Als E-Book erhältlich

Archive

John Sinclair Classics Band 30

Jason Dark (Helmut Rellergerd)
John Sinclair Classics
Band 30
Die Drachenburg

Grusel, Heftroman, Bastei, Köln, 23.10.2018, 66 Seiten, 1,80 Euro, Titelbild: Ballestar
Dieser Roman erschien erstmals am 06.04.1976 als Gespenster-Krimi Band 134.

Kurzinhalt:

Von den Einheimischen wird die Gegend gemieden. Niemand begibt sich freiwillig in das Areal des Teufels, es sei denn, er ist lebensmüde. Sandra Lee, die junge Geschichtsstudentin, ist es nicht. Doch ihr Wissensdrang ist mächtig, und so macht sie sich eines Tages ganz allein auf den Weg, um das Geheimnis dieser finsteren Festung zu lüften …

Leseprobe

Es war eine unheimliche Gegend!

Schwarz und drohend ragten die dunklen Felsen in die Höhe, berührten mit ihren zackigen Graten den tiefhan­genden blaugrauen Himmel.

Bin steifer Nordwind pfiff über das Land, fing sich zwischen den Felsen und jaulte eine schaurige Melodie. Es gab keine Vegetation. Nicht einmal karge anspruchslose Krüppelkiefern gediehen auf diesem Boden.

Hier schien der Vorhof der Hölle zu sein, ein Gebiet, in dem sich Geister und Dämonen zu einem unheilvollen Reigen vereinigten. Diese Landschaft strahlte eine Beklemmung aus, die ängstlichen Gemütern das Atmen erschwerte.

Und deshalb wurde die Gegend auch von den Einheimischen gemieden. Nie­mand ging freiwillig in das Areal des Teufels. wie es oft genannt wurde, es sei denn, er war lebensmüde.

Sandra Lee war es nicht!

Die Orkney-Inseln hatten sie schon immer fasziniert Bereits in der Schule hatte sie von diesem wilden Eiland nörd­lich von Schottland gelesen. Sie kannte die Geschichte der Inseln, die Sagen und Legenden, die sich darum rankten.

Ja. es war die Vergangenheit, die Sandra nicht in Ruhe gelassen hatte. Die Zeit der Kelten, jenes Volksstam­mes, der auf den Orkney-Inseln seine Spuren hinterlassen hatte. Überall noch fanden Historiker Ruinen aus der Keltenzeit und Opferstätten, wo die Kelten die heidnischen Druidengötter gnädig gestimmt hatten. Schaurige Ritu­ale waren damals vollzogen worden, die über Generationen hinweg wettererzählt worden waren.

Und in all den Erzählungen tauchte immer wieder ein Name auf.

Die Drachenburg!

Tok-El, ein schrecklicher Druiden­gott soll der Baumeister gewesen sein und sie anschließend verflucht haben. Ein magischer Zauber bannte die Dra­chenburg in eine andere Dimension, und nur in Vollmondnächten tauchte sie aus dem Zeittunnel auf und stand als trutzige Festung hoch auf der Spitze eines Berges.

Es war die Zeit des Vollmondes, die Sandra Lee sich ausgesucht hatte.

Sie hatte die Reise lange vorbereitet. Während ihres Geschichtsstudiums hatte sie sich intensiv mit dem Land beschäftigt und so viel Geld gespart, dass sie ihr Studium für ein Semester unterbrechen konnte, um sich an Ort und Stelle umzusehen.

Sandra Lee wollte die Drachenburg finden, wollte das Geheimnis dieser Fes­tung lüften – und wenn es ihr eigenes Leben kosten sollte!

Sandra hatte nirgendwo Unterstüt­zung gefunden. Sie war ausgelacht worden. Selbst ihr Freund Peter hatte an ihrem Verstand gezweifelt. Doch was sich Sandra einmal in den Kopf gesetzt hatte, das führte sie auch durch.

Sie wohnte auf einer Nachbarinsel in einem kleinen primitiven Gasthaus. Von einem Fischer hatte de sich ein Boot gemietet und war zur Dracheninsel ge­fahren, diesem felsigen Eiland, auf dem der Sage nach in Vollmondnächten die unheimliche Burg auftauchen sollte.

Gesehen hatte die Burg angeblich noch niemand. Stets war sie von einem grauviolett schimmernden Nebelschweif umlagert, den nicht einmal der stärkste Wind vertreiben konnte.

Sandra hatte das Boot in einer klei­nen Bucht vertäut und sich auf den Weg gemacht.

Sie war ein hübsches Mädchen, ein­undzwanzig Jahre jung, und hatte brau­nes lockiges Haar. Dominierend waren in ihrem Gesicht die meergrünen Augen, die ihren Freund Peter so faszinierten. Sandra hatte vor und während ihres Studiums Sport getrieben. Deshalb be­reitete ihr auch die mühevolle Kletterei keine Schwierigkeiten.

Ein schmaler, kaum erkennbarer Pfad schraubte sich vor Sandra in die Hohe. Noch war es Tag, und die gelb schimmernde Januarsonne stand tief am Himmel. Es herrschte eine gesunde trockene Kälte, etwas, was in diesen Breitengraden selten genug vorkam.

Sandra schnürte die Kinnbänder Ih­rer pelzgefütterten Parkakapuze fester und wich einem Findling aus, der den schmalen Weg versperrte.

Zwei Stunden war sie schon unter­wegs, und als sie zurückblickte, sah sie tief unter sich die Brandung gegen die Felsen donnern Gischt spritzte auf. Unzählige Wassertropfen brachen das Sonnenlicht und zauberten sämtliche Farben des Spektrums.

Es war ein wildromantisches Bild, das sich den Augen der Abenteuerin bot.

Sandra ging weiter Meter für Meter schaffte sie, und je höher sie kam, umso beklemmender wurde das Gefühl, das plötzlich von ihr Besitz ergriffen hatte.

Kehre um!, sagte eine innere Stimme. Noch ist es Zeit.

Einen Augenblick lang wollte Sandra der Stimme ihres Gewissens folgen, doch dann schüttelte sie entschlossen den Kopf. Nein, sie würde weitergehen. Die Arbeit von Jahren sollte nicht umsonst gewesen sein.

Es war kalt, und Sandras Atem stand als helle Wolke vor ihren Lippen. Felsen, auf denen Wind und Wetter ihre Spu­ren hinterlassen hatten, türmten sich vor Sandra in die Höhe. Der schmale Pfad führte auf eine Schlucht zu, deren Eingang ihr wie das riesige Maul eines Ungeheuers vorkam.

Sandra holte tief Luft, ehe sie sich in die Schlucht hineinwagte.

Dunkelheit nahm sie gefangen.

Sandra fühlte sich als der einsamste Mensch auf der Welt. Nichts war zu hören, außer ihren Schritten. Die Fel­senwände zu beiden Seiten vor Schlucht wuchsen nach oben hin zusammen und ließen kaum einen Schimmer Tageslicht hindurch.

Plötzlich zuckte Sandra zusammen. Etwas war dicht über ihren Kopf hinweggesegelt. Einen Atemzug später hörte sie ein heiseres Gekrächze.

Sandra lächelte und atmete auf. Eine Krähe war in die Schlucht geflogen und hatte sie so erschreckt.

Dieser Vogel war das erste Lebewe­sen, das Sandra auf der Dracheninsel entdeckte, obwohl die ringsum liegen­den Inseln als Vogelparadies galten. Doch hier auf der Dracheninsel schien alles anders zu sein. Spürten die Tiere etwa die Bedrohung, die von diesem Eiland ausging?

Sandra Lee ging weiter, drang immer tiefer in die enge Schlucht hinein. End­lich nach etwa einer halben Stunde tauchte das Ende der Schlucht auf.

Sandra lief schneller und stand plötzlich vor einem grandiosen Pano­rama.

Ein kleines Tal breitete sich vor ihr aus, umgeben von wuchtigen Felstür­men, deren schroffe Grate riesigen Bas­tionen glichen. Die letzten Sonnenstrah­len wurden wie glitzernde lange Speere von Westen her in das Tal geworfen und übergossen die üppige Vegetation mit goldenem Schein.

Ein kleiner See lag still und verlassen vor Sandras erstauntem Blick. Seine Oberfläche war dunkel, fast schwarz und zeugte von einer unergründlichen Tiefe. Birken. Kiefern und Fichten wuchsen bis an die Felswände heran und bildeten einen natürlichen, sattgrünen Wall.

Doch kein Tier, kein einziges Lebewe­sen war zu sehen. Über der Landschaft lag eine unnatürliche Stille.

Sandra glaubte, ihren eigenen Herz­schlag hören zu können, und wusste mit einem Mal, dass sie nicht mehr weit von ihrem eigentlichen Ziel entfernt war.

Schritt für Schritt ging sie weiter, betrat den federnden Grasboden, dessen Halme sich unter ihren Sohlen bogen.

Sandras Blicke wanderten an den majestätischen Felswänden hoch, und plötzlich zogen sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.

Über der höchsten Erhebung lag ein dichter Nebelring!

Verbarg sich dort die Drachenburg? Hatte sie das sagenumwobene Gemäuer endlich gefunden?

Die langen Schatten der Dämmerung krochen stetig und unaufhaltsam in das kleine Tal und umhüllten alles mit einem dunklen Schleier.

Sandra Lee ging schneller. Sie wollte die Drachenburg noch vor der Dunkel­heit erreichen.

Schnell hatte sie das Tal durchquert lind stand schließlich vor der Felswand, deren Spitze von dem geheimnisvollen Nebelschweif vor ihren Blicken verhüllt wurde.

Wie konnte sie diese Höhe überwin­den? Es war unmöglich, die steile Wand hinaufzuklettern. Sandra schob einige Zweige eines Strauches zur Seite, und plötzlich begannen ihre Augen zu glän­zen.

Sie hatte eine schmale Treppe gefun­den!

Die einzelnen Stufen waren ziemlich hoch und führten in einer geraden Linie den Berg hinauf.

Wer hatte diese Treppe in den Felsen gehauen?

Sie schien schon uralt zu sein. Das Gestein war teilweise verwittert, und Sandra hatte Angst, dass die Stufen ihr Gewicht nicht halten wurden. Doch sie schüttelte das beklemmende Gefühl ab und machte sich an den Aufstieg.

Die junge Studentin zählte die Stufen nicht, die sie hinaufstieg, doch schon bald spürte sie ihre Beine nicht mehr.

Der Weg vorher war im Vergleich zu diesem Treppensteigen ein Kinderspiel gewesen.

Sandra sah nicht ein einziges Mal zu­rück, aus Angst, sie könnte das Gleich­gewicht verlieren und abstürzen.

Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergan­gen war, als sie die erste Pause einlegen musste.

Kurzerhand ließ Sie sich auf eine Stufe sinken und schlug die Hände vors Gesicht. Die Dunkelheit hatte das Land jetzt völlig zugedeckt, und Sandra dachte mit Schrecken an den Rückweg. Was war, wenn sie die Dra­chenburg nicht fand? Dann musste sie die Treppenstufen in der Finsternis zurücklaufen. Ein lebensgefährliches Unterfangen.

Jetzt bereute Sandra, dass sie allein auf diese Insel gekommen war. Sie hätte doch lieber in London bleiben oder we­nigstens jemanden mitnehmen sollen. So aber war sie völlig auf sich allein gestellt.

Sandra stand auf und ging weiter. Stufe für Stufe näherte sie sich ihrem eigentlichen Ziel.

Einmal blieb sie stehen und hob den Blick.

Ein rotviolettes Licht schimmerte ihr entgegen, gedämpft durch einen verwa­schenen Nebelschleier.

Das Licht war gar nicht weit entfernt. Sandra hatte das Gefühl, es mit den Händen greifen zu können.

Sie ging weiter. Erregung hatte sie gepackt. Sie sah sich schon am Ziel ihrer Wünsche.

Die ersten Nebelschleier griffen nach Ihr, umtanzten ihren Körper, hüllten sie ein.

Es wurde kälter!

Sandra begann zu frieren. Es war eine seltsame Kälte, nicht aus der Natur ge­boren, sondern aus einer …

Sandras Gedanken stockten.

Die Treppe war zu Ende.

Vor ihr lag undurchdringlich wie dicke Watte die Nebelwand. Sandra meinte Stimmen zu hören Raunen und Wispern. Die Stimmen schienen von überall herzukommen, hatten sie regel­recht eingekreist.

Zögernd ging Sandra weiter.

Und plötzlich stand sie vor einer Mauer. Sie streckte die Arme vor. Ihre Hände tasteten über rissiges Gestein.

Sandras Herz machte einen Freuden­sprung. Sie war am Ziel ihrer Wünsche angelangt. All die Mühe, all die For­schungen hatten sich ausgezahlt.

Vor ihr lag – die Drachenburg!

Personen

  • Sandra Lee, Studentin
  • Tok-El, Druidengott
  • Count of Blackmoor
  • Dienerinnen des Count
  • Wirt von Skippers Home
  • Semman
  • Bud
  • Dürrer Mann
  • Jane Collins, Privatdetektivin
  • Peter Lorimer, Jurist
  • John Sinclair, Oberinspektor bei Scotland Yard
  • Sir James Powell, Superintendent
  • Jack Sturgess, Pilot
  • Old Kilroy, Bootsverleiher

Orte

  • Orkney-Inseln
  • London

Quellen:

  • Jason Dark: John Sinclair Classics. Geisterjäger John Sinclair. Band 30. Bastei Verlag. Köln. 23. 10. 2018
  • Thomas König: Geisterwaldkatalog. Band 1. BoD. Norderstedt. Mai 2000