große Geschichte werden. Aber King hat sich anders entschieden. Zumindest für den Großteil des ziegelsteindicken Buches.

Der zwölfjährige Luke Ellis liefert seinen Eltern allen Grund, stolz auf ihn zu sein. Durch seine Hochbegabung ist er für die besten Schulen des Landes vorgesehen, die Vorbereitungen für seine Aufnahme an den Hochschulen laufen bereits. Aber Luke ist nicht nur schlau, sondern besitzt auch noch eine andere Gabe: Er kann durch Gedankenkraft Gegenstände manipulieren, wenn auch nur ganz leicht. Es reicht, um ein Pizzablech vibrieren zu lassen.

Luke ist nicht das einzige Kind in Amerika, das solche Dinge tun kann. Auch andere, von denen er nichts weiß, sind leicht telepathisch und telekinetisch veranlagt. Und sie gehen im Wust der jährlich verschwindenden Kinder im Land unter, von denen es Tausende gibt. Sie geraten ins Visier einer geheimen Organisation, die sie einsammelt und in eine Forschungseinrichtung in den abgelegenen Wäldern von Maine verfrachtet. Dabei gehen die Einsatzteams rabiat vor. Lukes Eltern werden erschossen, nach außen hin lässt man es so aussehen, als habe der Sohn es getan und sei untergetaucht.

Luke erwacht im Institut, das aus einem Vor- und einem Hinterbau besteht. Im Vorbau lernt er weitere Kinder kennen, darunter die zynische Kalisha und den rebellischen George. Immer wieder kommen und gehen Kinder, die hier wie in einer Art Erziehungsanstalt verwahrt werden. Sie werden von Pflegern und Ärzten zu Experimenten gezwungen, die ihre Kräfte verstärken sollen. Wozu das alles gut ist, weiß Luke nicht. Er merkt nur, dass seine Fähigkeiten sich verändern, und das alles, was hier geschieht, am Ende dazu führen wird, dass er und seine neuen Freunde sterben.

Als Luke sich mit dem erst zehnjährigen Avery anfreundet, der neu in das Institut kommt, und sie auf einer telepathischen Ebene Zugang zueinander finden, reift in Luke eine Idee heran: Er plant einen Ausbruch, um der Welt dort draußen mitzuteilen, was hier im Geheimen getrieben wird. Unterstützung bekommt er dabei von einer der Hauswirtschafterinnen, die für die sauberen Zimmer der Kinder sorgen. Sie überreicht ihm einen USB-Stick mit brisantem Videomaterial aus dem Hinterbau. Luke gelingt tatsächlich die Flucht aus der Einrichtung. Es beginnt eine Odyssee durch mehrere Staaten, die Häscher der Organisation sind ihm immer auf den Fersen.

Danny Torrance aus Shining, Charlie McGee aus Feuerkind, Carietta White aus Carrie: Kinder mit übersinnlichen Fähigkeiten haben bei Stephen King seit jeher eine große Rolle gespielt. Luke Ellis reiht sich da nahtlos ein und führt diese Tradition fort. Mit einer Ausnahme: King hat Luke als hochbegabte Figur angelegt, und das nicht ohne Grund. Einem herkömmlichen Zwölfjährigen ohne so ein breites Wissen und analytische Kenntnisse wäre eine Flucht aus dem Institut kaum möglich, sonst wäre es bereits einmal dazu gekommen. Das belastet den Leser von Anfang an: Zu wissen, da ist jemand, der ist schlauer als alle anderen jemals. Ihm wird doch sicher etwas Neues gelingen. Das drosselt die Spannung.

Die Entscheidung, in den Roman mit einer anderen Figur einzusteigen, die erst im letzten Teil des Buches wieder wichtig wird, geht in Ordnung, zumal sie einen ebenfalls schon erkennbar Kingschen Bogen schlägt: Einsamer Mann mit Problemen kommt neu in die Stadt. Na, wer erinnert sich beispielsweise noch an Die Arena? Erst nach diesem Prolog lernen wir Luke und seine Eltern kennen, einige Seiten später sind wir dann schon im Institut und das Leiden des Jungen beginnt.

Es ist diese erste Hälfte des Romans, die nicht richtig funktioniert. Lukes Martyrium zwischen Spritzen, Schlägen und undurchsichtigen Tests erinnert an Situationen aus Kafka-Romanen. Während Luke als Figur kaum Tiefe erhält – was auch für seine Mit-Insassen gilt – zieht King die Quäl-Schraube immer weiter an, bis es endlich nach mehreren Hundert Seiten zum Ausbruch Lukes kommt. Hier dauert vieles einfach zu lang, die Szenen ziehen sich, die Spannungskurve ist zu flach und bald ist einem fast egal, wie es für die gefangenen Kinder weitergeht. Das ist für den weiteren Verlauf recht fatal, weil eine Identifikation mit den Charakteren nicht so richtig klappen will.

Sobald sich die Handlung aber aus dem Institut hinaus verlagert, beziehungsweise sich mit Lukes Flucht die Dynamik zwischen den Figuren ändert, weiteres Personal hinzukommt und die Szenerie viel breiter wird, kommt der Roman in Schwung. Die letzten 250 Seiten lesen sich dann wie im Flug, schnelle Szenenwechsel, große Ereignisse, spannende Szenen und auch einige Actionsequenzen zeigen, wie die ganze Geschichte auch hätte aussehen können, wenn man die ersten zwei Drittel ordentlich gestrafft hätte. Auch des – etwas schwafelig-erklärenden – Epiloges hätte es nicht bedurft. Hier holt King etwas zu platt die Ethik- und Moralkeule heraus. Sei’s drum, manche Leser brauchen das vielleicht doch, um den Text einordnen zu können.

Abgesehen von den offensichtlichen Schwächen macht Das Institut fast subversiv dennoch Spaß. Das liegt an den mal ganz klaren und mal versteckten Anspielungen auf die aktuelle politische Situation in den USA und in der Welt: Internierte Kinder konnte sich US-Präsident Donald Trump an der mexikanischen Grenze sehr gut vorstellen. Medizinische Experimente an Gefangenen zum Wohl der Allgemeinheit? Wir kennen Ideologien, die davor ebenfalls nicht zurückgeschreckt haben. Es sind diese Assoziationen, die King (bis auf den Epilog) unkommentiert mitlaufen lässt. Darin kanalisiert er erkennbar seine persönlichen Ängste, wie es um uns und unsere Welt steht. Das wirkt, auch über die letzte Seite hinaus.

Fazit:

Zunächst aber sollte ein King-Roman spannend und unterhaltsam sein. Wenn dann noch etwas zeitgenössische Kritik mitschwingt – umso besser. Leider hat Das Institut so viel unnötige Überlänge auf den ersten 500 Seiten, dass es auch für den absoluten Fan schwer wird, wirklich am Ball zu bleiben. Wer durchhält, wird dann zwar mit einem rasanten Finale belohnt, aber für einen Stephen King-Roman reicht das nicht. Vieles von dem, was Das Institut bietet, hat King außerdem so oder so ähnlich schon einmal erzählt – und zwar besser und prägnanter. Am Ende bleibt Das Institut viel zu lang, für das, was es erzählt, und über die gesamte Strecke unter Kings Möglichkeiten. Es ist sein schwächster Roman der letzten Jahre.

(sv)