Jack Lloyd Folge 57
Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät
Ein Wort unter Männern
Jack fand Maria inmitten der Gesellschaft. Offenbar hatten sich heute wieder einmal die wichtigsten Männer der Stadt mit ihren Begleiterinnen hier versammelt. Jack fragte sich, wie oft solche Feste hier wohl stattfanden. Es machte den Anschein, als gäbe der Gouverneur nahezu jeden Abend irgendeinen Empfang. Woher der Mann die notwendigen Mittel für derartige gesellschaftliche Empfänge nahm, war für Jack ebenso ein Rätsel wie die Frage, wie er es über sich brachte, jeden Tag aufs Neue den gutgelaunten und großzügigen Gastgeber zu mimen. Vielleicht waren die vielen Festivitäten dieser Tage aber auch der Versuch, aus der baldigen Ankunft der Schatzflotte so viel gesellschaftliches Ansehen wie möglich herauszuholen. Wenn Jack Maria richtig verstanden hatte, dann hatte auch das Ansehen des Gouverneurs und seiner Familie unter dem Abschwung der Stadt in den letzten Jahren erheblich gelitten. Da war es nur natürlich, wenn der mächtigste Mann der Stadt versuchte, dieses Ansehen nun so schnell wie möglich zurückzugewinnen. Möglicherweise kam ihm eine Verbindung seiner Tochter mit dem gerade erst eingetroffenen Adligen, der Kontakte zum spanischen Königshof hatte, da gerade gelegen.
Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis Jack Maria endlich erreicht hatte. Nicht, dass er die junge Frau nicht von Weitem gesehen hätte. Aber auf dem Weg zu ihr war er immer wieder von völlig fremden Männern, die ihn offensichtlich bestens kannten, begrüßt worden. Dabei hatte sich jedes Mal ein kurzes Gespräch über sein Befinden, seinen Eindruck von Caracas und die momentane Lage bei Hofe entwickelt. Endlich war es Jack gelungen, durch die Menge der Gäste bis zu seiner baldigen Verlobten vorzudringen.
Bei der jungen Spanierin angekommen, schenkte er ihr ein strahlendes Lächeln, ergriff die Hand, die sie ihm entgegenhielt und während sie einen galanten Knicks ausführte, hauchte er einen sanften Kuss auf ihren Handrücken.
»Es tut gut, Euch hier zu sehen, Señor«, erklärte Maria, der man ein gutes Stück Erleichterung ansehen konnte. »Ich hatte schon Bedenken, Ihr könntet es Euch noch einmal anders überlegt haben.«
»Es gibt da wenig zu überlegen, meine Liebe. Ich wäre ein Narr, wäre ich heute nicht erschienen«, erwiderte Jack ebenso leise wie Maria gesprochen hatte. Marias Züge wurden für einen Moment nachdenklich. Noch ein wenig leiser fragte sie: »Weil ich die Tochter des Gouverneurs bin?«
»Weil ich noch nie einer Frau wie Euch begegnet bin«, erklärte Jack ebenso schnell wie sicher. Marias Gesicht entspannte sich, und der junge Kapitän meinte sogar so etwas wie ein glückliches Lächeln auf ihren Zügen auszumachen. Dann erklärte Maria: »Mein Vater ist noch nicht unter den Anwesenden. Ich habe ihm gesagt, dass Ihr ein wichtiges Gespräch mit ihm zu führen wünscht. Er erwartet Euch in seinen Arbeitsräumen. Die Wache dort drüben vor der Tür wird Euch zu ihm bringen.«
»Ich dachte, Ihr würdet mich begleiten.«
»Ich glaube, es ist besser, wenn Ihr dieses Gespräch allein führt, mein Herr. Mein Vater kennt mich und er weiß um meine Meinung und um meine Gefühle. Er wird die richtige Entscheidung treffen.«
»Wollen wir es hoffen«, murmelte Jack, der auf einmal nicht mehr ganz so selbstsicher war wie noch vor wenigen Augenblicken. Maria, die sah, dass ihrem Geliebten das Herz zu stocken schien, schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und strich einen kurzen Augenblick sanft über den Arm des jungen Freibeuters. Die Berührung war bereits gewagt, denn für einen unbeteiligten Zuschauer musste sie bereits wesentlich vertrauter wirken, als es ziemlich gewesen wäre. Aber Maria ging das Wagnis ein, wohlwissend, dass Jack in diesem Augenblick jede Unterstützung brauchen konnte.
Jack, der noch immer nicht so ganz wusste, wie er sich dem Gouverneur präsentieren sollte, nickte Maria dankbar zu. Dann machte er sich auf den Weg zu der Flügeltür, die Maria ihm gezeigt hatte. Dem Soldaten, der stramm vor der Tür stand, erklärte Jack kurz, wer er sei und dass der Gouverneur ihn erwarte. Der Mann schien seine Instruktionen zu haben, denn er nickte nur knapp und führte Jack dann durch mehrere Flure, eine Treppe empor, bis zu den Arbeitsräumen des Gouverneurs. Hier, wo Jack erst gestern mit dem Stadtoberen zusammengetroffen war, saß der staatliche Beamte nun auf dem thronartigen Stuhl hinter seinem Schreibtisch, die Hände an den Fingerspitzen zusammenlegt und schien auf irgendetwas zu warten. Als Jack eintrat, zog ein freundliches Lächeln über das Gesicht des Gouverneurs.
»Mein lieber Señor Mendoza. Es ist schön, Euch hier zu sehen. Wie ich hörte, hat meine Tochter Euch zu dem heutigen Abend eingeladen und es gibt es Wichtiges, das Ihr mit mir zu besprechen wünscht.«
Jack trat ein, deutete eine Verbeugung an und erklärte: »Eure Tochter war so zuvorkommend, mir die Möglichkeit zu geben, heute Abend anwesend zu sein und ich bin Euch zutiefst dankbar, dass Ihr bereit seid, mich hier zu empfangen.«
Der Gouverneur grinste selbstzufrieden und nickte Jack aufmunternd zu. Dann deutete er auf den Stuhl, der gegenüber ihm stand, und forderte Jack auf, darauf Platz zu nehmen. Der Kapitän setzte sich und atmete einen Augenblick tief durch.
»Was genau führt Euch am heutigen Tag zu mir, mein Lieber Señor Mendoza?«
»Nun, ich hatte am gestrigen Tag das Vergnügen, von Eurer Tochter einen Einblick in die Stadt und ihre schönsten Plätze zu bekommen.«
»Eine wahre Perle, nicht wahr?«
»Da muss ich Euch zustimmen, Señor Gouverneur. Sowohl Eure Stadt als auch Eure Tochter.«
Jack war sich nicht sicher, ob er es damit nicht bereits übertrieben hatte. Aber das Lächeln auf den Zügen des Gouverneurs, das sowohl wohlwollend als auch hoffnungsvoll wirkte, ließ Jack hoffen, dass er nicht zu weit gegangen war.
»Eure Tochter … nun, mir fehlen die Worte, sie zu beschreiben. Diese Stadt als solche hat einen großen Reiz auf mich ausgeübt, sodass ich mich schließlich dafür entschieden habe, mich hier niederzulassen. Aber dieser Reiz ist nichts im Vergleich zu dem, was Eure Tochter in meinem Herzen ausgelöst hat.«
»Ihr redet von Liebe, Señor?«
»Ich rede von dem Gedanken, dass Eure Tochter die Frau sein soll, die ein Leben lang an meiner Seite steht.«
»Große Worte für einen Mann, der eine Frau erst seit wenigen Tagen kennt«, erklärte der Gouverneur nachdenklich. Jack, der nicht wirklich wusste, wie er die Reaktion des Mannes, der da vor ihm saß und von dessen Entscheidung am heutigen Abend abhing, ob seine Pläne aufgehen konnten oder ob sie kläglich scheitern würden, sah den Gouverneur einen Augenblick lang nachdenklich an. Dann erklärte er: »Nennt mich verrückt, Señor. Aber die wenigen Stunden in Begleitung Eurer Tochter haben mir deutlich vor Augen geführt, dass sie die Frau ist, die nicht nur meine Gedankengänge versteht und nachvollziehen kann. Allein ihre Anwesenheit kann mein Herz lichterloh entflammen lassen. Ich habe ein Gefühl wie dieses nie zuvor erlebt.«
»Wie wollt Ihr die Hochzeit angehen, Señor? Ich meine natürlich, sollte es zu einer solchen kommen.«
Jack konnte sich ein leises Lächeln nicht verkneifen. Offenbar hatte der Gouverneur bereits so gut wie angebissen. Jetzt musste er ihm nur noch einen Plan präsentieren, dem sich der Mann nicht entziehen konnte.
»Nun, Euer Einverständnis vorausgesetzt, möchte ich am morgigen Abend, wenn die Ankunft der Silberflotte im Goldenen Schwan gefeiert wird, meine Verlobung mit Eurer Tochter bekannt geben. Das Hochzeitsfest würde ich in drei Monaten in Caracas ansetzen. Es soll ein Tag der Feier und der Freude für die ganze Stadt werden. Ich werde natürlich dafür sorgen, dass alle Unkosten beglichen werden. Drei Monate später würde eine weitere Feier stattfinden, in der Heimat. Es wäre unschicklich, würde ich meine Braut nicht im Rahmen einer Feierlichkeit meiner Familie und dem Hof selbst vorstellen.«
»Dafür müsstet Ihr und Maria nach Spanien.«
»Natürlich. Ich gehe davon aus, dass Ihr und einige wichtige Männer der Stadt uns begleiten würden. Es wäre mit Sicherheit auch dem Ruf unserer schönen Stadt zuträglich, wenn wir bei Hofe zeigen, dass wir in der Lage sind, Feste zu feiern und Empfänge zu geben.«
»Und wie würden diese Feierlichkeiten in Spanien aussehen?«
»Ich denke, dass es nicht problematisch sein dürfte, den Landsitz meiner Familie für zwei oder drei Wochen zum Ort der Festlichkeiten zu machen. Dort wäre genug Platz für alle wichtigen Gäste und die Mendozas selbst könnten wieder einmal ihrem Ruf als ausgezeichnete Gastgeber gerecht werden.«
Der Gouverneur lehnte sich zurück und strich sich mit einer Hand nachdenklich über das Kinn. Jack wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Dieser Mann dachte offensichtlich tatsächlich darüber nach, ob er auch Jacks Vorschlag eingehen sollte oder nicht. Offenbar hatte der junge Freibeuter den Gouverneur völlig falsch eingeschätzt. Es ging dem Mann weniger darum, seine Tochter politisch wertvoll zu verheiraten. Scheinbar war das Glück seiner Tochter wirklich ein wichtiges Kriterium bei der Entscheidung, die er zu treffen hatte.
»Und Ihr werdet sie ehren, wie es sich für einen Edelmann gehört?«
»Bei meiner Ehre und der Ehre meines Hauses«, erklärte Jack, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Ich kenne meine Tochter, Señor Mendoza. Sie hat am heutigen Morgen von dem Tag mit Euch gesprochen und ich habe ihren Worten, ihrem Gesichtsausdruck und der Art, wie ihre Augen glänzten, entnehmen können, dass sie Eure Gefühle erwidert.«
»Eure Worte erfreuen mein Herz, Señor.«
Abwehrend hob der Mann beide Hände. Jack fürchtete bereits, er hätte sich zu früh gefreut, doch mit einem Lächeln im Gesicht fuhr der Gouverneur fort: »Die Feierlichkeiten in Caracas und in Eurer Heimat sind eine gute Idee, aber Ihr solltet darauf achten, dass Ihr Euch nicht übernehmt. Niemand von uns hat etwas davon, wenn Ihr Euer gemeinsames Leben mit meiner Tochter in Armut führen müsst, nur weil Ihr es bei der Hochzeitsfeier übertreiben musstet.«
Jack nickte lächelnd. »Ich werde es beachten, Señor.«
»Ich habe nur eine Bitte.«
»Was immer Ihr wünscht.«
»Ich möchte Eure Verlobung mit meiner Tochter am morgigen Abend bekannt geben. Ich denke, dieses Vorrecht sollte dem Vater der Braut zugestanden werden.«
Jack nickte lächelnd. »Ich denke, den Vertrag über die Eheschließung und alles was dazugehört, werden wir im Verlauf der nächsten Tage besiegeln.«
»Ich bin mir sicher, dass wir eine geeignete Übereinkunft finden werden«, erwiderte der Gouverneur und streckte Jack eine Hand entgegen. Dieser schlug lächelnd ein. Jetzt stand es fest. Er würde der Frau, in die er sich gerade verliebt hatte, die Ehre rauben. Und nichts auf der Welt konnte ihn aus dieser verzwickten Situation befreien.
Fortsetzung folgt …
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