Jack Lloyd Folge 37
Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät
Ein Irrtum kommt selten allein
»Dieser verfluchte Piratenjäger spielt also ein doppeltes Spiel. Er verkauft unsere Geheimnisse an den Feind und behauptet dann, er hätte eben genau dieses zu verhindern versucht.« Der Comte war außer sich. Elena hatte ihm berichtet, dass sie und ihr Vater in Santiago von einem spanischen Piratenjäger überfallen worden seien. Dieser hätte mit englischen Seeräubern gemeinsame Sache gemacht. Die Briten wollten die geheimen Dokumente, die ihnen auch tatsächlich zugefallen waren, und die Spanier wollten vor allem Elena und ihren Vater. Ihr Vater sollte eine hübsche Summe Lösegeld aufbringen für sie beide, aber frei lassen wollte man sie wahrscheinlich trotzdem nicht. Ihre Entführer hatten ihr, so Elena weiter, in den schillerndsten Farben ausgemalt, was sie der jungen Frau antun würden. Nur das Einschreiten de Mendozas hatte Elena und ihrem Vater das Leben gerettet. In Santiago hatten sich ihre Wege dann wieder getrennt. Wie es ursprünglich ihr Plan gewesen sei, hatten Elena und ihr Vater dann den Weg nach Havanna eingeschlagen. Aber dort angekommen erfuhren sie, dass ihr Peiniger bereits hier war. Aus Angst vor ihm und seinen Männern hatten sie sich bedeckt gehalten. Und wie durch ein Wunder war ihnen de Mendoza wieder über den Weg gelaufen. Er hatte von seinen Absichten berichtet, hier in Caracas eine Handelsniederlassung zu gründen. Elena und ihr Vater beschlossen, dass die junge Frau ihren Retter begleiten sollte, um ihre Kontakte in Caracas zu seinen Gunsten zu verwenden. Immerhin hatte er ihnen das Leben gerettet. Ihr Vater selbst wollte in Havanna bleiben, bis sich die Wogen geglättet hätten und er wieder unbehelligt ans Tageslicht treten konnte. Der Comte hatte sich die gesamte Geschichte, die Elena in sehr blumiger Erzählart vortrug, geduldig bis zu Ende angehört. Und offensichtlich glaubte er der jungen Frau. Seine Wut auf den Piratenjäger war alles andere als gespielt und Jack bekam ein Gefühl dafür, wie es ihm ergangen wäre, wenn der Comte auch nur den leisesten Hauch eines Zweifels an seiner Integrität gehabt hätte. Stattdessen reichte der alte Mann dem Kapitän eine Hand entgegen und brummte: »Ich muss mich nochmals entschuldigen, de Mendoza. Ich habe Euch Unrecht getan. Ihr seid offenbar ganz und gar ein Ehrenmann.« Jack schlug ein und nickte nur, als Zeichen dafür, dass er auch diese Entschuldigung annahm. Dann sah der alte Mann zu Elena herüber. »Hat er Euch gut behandelt, während Eurer Reise?«
»Er hat sich so verhalten, wie man es von einem Mann mit Erziehung und Ehre erwarten kann, Comte. Ihr könnt völlig unbesorgt sein. Mein Vater hätte mich nicht in seine Obhut gegeben, wenn er nicht vollstes Vertrauen zu ihm gehabt hätte.«
Vor Jacks geistigem Auge sah er wieder ihren Vater sterbend auf dem Deck liegen. Er musste schlucken, als er ihre Worte hörte. In seine Obhut gegeben. Der leise Stich in Jacks Herz war ein Gefühl, dass er in den letzten Tagen öfter gespürt hatte, aber noch immer nicht so ganz zuordnen konnte. Jetzt hatte er allerdings keine Zeit darüber nachzudenken.
»Und wie mir meine reizende Begleiterin erklärt hat, sind wir genau zur richtigen Zeit in Caracas angekommen«, erklärte Jack lächelnd.
»Warum das?«, fragte der Comte nachdenklich.
»Naja, ich habe gehört, hier soll in Kürze, bei Eintreffen der Schatzflotte ein großes Fest gefeiert werden. Ich hätte mich geärgert, hätte ich dieses verpasst.«
Der Comte lachte freundlich. Jack begann langsam sich zu entspannen. Sie hatten den alten Mann so weit. Noch vor nicht einmal einer halben Stunde war er sich sicher gewesen, dass sie ihr Ende im Kerker unter dem Gouverneurspalast finden würden. Stattdessen saßen sie scherzend mit einem hochrangigen Adligen zusammen in einem Nebenzimmer. Wenn dieser Mann wirklich so eng mit dem Gouverneur bekannt war, wie er vorgab, dann konnte die hier und heute geschlossene Freundschaft ihnen noch von Vorteil sein. Was ihm dabei völlig entging, war der lauernde Blick, den der alte Spanier ihm und seiner jungen Gefährtin zuweilen zuwarf. Und während der englische Freibeuterkapitän sich von Minute zu Minute sicherer war, dass er sein Gegenüber von seiner Integrität und seiner Vertrauenswürdigkeit überzeugt hatte, wuchs in dem Spanier die Überzeugung, dass er zwei Menschen gefunden hatte, die perfekt in seine Pläne passten. Ob der junge Mann vor ihm nun de Mendoza hieß oder nicht. Er würde erledigen, was der Comte erledigt sehen wollte. Und dann würde es ein Leichtes sein, ihn loszuwerden.
Fortsetzung folgt …
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