Diane Teil 2 – Kapitel 14
Alexander von Ungern-Sternberg
Diane
Ein Kriminalgemälde der modernen Gesellschaft
Berlin, 1842, Buchhandlung des Berliner Lesekabinetts
Zweiter Teil
Vierzehntes Kapitel
Die Entführung und der Monolog im Schneegestöber
Nachdem Herr Lobmeyer mit dem Arzt zusammengetroffen und diesen von der improvisierten Rolle, die spielte, in Kenntnis gesetzt hatte, begab er sich sofort in die Dorfschenke zurück, um Mittel zur Entfernung Simeons zu ergreifen. Es war nicht so leicht, diesen entschlossenen und kecken Nebenbuhler aus dem Feld zu schlagen, allein der Advokat setzte aus den Einzelheiten, die er aus Simeons Mund an jenem Abend selbst vernommen hatte, den Angriffsplan zusammen. Ihn sofort den Gerichten zu übergeben, war aus dem Grund nicht tunlich, weil dann der Verbrecher in Judiths Nähe blieb und somit die Gefahr, die er ihr bereitete, eher vergrößert als verringert würde. Es mussten daher Mittel gefunden werden, ihn zu entfernen. Seine Verhaftung konnte am besten in Berlin erfolgen. Ihn dahin zu locken, machte Herr Lobmeyer sich zur Aufgabe. Die Rückreise konnte jede Stunde vor sich gehen, und wirklich stand auch schon der unbequeme Karren, dieses Mal mit zwei stattlichen Gäulen bespannt, bereit im Hof, als eben das frugale Mittagsmahl im Speisezimmer des Gasthofes aufgetragen wurde. Herr Lobmeyer, der sich zu seiner Mahlzeit die Teilnahme sowohl Simeons als auch des Wirtes versichert hatte, eröffnete die Belagerung durch eine Flasche guten Weines, die er umherreichen ließ. Dann brachte er, wie zufällig, ein Zeitungsblatt aus der Tasche und las daraus einen fingierten Artikel von der Verfolgung eines Betrügers vor, in welchem Umstände berührt wurden, die der aufhorchende Simeon nur auf sich deuten konnte. Schließlich bemerkte er, als er das Zeitungsblatt wieder in die Tasche schob, dass er auf dem Schloss gehört habe, wie die Ortsobrigkeit Befehl erhalten habe, das Dorf zu untersuchen, und, wie im wahrscheinlichen Fall, die Häscher schon in wenigen Stunden eintreffen würden. Das Gift tat seine Wirkung. Simeon warf einen Blick auf den angespannten Reisewagen. Herr Lobmeyer verstand diesen Blick vollkommen. Er wandte sich zum Wirt mit der Frage, ob er ihm nicht einen Diener verschaffen könne. Es sei ihm zu unbequem, die weite Reise ohne allen Beistand und selbst ohne Gesellschaft zurückzulegen. Der Wirt eilte mit der bezahlten Rechnung fort und versprach zugleich, sich mit seiner Frau über ein passendes Individuum der geforderten Art zu besprechen. Kaum war er aus dem Zimmer, als Simeon sich dem Advokaten näherte und ihm eine halb vertrauliche, halb respektvolle Verbeugung machte, indem er sagte: »Mein Herr, Sie gefallen mir. Ich hätte nicht übel Lust, mit Ihnen die Reise zu machen. Versteht sich, nicht als Diener, denn ich bin in demselben Fall, den der große Dichter so erhaben andeutet: Ich kann nicht Fürstendiener sein!«
»Ich würde meinerseits auch nicht gewagt haben, Ihnen diesen untergeordneten Posten anzubieten«, sagte der Advokat.
»Sie sprechen wie ein echter Gentleman, mein Herr. Ich hege die aufrichtigste Bewunderung vor Ihnen, und wen ich bewundere, dem diene ich. Ich würde in dem Fall, ohne Erröten, Ihren Rock täglich einmal oder zweimal ausbürsten, ihre Stiefel reinigen. So ist nun einmal mein Charakter. Alles Gold der Welt zwänge mich nicht, einem Fürsten zu dienen, aber dem Genie küsse ich den Staub von den Füßen.«
»O, mein Herr! Zu viel! Viel zu viel. Ich bin kein Genie, und wenn ich es wäre, würde ich diese Huldigung dennoch nie annehmen.«
»Mit einem Wort, mein Herr, ich wünsche Sie nach Berlin zu begleiten.«
»Mein Herr, ich bin entzückt über dieses Anerbieten.«
»Wann reisen wir?«
»Sogleich, wenn Ihr Gepäck kein Hindernis bereitet?«
»Ich, mein Herr, bin ein Philosoph, ein Anhänger des Fourrierschen Systems. Meine Schätze teile ich mit der Intelligenz, mit der Menschheit. Ich bin unermesslich reich, aber gleichwohl lässt sich alles, was ich besitze, in eine Nussschale packen. Mit dieser Nussschale werde ich die Ehre haben, sogleich bei Ihnen zu sein.«
Simeon eilte fort. Der Advokat, sich die Hände reibend, ging mit einer sehr fröhlichen Miene im Zimmer umher, als der Wirt und die Wirtin eintraten, Letztere einen langen blassen, ungestalteten Burschen an der Hand führend, den sie als einen hoffnungsvollen Diener vorstellte.
»Ich danke Euch, gute Leute, ich habe schon einen Begleiter gefunden. Der Fremde hier wird meinen Wagen teilen.«
»Der Fremde!«, rief der Wirt und blieb mit der Miene des äußersten Erstaunens an der Tür stehen. »Der Fremde? Ei – hm! Wollen Sie mir wohl gütigst das Zeitungsblatt zeigen, von dem Sie vorhin sprachen.«
»Ich darf mich nicht länger aufhalten. Leben Sie wohl, Herr Wirt.«
»Alle Teufel«, rief dieser, seine Frau in den Arm kneifend, »da sitzt er wirklich schon im Karren. Ich will kein ehrlicher Mann sein, wenn diese schnelle Abreise bei dem Burschen nicht seine guten Gründe hat. Was, und der brave Herr soll mit einem solchen Diener abfahren?«
»Der brave Herr …«, wiederholte die Wirtin höhnend. »Ich sehe nichts Braves an dem Rotkopf. Hat er mir doch mit seinen schielenden Augen nicht ein einziges Mal freundlich zugenickt, meinen Anzug gelobt oder meine Küche besehen. Da ist der andere ein nobler Herr dagegen.«
Mit dieser nachschallenden Kritik entfernte sich der Karren mit den beiden Reisenden langsam aus dem Hof. Auf der Landstraße angelangt, setzten sich die zwei rüstigen Pferde in schnelleren Trab. Bald war das Dorf weit hinter ihnen.
Der Advokat bemerkte, dass sein Gefährte sehr willig auf den Vorschlag einging, die Nacht durchzufahren, und dass er öfters, besonders beim Beginn der Reise, hinter sich schaute, dass er ferner in den Gasthäusern, in denen man abstieg, das Tuch, das sein Gesicht halb verdeckte, nicht abnahm, unter dem Vorwand, an Zahnweh zu leiden. Je weiter man gelangte, desto seltener wurden diese Merkmale von Mutlosigkeit. Dennoch dauerte das Einverständnis der beiden Reisenden nicht lange. Noch war nicht die Mitte des Wegs erreicht, als Simeon Verdacht schöpfte.
Der Advokat wurde für ihn plötzlich eine rätselhafte und zweideutige Person. Die Schnelle des Entschlusses hatte die Überlegung zurückgedrängt, nun aber machte sie sich Platz. Der Gefährte Judiths fasste den Verdacht, dass man ihn durch List von jenem Ort zu entfernen getrachtet habe. Er kam der Wahrheit ziemlich nahe, indem er in dem Advokaten einen Vertrauten der Tochter Florentins sah. Sein so oft schon bewährtes Mittel, sich Gewissheit zu verschaffen, nämlich das Portefeuille Lobmeyers aufzubrechen, brachte diesmal kein Resultat, denn der Advokat führte jenes wichtige Papier, das Judiths Unterschrift enthielt, stets bei sich. Je näher man der Hauptstadt kam, desto höher wuchs seine Furcht und sein Misstrauen. Endlich stiegen sie zu einem so hohen Grad, dass er, überzeugt von dem Verrat seiner Genossin, eines Nachts die Flucht ergriff und seine Schritte zurück zum Schloss lenkte. Zum ersten Mal in seinem Leben rührte er das Geld nicht an, das er aus dem geöffneten Portefeuille rauben konnte, zum ersten Mal verachtete er das Metall und opferte es einer stärkeren Leidenschaft auf. Diese Leidenschaft war der glühende Trieb zur Rache. Er fühlte sich auf das empörendste beleidigt. In dieser Überzeugung vereinten sich die stärkste Tatkraft mit der wildesten und kecksten Rücksichtslosigkeit für die Sicherheit seiner eigenen Person. Nur ein Ziel stand ihm vor Augen, die Bestrafung Judiths, ihre Züchtigung für den ungeheuren Frevel, den sie an ihm begangen hatte. Die Nacht war kalt, der erste Schnee fiel, als der Flüchtling eine weite Wiesenfläche überschritt. Die Ruhe des Kirchhofs herrschte im Umkreis dieser einsamen Gegend. Geräuschlos sanken die weißen Flocken nieder und das Leichenkleid der Erde wurde von den Geistern der Nacht in lautloser Stille gewebt. Der Wanderer zerriss mit seinem eiligen Schritt dieses glatte und schimmernde Gewebe, sein Haupt war zur Brust gebeugt, sein Atem keuchte und weit hinaus tastend, setzte er seinen Stab vorwärts. Wer die dunkle Gestalt im Nebel der Nacht dahinfliehen sah, dem mochte sie erscheinen, wie das ruhelose und ewig doch nach Ruhe lechzende Verbrechen. So wandelt in düsterer Nacht die unheimliche Tat dahin, während um ihr her Tod und Erstarrung sich lagern, wacht in ihr der nie versiegenden Quelle peinigenden Bewusstseins. Die Irrfahrten des finsteren Träumers sind von einem unerforschlichen Gesetz vorgeschrieben, er geht seine Bahnen, ohne zu wissen, wohin sie ihn führen, allein er ahnt, dass Tod und Verderben das Ziel sein werden. Es liegt eine Öde, eine trostlose Hilflosigkeit, eine nie endende Nacht in dem bösen Bewusstsein.
Simeon konnte das Ende der Fläche nicht erreichen. Er setzte sich auf einige Steintrümmer und Atem schöpfend, starrte er in die Nacht hinaus. Die Erde lag, so weit sein Blick reichte, in Nebel und Dunkel. Er war allein, allein mit seinen bitteren Gedanken der Rache. Die Geister der Leidenschaft tobten desto wilder, je ruhiger es rings umher war. Er bohrte seinen Stab in den Boden. Indem er mit Flüchen den Schnee und die Erde umherwarf, schrie er mit tierischem, wildem Jammerlaut in die Öde und Grabesstille hinein. Er erhob sein Haupt. Indem er seine glühende Stirn von dem fallenden Schnee gekühlt und genässt fühlte, rief er: »O, ich will dich finden! Ich will dich ergreifen, Elende! Und meine derben Fäuste sollen sich in den schmucken Atlas deines Brautgewandes krallen. Ich will ihn beflecken, diesen glänzenden Stoff, wie ich diesen reinen Schnee durch die dunkle, aufgewühlte Scholle beflecke! Juchhe! Freue dich, schöne Braut, hier wandert noch ein Gast zu deinem Fest! Er kommt ohne hochzeitliches Gewand, allein du nimmst ihn doch auf an deine große Tafel. In den kerzenhellen Saal wird er treten, Juchhe! Und dich zum Reigen auffordern. Spielt Musikanten, flötet und jubelt euer bestes Stückchen, Musikanten, einen hübschen Walzer, he! Ich tanze mit der Braut. Nur mir nach, Gräflein! Habe ich mich müde getanzt, so bekommst du die schöne Tänzerin. Ich gebe sie dir zurück, wie sie aus meinen schmutzigen Händen kommt. O, ich zog sie oft durch den Graben, als ihre Füße müde waren, ich habe sie gehütet und mit dieser Brust geschützt, als man sie schlagen wollte, ich habe mir dieses schmucke Bräutchen erkämpft, und mein soll es sein.«
Er senkte sein Haupt. Jener kreischende Spottton ließ sich wieder hören. Er wühlte von Neuem den Boden auf und warf die Erde umher.
»Ich bin reich wie ein König, und auch so froh!«, setzte er sein Gespräch fort. »Manchen hübschen Kitzel habe ich durchgekostet, allein keiner kommt dem Genuss bei, den ich empfinde, jetzt, da ich dich erfasse, Schlange. O, mein Täubchen, lass dir ins Ohr flüstern, dass der arme, elende Verbrecher, der ekelhafte Simeon, dass er dich geliebt hat. Hohoho! Geliebt? Nein, nein, geliebt habe ich dich nicht, aber jetzt hasse ich dich, als hätte ich dich geliebt! Jetzt könnte ich an deinem Blut mich berauschen. Also dies war dein Plänchen! So leichten Kaufs wolltest du meiner los sein! Ach nein, Täubchen, ich denke, wir gehen noch manchen Gang zusammen. Sieh, diese schwarze Erde, mein Goldkind, wie gefällt sie dir? He? In ihr zu liegen, muss schön sein! Es ist ja dann alles aus. Komm, ich führe dich hinab! Ein elender Karren wird unsere beiden Leichen hinschleifen. Keiner deiner hohen Verwandten wird dir folgen, keine von den Händen, die dich jetzt schmücken, die dir den Brautkranz zurechtrücken, wird bereit sein, der Tochter des Diebes, der Braut des Diebes, die Schleife am zerlumpten Leichenkittel zuzuknüpfen. Sie werden dich hinauswerfen, wie man den ekligen Lumpen eines pestkranken Bettlers hinauswirft, und nicht betrauert wird die Tochter des Verbrechers auf kalter, öder Heide daliegen. Es werden die mitternächtlichen Stürme über unser beider Grab dahinsausen. Juchhe! Wir werden auf immer dann vereint sein!«
Als das Selbstgespräch des Einsamen diese Höhe der Wut und der Erbitterung erreicht hatte, schwieg er plötzlich. Nichts als ein dumpfes Gemurmel stahl sich noch über die Lippen. Er stand auf, schüttelte den Schnee von seinen Kleidern und setzte seine Wanderung fort. Erst nach einer halben Stunde rastlosen Gehens ließen sich am Horizont die blassen Lichtsterne spüren, die die Nähe menschlicher Wohnungen ankündigten. Dahin lenkte der Ermüdete seinen Weg.
Vor ihm her auf der Landstraße schwankte ein Reisewagen, der sich nur langsam durch den Nebel bewegte, eingehüllt in eine Wolke von Schneeflocken. Der Bediente auf dem Kutschersitz war in einen Schneemann verwandelt, der Postillon auf dem Pferd hielt sich durch fortwährendes Fluchen und Schwingen der Peitsche in Atem. Der Wagen hielt vor einem Bauernhaus an, der Diener, herabspringend, erregte einen wahren Schneesturz. Er öffnete den Wagen und Simeon, der sich nahe hinzugedrängt, erblickte eine junge Dame, die sich, in Pelze und Schleier gehüllt, hervorneigte und in französischer Sprache einige Erfrischungsmittel bestellte, die aus dem Bauernhaus herbeigeschafft werden sollten, von dem aber nichts zu erlangen war, als einige frische Eier, die die Kammerfrau in Empfang nahm und in einer zierlichen kristallenen Schale mit Zucker zerklopfte, während ihre Gebieterin sich ein Glas frische Milch geben ließ und es unter fortwährendem Geplauder, Rufen und Befehlen leerte. Eine Menge gaffender Bauerkinder hatte sich um den Wagen gestellt, mit dreister Unverschämtheit und mit Erstaunen die unbekannten Laute anhörend. Die Dame, nachdem sie das Glas Milch geleert hatte, war in die Kissen zurückgesunken und nahm eine Miene aus Resignation und Erschöpfung an, während das einförmige Geklopfe ihrer Gesellschafterin sie zu langweilen schien.
Plötzlich fuhr sie auf. Zur Wagentür hinausgelehnt, rief sie den Bedienten zu: »Jean, es ist nicht möglich, dass das Schloss noch so weit entfernt ist. Fragen Sie den Postillon, das Schloss muss ganz in der Nähe sein.«
Der Bediente nahm seinen Hut ab. Während die Flocken über sein Gesicht dahinwehten, erwiderte er mit einem strengen Ernst: »Madame, hier zu Lande sind die Wohnungen großer Herren nicht so nah gerückt wie in Frankreich. Ich habe mich bereits erkundigt. Wir haben noch zwei Tagereisen zurückzulegen, ehe Madame das Schloss von Monsieur le Comte zu sehen bekommt.«
»O ciel!«, seufzte die Dame, »welch ein fürchterliches Land ist dies! Welch ein wahnsinniger Einfall, sich in diese Einöden zu begeben! Wie grauenvoll dieses ewige Schneefeld, diese Dunkelheit, diese zerlumpten Kinder!«
»So ist es«, hob die Kammerfrau in einem pedantischen Ton an, »wir müssen nun einmal, da wir im Unglück sind, durchzukommen versuchen.«
»Sie haben recht, Fanchette, was hilft das Klagen? Wir wollen uns daran erinnern, dass die arme Madame Genlis in ihrer Verbannung noch ganz andere und viel schlimmere Gegenden dieser nordischen Wüsten zu bereisen hatte, und dass sie trotz dessen ihren Roman Le chevalier de cigne, ein damals bewundertes Buch, schrieb. Nun, meine Beste, sind die Eier nun genug geklopft?«
»Hier, Madame.«
»Mein Himmel, wie kalt. Alles erstarrt zu Eis im Mund. Jean, geben Sie doch den armen Kindern diese Tüte mit Rosinen und Mandeln.«
Der Bediente vollzog den Auftrag, allein die Beschenkten wussten die Gabe nicht zu schätzen, sondern schütteten den Inhalt der Tüte heimlich und unter spottendem Gekicher in den Schnee. Unterdessen schlürfte die Dame die für sie zubereitete Labung. Der Postillon war beschäftigt, frische Pferde vorzuspannen, obwohl die Station noch nicht erreicht war. Der schlechte Weg und der schwere, mit allen möglichen Bequemlichkeiten bepackte Reisewagen machten dies erforderlich. Der Bediente geriet bei der Gelegenheit mit dem Postillon in Streit. Ein endloses, lautes Gezänke, als zuletzt keiner den anderen verstand, hob an. Simeon, seinen Vorteil gewahrend, trat hervor und diente als Dolmetscher. Die Dame wurde sogleich auf ihn aufmerksam und winkte ihn an die Kutsche heran.
»Monsieur ist ein Franzose?«
»Nein, Madame, ich habe nicht die Ehre, allein ich bin ein grenzenloser Bewunderer der großen Nation. Ich bewundere diese Halbgötter, die in allen Dingen unsere Lehrer sind. Ach, Madame, wie bedauere ich Sie, aus dem glänzenden, schönen Frankreich finden Sie sich in dies dumpfe, elende, schmutzige Deutschland versetzt.«
»Mais ecoutez donc!«, rief die Dame leise, ihre Nachbarin anstoßend.
»Il a l’air d’un brigand!«, flüsterte diese zur Antwort.
»Nein, mein Herr«, wendete sich die Dame zu Simeon, »Deutschland ist kein elendes, schmutziges Land, ich liebe Deutschland.«
»Madame, ich statte in Deutschlands Namen meinen Dank ab.«
Die Französin warf sich zurück und lachte. »Dieser Mann muss mit uns reisen«, sagte sie zu Jean. »Er kennt die Wege und die Sprache. Nun, mein Herr, werden Sie es wohl verschmähen, einen Platz neben meinem Diener einzunehmen?«
Dies war es, was Simeon verlangt hatte. Er nahm ohne Umstände das Anerbieten an. Jean suchte einen alten Überrock hervor, den er mit großer Artigkeit seinem neuen Gesellschafter auf der einsamen Höhe des Kutschersitzes anbot. Die Reise ging wieder weiter. Die Dame war nun vollkommen beruhigt, da sie einen Untertan des Königs von Preußen auf dem Kutschersitz mit sich führte.