Jack Lloyd Folge 53
Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät
Die Ruhe vor dem Sturm
Jack starrte Maria einen Moment lang an. Er wusste nicht so recht, was er auf ihre direkte Frage erwidern sollte. Schließlich räusperte er sich und fragte, mit dem Versuch eines Lächelns auf den Lippen: »Ich dachte, Euer Vater hätte derzeit kein Ohr für derartige Dinge. Wie soll ich Euch als Euer Verlobter begleiten, wenn ich zuvor nicht um Eure Hand anhalten konnte?«
»Vielleicht sollten wir es einfach darauf ankommen lassen, Señor. Wollt Ihr eine Verbindung mit mir eingehen und diese Stadt zu dem Glanz zurückführen, den sie einst hatte? Wenn ja, sollten wir keine Zeit verlieren. Ich finde Euch überaus anziehend, daraus will ich kein Geheimnis machen. Aber ebenso seid Ihr genau derjenige, den ich an meiner Seite brauche, um Caracas wieder zu einer echten Handelsmetropole zu machen. Diese Stadt ist es wert, dass man bei Hofe von ihr spricht. Stattdessen erachtet man uns nicht einmal für würdig, dass die Silberflotte die komplette Zeit ihres Aufenthaltes hier in unserem Hafen zubringt. Die militärischen Befehlshaber fürchten, wie könnten nicht für die notwendige Sicherheit sorgen.«
Maria war dabei, sich in Rage zu reden. Dabei war ihr die Decke wieder verrutscht, was dem jungen Kapitän erneut einen Blick auf ihren nackten Oberkörper gewährte. Jack wusste nicht so genau, ob sie ihm diesen Anblick nur ausversehen gewährte, oder ob es der Veresuch war, ihn noch einmal an die letzte Nacht zu erinnern. Er musste sich selbst eingestehen, dass er sich Maria näher fühlte, als je einer anderen Frau zuvor. Aber konnte er wirklich zum Schein eine Verlobung mit ihr eingehen, um sie dann mit Schimpf und Schande hier sitzen zu lassen? Es war nicht das erste Mal im Verlauf der letzten Stunden, dass sich sein Gewissen meldete. Aber in dieser Intensität hatte er dieses Gefühl bisher nicht gehabt. Jack erhob sich von seinem Sitz, um einen Moment Zeit zu gewinnen. Aber ihm war klar, dass er um diese Entscheidung jetzt nicht herumkommen würde. Und eigentlich blieb ihm gar keine Wahl. Wollte er wirklich Marias Vertrauen erlangen und so lange wie möglich unerkannt seine Vorbereitungen für den großen Fang treffen können, musste er auf ihre Wünsche eingehen. Jack reichte der Frau, die aufs Schlimmste zu betrügen er im Begriff stand, eine Hand. Lächelnd erklärte er: »Wann sollen wir vor Euren Vater treten, um ihm unser Anliegen nahezubringen?«
Marias Gesicht wurde von einem tiefen Lächeln erhellt. Jack hatte ihr angesehen, dass sie bereits begonnen hatte, zu zweifeln. Für sie musste diese Situation mehr als nur unangenehm sein. Sie war bereit gewesen, sich ihm völlig hinzugeben, hatte eine Nacht mit ihm verbracht, sich der Schande ausgesetzt, mit einem Mann geschlafen zu haben, der sie möglicherweise nur ausgenutzt hatte. Und all das in der Hoffnung, dass er sich an ihre Seite begeben und ihre Pläne mit ihr verfolgen würde. Nun, in diesem Augenblick musste für Maria ein Traum in Erfüllung gehen. Ihre Augen strahlten vor Glück und Jack brach es beinahe das Herz zu wissen, dass er dieses Glück sehr bald in Trauer und Wut verwandeln würde. Aber dann musste er wenigstens nicht mehr in ihrer Nähe sein, musste nicht in diese wundervollen Augen sehen, von denen er sich sicher war, dass sie ihn von jetzt an in jeder Nacht im Schlaf begleiten würden.
Fühlte sich so Verliebtheit an? Oder war das nur der Überrest des Rausches, den das Zusammensein der letzten Nacht in ihm erzeugt hatte? Jack wusste es nicht, wollte in diesem Augenblick auch nicht darüber nachdenken. Noch immer starrten die beiden jungen Menschen sich gegenseitig in die Augen und Jack musste gegen das Verlangen ankämpfen, erneut zu ihr unter die Bettdecke zu schlüpfen. Aber er wusste, dass es jetzt andere Dinge zu tun gab. Wichtigere Dinge. Er musste zurück zu seinen Gefährten. Mit Sicherheit warteten seine Freunde bereits voller Sorge auf die Rückkehr ihres Kapitäns. Es würde nicht leicht werden, Elena und die anderen von der Notwendigkeit seines Handelns zu überzeugen. Aber irgendwie würde er das schon schaffen. Nur, wie er Maria verlassen sollte, ohne dabei ihre Gefühle zu verletzen und ihre Ehre völlig zu zerstören, war ihm ein Rätsel. Er würde versuchen einen Weg zu finden, auch wenn ihm die Ausichtslosigkeit dieser Suche schmerzlich bewusst war.
»Ich denke, der heutige Abend würde sich anbieten. Kommt doch als mein Gast in den Palast meines Vaters. Nach dem Abendessen werden wir versuchen, ihn zu einem Gespräch unter sechs Augen bewegen zu können.«
»Meint Ihr nicht, dass es besser wäre, ich befrage ihn allein dazu?«
Maria schenkte ihrem Auserwählten ein sanftes Lächeln.
»Ihr kennt meinen Vater nicht, Señor. Er würde einer Verbindung niemals zustimmen, wenn er nicht das Gefühl hätte, dass ich diese von Herzen wünsche.«
»Und um ihm das klar zu machen, wollt Ihr zugegen sein.«
»So ist es. Natürlich nur, wenn Euch dies nicht stört.«
»Nein, meine Liebe. Ich glaube, es ist der beste Weg.«
Maria bat ihren baldigen Verlobten lächelnd, ihr ihre Kleidung zu reichen und dann den Raum zu verlassen, während sie sich wieder ankleiden wollte. Anschließend würden sie gemeinsam das Haus verlassen. Jack war sich sicher, dass Pablo schon eine Weile auf sie warten würde. Es gab noch eine Menge zu tun in den zwei Tagen, bis die Silberflotte hier eintreffen würde. Und Jacks Zeit hatte sich gerade drastisch verringert. Seufzend verließ er das Schlafgemach, in dem er die letzte Nacht mit der Frau verbracht hatte, die die Liebe seines Lebens hätte werden können. Wenn da nicht der Umstand gewesen wäre, dass sie eigentlich Todfeinde hätten sein müssen. Eigentlich …
Fortsetzung folgt …
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