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Der Arzt auf Java – Zweiter Band – Kapitel 8

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Zweiter Band
Kapitel 8

Der Vater und die Tochter

Am Abend war alles voll Freude. Es gab ein Fest in dem Dalam. Es schien, als hätte die Hoffnung, Arroa zu behalten, Thsermai dem Leben zurückgegeben.

Die Gärten funkelten unter tausend Lichtern. Die Echos der Berge widerhallten die melodischen Klänge des Gambang und des Schalamprung. Die Bedajas, geschmückt mit goldenen Diademen, bekleidet mit einem Leibchen von gesticktem Samt und mit weiten Rücken von roter Seide, an der Seite aufgeschürzt durch Diamantenagraffen, zeigten ihre mit Goldringen umgebenen Füße. Andere, welche das prachtvolle Gewand der Albaneserinnen trugen, vollführten eine Pantomime mit lebhaften und leidenschaftlichen Szenen.

Auf einen weichen Teppich hingestreckt, sog Thsermai langsam den Duft eines persischen Narguileh ein, dessen Kugel mit reichen Malereien verziert und mit wunderbaren Verschlingungen in Gold und Silber ausgelegt war.

Die schöne Arroa lehnte ihren Kopf auf die Brust des Adipati.

Ihr Haar, schwärzer als das Gefieder des Raben, berührte liebkosend das Gesicht ihres Gebieters. Von Zeit zu Zeit lächelten Augen und Lippen des wunderschönen Mädchens Thsermai verliebt zu. Dieser, mehr berauscht durch dieses Lächeln als durch die wollüstigsten Stellungen der anderen Frauen, legte auf die Lippen Arroas um die mit Edelsteinen verzierte Bernsteinspitze, in welche der Narguileh auslief, damit auch sie die wohlriechenden Düfte des Tumbak einziehen sollte.

Einige Schritte entfernt von der Gruppe, welche der Fürst und seine Favoritin bildeten, betrachtete Harruch, der Jongleur, diesen Auftritt mit zerstreutem Blick, welchen in einzelnen Momenten ein Blitz des Zornes und des Hasses durchzuckte. Er hatte den Aufforderungen seines Wirtes, sich seinem Lieblingsgenuss, dem Opium hinzugeben, widerstanden. Harruch schien entschlossen, auf die gewaltigen Gefühle Verzicht zu leisten, welche dieses Narkotikum erregt, als fürchtete er, dass seine Trunkenheit ihm wieder die Leiche zeigen würdee, welche der Panther am Morgen aus der Erde kratzte. Er begnügte sich damit, ein wenig Bethel zu kauen, welchen er nach dem Gebrauch der Eingeborenen mit ungelöschtem Kalt und Arecanuss vermischte.

In dem Augenblick, als die Tänze am lebhaftesten waren, erschallte aus dem Inneren des Palastes ein so lauter Lärm, dass er die Klänge des Konzertes übertönte.

Thsermai fragte nach der Ursache und seine Diener führten vor ihn einen Greis, den sie in dem Augenblick überrascht halten, als er in die den Bedajas vorbehaltenen Gemächer einzudringen versuchte.

Bei dem Anblick Arroas stieß der Greis einen Schrei aus, an welchem Schmerz und Freude gleichen Anteil hatten. Er streckte seine Arme ihr entgegen und würde sich ihr an die Brust geworfen haben, hätten die Leute des Adipatis ihn nicht zurückgehalten.

Indem Thsermai in diesem Greis den Beduis erkannte, welcher bei Mynheer Cornelis seine Tochter von ihm zurückgefordert hatte, runzelte er die Augenbraunen. Auf Arroa schien der Anblick ihres Vaters, dieses Greises mit schmutzigen zerlumpten Kleidern, das Blut, welches dessen Hände und Knie färbte, die Angst, die aus seinem Gesicht leuchtete, keinen Eindruck zu machen. Nicht eine Falte störte die Harmonie ihrer schönen Züge. Nicht eine der Adern ihres bleichen Gesichtes füllte sich mit Blut. Es schien, als ob dieses herrliche Geschöpf für jedes Gefühl, als das der sinnlichen Liebe, tot sei. Sie blieb still und kalt wie eine Bildsäule. Indessen gab sie den Sklavinnen, welche über ihr gewaltige Fächer von Pfauenfedern schwangen, ein Zeichen, ihre Bewegungen zu beschleunigen.

»Hast du bedacht, Beduis«, sagte Thsermai zu Argalenka, »dass deine Flucht von meinem Gebiet dich verurteilt? Hast du bedacht, dass du durch dein Eindringen in diesen Palast dem Tod entgegentratest?«

»Ich habe gedacht, dass mein Kind hier sei, das war alles. Seit 16 Stunden schleppe ich mich auf Händen und Füßen hin, um bis zu ihr zu gelangen.«

»So betrachte sie denn genau, Greis, denn bei Mohamed, du wirst sie nicht wiedersehen, es müssten denn die Augen des Menschen im Grab ihre Sehkraft bewahren.«

»Dein Wille geschehe, Herr, denn du sagst die Wahrheit: Ihr Anblick ist für mich eine so große Freude, dass ich das Leben nicht mehr beklage, nachdem ich sie gesehen habe.«

Indem Argalenka diese Worte sprach, weinte er heftig und seine Tränen rannen in seinen weißen Bart. Durch seine Blicke voll Liebe und Bitten versuchte er die Aufmerksamkeit Arroas auf sich zu lenken, aber sie schien ihn nicht zu bemerken.

»Du erkennst mich nicht, Arroa?«, sagte er. »Ach, das Elend, der Hunger und der Aufenthalt in den Wäldern haben mich sehr verändert! Auch du bist nicht mehr dieselbe und obwohl deine Gewänder von Gold und Seide und dein Diadem von Diamanten dem kleinen groben Sacong nicht gleichen, den du in unserer Hütte trugst, noch den Blumen, mit denen du deine Haare schmücktest, hat mein Herz mir sogleich gesagt: Das ist sie! Aber du liebst mich noch immer, Arroa, du liebst noch immer den, welcher dich als kleines Kind auf seinen Knien schaukelte, dessen Glück und Stolz du vierzehn Jahr lang warst! Kann man denn seinen Vater nicht mehr lieben?«

»Was hat Arroa, die Favoritin Thsermais, jetzt noch mit einem elenden Beduis, wie du bist, gemein?«, fragte roh der Javaner.

Als Argalenka von dem Adipati die Prophezeihung erfüllen hörte, welche der Mann ihm gemacht hatte, den er während der vorhergehenden Nacht auf der Straße traf, fühlte er sein Herz brechen. Seine Knie wankten, er faltete die Hände und streckte sie gegen seine Tochter aus.

»Arroa«, sagte er, »beeile dich, deinen Gebieter Lügen zu strafen. Sage ihm, welches auch der Rang sei, zu dem das Glück dich berief, bleibt es doch stets das Blut Argalenkas, welches in deinen Adern rinnt. Sage ihm, dass zwischen uns beiden ein allmächtiges Band besteht, welches das Werk Gottes ist und das die Menschen nicht zerreißen dürfen. Mein Gott, sollte ich denn, ohne es zu wollen, dich durch irgendetwas verletzt haben? Du weißt aber doch, dass dort, als wir noch auf der Ebene miteinander lebten, dir zu gefallen, mein ganzes Bestreben war, dich glücklich zu machen, mein einziger Gedanke war! Aber ich weiß wohl, wenn man zu viel tun will, verfehlt man zuweilen das Ziel, nach dem man strebt. Ist dem aber so, das wirst du mir verzeihen, Arroa, du wirst mir verzeihen, bevor ich sterbe. Du wirst für mich noch wieder jenes süße Lächeln finden, eine jener freundlichen Liebkosungen, die du ehedem an mir verschwendetest. Du wirst mir den Trost lassen, zu denken, dass du zuweilen auf dem Grab, in welchem der, welcher dein Vater war, für immer schläft, zu trauern kommt.«

Indem der arme Beduis so sprach, erstickten die Tränen seine Stimme. Er sah wechselweise auf Arroa, Harruch und Thsermai. Als er erkannte, dass seine Tochter fühllos blieb und ihm nicht antwortete, wurde er von einer Art von Schwindel ergriffen.

»Mein Gott!« rief er aus, »meine Verzweiflung rührt sie nicht? Sie lässt ihren Vater weinen, ohne ihm nur zu sagen: Vater, ich sehe deine Tränen?«

Mit einer hastigen Bewegung entriss der Beduis sich denen, die ihn hielten, sprang auf seine Tochter zu und ergriff die Hand derselben. Sie schien kalt und starr zu sein, wie von Marmor. Indem Argalenka sie berührte, glaubte er einen Leichnam berührt zu haben. Er wich zurück, indem er einen Schrei des Entsetzens ausstieß.

»Sie ist es nicht! Es ist nicht Arroa, obwohl es ihre Züge sind?«, rief er verzweiflungsvoll. »Du hattest recht, Harruch, ach, ich danke Buddha, denn wenn meine Tochter lebend ihren Vater verleugnet hätte, so würde ich den Tag verflucht haben, an dem er sie mir schenkte, verflucht den Leib, der sie trug. Es ist Arroa, aber sie ist tot.«

»Man ergreife ihn«, schrie Thsermai.«

»Herr, Adipati, du wirst mir das Leben rauben, das ich von Buddha habe, wie du mir einst mein Gut raubtest, wie du mir meine Tochter entrissest. Ich verfluche dich nicht. Der Gott, der dich sieht, mag es tun. Er kann lauter und besser sprechen als ich. Ich lasse dich in seiner Hand, und wärest du ebenso mächtig, wie der Herrscher der Mitte, so wird er dich dennoch in den brennenden Eingeweiden des Banderanger zu finden wissen. Er wird dich erreichen. Ich habe es gesagt, aber ich bereue nichts und ich werde den Augenblick segnen, der mich vom Anblick dieses abscheulichen Phantoms befreit«, fügte er hinzu, indem er auf seine Tochter deutete.

»Man vollstrecke meinen Befehl!«, rief Thsermai.

»Herr«, bemerkte Harruch, »dieser Mensch ist verrückt, wie du siehst. Er erkennt sein Kind nicht! Seit wann sind die Tage der Glückseligen, deren Geist Gott den Schmerzen dieser Welt entriss, nicht mehr heilig für den Muselmann?«

Thsermai erbebte vor Zorn. Er hatte trotz des heiligen Charakters, mit welchem Harruch soeben Argalenka bekleidete, große Lust, seine Wut zu kühlen, indem er den Beduis augenblicklich vernichtete. Aber er sah sich umgeben von Muselmännern. Um seine ehrgeizigen Pläne zu erreichen, bedurfte er aller seiner Diener. Er beschloss daher, seinen Zorn der Klugheit zu opfern und gab Befehl, den Greis in ein Gefängnis einzusperren.

Arroa blieb fortwährend diesem Auftritt vollkommen fremd. Als aber Argalenka, fortgeführt durch die Diener Thsermais, in der Dunkelheit verschwunden war, wendete sie sich wieder zu ihrem Gebieter und deutete auf die Bedajas, die regungslos stehen geblieben waren, wie vor Schrecken erstarrt. Dabei machte sie eine Bewegung unmutiger und schmollender Ungeduld.

Thsermai gab ein Zeichen. Die Tänze begannen wieder und währten einen großen Teil der Nacht hindurch fort.