Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 14 Teil 1

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

Der Jagdzug und seine Folgen. Gardiners Hinterlist.

Nach dem Befehl Heinrichs sollte an dem Beerdigungstag seiner Gemahlin in Greenwich Abbey eine feierliche Totenmesse gehalten werden, der er selbst sowie der gesamte Hof in tiefer Trauer beiwohnen wollte.

Anne hatte sich von ihrem Unwohlsein erholt, legte aber eine tiefe Melancholie an den Tag, welche man an ihr nicht gewöhnt war. Als sie jedoch von ihrer Dienerin den Befehl des Königs vernahm, sagte sie kurz und scharf: »Da ich nicht im Herzen traure, werde ich auch mit dem Tod nicht die Komödie spielen und Trauerkleider anlegen. Ebenso wenig werde ich zur Kirche gehen, um für die Ruhe der Seele zu beten, die im Leben die meine getrübt und meine größte Feindin war.«

»Liebe Anne, bedenke den Willen des Königs!«, sagte ihre besorgte Mutter, Lady Boleyn. »Es ist nicht weise, dass du dessen Ungnade mit Gewalt auf dich ziehst. Sei wenigstens bei dieser Gelegenheit vorsichtig.«

»Ich will und mag nicht heucheln«, sagte Anne, »doch lasse ich jedem dabei freie Wahl. Wer unter meinen Damen trauern will, mag es tun. nur in meiner Gegenwart dulde ich kein Trauergewand. Die Messe kann ebenfalls besuchen, wer Lust dazu empfindet oder sich vor dem Stirnrunzeln Seiner Majestät fürchtet.«

»Sie ist wahnsinnig«, murmelte ihr Oheim, indem er sich verdrossen abwandte. »Sie sieht die Kluft nicht, welche zu ihren Füßen gähnt, und lässt sich auch nicht warnen.«

Vergebens versuchten die Eltern, welche um ihre Tochter besorgt waren, dieselbe milder und nachgiebiger zu stimmen. Anne blieb bei ihrem Vorsatz und ließ sich bei dem König als unpässlich melden.

Nach beendeter Messe, der ein großer Teil des Hofes beiwohnte, verfügte sich Heinrich zu seiner Gemahlin. Die feierliche Handlung hatte ihn weich gestimmt. Liebe sprach wieder in seinem Herzen für die Mutter des erwarteten Sohnes. Aber die freundlichen Worte erstarrten auf seine Lippen, als er diese sowie die Damen ihrer nächsten Umgebung in gelbe Gewänder gekleidet fand.

»Ich hatte Trauerkleider befohlen!«, sagte er finster um sich blickend.

»Und wir gehorchten Eurem Willen, Majestät«, erwiderte Anne mit einem süßen Lächeln, »obwohl wir die düstere Farbe der Nacht verwarfen. Die Farbe zur Trauer ist verschieden in allen Ländern. Wir wählten daher die gelbe nach der Sitte eines alten Volkes.«

Heinrich erwiderte kein Wort und blieb den übrigen Teil des Tages einsilbig und düster, wie sehr sich auch Anne bemühen mochte, ein Lächeln auf seine Lippen zu bringen. Der alte Zauberbann war gebrochen und Heinrich hatte zu deutlich erkannt, dass Anne kein Herz besaß. Umso mehr zog, ihn Janes Sanftmut und Ergebung an. Zwar unterließ er die heimlichen Rendezvous im Pavillon aus Rücksicht für Anne, allein man bemerkte bald, dass er oft seine Tochter aufsuchte, in deren Gemach Jane Seymour verweilte.

Wusste Anne dieses oder nicht? Niemand erfuhr es. Sie erwiderte nun des Königs kühles, aber artiges Benehmen gegen sie mit gleicher Feinheit und Zuvorkommenheit. Aber es war ein peinlicher Zustand für alle, welche im Stillen das Spiel verfolgten, eine verhängnisvolle Schwüle, ein verräterischer Frieden und Waffenstillstand.

Heinrich betrieb noch immer mit derselben Leidenschaft das edle Weidwerk. Nun, wo er weniger Genuss in Annes Gesellschaft empfand, steigerte sich seine Jagdlust fast bis zum Wahnsinn. Er blieb oft Tage lang aus und brachte die Nächte in einem rasch aufgeschlagenen Zelt von Leinwand zu. Auf diesen Partien begleiteten ihn außer Lord Norris und andere des Hofes die Brüder Janes und deren Vater.

Es traf sich, dass in der Markung Sir John Seymours ein vortreffliches Jagdrevier war, und der König wurde dahin eingeladen. Bei dieser Gelegenheit bot die Familie Seymour alle Mittel auf, um sich fester in die Gunst des Monarchen zu setzen. Namentlich gelang dies dem jüngeren, ehrgeizigen Seymour, dem nachher so berühmten Großkardinal von England und Gatten der Katharine Barr.

Anne, obwohl sehnsüchtig nach dem Genuss der Jagd und deren aufregenden Freuden schmachtend, hatte, gehorsam den königlichen Wünschen, sich derselben entzogen. Aber ihre wachsamen Feinde gewahrten diese weibliche Hingebung nur mit stiller Furcht. Lady Rochefort unternahm es, die unglückliche Frau zu einem Schritt zu bringen, der das Gewitter vollends über ihrem Haupt zusammenzog.

Eines Tages sprach man im Kreise der Damen von einem besonders prachtvollen Jagdzug, der wieder nach Epping Forrest abgehen wollte.

»Wie schade«, sprach Lady Rochefort, »dass Eure Majestät davon ausgeschlossen sein muss. Die Kavaliere behaupten, die Jagd sei nur eine halbe Lust ohne die Gegenwart der schönen Amazone Lady Anne.«

»Ja, das war ich wohl früher«, antwortete diese mürrisch, »aber nun ist es für mich vorbei, ich gebe in diesen Tagen zu Pferde keine graziöse Gestalt ab.«

»O, ich glaube, Majestät sind zu ängstlich über ihren Zustand?«, lautete die Antwort. »Eine gesunde Bewegung in frischer Luft, ein mäßiger Ritt in lustiger Gesellschaft könnte dem künftigen Erben nur gut bekommen. Wie wäre es, wenn Ihr Morgen mitrittet?«

»Das würde der König nicht gutheißen.«

»Es gehen viele Damen mit, auch verheiratete«, fuhr Lady Rochefort fort. »Ihr müsstet Euch vorsichtig dabei benehmen und im Wald während der großen Hitze ausruhen.«

»Was meint Ihr, Mary Gaynsfort?«, fragte Anne unentschlossen.

»Majestät!«, gab diese zur Antwort, »es ziemt mir nicht, Euch einen Rat erteilen zu wollen, aber wenn ich meine demütige Meinung äußern darf, so würde ich den Rat des Arztes einholen.«

»Wozu!«, fuhr Lady Rochefort sie barsch an. »Es kommt nur ganz auf Lady Annes Befinden und Gefühl an. Der König würde sich freuen, seine Gemahlin wieder bei sich zu haben. Er ist so sehr an Frauengesellschaft gewöhnt.«

»Ich reite mit!«, rief Anne entschlossen aus. »Ich kann dieses Leben, diesen stillen Tod nicht länger ertragen. Ich muss hinaus in die freie Luft, wie sonst.«

Vergebens baten und beschworen einige redlich gesinnte Seelen die junge Frau, von ihrem Vorhaben abzustehen. Anne blieb bei ihrem Entschluss und wusste selbst durch ihre Schmeicheleien Heinrichs zögernde Erlaubnis zu gewinnen.

Noch einmal versuchte die treue Gaynsfort ihren Einfluss bei der Gebieterin, als sie dieselbe abends entkleidete. »Wenn es Euch schadete, edle Frau? Bedenkt die Folgen!«

»Mary!«, sagte Anne ernst, indem sie ihren Arm um den Nacken des Mädchens legte, »ich habe die Liebe meines Gatten verloren. Ich ahne es, dass ich dieser verhassten Seymour Platz machen muss, wie einst Katharina mir. Es wird so kommen, glaube mir, Kind, ich kann nicht heucheln, nicht Liebe für den König vorgeben, wo er mich nicht liebt.«

»Aber ich glaube, Majestät, Ihr tut doch Jane Unrecht. Sie weint oft, und wir alle wissen, dass sie den schönen Baron Titot schon seit Jahren liebt, und dieser sie.«

»Ich glaube auch nicht, dass Jane die Hauptschuld an meinen Leiden trägt«, entgegnete Anne, »sondern die römische Partei, die Freunde Katharinas, welchen ich ein Dorn im Auge bin. Es ist aber mein Schicksal, das mich ereilen wird, und dem ich nicht ausweichen kann.«

»Wenn Ihr einen kräftigen Erben …«

»Nein, mein Kind, das rettet mein Lebensglück nicht. Heinrich wird den Sohn behalten und die Mutter verstoßen. Aber so wahr ich lebe, er soll es nicht«, fügte sie mit leidenschaftlichem Blick hinzu, »mit mir soll er auch das Kind verlieren! Er soll es, ich habe es geschworen, und so wird es kommen! Kein Wort mehr hierüber, meine Teure! Bewahre streng mein Geheimnis.«

Wehmütig und mit klopfendem Herzen vollendete Mary ihr Geschäft und begab sich dann zur Ruhe, aber ohne Schlaf zu finden. Ihr treues Herz blutete bei dem Blick in die Seele ihrer Gebieterin.

Am folgenden Morgen betrat Anne in einem prachtvollen Jagdkostüm an der Hand des Königs den Hof, wo der Zug versammelt war. Sie sah so stattlich, so schön aus und blickte so munter, so freundlich um sich, dass ein einstimmiger Ruf Es lebe die Königin! sich erhob.

Heinrich lächelte wieder. Der Triumph Annes schmeichelte seiner eigenen Eitelkeit. Mit zarter Sorgfalt hob er sie selbst in den Sattel und ritt an ihrer Seite durch die dicht gedrängte Menge.

Es war ein herrlicher Morgen. Die Trompeter bliesen eine lustige Melodie, die Ritter scherzten, die Rosse trabten mit stolzen Köpfen daher, nichts ließ die traurige, finstere Nacht voraussehen, welche diesem heiteren Tag folgen sollte.

Erst gegen Mitternacht kehrte der Jagdzug nach Westminster zurück. Gegen Morgen, als der König eben in tiefem Schlaf lag, wurde er durch seinen Kammerherrn geweckt, der mit bleichem, entsetztem Antlitz und bebender Zunge die Unheilbotschaft hervorstammelte, dass Lady Anne von einem toten Knaben entbunden und selbst dem Tod nahe sei!

Heinrich vernahm nur den ersten Teil der Rede. Er hatte einen Sohn erhalten, einen Erben! Endlich! Endlich! Aber dieser war tot! Dass die Mutter im Sterben lag, das schien ihn wenig zu kümmern, sie kam bei der Sache gar nicht in Betracht. Aber dass er das Kind verloren hatte, und zwar, wie man ihn versicherte, durch die Anstrengung der Jagd, das konnte er weder verschmerzen, noch verzeihen.

Wütend ließ er sich ankleiden und stürzte zum Gemach seiner Gattin, welche bleich und mit halb erloschenen Augen auf dem Schmerzensbett lag.

»Ist es wahr, ist das Kind tot?«, schrie er den Frauen laut und drohend zu.

Diese wiesen stumm auf das Knäblein in der Wiege und nickten mit dem Haupt.

Angst und Entsetzen sprach aus allen Gesichtern, selbst Lady Rochefort, so sehr sie im Herzen frohlockte, erbebte bei dem Blicke, der sie traf.

»Tot!«, rief Heinrich. »Meine schönsten Hoffnungen zerstört durch Leidenschaft und Eitelkeit! Wer hat Lady Anne den unseligen Gedanken eingegeben, auf die Jagd zu gehen?«

Niemand antwortete. Nur Anne erhob das matte Auge und sagte: »Die Jagd war nicht daran schuld.«

»Nicht? Freilich war sie es. Deine tolle, wilde Lust, dein Ungehorsam gegen meine bestimmtesten Wünsche haben das Unheil herbeigeführt! Das kommt davon, wenn man einem unvernünftigen Weib den Willen lässt!«

Annes stolzes Blut wallte und wogte bei dieser Beleidigung angesichts ihrer Frauen. Sie richtete sich ein wenig auf und sagte mit herber Stimme: »Nicht ich bin an dem Unglück, das Euch getroffen hat, schuld, Majestät, sondern Eure eigene Lieblosigkeit, die mir einen langen, tiefen Kummer bereitete. Ich habe es wohl gewusst, dass mein Kind nicht leben werde.«

»Schon gut«, stieß Heinrich aus, indem er zornig mit dem Fuß auftrat, dass alle zusammenfuhren. Du wirst keinen Sohn von mir wieder haben, um ihn mutwillig umzubringen.«

Bei diesen Worten verließ er das Zimmer. Man hörte von innen den Schlüssel im Schloss drehen und ausziehen. Er hatte die Verbindung zwischen sich und Anne für immer abgebrochen.

Anne vernahm es nicht, noch sah sie die erstarrten Gesichter ihrer Frauen, sie war bewusstlos in ihre Kissen zurückgesunken. Man weinte und drängte sich um sie, man glaubte, sie sei tot. Aber dieses Glück war ihr nicht beschieden, das rächende Schicksal hatte für sie in der dunklen Urne der Zukunft ein finsteres Los aufbewahrt.

Das letzte Band war zerrissen, welches den König an sie hätte binden können. Aber selbst wenn seine Liebe noch manchmal fürbittend an sein finsteres Herz pochte, erstickten die geheimen Feinde der Unglücklichen diese schwache Regung. Bitterlich beklagte sich Heinrich gegen seine Anhänger über sein Los, und über die trostlose Aussicht, welche ihm bevorstehe, ohne männlichen Erben zu sterben.

Dennoch ist der Thron Eurem Geschlecht gesichert, Majestät«, sagte Gardiner eines Tages zu seinem Herrn auf dessen ungestüme Reden, »die Prinzessin Mary besitzt einen männlichen Geis. Sie wird durch Euren Umgang, Euer Beispiel zu einer würdigen Nachfolgerin heranwachsen. Und wenn wir für einen tüchtigen Gemahl in einem der englischen Edelleute sorgen, bleibt sie uns und der englischen Nation erhalten.«

»Wahr«, erwiderte Heinrich, aber ohne über diesen Vorschlag eine Freude zu äußern, »Mary hat Verstand und Herz von ihrer edlen Mutter geerbt, die eine Zierde ihres Geschlechts war. Aber Katharinas Tochter ist mit ganzer Seele dem Joch des Papstes untergeben. So wahr ich König Heinrich heiße, nie soll mit meinem Willen das Papsttum wieder in England herrschen. Nein, wenn ich dennoch ein Weib zum Erben haben muss, so soll es Elisabeth sein, und Cranmer soll sie in der freien Lehre erziehen. Zudem ist ihr bereits gesetzlich der Vorrang eingeräumt worden, wie Ihr wisst.«

»Mary könnte beides in ihrer Person vereinigen, Majestät«, sagte Gardiner, entschlossen, von dem Punkt nicht abzulassen. »Sie kann ja selbst Katholikin bleiben, und dennoch dem Land die freie Lehre gestatten.«

»Das wird sie nie«, rief Heinrich mit fester Stimme aus. »Sie hat mit der Muttermilch den Glauben an die Unfehlbarkeit des Papstes eingesogen, Mann, und Mary ist meine Tochter, entschieden, unbeugsam in dem, was sie für recht hält. Und dass sie nicht darin schwankt, dafür wird der Papst und ihr tollköpfiger Verehrer, Kardinal Pole, schon Sorge tragen. Nein, meine einzige Hoffnung für dieses Land beruht auf Elisabeth. Sie wird meines Geistes Kind werden, ich glaube an die Stimme meines eigenen Herzens dabei und noch mehr an die prophetischen Worte Cranmers, die er bei ihrer Taufe sprach. Es war ein Augenblick der göttlichen Inspiration, der jene Worte dem Diener Gottes eingab.«

Gardiners Mienen verfinsterten sich bei diesen Worten, aber der schlaue Mann wusste seine Entrüstung zu verbergen.

»Warum geben Eure Majestät aber die Hoffnung auf einen Erben auf?«, fragte er lauernd. »Ihr seid noch im kräftigsten Mannesalter und Lady Anne ebenfalls. Es folgt nicht, weil ein Sohn gestorben oder durch Unvorsichtigkeit getötet worden ist, dass alle das gleiche Schicksal haben müssen.«

»Ich habe mich von Anne als meiner Gemahlin geschieden«, entgegnete Heinrich dumpf. »Ich habe den Entschluss vor Zeugen ausgesprochen, dass sie nie wieder von mir ein Kind unter dem Herzen tragen solle. Nie vergebe ich ihr diese Rücksichtslosigkeit, diese Nichtachtung meiner liebsten Wünsche. Sie musste die Folgen jener unseligen Jagd voraussehen und hätte sich davon fernhalten sollen.«

»Lady Anne ist noch jung und schön«, sagte Gardiner mit wohl erheucheltem Mitleiden. »Schöne Frauen sind eitel, Majestät. Sie weiß, dass sie als Amazone bewundert wird. Die Sucht zu glänzen, vielleicht Euch wieder an sich zu ziehen, verleitete sie.«

»Jane Seymour hätte nicht so gehandelt«, erwiderte Heinrich. »Sie ist demütigen Herzens und sanft. Sie weiß, dass das Weib sich unbedingt dem Mann unterordnen muss. Annes Fehler ist die Herrschsucht, sie will mir gleichstehen, und zwei Herren in meinem Reich dulde ich nicht, davon weiß Euer Heiliger Vater in Rom ein Wörtchen zu reden, Mann.«

»Wer weiß, wie Jane als Eure Gemahlin sich benehmen würde«, warf Gardiner ein. »Ich glaube zwar, dass Ihr glücklicher gewesen wäret, wenn sie Königin geworden wäre, denn sie liebt Euch warm und einzig schon lange im Stillen, Majestät, dessen hat mich Lady Rochefort oft versichert. Mein Haupt setze ich zum Pfand, sie liebt in Euch nur den edlen Mann, den großen Geist, nicht den König.«

»Ha! Glaubt Ihr das?«, rief rasch der König. »Das Mädchen hätte nie eine andere Liebe gehabt, als mich?«

»Ich schwöre es, hoher Herr«, sagte Gardiner feierlich, obwohl bei der bewussten Lüge eine leichte Schamglut sich über sein Antlitz ergoss. »Es ist der einzige Vorzug, den sie vor der glänzenden Freundin besitzt, aber für einen liebenden Mann der größte in seinen Augen. Majestät sehen, wie sie so sittsam sich der Bewunderung der jungen Kavaliere und den Bewerbern entzieht.«

»Ja, sie ist nicht so eitel, noch gefallsüchtig wie Anne, freilich nicht so schön, aber Anne hat mich auch geliebt und tut es noch. Ich lese den Kummer in ihrem bleichen Gesicht, aber ich habe geschworen und muss mein Wort halten, fällt es mir auch schwer.«

»Lady Anne scheint die Trennung dennoch leichter zu nehmen«, entgegnete Gardiner, »wenigstens lässt sie in ihrem frivolen Umgang mit ihren Freunden nicht nach.«

»Wieso? Welche Freunde meint Ihr darunter?«

»Ich hätte richtiger sagen sollen, ihre Anbeter und Verehrer«, bemerkte Gardiner spöttisch, »denn die Gemahlin eines hohen Monarchen kann keine Freundschaft in Ehren mit Männern von so niedriger Geburt hegen, wie Smeaton, den tollkühnen, faden Schmeichler.«

»Er ist ihr Musiklehrer, ich ernannte ihn«, sagte Heinrich.

»Aber gab Eure Majestät ihm die Erlaubnis, auch nachts, ohne Beisein der Hofdamen, seinen Musikunterricht zu betreiben?«, fragte Gardiner spitz.

»Nein, bei allen Heiligen, das nicht!«, rief Heinrich zornig aus. »Aber es ist eine schnöde Lüge, Mann, oder eine Erfindung der Rochefort.«

»Ich weiß die Sache allerdings von dieser«, entgegnete der Sekretär, »aber es wissen es auch andere am Hofe, Sire. Ebenso missbilligt man das vertrauliche Benehmen des Lord Norris, vor allem aber des Vicomte Rochefort. «

»Wie, was?«, schrie Heinrich mit zorniger Stimme und stammendem Blick, indem er seine gewichtige Hand auf die Schulter des Versuchers legte. »Ihr wagt es, mir ins Gesicht zu behaupten, dass meine eheliche Gemahlin sich mit anderen abgibt und verbotenen Umgang mit ihnen pflegt? Ihr wagt es, Mann?«

»Ich habe nichts behauptet, Majestät, nur wiederholt, was sich die Höflinge lächelnd in die Ohren flüstern.«

»Und Ihr glaubt es?«, tobte Heinrich, »deswegen sagtet Ihr es mir!«

»Nein, da sei Gott für, Majestät, ich glaube kein Wort davon und habe nach Kräften mich dagegen gewehrt. Lady Anne ist am französischen Hof erzogen, wo die Unkeuschheit kein Laster genannt wird. Sie bedenkt nicht, dass wir in England mehr Zurückhaltung von unseren Königinnen erwarten. Ich habe jedem, der ferner darüber spricht, mit Eurem gerechten Zorn gedroht.«

»Also so offenkundig ist meine Schande, die Unehre meines Hauses, dass alle davon reden und den betrogenen Gemahl bespötteln!«, sagte Heinrich mit finsterem Blick.

»Nicht bespötteln, Majestät«, sagte Gardiner, »nur bedauern! Man weiß ja, dass Lady Anne vor ihrer ehelichen Verbindung mit Lord Percy verlobt war und auch eine Liaison mit dem leichtsinnigen König der Franzosen hatte. So lange Lady Anne sich von Eurer Majestät geliebt und gehuldigt sah, mag sie auch ihrer Pflicht treu geblieben sein. Nun, wer könnte es dem schwachen Weib verargen, wenn sie der Liebe anderer Gehör gäbe?«

»Wer es ihr verargen könnte!«, wiederholte Heinrich und legte wütend seine Hand an den Dolch im gestickten Gürtel. »Ich werde es ihr verargen. Mann, und so wahr ich lebe, wenn Eure Aussage sich bestätigt, werde ich meine beschimpfte Ehre blutig rächen!«

»Majestät«, bat Gardiner mit wohl erheuchelter Angst, indem er flehend seine Hände gegen ihn aufhob, »tut nichts Rasches, Übereiltes. Verschafft Euch erst Beweise, ehe Ihr Eure Gemahlin anklagt.«

»Die sollen mir werden, noch heute. Ruft mir die Schuldigen herbei! Nicht einen will ich verschonen, nicht einmal sie selbst. Sterben soll sie von meiner eigenen Hand, in dem Blute ihrer Buhlen.«

»Um Gottes willen, Majestät!«, bat Gardiner, vor dem König niederfallend, »Ihr stürzt auch mich mit Eurem Eifer ins Verderben, ohne dass Ihr etwas dabei gewinnt. Ich wiederhole es, ich glaube, es ist nur eine frevelhafte Verleumdung, denn Ihr sagt selbst, Anne trauere um Euch.«

»Heuchelei!«, rief Heinrich, »Heuchelei, wie ihre Frömmigkeit, ihr Beten. Mein Gott, mein Gott, um dieses schlechte Weib habe ich meine liebe, so werte und tugendsame Katharina verstoßen und verlassen.«

»Herr«, sagte Gardiner feierlich, »eine jede Schuld fordert auf Erden eine Sühne. Nehmt Annes Leichtsinn, Euer unglückliches Leben demütig als eine Strafe des Himmels auf Euch und sucht Trost in den Segnungen der Religion.«

»Ich glaube es noch immer nicht«, sagte Heinrich nach einer kurzen Pause, »nein, ich glaube es nicht. Mann! Ich weiß es ja, Ihr habt Anne von Anbeginn an gehasst und verfolgt. Nochmals sage ich Euch, es ist eine Lüge oder gebt mir Beweise!«

»Ich hasse Lady Anne nicht, Majestät, aber ich missbilligte diesen Bund, den die Heilige Kirche nicht segnen konnte, weil sie durch Ehebruch geknüpft wurde; noch mehr, weil ich wusste, dass Anne nur die Krone von England liebte und nicht den König. Ihre ganze Seele hing Lord Percy, dem Verlobten an, und wie hat sie dem vergeben, welcher ihn von ihr riss.«

»Ha! Ihr wisst …«

»Dass Kardinal Wolsey nur Eurem Befehl gehorchte, als er die Boleyn verbannte, und Lady Anne weiß es auch.«

»Sie weiß es? Wer hat es gewagt, ihr das Geheimnis zu entdecken, welches ich so sorgfältig verbarg?«, fragte Heinrich hastig.

»Vergebt mir, Majestät, wenn ich Eure Frage nicht beantworten kann, es ist ein Beichtgeheimnis.«

»Und wurde Euch anvertraut?«, fragte Heinrich ironisch lächelnd. »Wahrlich, Ihr Priester Roms versteht es, die Absolution für alle Sünden zu erhalten. Doch genug von diesem traurigen Gegenstand«, unterbrach er sich mit Hoheit. Ich werde die Wahrheit Eurer Worte prüfen, Gardiner, meine Augen offen halten.

Wehe ihr, wenn sie schuldig erkannt wird. Verlasst mich nun und gebt Befehl, dass die peinliche Untersuchung der rebellischen Priester Abell und Forrest vorgenommen werde.«

»Herr, habt Mitleiden und Erbarmen!«, bat Gardiner inbrünstig. »Es sind redliche, treue Seelen, Männer, für deren Heil Eure edle Gattin noch auf dem Totenbett weinte.«

»Sie haben sich ihr Schicksal eigenmächtig zugezogen«, erwiderte Heinrich finster. »Rom will sich noch immer nicht meinem Willen beugen, noch seinen Ränken entsagen. So lange der Papst seine Diener zur Rebellion gegen die Obergewalt des Königs aufmuntert, so lange muss das Gesetz in voller Schärfe auch seine geweihten Häupter treffen. Sie sollen gestehen, wo die geheime Korrespondenz Katharinas und des Kaisers verborgen liegt, und feierlich schwören, mich, ihren König, als Oberrichter anzuerkennen. Dann werden heute noch die Türen ihrer Kerker geöffnet.«

»Herr, sie können nichts gestehen, denn es existieren keine ähnlichen Dokumente, dazu wurde Katharina zu scharf bewacht.«

»Roms Agenten täuschen auch die Augen des Luchses«, erwiderte Heinrich. »Sie sollen gestehen, und wenn nicht, spannt sie auf die Folter, bis sie um Gnade betteln.«