Jack Lloyd Folge 54
Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät
Das Ziel am Horizont
Jack und Maria hatten das Haus der jungen Spanierin verlassen und waren zu der Stelle zurückgekehrt, an der Pablo sie gestern Abend abgesetzt hatte. Der Matrose, der als Kutscher verkleidet auf dem Bock des Gefährts saß, erwartete seinen Kapitän und dessen Begleiterin bereits. Jack versuchte aus dem Blick des Portugiesen abzulesen, was dieser dachte, aber Pablos Ausdruck war so neutral wie er nur sein konnte. Der Mann spielte seine Rolle als unbeteiligter Diener seines Herrn wirklich ausgezeichnet. Maria erklärte dem geduldig zuhörenden Kutscher, an welcher Stelle außerhalb des Gouverneurspalastes er sie aus der Kutsche lassen sollte. Dort gab es eine Hinterpforte, durch die sie in den Palast gelangen und, so hoffte sie, unbemerkt ihre Gemächer erreichen konnte. Jack fragte sich, wie die junge Frau darauf kam, dass ein machtgieriger und kontrollbesessener Mann wie der Gouverneur nichts von ihrem Treiben bemerkte. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder wusste der Gouverneur von den Aktivitäten seiner Tochter und duldete sie, hieß sie vielleicht sogar gut, da er wusste, dass sie nur das Beste für Caracas wollte. Die zweite Möglichkeit war, dass der Mann wirklich nichts davon mitbekam, was seine Tochter außerhalb des Palastes tat. Doch dafür hielt Jack seinen Gegner für zu intelligent. Ihm sollte es vorerst gleich sein. Er würde schon früh genug erfahren, was der Gouverneur von Jacks nächtlichem Ausflug mit seiner Tochter hielt.
Die Kutsche setzte sich in Bewegung und die beiden Insassen saßen eine Weile still, sich gegenseitig ansehend. Keiner der beiden wollte den Blick senken, aber auch keiner von beiden war bereit, den Augenblick durch ein Wort zu zerstören. Sie sahen sich einfach nur in die Augen und hatten das Gefühl, im Blick des anderen zu vergehen.
Endlich wurde das Gefährt langsamer und blieb schließlich ganz stehen. Maria seufzte leise, ihren Blick von dem Mann lösend, mit dem sie den Rest ihres Lebens zu verbringen beschlossen hatte. Flüsternd fragte sie: »Werde ich Euch dann heute im Palast meines Vaters begrüßen dürfen, Señor?«
»Wie wir es besprochen haben, meine Teure«, erwiderte Jack ebenso leise. Er hatte das Gefühl, der Kloß in seinem Hals würde langsam die Größe und das Gewicht eines Mühlsteins bekommen. Maria de la Vega schenkte ihrem Verlobten einen schmachtenden Augenaufschlag. Dann hauchte sie lächelnd: »Ich werde Euch vermissen.«
»Wir sehen uns ja schon bald wieder. Und dann werden wir alles in die Wege leiten, damit unsere Pläne sich schnell verwirklichen lassen.«
Das Glitzern in ihren Augen, das stärker wurde, als Jack von unseren Plänen sprach, gefiel dem jungen Freibeuter. So wie ihm mittlerweile alles an dieser Frau gefiel. Allein, er hatte keine Wahl. Würde er seinem Herz folgen, warteten auf ihn nur der Kerker und schließlich der Tod. Folgte er der Vernunft, brach er ihr Herz und zerstörte ihre Ehre. Eine Situation wie diese hatte Elena vielleicht vorausgesehen, vielleicht hatte sie aber auch nur Angst gehabt, Maria könnte ihn durchschaut und verraten haben. Was auch immer Elena dazu bewogen hatte, ihn vor diesem Treffen zu warnen, sie hatte letztlich Recht behalten.
Jack ergriff noch einmal Marias Hand und hauchte einen Kuss auf ihren weichen Handrücken. Die junge Frau schenkte ihm ein letztes, fast schon verlegenes Lächeln und verließ die Kutsche mit glühend roten Wangen. Wenn er gewesen wäre, wer er zu sein vorgab, er hätte der glücklichste Mensch auf der Erde sein können. So aber trug er sich mit Zweifeln, Selbstvorwürfen und dem Gedanken, was hätte sein können, hätten sie sich unter anderen Gegebenheiten kennengelernt.
Die Kutsche setzte sich wieder in Bewegung und Jack blieb für eine Weile allein mit seinen Gedanken. Dann, endlich, hielt das Gefährt vor dem Herrenhaus, das Jack und den Seinen als Unterschlupf diente. Die Zeit, die sie hier in Caracas verbrachten, würde bald enden. Morgen sollte die Schatzflotte in den Hafen einlaufen. Am Abend würde die ganze Stadt auf den Beinen sein, beschäftigt damit, sich selbst und den Umstand, dass man für würdig erachtet wurde, die Silberflotte zu beherbergen, zu feiern. Dann, so sah es Jacks Plan vor, sollte die Stunde der kleinen Freibeutertruppe schlagen. Sie würden tun, wofür sie hergekommen waren, und Caracas dann den Rücken kehren. Maria den Rücken kehren. Es war die einzige Möglichkeit, ihre ursprünglich nur vage Idee in die Tat umzusetzen. Und die einzige Chance, dieses überaus gewagte Unternehmen lebend zu überstehen. Jack wusste nicht so genau, woran es lag, aber irgendetwas in ihm sagte ihm, dass sein Plan einen Fehler hatte. Er wurde das Gefühl nicht los, dass es eine Schwachstelle gab, die ihm und den seinen das Genick brechen könnte. Nur wollte ihm diese nicht einfallen. Er würde es drauf ankommen lassen müssen. Vielleicht wusste Elena ja einen Rat. Wenn nicht sie, wer dann …
Fortsetzung folgt …
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