Sir Henry Morgan – Der Bukanier 33
Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845
Dreiunddreißigstes Kapitel
Morgan versucht Betrachtungen anzustellen, kommt aber nur elend damit zustande. Sein wahnsinniges Freien, in dem aber doch viel Methode liegt.
Nachdem Morgan seinen Sekretär ausgeschickt hatte, um, wie er sich selbst ausdrückte, die Laufgräben für ihn zu eröffnen, blieb er eine Weile allein, um die Pracht seines Anzuges zu bewundern und über den gegenwärtigen Stand seiner Angelegenheiten nachzudenken. Da er wenigstens vorderhand über eine Niederlassung im Land noch zu keinem Entschluss gekommen war, so begriff er wohl, dass sein Feldzug einen umso glücklicheren Ausgang nehmen musste, je schleuniger er seine Beute sammelte, um sich mit derselben zu seinen Schiffen nach Chagré zurückziehen.
Er war bereits lange genug in Panama gewesen. Von der Seeseite her stand nichts mehr zu hoffen. Zwar waren noch viele Schätze im Land herum verborgen und viele vornehme Gefangene, deren Lösegeld die Truhen schwellen konnte, vermutlich noch aufzutreiben, aber dennoch wurde es mit jeder Stunde gefährlicher, zu warten. Er hatte in Erfahrung gebracht, dass sich die ganze Streitkraft Neu-Spaniens zusammenziehe, um ihn auf seinem Rückzug abzuschneiden. Indessen fürchtete Morgan dies weit weniger als die schnelle Desorganisation und Zahlverminderung seiner kleinen Armee. Bereits hatten verheerende Krankheiten begonnen. Wer einzeln umherzog – seine Leute liebten dies –, wurde unausbleiblich ermordet. Aber Schlemmerei und Trunkenheit waren Morgans gefährlichste Feinde.
Ich muss noch drei Tage abwarten, was kommen wird, dachte Morgan. Es liegt eine traurige Befriedigung in den Gedanken, um die Liebe der stolzen Lynia etwas Großes zu wagen. Wenn sie sich entschlösse, ihr Geschick mit dem meinen zu verketten, wie herrlich könnten noch die Resultate sein! Bis jetzt habe ich mich durch
Waffengewalt ritterlich durch die Welt geschlagen. Mein Leben ist gesetzlos gewesen und einige Hindernisse sollen auch jetzt mein Fortschreiten nicht verzögern. Aber da drängt sich meinen Gedanken stets die lästige Frage auf: Was ist Glück? Mein Glück! Wahrlich, auf der Glanzhöhe meiner Gewalt fühle ich mich nicht glücklich und ich bin jämmerlich elend, wenn ich diese stolze Dame nicht besitze. Sie überwindet mich in der Mitte meiner Eroberungen und macht, dass mir alle meine Siege bloß wie die Vorläufer der schlimmsten Niederlage erscheinen. Ist sie aber mein – gleichviel, ob durch Überredung oder durch Gewalt – werde ich dann glücklicher sein? Ach, ach! Wie viel Bitterkeit liegt nicht auch in einem solchen Erfolg! Doch in diesem friedlichen Kleid werde ich selbst schwach und weibisch. Es gewinnt fast den Anschein, als seien alle Ausgänge dieses Lebens, sowohl die des Triumphes als auch die der Niederlage, so unbefriedigend, dass der letzte Akt im Drama des Menschen nicht in dieser Welt ausgespielt werden könne. Doch was wird dann aus meinem Grundsatz, dass ich meine eigene Vorsehung sei? Der Taumel ist das einzige Glück. Ich will den Beweis zu führen suchen.
Nachdem er ein Frühstück eingenommen hatte, bei welchem er, seit Jahren zum ersten Mal, keinen Branntwein und nur wenig Wein genoss, machte er sich sorgfältig seinen Galaanzug zurecht und bereitete sich auf den wichtigen Besuch bei der Dame vor, welche er zu lieben meinte.
Inzwischen hatte Donna Guzman ein prächtiges Quartier bewohnt und war fast königlich bedient worden, sodass nur wenig fehlte, um sie auf den Glauben zu bringen, sie sei noch immer an dem vizeköniglichen Hof ihres Schwager, des Präsidenten Don Guzman. Sämtliche gefangene Damen von Stand hatten sich alle Mühe gegeben, es so weit zu bringen, dass sie zu ihrer Bedienung verwendet wurden. Mehrere andere vom ersten Adel kamen sogar aus ihren Verstecken in die Stadt, um ihren Schutz zu gewinnen, indem sie sich um das Amt bewarben, ihr aufwarten zu dürfen.
Als daher John Peeke in Lady Lynias Gemach erschien, fand er sie von großem Prunk umgeben. Auch herrschte unter den anwesenden zwanzig Damen ein Grad von Heiterkeit, welcher keine Spur vom Düster der Gefangenschaft oder vom Entsetzen derjenigen verriet, die ihre Söhne, Töchter und Gatten beweinten, deren Väter auf Auslösung harrten oder die des mehr oder weniger bitteren Gedankens sich bewusst waren, dass ihre Männer erschlagen seien. Lady Lynia allein schien gedankenvoll, aber nicht sehr niedergeschlagen zu sein. Sie empfing John Peeke mit der Höflichkeit, die ihrem Charakter eigentümlich war, während ihr Gefolge geneigt zu sein schien, dem Jüngling, welcher gedrängt wurde, das Frühstück mit ihnen einzunehmen, die schmeichelhaftesten Aufmerksamkeiten erwies.
Wie wir uns denken können, betrafen natürlich Lynias erste Fragen das Geschick ihrer Tochter. Peeke konnte dem geängstigten Mutterherzen keine Erleichterung bringen, da er in die Sachlage nicht eingeweiht worden war. Anfangs fühlte sich der junge Gentleman in der Anwesenheit der Dona Guzman und so vieler Damen von Rang eingeschüchtert, aber seine Verlegenheit entschwand bald. Es wurde sodann Englisch gesprochen, sodass er nur von der Angeredeten verstanden werden konnte, und richtete seinen Advokatendienst für Morgan gut und loyal aus – wenn anders Loyalität, in einer schlechten Sache gezeigt, und das gut genannt werden kann, was auch in einem günstigen Erfolg schlecht ist.
Die Dame hörte aufmerksam zu und entlockte durch passend gestellte Fragen dem Sekretär die Hauptzüge aus dem Charakter seines Gebieters. Von Zeit zu Zeit sprach sie mit den anwesenden Frauen, welche höchlich gespannt waren, einen Mann zu sehen, den man ihnen als einen eingefleischten Teufel geschildert hatte, während es doch jetzt den Anschein gewann, als besitze er jede Tugend, welche der Menschheit zur Zierde gereichen konnte.
Lady Lynia erwies sich in dieser Geistesprüfung weit gewandter als Master John Peeke. Sie hörte ihm nur mit Mitleid zu. Nachdem er eine schwunghafte Lobrede auf den transzendentalsten aller Gönner zu Ende gebracht hatte, wechselten sie plötzlich den Gegenstand, indem sie die Sprache auf England und den gegenwärtigen Zustand seiner Literatur brachte. Über dieses Thema wusste er seine Zuhörerin weit besser zu befriedigen. Sie schenkte ihm mit der schmeichelhaftesten Güte ihr Ohr.
Endlich war nur zu schnell der Augenblick herangekommen, in welchem Peeke sich entfernen musste, um Morgan anzukündigen, dass Donna Lynia seiner Befehle gewärtig sei.
Als Morgan in das prachtvolle Gemach trat, erregte er nicht geringes Aufsehen, denn nur wenige Frauen hatten je zuvor einen so herrlichen Mann gesehen. Nie hatte sich Morgans männliche Schönheit in größerer Vollkommenheit entfaltet. Das stolze Selbstbewusstsein des siegreichen Kriegers hatte seinen Zügen einen Ausdruck von Erhebung und seiner Haltung eine Majestät verliehen, in denen sich das Ideal eines Helden verwirklichte. Die meisten Damen brachen im Ruf der Überraschung und Bewunderung aus.
Mit aller möglichen Höflichkeit und der gewinnendsten Anmut in seinen Zügen fragte er Lynia, wie sie mit ihrer Lage zufrieden sei, und forderte sie aufs Dringendste auf, ihm mitzuteilen, was er sonst noch tun könne, um ihr Glück zu erhöhen.
»Die Freiheit und ihre Tochter«, waren die einzigen Gaben, die sie von seinen Händen wünschte, aber sie hüllte dieses Gesuch an die ganze komplimentreiche und höfliche Phraseologie, mit welcher er sie angeredet hatte. Morgan beschwerte sich in seiner Erwiderung, dass sie sich so bald nach ihrer Freiheit sehne, während er doch selbst ihr Gefangener für ewige Zeiten sei. In Betreff ihrer Tochter aber behauptete er, dass er nichts von derselben wisse.
Als die spanischen Damen die augenscheinliche Leutseligkeit ihres Eroberers bemerkten, wagten sie es gleichfalls ihre Ansprüche auf seine Beachtung geltend zu machen. Dunkle, glänzende Augen rollten schmachtend und manches zärtliche, bedeutungsvolle Lächeln wurde verschwendet, um die Aufmerksamkeit des Mannes zu fesseln, den man sie als ein abscheuliches wildes Tier zu betrachten gelehrt hatte.
Morgan benahm sich gefällig gegen alle und nahm ihre Herzen durch Überraschung, obwohl er keine vorzugsweise auszeichnete. Er wusste, dass sie hinfort seine Freundinnen waren. Allen sagte er leichtes Lösegeld zu und versprach ihnen zugleich, dass ihre Verwandten von der Folter befreit bleiben sollten. Man glaubt vielleicht, dass in all dem nicht viel Galanterie liege, aber in Morgans Lage war es etwas mehr – es war wirkliche Großmut.
Nachdem sich unser Held einige Zeit in Liebenswürdigkeiten erschöpft hatte, bedeutete er dem Gefolge der Dame in höflicher Weise, dass er sich über hochwichtige Angelegenheiten mit der Donna Guzman unter vier Augen zu besprechen habe. Die Frauen entfernten sich augenblicklich mit bereitwilligen, lächelndem Gehorsam, obwohl nicht eine darunter war, welche nicht gewünscht hätte, selbst der Gegenstand von Morgans Privatgespräch zu sein.
Als Lynia mit dem Herrn ihres Geschickes allein war, wich die reiche Farbe für einen Augenblick aus ihren Wangen und kehrte dann in glühenderer Glorie zurück. Sie erhob sich von ihrem Sitz. Auch Morgan stand auf, verbeugte sich tief und blieb vor ihr stehen, sie eine Weile mit stummer Trauer betrachtend. Anfangs bemühte sie sich, seinen festen Blick kalt und ruhig zu erwidern, aber vergeblich. Sie verschleierte ihre großen, dunkeln Augen mit ihren langen Wimpern. Im Nu war all ihre Stattlichkeit verschwunden. Ihr Haupt senkte sich, sie presste die Hände auf ihren schwellenden Busen. So stand sie da, ein Bild stolzer Demut und augenscheinlich ein Opfer, dem Erbarmen des Siegers preisgegeben. Es würde schwer sein, angeben zu wollen, in welcher Weise Morgan sich dieses Benehmen deutete. Aber er sandte ihr Glutblicke zu, sein Atem wurde beschleunigt und seine Lippen bebten.
Endlich sprach er in unsicherem Ton: »Lynia, Ihr seid sehr schön – weit schöner, oh, wie unendlich schöner, als in der Zeit, in welcher Ihr mich zum ersten Mal wahnsinnig machtet!«
Er ergriff dann ihre nicht widerstehende Hand und küsste sie ein oder zweimal achtungsvoll, dann aber wiederholt mit Entzücken. Sie ließ sich all dies geduldig gefallen, ohne ihre Augen zu erheben. Er führte sie dann zu einem großen Sofa und drückte die Hand, welche er in der seinen hielt, an seine Brust. Sie zitterte darüber, schauderte und wich von ihm zurück.
»Lynia, bin ich Euch zuwider? Nehmt Ihr Anstoß an mir?«, fragte er in wehmütigem Ton.
»Ihr vergesst, dass ich Eure Gefangene bin.«
»Ich habe es nie gewusst, nie gefühlt. Lynia, bei jedem Schlag dieses meines wilden Herzens schwöre ich Euch zu: Wenn sich auch keine niedrigere Stellung denken lässt, als die eines mit dem Brandzeichen versehenen Sklaven gegen seinen Gebieter, so bin ich Euch doch tausendfach mehr unterworfen als ein solcher Sklave. Haltet diese Sprache nicht für Überspannung. Unerforschlicher Geist, der du mir diese leidenschaftlichen aufopfernden Gefühle gabst, warum hast du mir die Worte versagt, um sie auszudrücken? Dass ich erlöst werden könnte durch Erbarmen oder durch den Tod!«
»Ach, leider habe ich all dies gefürchtet.«
»Lynia, fürchtet Euch nicht, denn Ihr habt keinen Grund zur Furcht. Die Szenen eines vergangenen Lebens weichen zurück wie der Rauch von der zerstörenden Batterie. Das Gemetzel des Krieges, die verlorenen und gewonnenen Wahlplätze, so manche Tat, für die ich keinen Namen habe – all dies verschwimmt wie ein Schattenspiel an einem großen Vorhang. Und wieder sehe ich mich auf dem verfallenen Turm an Eures Vaters Schloss. Ich verfolge gegen Euch meine geringe Liebeswerbung. Lasst uns sagen, die Vergangenheit habe nie stattgefunden, lasst uns sagen, Ihr hättet mich nie mit Verachtung zurückgewiesen. Schaut mich wieder zu Euren Füßen. Ihr werdet mich nicht … nein, nein, nein … Ihr werdet mich jetzt nicht verwerfen!«
»O, mein brechendes Herz! Mein Gatte!«
»Möge Elend sein Haupt treffen und tausendfaches Weh ihn umringen! Warum habe ich den zitternden, ertrinkenden Köter aus der See geholt? O, jenes schöne walische Meer, aber es wäre ein viel zu ehrenhaftes Grab für den Feigling gewesen! Euer Gatte! Seid ehrlich! Lynia, wie kommt Ihr auf diesen?« Der wilde Räuber erhob sich aus seiner bittenden Stellung, richtete sich in der ganzen unaussprechlichen Majestät seiner Person auf und fuhr stolz fort: »Lynia, ich fordere Euch auf, ehrlich zu sein. Vergleicht mich mit jenem schwarzen Gerippe, Eurem Gatten. Vergleicht uns dem Körper und der Seele nach. Ich fordere Euch dazu heraus! Stellt einen Vergleich an. Jetzt ist keine Zeit, eine Selbstherabwürdigung zu erkünsteln. Ich weiß, was ich bin. In dem Guten, das in mir liegt, bin ich jenem memmenhaften Spanier so weit überlegen, als nur irgendetwas, das Gottes Ebenbild trägt, über ein schleichendes Gewürm. Und was das Böse betrifft, grausame, grausame Lynia, so lege ich dies alles auf Eure Seele!«
»Unschuldige Mutter Gottes! Was will dieser wilde Blutmensch damit sagen!«
»Ihr sprecht von einem wilden Blutmenschen? Doch das habt nur Ihr gesagt, stolze, aber herabgewürdigte Frau.«
»Ich eine herabgewürdigte Frau?«, versetzte sie mit Verachtung.
»Es ist vollkommen wahr, dass ich durch ein Meer von Blutschuld watete, aber Ihr habt mich dazu getrieben. Ihr verscheuchtet mich aus meiner friedlichen Heimat, habt mir fast das Herz gebrochen und mich zu dem gemacht, an was ich nicht zu denken wage. Ihr glaubt an ein Jenseits. Wenn ich meine rote Rechte erhebe und vor dem fürchterlichen Tribunal mich verantworte wegen Verbrechen, ob deren Kunde Ihr schaudern würdet, was glaubt Ihr wohl, dass ich antworten würde?«
»Ihr rast.«
»Lynia und ich – wir sind schuldig!«
»Mann vieler Sünden und schweren Undanks, ich bin stets gütig gegen Euch gewesen – ich, die Ihr eine herabgewürdigte Frau nennt. In allem suchte ich zu Eurem Besten zu wirken. Ich scheute keine Mühe, wurde nie flau und nahm an keinem Opfer Anstand, um Euren Geist mit den wenigen Kenntnissen, die ich besaß, zu bereichern und Euer Herz zur Tugend zu bilden. Hätte ich Euch nur in der verkümmerten Stellung gelassen, in der ich Euch fand, welche Verbrechen würde ich der Welt, welches Elend den unglücklichen Spaniern erspart haben! Hört mich an, Morgan, baut aber keine Hoffnung auf das, was ich Euch jetzt sage. Ich hatte Euch gern, würde Euch geliebt haben, wenn Ihr, wie ich selbst, edel geboren und nicht so viel jünger gewesen wäre. Ihr ward damals nur ein Knabe.«
»Ja, das war der verhängnisvolle Irrtum.«
»Nun, Sir, wozu nutzlose Rückblicke? Euer Herz muss Euch übrigens sagen, dass Ihr von meinen Händen nichts als Gutes empfangen habt, für das Ihr mich und die Welt mit grenzenlosen Übel bezahltet. Möge Gott Erbarmen haben mit Euch.«
»Haltet mich nicht für einen Schurken, Lynia. Tut es nicht, es könnte für Euch gefährlich werden.«
»Ich, eine herabgewürdigte Frau!«
»Ich wollte damit sagen, dass Ihr das edle Blut, auf welches Ihr so stolz seid, herabgewürdigt habt, indem Ihr eine spanische Vogelscheuche heiratet habt – einen Käufer und Verkäufer, einen Menschen, der nichts kennt als Gewinn und Verlust, einen armseligen Wucherer. War das wohl getan von der hochgeborenen walischen Lady? Ein englischer Franklin ist ihrer ein ganzes Tausend wert.«
»Er war die Wahl meines Vaters und gehörte meiner Religion an.«
»Und seine Religion! Wie gefällt Euch diese Religion, die Ihr jetzt in aller ihrer Herrlichkeit schauen könnt in diesem allerkatholischsten Land? Eure Mirakel, Eure Beichtstühle, Eure sehr einsichtsvollen Pfaffen? Ihr könnt Euch offen aussprechen. Ich werde Euch nicht an die Inquisition verraten. Ihr hattet stets einen forschenden Geist. Seid offen und sprecht Euch unverhohlen aus, nachdem Ihr selbst gesehen und ein Urteil gewonnen habt.«
»General Morgan, ich kann Euch kaum antworten. Indessen möchte ich doch lieber über Religion als über Liebe mit Euch sprechen. Der wahre Glaube ist hier allerdings nicht zu finden. Er wohnt weder in dem Herzen der Lehrer noch der Schüler, aber ich hoffe mit Inbrunst zu Gott, dass er ihnen ihre Unwissenheit um des guten Willens vergeben wird. Die Irrtümer einer fernen Provinz können die Wahrheit der römisch-katholischen Religion nicht bei trächtigen.«
»Euer Gatte ist ein Pfaffenknecht ist es nicht so?«
»Diese Frage ist nicht edelmütig, indessen will ich Euch nicht durch allzu große Bedenklichkeit reizen. Es wäre zu wünschen, da mein Gatte mehr auf die Gebete Gottes und seines eigenen Herzens hörte, als auf die der Priester.«
»Na, da haben wir schon etwas. Schöne Lynia, Ihr seid nicht zufrieden. Darin liegt Balsam für mich. Vergebt mir mein früheres Ungestüm. Bedenkt, wie schmerzlich es mir sein musste und noch ist, ein so vollkommenes Wesen zu lieben – es hoffnungslos zu lieben. Es findet eine Sympathie zwischen uns statt, die, obwohl Ihr es nicht einräumen mögt, zuletzt doch mein Geschick mit dem Euren verketten wird. Nein, erschrick nicht, du Vollkommenste unter den Lieblichen, ich will nicht durch Mord die Hindernisse beseitigen.«
»Ich danke Gott, dass er aus Eurem Bereice ist! Vergebt mir, Morgan.«
»Diese Gesinnung ist in einem Weib natürlich. Aber dennoch wundere ich mich, dass Ihr einem so welken Stängel zugetan sein könnt. Schon in seiner Mannheit war er nicht gewinnend – und nun ein Pfaffenknecht.«
»Er ist der Vater meiner Tochter.«
»Er schuldet mir sein Leben. Oh, wie bitter bereue ich es!«
»Nicht doch, General Morgan, Ihr habt selbst diesen Schuldbrief zerrissen. Wenn Ihr ihn, wie Ihr sagt, wie einen ertrinkenden Hund rettetet, so wolltet Ihr ihn wie einen Hund niederschießen. Ich hatte Euch alles vergeben, bis Ihr diese meuchlerische Tat begingt.«
»Es ist falsch. Ihr habt mich schändlich verleumdet. Selbst damals noch war ich schuldlos in Gedanken! Und in Tat. Jener verfehlte Schuss kam aus der Hand eines Menschen, der die Unbill, welche am Sohn seines Herrn geübt wurde, empfindlicher nahm, als dieser Sohn selbst. Ein alter Diener meines Vaters machte den Versuch. Hätte ich in dem Augenblick, als er die Arkebuse abfeuerte, nicht seine Hand zurückgeschlagen, so könntet Ihr, Lynia, jetzt das Web meines Herzens sein. Zweimal rettete ich das Leben meines jämmerlichen Nebenbuhlers.«
»Ah, und ist es wirklich so? Dann, Morgan, habe ich Euch sehe irrig beurteilt und ich bitte Euch wegen dieses Unrechts um Verzeihung.«
»So sind wir also Freunde, teure Lynia?«
»Innige, warme Freunde, Morgan – aber verlangt nicht mehr.«
»So weit bin ich zufrieden, meine unvergleichliche Schönheit.«
Dieses denkwürdige Gespräch endete mit dem von Morgan freiwillig abgelegten Versprechen, er wolle sich Mühe geben, der Donna Guzman ihre Tochter zurückzustellen. Eine gleiche Zusage machte er auch dem bittenden Mädchen, indem er ihr versprach, allen menschlichen Kräften aufzubieten, um ihre Mutter aufzufinden. Vermutlich war es aber eine übermenschliche Anstrengung, in eines der Gemächer des Hauses zu gehen und seine Bewohnerin in ein anderes zu führen, denn es fiel Morgan nicht entfernt ein, dies zu tun.