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Neue Töne im Oppidum

Lukas Gmür
Neue Töne im Oppidum
Eine kleine humoristische Erzählung

2260 n. Chr, in einem Fluggleiter von England in die Schweiz

Charles Freezer, ein Druide und Spezialist zur Bekämpfung von Muillearteachs, fühlte in seiner Innentasche seinen Arcanaculum. Dieser gab ihm Sicherheit. Doch war er dieses Mal nicht wegen eines Muillearteachs unterwegs. Nein, seine Mission war, Swiss Gray zu bereisen und die Helvetier, die nach ihrem letzten Aufstand gegen die Römer 66 nach Christus beachtliche Teile der Schweiz in die Entrückung brachten, für ein Bündnis mit den Iroschottischen Grayquarters zu motivieren. Denn mit der heutigen Technologie war es nur noch eine Frage der Zeit, dass man vom Weltall aus die Gray Lands lokalisieren könnte, ja, vom Weltall aus ginge das am besten. Dies wollte man durch ein Quarterübergreifendes magisches Band verhindern. Gerade als Zürich unter ihm auftauchte, sah Freezer einen Kleinraumer dicht an dem Gleiter, in welchem unter anderem er saß, mit einem elektronisch klingenden Wusch vorbeizischen. Der vor ein paar Jahren eröffnete Kleinraumhafen von Zürich empfing und entließ Kleinraumer, die kürzere Weltraummissionen bestritten.

 

Es war Sommer, die Zeit der Vereinigung des Männlichen mit dem Weiblichen (Lammas). Genauer gesagt war es August.

Die Bässe der auf den Schwebegleitern, Lastwagen und Traktoren befestigten riesigen Musikboxen wummerten und bummerten (es war gerade Streetparade), als Charles Freezer aus dem Linienfluggleiter ausstieg und sich auf die Suche nach einem Einpersonengleitertaxi machte. Da er sich von seiner Geburt an in den Gray Lands Schottlands aufhielt, erkannte er, dass die musikalische Evolution außerhalb der Entrückung noch vor dem Jazz-Zeitalter stecken geblieben war und sich seither kein neuer Musikstil als Unterhaltungsmusik durchschlagen konnte. Begeistert von dieser Musik zückte er seinen Arcanaculum und raunte: »Recordä!«

Stundenlang lief er mit den Leuten mit und ließ die rhytmischen Bässe und psychedelischen Klänge auf sich wirken. Der Rat im Grayquarter in Zürich im Oppidum beim Lindenhof tagte erst abends, abgeschottet vom Lärm außerhalb der Entrückung. Als Angehöriger der magisch begabten menschlichen Spezies stand Freezer der Weg in dieses Oppidum und überhaupt in jedes Grayquarter offen. Zwischen zwei Häusern öffnete sich auf seine Annäherung hin eine nur für ihn sichtbare Gasse, die er durchschritt. Von einem Moment auf den anderen war es, als hätte er eine andere Welt betreten, und nun stand er vor dem befestigten Oppidum. Die Luft war auch hier so herrlich unverbraucht. Sämtliche Abgase und Feinststaubteile wurden draußen gehalten. Um das Oppidum befanden sich die Felder der Ackerbauer und ein Wald. Dank eines Losungsworts bekam er Einlass. Da man vernahm, dass er sehr weit gereist war, um hierherzukommen, wollte der Siedlungsrat ihn auch anhören. Doch wie überrascht war er, als nicht nur menschliche Ratsmitglieder anwesend waren, sondern auch mehrere Elfen und Feen, die ohne Umschweife das selbe Anliegen vorbrachten, welches er bekunden wollte. So blieb Freezer nur noch die Rolle des Bestätigers: »Ich sehe, dass Ihr von Epona, cuculainn oder Morrigan geschickt wurdet! Und nun, zur Feier des Anlasses, hört her! Ich habe eine Überraschung für euch alle!«

Er zückte seinen Arcanaculum und rief: »Ludä!«

Mit einem Ploppen und Zischen spickte eine neblige Kugel aus der Spitze seines Stabes und wurde mit einem Knall oben an der Decke des Blockhauses zu einer riesigen Kugel, aus welcher es metallisch, technisch und völlig synthetisch wummerte und bummerte. Die Klopfgeräusche erreichten Infrabassfrequenzen und brachten das ganze Oppidum in Vibrationen. Sie passten absolut nicht in die Atmosphäre und waren dadurch umso faszinierender! Wiederholte Brumm- und Piepstöne gesellten sich zum rhytmischen Schlagen. Dann änderte sich der immer gleich rhytmische Klopfton.

Eine abgehackte, metallisch roboterhaft klingende Stimme dröhnte bellend: »Let’s have Party« … bumm, bumm, bumm … »As it would bee the last night!« … bumm, bumm, bumm … und immer wieder dieser eine Satz!

Ekstatisch-psychedelisch-schillernde »Wuaaaahwuaaahwuaaah«-Töne erfüllten den Raum, ein auf- und abschwellendes Brausen, andere Klopfgeräusche, und alles in enormer Lautstärke. Und die ganze Zeit: Bumm, bumm, bumm, bumm! Bamm, bamm, bamm, bamm! Prömm, prömm, prömm, prömm! Pummtawummtapummtawummtapummtawummtapummtawummta! Pfumpfklack pfumpfklack, pumpfklack, pumpfklack! Lauter als Schritte eines barfüßigen Riesen! Wumm, wumm, wumm, wumm! Krach, krach, krach, krach! Dresch, dresch, dresch, dresch, dresch! Dröhn, dröhn, dröhn, dröhn! Knall, knall, knall, knall! Balken und Scharniere vibrierten federnd klappernd nach: Bummwrrr, bummwrrr, bummwrrr, bummwrrr!

Die Stimme eines DJ brüllte dazwischen: »Let’s rock this crazy House!«

Das Wort House echote lange nach, immer wieder »House-House-House-House«, immer leiser, von immer weiter weg ertönend.

Plötzlich wurde die Dampfhammermusik gedrosselt, um in sehr dumpfem, sehr basslastigem Stil weiterzufahren. Ein Rise up echote. Langsam aber stetig fand sie wieder zurück zu ihrem aufdringglichen Hämmern und Klingeln: Dong, dong, klingelingeling! Dong, dong, klingelingeling! Ein Dreschen und Explodieren, als schlüge man auf riesige Töpfe ein! Rumms, rumms, rumms, rumms! Bong, bong, bong, bong! Bumm, toff, bumm, toff, bumm, toff!

Eine Stimme rapte: »There is a party in my hearth!« Immer wieder dieser Satz, nochmals und nochmals, endlos und sinnlos wiederholt! Nochmals ertönte das Rise up, das letzte Wort extrem in die Länge gezogen, auf einem immer gleichbleibenden schrillen Ton. Alarmartige Tonfolgen setzten ein. Wieder die nervenerschütternden Schallwellen, die die Luft in massive Vibrationen versetzten! Und nochmals verdrängte langsam ein anderes Lied den gerade laufenden Track.

»Yallah Habibi!«, plärrte eine Stimme, und tummpatammpatummpatammpatummpatammpa, stampften wieder die Bässe. Und wahrhaftig, das ganze Haus und mehrere Häuser darum herum wackelten bzw rockten! Peng, peng, peng, peng! Und immer wieder ein Sirren, Zischen und Wuschen wie von mehreren Kleinraumern! Sinnlos wurden kurze Texte mit einer hypnotischen, sich immer wieder wiederholenden Melodie durch den Raum gebrüllt.

»Lift up like a Rocket into the Summersky«, »Let’s raze«, »Dance till the youngest Day« und andere Sätze waberten durch den Raum. Und pamm, pamm, pamm, pamm, ramm, ramm, ramm, ramm,tock, tock, tock, tock, poing, poing, poing, poing, klopfte, schepperte, hämmerte, dröhnte, wummerte, knallte, bummerte, donnerte und krachte die Musik weiter und weiter. Track an Track wurde an deren Ende und Anfang aneinandergemixt, sodass alles wie ein einziges Lied erschien … ein Lied, das zwar eintönig, aber dennnoch fielfältig erschien und in seiner Länge und seinem immer gleichbleibenden Takt hypnotisch wirkte, bis eine monoton roboterartige Stimme rappte: »Quicklyer, Quicklyer, please! Quicklyer, Quicklyer please!«, und die Musik für ein Paar Takte tatsächlich schneller wurde, dann aber durch eine künstlerische Einlage wieder auf ihr ursprüngliches Tempo zurückgedrosselt wurde. Einige der zartbesaiteten, geflügelten Elfen und Feen lagen ohnmächtig am Boden. Andere waren verschwunden. Ekstatisch tanzende Menschen mussten aufpassen, dass sie nicht über sie stolperten oder auch nur auf einen Flügel eines Feen- oder Elfenwesens traten. Mehrere Rufe, die Musik leiser zu machen, ertönten.

»Reducerä!«, brüllte Freezer, seinen Arcanaculum auf die Box richtend. Die hallend und wiederholt singende Frauenstimme »Can you feel it« erklang nun nicht mehr so schrill. Dennnoch empfanden fast alle, als sie den immer höher anschwellenden Ton im Hintergrund hörten, ein Gefühl, als würden sie nächstens aus der Haut fahren. Ein anderer Magier murmelte: »So, jetzt reichts!« und streckte seinen Arcanaculum aus: »Finicerä!«

Sofort verstummte die ekstatisch wilde Trancemusik und die Box verschwand. Allgemeines Aufatmen. Langsam kam man wieder auf den Boden zurück und wandte sich den feinstofflichen Feen und Elfen zu, welche, von der Musik im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen, auf dem Rücken lagen, ohnmächtig, ausgenockt.

Ein leises, feines, hauchdünnes, zerbrechliches Stimmchen fragte schwach: »Was war das? Hilfe, so tönt es doch nur, wenn Menschen im Krieg miteinander sind!«

Die Besitzerin der Stimme, eine Fee, war gerade zurück ins Bewusstsein geholt worden.

Aus einer anderen Ecke des großen Ratsraumes hörte man einen sehr zartsaitigen Elfen fragen: »Ist es vorbei?«

Ein anderes Wesen fragte: »Lebe ich noch?«

Selbst von den stehen gebliebenen Anderswesen hörte man ein Stöhnen, Klagen und Jammern, außer von einer Elfe, die von der Musik begeistert war, Loopings, Schleifen und Rollen flog und jubelte. Es war eine Dunkelelfe.

Der Magier, welcher die Musik beendete, wandte sich barsch an Freezer: »Mister, das hier ist nicht der richtige Raum für solch einen neumodischen Scheiß! So etwas würde jede Graysiedlung völlig außer Kontrolle bringen, wie Sie ja hier gesehen haben! Lassen Sie sich das gesagt sein: Diese Musik ist in keinem Gray Land willkommen!«

Abends schlossen sie mit definitiv orts- und zeitgemäßerer Musik den Tag ab: Bardengesänge, Dudelsack, Flöten, Geigen und von Hand geschlagene tamburinartige Trommeln ertönten. Auch die Feen und Elfen bekamen die Gelegenheit, eine Musikeinlage beizutragen.

 

Am nächsten Morgen: Mit einem Pferdeomnibus fuhr Freezer mit einer Delegation zu anderen Oppida, um mit den Leuten zu reden. Man kam überein, dass sie ohne die Hilfe von Wesen des hellen und des dunklen Hofes nichts ausrichten könnten. Also flogen er und je ein Vertreter von je einem Oppidum zusammen nach Canterboury, einem der wichtigsten Thin Places, wo auch eines der wichtigsten Gray Quarters war, um mehrere Anderswelten zu bereisen. Und wahrhaftig, kurz vor zu spät, als auf einem Orterbildschirm in einem Raumschiff, welches ein Grayquarter überflog, die dortige Siedlung kurz flackernd auftauchte, entstand ein neuer, viel stärkerer magischer Ortungsschutz über allen Grayquarters.

 

Freezer versuchte es in einer Anderswelt unter Riesen nochmals, diesmal mit Drum and Base. Aufgrund deren Begeisterung tourte er damit weiter durch Ork- und Trollendörfer. Unter Orks war eher Rock angesagt. Auch einzelne Stämme der Zwerge waren angetan von dieser Musik. Unter den Lichtelfen versuchte er es mit Beatless Ambient. Doch meistens konnten die Lichtelfen sich, wollten sie sich durch Musik in eine andere Stimmung bringen, selbst mit Flöten, Tamburine, Streichern, Bardengesängen und Tanz abhelfen. Unter Goblins war eher Dubstep angesagt.

Falls jemand durch eine Anderswelt wandernd, aus einer Zwergenhöhle ein rhytmisches Rumpeldieklumperpeng hört: Jetzt weisst du, warum man nicht nur auf unserer Welt solche Musik hört!