Als E-Book erhältlich

Archive

Der Konstanzer Hans Teil 1

W. Fr. Wüst
Der Konstanzer Hans
Merkwürdige Geschichte eines schwäbischen Gauners
Reutlingen, 1852

Einleitung

In der zweiten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts, nämlich von 1750 an, hausten in verschiedenen Gegenden unseres deutschen Vaterlandes einzelne Gauner und kleinere und größere Gaunergesellschaften. Wer hat nicht schon vom Sonnenwirtle, vom bayrischen Hiesel, vom Hannikel, vom Schinderhannes usw. gehört? Zu dieser gefährlichen und gefürchteten Menschenklasse gehörte auch der Konstanzer Hans, welcher vier Jahre lang vom südlichen Teil Schwabens an bis in die Schweiz hinein sein Unwesen trieb und wegen seiner List und Kühnheit der Schrecken dieser Gegenden war. Sein Leben und seine Schicksale will ich dir nun erzählen, lieber Leser! Und du darfst diese Erzählung umso gewisser für wahr hinnehmen, da sie aus ganz sicherer Quelle geschöpft ist, nämlich aus den eigenen Angaben des betreffenden Gauners selbst.

Die Kumpane des Konstanzer Hans bei seinen vielen Unternehmungen waren: der Schul-Toni, der Brentemer Seppe, Städele, die Schleifer Bärbel, der starke Hans, Julian Seppe, die schöne Rösel, der Schinder-Peter, der schwarze Toni Viktor, Hannikel, Setenzel, Stocker-Michels Gebhardt, Menrad Wahler und viele andere. Jedoch war er nur zeitweise mit dem einen oder anderen dieser Gauner in Verbindung, trennte sich nach einem Diebstahl gewöhnlich wieder von dem, mit welchem er ihn begangen hatte, und suchte sich einen andern Kameraden aus.

Erstes Kapitel

Die Geburt und Erziehung des Konstanzer Hans

Auf dem Schwarzwald trifft man gar viele Bauernhöfe an, welche zu jener Zeit, von der wir hier reden, von herumziehenden Bettlern, von Zigeunern und liederlichem Gesindel immer fleißigen Besuch erhielten. Jeder Dürftige, jede Bettlerfamilie fand bei den gastfreien Bewohnern Aufnahme und konnte oft Wochen lang fast wie Hausgenossen unter ihnen wohnen. Noch heute findet man dort diese Gastfreundschaft in manchen Dörfern und Höfen an, namentlich in den wohlhabenderen, also, dass zum Beispiel reisende Handwerksbursche gewöhnlich in den Bauernhäusern nicht nur Nachtquartier, sondern auch Nachtessen und Frühstück unentgeltlich erhalten.

Auf einem dieser Höfe wurde Hans im August 1759 geboren. Aber warum wurde er denn der Konstanzer Hans genannt wurde, da er ja nicht in Konstanz zur Welt kam? Sein Vater war aus Konstanz gebürtig, seines Handwerks ein Schuster und hieß Herrenberger. Doch muss dieser schon als Lehrling kein rechtes Sitzleder gehabt haben, was doch bei einem Schuster eine Hauptsache ist. Er entlief nämlich seinem Lehrmeister in Konstanz und wurde holländischer Soldat, erhielt aber bald wieder seinen Abschied, kehrte in seine Vaterstadt zurück und ging noch einmal in die Lehre. Dann begab er sich auf die Wanderschaft, hatte aber keine besondere Freude an der Arbeit, sondern war so ein rechter Fechtbruder Land auf und ab, und machte sich von dem Erbettelten öfters gute Tage. Solche fahrende Brüder gibt es auch heutzutage gar manche, welche sich außer Geld auch Kleidungsstücke erfechten, aber nicht sowohl deshalb, um anständiger auftreten zu können, sondern um sie wieder zu Geld zu machen und bei Bier und Schnaps lustig sein zu können. Solche Fechtbrüder werden nie tüchtige Meister werden. Nach dem alten Sprichwort »Jung gewohnt, alt getan« werden sie die Arbeitsscheu nicht verlieren, sondern ihren Gemeinden zur Last fallen oder als rechte Taugenichtse in der Welt herumziehen.

Hansens Mutter war bei Aschaffenburg zu Hause. Ihr Vater machte, nachdem er Vermögen und Ehre durch Leichtsinn und Liederlichkeit eingebüßt hatte, mit seiner Familie eine Wallfahrt nach Rom. Die Tochter kehrte aber in Graubünden wieder um. In Oberkirch im Badischen erhielt sie in dem dortigen Kapuzinerkloster wie jeder Bettler und Wanderer mittags eine Suppe.

Der Schustergeselle Herrenberger, der zugleich mit ihr im Kloster angekommen war, lernte sie da kennen. Sie gefielen sich gegenseitig und schlossen sogleich die Heirat. Ein Jahr lang hielt sich das Ehepaar auf den Höfen des Schwarzwaldes auf und Herrenberger trieb sein Schusterhandwerk. Ganz unerwartet kam der Vater seiner Frau zu ihnen und schilderte das Pilgerleben so reizend, dass sie die von ihm vorgeschlagene Wallfahrt nach Spanien mitmachten. Hier lagen sie ein halbes Jahr krank, kehrten nach ihrer Genesung ins Vaterland zurück und machten noch eine Pilgerreise nach Rom. Nach ihrer Rückkehr von da blieben sie viele Jahre hindurch ruhig in den schönen Schwarzwaldtälern in der Gegend von Oppenau und dem Kloster Allerheiligen. Im Winter schusterte Herrenberger und versah daneben einige Winter hindurch Schulmeistersdienste. Seine Frau flocht Körbe und legte sich öfters auch auf das Betteln.

Zu der Zeit, als der Schuster schulmeisterte, war Hans noch nicht in dem zum Schulbesuch tauglichen Alter. Später mochte sich sein Vater nicht mit ihm abgeben, ungeachtet er seinem Sohn manche schöne Kenntnisse hätte beibringen können. Es machte ihm mehr Vergnügen, in Gesprächen mit den Bauern seine Kenntnisse auszukramen und allerlei Merkwürdigkeiten von seiner Reise aufzutischen. Nur zur Not lernte der Knabe ein wenig buchstabieren; an religiös-sittliche Bildung wurde nicht gedacht. Die Mutter, um die er den größten Teil des Tages war, hatte selbst eine schlechte Erziehung genossen und zeigte weder Neigung noch Fähigkeit, ihrem Kind gute Gesinnungen einzupflanzen und demselben nur das Notdürftigste von der Religion beizubringen. So kam es denn, dass der muntere Knabe, der treffliche Anlagen besaß, seine meiste Zeit mit Spielen zubrachte. Und in welcher Gesellschaft spielte er! Es waren die Kinder verdorbener Leute, die auf den Höfen und den Klöstern herum bettelten und eine Scheu vor der Arbeit hatten. Häufig wurde von diesen Leuten das Stehlen mit dem Betteln vertauscht. Diese bösen Beispiele verdarben Hansʹ Herz, welches für das Gute nicht unempfänglich war. Hätte also Hans eine gute Erziehung und Bildung genossen, so wäre gewiss etwas Tüchtiges aus ihm geworden. War der Vater auch streng gegen ihn, so war er es nur selten mit Klugheit und Mäßigung, denn wegen kindischen Mutwillen bestrafte er den Sohn oft hart und tyrannisch. Die Mutter war zu nachsichtig, übersah große Unarten und bestrafte oft kleine, wie sie eben gelaunt war. Überdies verheimlichte sie dem Vater gar oft bedeutendere Fehler des Kindes. Die Bestrafung von seiner Mutter achtete er daher wenig. Diese konnte sich meistens nur dadurch Gehorsam verschaffen, dass sie ihm mit dem Vater drohte. Ein solcher Gehorsam aber ist nichts wert. Die Verdorbenheit der Kinder ist immer die Folge einer solchen verkehrten Erziehung, bei welcher Vater und Mutter nicht einig sind, nicht nach richtigen Grundsätzen handeln, sondern sich nur von ihrer augenblicklichen Laune und Stimmung leiten lassen.

Herrenberger und seine Familie hatten indessen ein ordentliches Auskommen, indem sie durch Tagelöhnergeschäfte im Kloster Allerheiligen auf einen sicheren Verdienst rechnen konnten. Dennoch war der Schuster unzufrieden und begab sich zu einem Straßenbau bei Oppenau, wo er aber nicht so viel verdiente, dass er sich und seine Familie ernähren konnte, umso weniger, als damals, 1770, die Teuerung schon anfing.

Hans war damals elf Jahre alt und sollte nun auch das seine zur Herbeischaffung von Lebensmitteln beitragen. Allein dies geschah auf eine Weise, wodurch mit der Grund zu seiner nachher so verdorbenen Gemütsart gelegt wurde. Zwei Sommer hindurch musste er in jeder Woche auf einer von dem Vater bestimmten Zahl von Bauernhöfen Brot und andere Lebensmittel erbetteln. Da ihm nun die Bauern aus alter Bekanntschaft größere Stücke als anderen Bettlern schnitten, so benutzte er dies auf listige Weise. Er machte aus größeren Stücken zwei kleinere, verkaufte von den Portionen an arme Leute, kaufte sich aus dem erlösten Geld Semmel (Wecken) und brachte dennoch so viele Stücke heim, wie ihm Höfe angewiesen worden waren. Wie er hier seine Nachhaftigkeit zeigte, so waren auf seinen Wanderungen auch die Obstbäume vor ihm nicht sicher, die er gern schüttelte, wenn er sich unbemerkt glaubte. Ebenso vermehrte er den Brotvorrat in seinem Bettelsack mit gestohlenen Kartoffeln.

»Mit Kleinem fängt man an, mit Großem hört man auf.« So war es auch bei Hans. Er nahm auf einem Jahrmarkt einem Krämer eine Tabakspfeife. Dieser bemerkte es, prügelte ihn tüchtig durch und zeigte es seinem Vater an, der ihm auch noch eine starke Portion ungebrannter Asche zukommen ließ. Um dem Sohn die schrecklichen Folgen des Diebstahls recht vor Augen zu stellen, nahm der Vater ihn nach Oberkirch mit, wo ein Zigeuner wegen Stehlens hingerichtet wurde. Hätte die Mutter in gleichem Sinne gehandelt, so wäre Hans gewiss gerettet worden und die Eltern hätten nicht die Schande und die schwere Verantwortung gehabt, ihren Sohn zum Gauner erzogen zu haben. Aber wovor der Vater ihn wiederholt eindringlich warnte und ihn scharf dafür bestrafte, dazu hielt die schlechte, gewissenlose Mutter ihn an. Hierzu kamen oft noch rohe und leidenschaftliche Ausbrüche zwischen den beiden Eheleuten, wodurch der Rest der zarten, sittlichen Kindesgefühle abgestumpft werden musste. Trotzdem aber zeigte sich in diesen Jahren bei dem Knaben mehr Gutmütigkeit als Bosheit. Obwohl der Vater sehr streng gegen ihn war, zeigte sich Hans doch sehr anhänglich an ihn, und eine kleine Liebesgabe desselben ließ ihn harte Strafen und Misshandlungen bald vergessen. Das Betteln war ihm ganz zuwider. Er wurde immer schamrot, wenn er um ein Almosen bat, und lernte auch niemals die Dreistigkeit, die den Bettelkindern sonst eigen ist.

Aber der Knabe, in dessen Gesellschaft er gewöhnlich die Bettelwanderungen machte, war ein loser, mutwilliger Junge, durch welchen er unter anderen auch zu dem bereits erzählten Tabakspfeifendiebstahl verleitet wurde. Beide Knaben waren ganz sich selbst überlassen, die Erziehung fehlte bei beiden, sie standen unter keiner Aufsicht und folgten nur den natürlichen Trieben der Lüsternheit. Was Wunder also, wenn sie manches taten, was dem Begriff von Recht ganz zuwider war.

Hansʹ Vater erhielt wieder Arbeit als Tagelöhner bei einem Bauwesen im Kloster Allerheiligen und nahm seine Familie dahin mit. Hans selbst tat Dienste als Handlanger und war hoch erfreut, auf diese Art seine Tätigkeit zeigen zu können und des Bettelns überhoben zu sein. Eifrig, pünktlich und mit Freuden tat er alles, wozu er angewiesen wurde, und hatte auch die nötigen körperlichen Kräfte zu diesen Arbeiten, da er nun bereits im dreizehnten Jahr stand. In freien Augenblicken lernte er den Handwerksleuten durch aufmerksames Zuschauen gar manches ab und verstand verschiedene Verrichtungen beinahe so gut wie einer vom Fach. Er fühlte sich ganz glücklich, auf nützliche Art tätig sein zu können, und half im Winter dreschen, nachdem das Bauen eingestellt war. Als Hans vierzehn Jahre alt war, wünschte er sehnlichst, ein Handwerk zu erlernen, und es wurden dem Vater auch verschiedene Anerbietungen gemacht. Mehrere Meister hatten die Emsigkeit und den Eifer des Knaben beim Bauwesen mit Wohlgefallen bemerkt, und der eine oder der andere hätte ihn gerne als Lehrling aufgenommen, aber der Vater sagte immer unter allerlei nichtigen Vorwänden nicht zu. Da ereignete sich etwas, was vollends die Aussichten des Knaben trübte und der Grund seines künftigen Verderbens wurde.

In den Teuerungsjahren hatte sich eine große Zahl Bettler und Gesindel in dieser Gegend gesammelt. Die Bewohner waren etliche Jahre sehr guttätig gewesen und beherbergten sie mit aller Milde. Das Gesindel, anstatt durch solche Behandlung zur Dankbarkeit angetrieben zu werden, benahm sich so unartig, schamlos und frech, dass die Obrigkeit ihren längeren Aufenthalt nicht dulden konnte. Alle, die im Gebiet nicht Bürger oder Beisitzer waren, wurden daher durch die aufgestellten Hatschiere in ihre Heimat verwiesen. Das Kloster Allerheiligen wollte bei dem Schuster eine Ausnahme machen und es bei der Obrigkeit zustande bringen, dass er als Tagelöhner mit seiner Familie bleiben dürfe. Trotzig schlug der eigensinnige Mann dies Anerbieten aus. Die Frau und der Sohn baten ihn dringend, zu bleiben. Umsonst. Das Kloster wollte wenigstens den Sohn behalten. Aber er musste mit nach Konstanz, wo der Schuster seinen Sohn die Gärtnerei erlernen zu lassen versprach.

Das Gebiet, in welchem sich die Familie 17 Jahre aufgehalten hatte, wurde nun verlassen, und der Weg nach Konstanz eingeschlagen. Hier wollte er seine alten bürgerlichen Rechte geltend machen, hoffte auch eine kleine Erbschaft erheben zu können. Da er aber schon seit zwanzig Jahren abwesend war, so wurde er abgewiesen, umso mehr, da er sich gegen die Obrigkeit sehr unartig benahm. Nun sollte auch der Sohn nicht Lehrling in der Stadt sein, die den Vater in seinen Hoffnungen getäuscht hatte, und Hansʹ Wunsch, ein Handwerk zu erlernen, blieb für immer unerfüllt.

Die kleine Barschaft, welche der Schuster sich nach und nach im Kloster Allerheiligen angelegt hatte, ging bald zu Ende, und man legte sich aufs Betteln. Dies war Hans schon in seinem zehnten und elften Jahr zuwider; nun aber sträubte sich sein ganzes Wesen dagegen. Er fühlte selbst, was ihm die Leute sagten, dass das Betteln für einen jungen, kräftigen Menschen, der arbeiten könne, eine Schande sei. Er ertrug daher lieber die kränkenden Vorwürfe und selbst Misshandlungen vonseiten seiner Eltern, als dass er wieder um Almosen in die Häuser umherzog.