Sir Henry Morgan – Der Bukanier 31
Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845
Einunddreißigstes Kapitel
Morgan hält sich für seine getäuschte Erwartung durch Ermorden und Foltern von etlich und fünfzig Spaniern schadlos. Trifft unter seltsamen Umständen mit seiner ersten Liebe zusammen, findet sie ganz in seiner Gewalt und ist nicht glücklich.
Am nächsten Tag bekam Morgan Lynia Guzman nicht zu Gesicht. Er begnügte sich, ihr freundliche Grüße sagen zu lassen und sich zu überzeugen, dass sie alles besaß, was sie in ihren Umständen verlangen konnte. Mochte nun der Grund darin liegen, dass er seine Sinne durch Tätigkeit der Versuchung entfremden wollte oder dass Handeln für das Wohl der Expedition erforderlich war. Kurz, er bot noch am selbigen Tag eine Abteilung von dreihundert Mann auf, an deren Spitze er sich persönlich stellte, um das Land nach Beute und Gefangenen zu durchstöbern.
Man muss wohl annehmen, dass unser Held einigermaßen ergrimmt war, denn seine Fortschritte waren mit Blutspuren bezeichnet. Man konnte seine Anwesenheit aus dem Geschrei der Gefolterten entnehmen. Jeder neue Gefangene fiel nun ohne Unterschied der Tortur anheim. Seine Leute waren allmählich durch die Gräuelszenen so verhärtet geworden, dass das Stöhnen von sterbenden Männern, Weibern und Kindern keine andere Erregung in ihnen hervorrief, als die der Heiterkeit.
Wir müssen übrigens gestehen, dass viel zusammentraf, um unsere Helden in eine ärgerliche Stimmung zu versetzen. Er war nicht treu – oder wenn auch treu, so doch nicht eifrig bedient. Die Anführer und Offiziere der Expeditionen, welche er zu Wasser und Land ausschickte, vergaßen sich nur zu gerne in Unmäßigkeit. So ging zehnmal mehr Beute verloren, als gewonnen wurde.
Morgan blieb eine ganze Woche auf seinem Streifzug und kehrte zurück, die Seele mit vielen Morden geschwärzt und die Hände schwer mit Beute beladen. Er hatte einen sehr erfolgreichen Ausflug gemacht und viele Gefangenen gewonnen, welche großes Lösegeld in Aussicht stellten. Auch nach seiner Rückkehr enthielt er sich, Lynia zu besuchen. Freilich kam er durch diese Enthaltsamkeit weder unter den Spaniern noch unter seinen Leuten zu einem besseren Ruf, denn man erzählte sich allgemein, er habe eine solche Freude am Klosterleben, dass er das ganze Nonnenkloster bei sich aufgenommen habe, die alte Pförtnerin und die hochwürdige Frau Äbtissin nicht ausgenommen. Es ist wahr, dass er sie in der strengsten Abgeschiedenheit erhielt. Weiter konnte man ihm übrigens, soweit sie beteiligt waren, nicht verwerfen. Im Vergleich mit seinen Taten draußen war er ein Heiliger, wenn er sich zu Hause befand.
Als Morgan eben von seinem Streifzug durch das Land zurückgekommen war, erschien auch eine Partie, welche er längs den Küsten der südlichen See hingeschickt hatte. Die kleine Flotte von bedeckten Booten hatte sich weit besser benommen, als das frühere mit ähnlichem Dienst beauftragte Geschwader, denn sie brachte viele Beute und mehrere ausgezeichnete Gefangene mit sich.
Wir haben schon oben bemerkt, dass Morgan bei besonderen Anlässen gerne mit viel militärischen Pump aufzog. Vielleicht hatte er eine Ahnung dessen, was vorfallen dürfte, als ihm berichtet wurde, dass sich unter den Gefangenen eine Dame von großer Schönheit befinde, die über ihren Namen und Stand keine Auskunft erteilen wolle, aber augenscheinlich eine Person vom ersten Range sei.
Morgan hatte den Hauptpalast der Stadt in Besitz genommen und sich mit all der Pracht umgeben, welche die Flammen im Haus des Vizekönigs verschont hatten. In einer sehr imponierenden Tracht saß er, von einem ritterlichen Haufen wohlbewaffneter Soldaten und einen großen Gefolge von Offizieren, die sich gleichfalls mit Beute geschmückt hatten, umgeben, mittags auf einer Art von Thron in der Audienzhalle, um dort die neugemachten Gefangenen zu empfangen. Granden und Damen des höchsten Ranges zogen vor ihm auf und ließen sich, als sie Namen und Würde nach Belieben angaben, weil sie die Erpressung eines allzu übermäßigen Lösegeld fürchteten, vor dem General auf ein Knie nieder, während dieser ihnen nur in so ferne Beachtung schenkte, dass er kaltblütig seinem Sekretär den Preis in die Feder diktierte, den jede so genannte Person für ihre Freiheit zu bezahlen hatte.
Endlich erschien eine Dame von überraschender Schönheit, welcher selbst die gesetzlosen Bukanier unwillkürliche Huldigung zollten. Sie stand noch in ihre beste Lebensblüte – ein wahres Wunder für dieses Klima, denn obwohl ihr Teint der einer Brünetten war, entfalteten doch ihre Wangen den ganzen weichen Purpurreichtum auf der sonnigen Seite eines Pfirsichs. Sie war etwas enbonpoint von der majestätischsten Haltung und stand vor Morgan im Glanz einer fast übermenschlichen Schönheit. So großartig sich auch Morgan ausnahm, schien doch sie die Kaiserin, er der Vasall zu sein.
Sie erkannten sich augenblicklich. Fühlte Morgan damals die Demütigung des zurückgewiesenen Liebhabers oder die Erhebung des triumphierenden Eroberers? Was übrigens auch in seinem Inneren vorgehen mochte, er war augenscheinlich sehr unruhig. In ihrem Wesen zeigte sich keine Verstörtheit, ein schönes Lächeln breitete sich über ihre herrlichen Züge. Als sie vom diensttuenden Offizier aufgefordert wurde, ihren Namen und Stand zu nennen, entgegnete sie, ohne eine Ausflucht zu versuchen oder Furcht blicken zu lassen: »Donna Lynia Guzman, adlig sowohl von Geburt als durch Heirat und Gattin eines reichen Kaufmannes von Panama, der sich jetzt zu Cádiz in Alt-Spanien befindet.«
Jedes Ohr lauschte gespannt auf das Lösegeld, welches Morgan festsetzen würde. Dieser aber sprach nicht, sondern fasste seine Gefangene fest ins Auge. Es war ein nichtssagender Blick – fast wie der eines tölpischen Bauern, wenn er plötzlich vor einen angesehenen Mann zu treten hat. Endlich drückten seine Züge einige Überraschung, dann etwas Unmut aus.
Er bemerkte gegen den Zeremonienmeister: »Die Gefangene vor uns ist nicht wie die übrigen niedergekniet.«
»Sie ist eine vornehme Dame«, ließ sich deutlich von den Lippen mehr als eines der anwesenden Offiziere vernehmen.
»Oh!«, ergriff die Sigñora das Wort, »wenn General Morgan auf solche Eitelkeiten einen Wert legt, so will ich gern vor ihm niederknien. Es wird mich nicht geringer, den General nicht größer machen. Auch vermag eine solche Handlung weder die Vergangenheit zu vernichten noch der Gegenwart mehr Würde zu verleihen. Henry Morgan, Vasall meines Vaters, ich knie vor dir.«
»Was ist das?«, rief Morgans Hofstaat. »Sie spricht vortrefflich Englisch.«
»Ich bin eine geborene Engländerin«, entgegnete die Dame, wie eine von Englands Königinnen umherschauend.
»Hurra! Nichts da von Knien!«, erscholl es von allen Seiten.
»Aber ich will …«
»Nicht doch«, erwiderte Morgan, von seinem Thronsessel heruntersteigend und ihre Kniebeugung hindernd, indem er sie mit beiden Händen auffing. »Die Überraschung hat mich roh gemacht. Ihr kennt mich also, Lady!«
»Ja, leider, ja. Ihr seid mir und den meinen ein schrecklicher Feind gewesen. Ich bin jetzt in Eurer Gewalt. Ihr habt viel Gutes von meinen Händen empfangen.«
»Noch weit mehr«, rief Morgan, indem er einem Ausbruch von Leidenschaft Raum gab, »noch weit mehr Schlimmes.«
»Das Schlimme habt Ihr selbst geschaffen, habt sogar das Gute in Schlimmes umgewandelt.«
»Nichts mehr davon! Gentlemen, diese Gattin eines Spaniers und ich, wir waren als Kinder bekannt. Ihr Gatte hat mich schwer gekränkt, aber ich bin edelmütig. Wir wollen später vom Lösegeld sprechen. Besorgt ihr eine ehrenvolle Bedienung. Derjenige soll des Todes sein, welcher es wagt, ohne meine oder der Dame Einwilligung in ihre Abgeschiedenheit einzudringen. Donna Lynia, ich werde Euch um Sonnenuntergang meine Achtung bezeugen. Begleitet die Dame, Tomlins, und schafft ihr einige ehrenvolle spanische Matronen zur Bedienung.«
Nun hatte Tomlins stets im Zelt oder Quartier als Morgans Major domo funktioniert und führte eine ebenso tüchtige Faust gegen Ochsen und Schafe wie gegen den Feind. Ehe er unter seinem berühmten Gebieter Dienste genommen hatte, war er ein einfacher, ehrlicher Suffexer Bauer gewesen. Die Feldzüge hatten den Mutterwitz, dessen er sich in nicht sonderlichem Grad erfreute, bis jetzt noch nicht viel geschärft. Sobald daher der Major domo des Palastes seine Aufträge entgegengenommen hatte, salutierte er vor seinem königlichen Pflegling mit aller Höflichkeit und erwiderte dann in gedehntem Ton gegen Morgan: »General, soll ich die unvergleichliche Dame unter die Ladies in Euer Gnaden Nonnenkloster bringen?«
Ein allgemeines Gelächter folgte dieser täppischen Frage. Morgan nahm das Ungeschick seines Dieners empfindlicher, als er hätte tun sollen, denn in Beziehung auf die eingemauerten Damen war sein Benehmen nicht nur unschuldig, sondern auch ehrenhaft.
»So lieb dir dein Leben ist, dummköpfiger Erdenklos, der du bist, sorge dafür, dass Lady Guzman in keinerlei Berührung mit den Frauenzimmern in jenem Teil des Palastes kommt. Ihr lacht, Gentlemen, und ich betrachte dies als einen ungebührlichen Mangel an Disziplin, der des militärischen Charakters ganz unwürdig ist. Habt ihr vergessen, dass ihr keine Banditen oder Bukanier seid, sondern ehrenvolle Posten im Dienste des größten Königs der Welt behauptet? Lasst mich nie wieder etwas Ähnliches hören.«
Niemand konnte strenger sein als Morgan, und dieser Verweis wurde im strengsten Ton seiner Stimme erteilt. Die unehrerbietige Heiterkeit legte sich daher augenblicklich, und das übrige Lever des Oberbefehlshabers lief mit offiziellen Anstand ab.
Donna Lynia erhielt eine prächtige Reihe von Gemächern angewiesen. Unter den gefangenen spanischen Damen zeigten sich viele erbötig, der Schwägerin des Präsidenten von Neu-Spanien, welche, wie man bereits gesehen hatte, so viel über Morgan vermochte, Dienste zu leisten. Die Donna selbst bewahrte ihre Geistesgegenwart bewunderungswürdig und schien nur durch eine einzige Sorge gequält zu werden. Sie wusste nämlich nichts von ihrer Tochter, welche, ohne dass sie eine Ahnung davon hatte, sich als ihre Mitgefangene unter demselben Dach befand.
Morgan traf die nötige Vorsichtsmaßregeln, damit weder Mutter noch Tochter von ihrer gegenseitigen Nähe Kunde erhielten. Warum er dies tat, hätte er wohl selbst kaum beantworten können.
Bereits begann er die Unzulänglichkeit bloßer roher Gewalt zu fühlen. Er war vielleicht der verwirrteste, am wenigsten glücklichste Mann in seiner wilden Armee. Den Rest dieses ereignisvollen Tages verbrachte er entweder in einem stumpfsinnigen Gefühle seines Elends oder damit, dass er sich in vorübergehende Wutausbrüche hetzte. Er näherte sich weder der einen noch der anderen von seinen schönen Gefangenen.