Der Spion – Kapitel 30
Balduin Möllhausen
Der Spion
Roman aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, Suttgart 1893
Kapitel 30
Das Ende des Bandenchefs
Die anhaltende tiefe Stille mochte Quinch wie ein Gottesgericht anwehen, denn er schlug die Augen auf. Mit heimlichem Grauen suchte er Olivas Antlitz. Diese richtete sich unter sichtbarer Anstrengung empor. Ihren Freunden sich zukehrend, fragte sie mit fester Stimme: »Befindet sich jemand hier, der meine Worte bezweifelt, jemand, der mir das Recht abspricht, das Todesurteil über den Räuber und Mörder zu fällen?«
Alle schwiegen. Nur Quinch erhob sich, soweit es ihm möglich war. Sein eben noch fahles Gesicht glühte. In jeder einzelnen Linie desselben wohnte grässlicher Hohn, verschärft durch teuflisches Lachen.
»Jetzt ist die Reihe an mir zu reden«, rief er aus, und wilder Triumph sprühte aus seinen entzündeten Augen, »und so bestreite ich zunächst die Wahrheit der gegen mich geschleuderten Anklagen. Ja, tausendmal bestreite ich sie. Mögen mir immerhin Sünden zur Last gelegt, mag das durch den Krieg bedingte Verfahren als strafwürdig gedeutet werden, so hat diese Person, die sich fälschlich Condesa del Armigo nennt, am wenigsten Veranlassung, über meinen Verkehr im Haus des Grafen Armigo Rechenschaft von mir zu fordern. Doch hört mich zu Ende, und ihr werdet euch überzeugen, dass mit der einen falschen Behauptung alle anderen Anklagen in nichts zusammensinken. Und so vernehmt: die Person hier vor uns, die es sich zur Aufgabe machte, in Gemeinschaft mit ihrem verräterischen Kumpan den Spion Kampbell darzustellen, um sich als solcher das Recht der Entscheidung über mein Leben und Sterben anzumaßen: ja, ich selber brachte sie im frühesten Kindesalter zu dem Vaquero zusammen mit einer Summe Geldes, um ihre Zukunft einigermaßen zu sichern. Sie hätte daher doppelte Ursache gehabt, mir dankbar zu sein. Denn nicht die Condesa del Armigo ist es, die so lange schamlos ihr Geschlecht verleugnete, sondern Lizzie Sullivan, meine eigene Tochter, die ich, nachdem ihre Mutter gestorben und meine Verheiratung mit der verwitweten Señora Armigo beschlossen war, aus leicht erklärlichen Gründen meiner Frau fernzuhalten wünschte. Was sonst hätte mich bestimmen können, in späteren Jahren mich noch einmal von ihrem Wohlergehen zu überzeugen? Und nun, Lizzie, meine geliebte Tochter«, fügte er förmlich kreischend hinzu, »die ihren eigenen Vater verriet, ihn in diese verzweifelte Lage brachte, jetzt sprich das Todesurteil über mich aus, wenn du noch den Mut dazu besitzt; sprich es aus, wenn dir daran gelegen ist, den Namen einer Vatermörderin mit durchs Leben zu schleppen.« Durch Mark und Bein drang allen Anwesenden das teuflische Hohnlachen, mit welchem er seine Erklärung abschloss.
Schrecken prägte sich in allen Gesichtern aus. Oliva schien die letzte Kraft verloren zu haben. Totenbleich sah sie, wie Hilfe erflehend, sich im Kreis um. Gleich darauf stand Nicodemo neben ihr, sie sonst unterstützend, bis sie sich auf ein Bündel zusammengerollter Decken niedergelassen hatte. Dann kehrte er sich den Gefährten zu. Die Blicke ruhig im Rund sendend, war er nicht mehr ausschließlich der dienstwillige Begleiter und ängstlich wachende Beschützer der Geliebten, sondern ein seines guten Rechtes bewusster Mann, der kalten Blutes bereit war, sogar mit dem Geschick selber den Kampf auf Leben und Tod aufzunehmen.
»Diese im Höllenpfuhl des Lasters ersonnene Lüge kommt freilich unerwartet«, erklärte er mit ernster Würde. Mit jedem neuen Wort, welches er sprach, schien seine Gestalt zu wachsen. »Durch dieselbe in ihren heiligsten Gefühlen verletzt, kann es nicht befremden, wenn die Anklägerin vorübergehend deren Wirkung erlag. Wähnt dieser Quinch oder Sullivan aber, durch den feigen Angriff aufgrund einzuleitender Nachforschungen Zeit zu gewinnen, was für einen gewieften Verbrecher, wie er, gleichbedeutend mit der Hoffnung auf Entkommen, so verrechnete er sich. Er selbst weiß, und Sie alle wissen mit ihm, dass, wenn ich zu seiner Zeit mich zu den Stätten seiner Untaten begab, ich nichts außer Acht ließ, was dazu beitragen konnte, nicht allein unwiderlegliche Beweise für die Herkunft der mit mir innig verbundenen Freundin zu beschaffen, sondern auch Auskunft über Sullivans Persönlichkeit zu erlangen. Ja, dieser Sullivan besaß eine Tochter. Wenn sie noch lebte, würde sie heute sechsundzwanzig Jahre zählen, wogegen Oliva eben erst ihr zweiundzwanzigstes vollendete. Wendet man aber ein, dass dieser Altersunterschied ein zu geringer, um sich im Äußeren zweier Personen zu verraten, so steht dem gegenüber, dass jene Lizzie Sullivan bald nach Olivas Geburt starb. Hier …« Seine Brieftasche hervorziehend und öffnend, überreichte er Maurus mehrere durch einen Umschlag zusammengehaltene Papiere, »… prüfen Sie den Inhalt, und Sie werden in den gerichtlich beglaubigten Auszügen aus den betreffenden Kirchenregistern den unantastbaren Beweis für die Wahrheit meiner Aussagen finden.«
Bei der plötzlich eingetretenen Totenstille durchlas Maurus mehrere Scheine. Jeder enthielt nur wenige Zeilen in englischer und spanischer Sprache nebst beigefügtem Siegel. Mit gleichsam krampfhafter Spannung hingen die Blicke aller Anwesenden an seinen Lippen. Quinch hatte, soweit es möglich, ihm das Haupt zugeneigt. Seine Augen schienen aus ihren Höhlen vor der von Todesangst getragenen Erwartung hervorzuquellen, mit welcher er der nächsten Kundgebung entgegensah. »Diese Schriftstücke geben nicht dem leisesten Zweifel Raum«, sprach Maurus endlich, die Papiere Nicodemo wieder einhändigend, und mit unerbittlicher Strenge zu Quinch, dessen Haupt, wie von einem Schlag getroffen, nach hinten gesunken war, während sein Gesicht in wahnwitziger Wut förmlich erstarrte: »Was haben Sie sonst noch zu sagen?«
Quinch sandte einen stumpfen Blick im Kreis umher. Plötzlich aber belebte sein Gesicht sich wieder feindselig. Trotz und Hohn sprühten aus seinen Augen. Todesverachtung offenbarte sich in seinem Lachen: »Weiter nichts, als dass ihr alle miteinander verdammt sein mögt!«, schrie er, dass es weithin durch die Schlucht schallte. »Gleichviel, wie ihr alles auslegt: Meine Tochter, und wäre es auch nur Stieftochter, bleibt sie dennoch, unbeschadet darum, wie bald der Teufel mich holt.«
»Aber von dem zweiten Gatten ihrer Mutter von Anbeginn geschieden durch einen Abgrund des Verbrechens«, versetzte Nicodemo. Bevor er aber fortfuhr, hatte Oliva sich erhoben und die Hand auf seinen Arm gelegt.
»Ich danke dir, du Getreuer, obwohl du mir nichts Unbekanntes sagtest«, sprach sie gedämpft. Ihr Antlitz verhärtete sich in unheilverkündender Weise. »Doch jetzt überlasse ihn mir. Mir und den mir zunächst Stehenden galten seine entsetzlichen Anschläge; mir gehört er daher in erster Reihe, das ist der versprochene Preis dafür, dass wir die verruchte Horde ihrer Vernichtung entgegenführten.« Und lauter, wie die Worte aus tiefster Brust schöpfend: »Mir gehört er! Die Rache ist mein …«
Nicodemo ergriff ihre Hand. Fest sah er in die unheimlich erglühenden tiefen Augen; dann sprach er mit einer Angst, welche er vergeblich zu verheimlichen trachtete: »Oliva, bei den zwischen uns schwebenden Gelübden, wie in Erinnerung unseres gemeinsamen Wirkens und der gemeinsam überwundenen Todesgefahren beschwöre ich dich: Stehe ab von den weiteren Schritten. Stelle das Brechen des Stabes anderen anheim, die nicht minder berechtigt sind, zu verurteilen.«
Oliva sah vor sich nieder. In ihrem Inneren kämpfte es furchtbar. In tödlicher Spannung beobachtete Nicodemo ihr wie aus Marmor gemeißeltes Antlitz. Nicht der kleinste Zug verriet eine mildere Regung, indem sie gleichsam unbewusst nuschelte: »Ich soll die letzten vier Jahre umsonst gelebt haben? Und mein Eid …«
»Halt ein«, gebot Nicodemo beinahe streng, »höre mich vor der letzten Entscheidung. Vergegenwärtige dir, welche Liebe es erforderte, dich auf allen deinen Wegen zu begleiten. Ich erwarte keinen Lohn; aber bei meiner heiligen Liebe beschwöre ich dich hier im Kreis gereifter Männer: Trübe deine und meine Rückerinnerungen nicht durch …«
Ihm das Wort abschneidend, hob Oliva die Hand. Wie ein Abglanz abendlich geröteten Sonnenscheins eilte es über ihre Züge, indem sie nunmehr dem Blick Nicodemos frei begegnete. Dann floss es, wie im Traum, allmählich, aber zuversichtlicher von ihren Lippen: »Berufst du dich auf deine Liebe, das Einzige, was mich noch beglückte, für alles Verlorene reich entschädigte, dann, ja dann ergebe ich mich in deinen Willen.« Hastig, wie die eigene Sinnesänderung befürchtend, trat sie Quinch einen Schritt näher, und noch weicher erklang ihre Stimme, indem sie fortfuhr: »Was Sie litten, seitdem man Sie fesselte, was Sie litten, während ich Ihr Lebensbild, soweit es mir selber bekannt ist, vor Ihnen und so vielen Zeugen entrollte, war mehr, als tausendfacher Tod. Mögen andere über Ihre Zukunft entscheiden. Meine Aufgabe betrachte ich als erfüllt. Ich habe nichts mehr mit Ihnen zu schaffen. Ob Sie leben oder sterben: Meinen Weg werden Sie nicht mehr kreuzen.« Sie kehrte sich ab. Quinch, der wie betäubt zu ihr aufsah, nicht weiter beachtend, ergriff sie Nicodemos Arm. Sich schwer auf ihn stützend, schritt sie mit ihm der Mündung der Schlucht zu.
Eine kurze Strecke waren sie gegangen, als sie mit seltsam bebendem tiefen Organ anhob: »Wie so oft warst du auch heute mein guter Engel. Dafür mag des Himmels reichster Segen dich lohnen für und für. Durch dich bin ich gerade in den verhängnisvollsten Minuten meines Lebens eine andere geworden. Hass und Rachsucht sind in mir schlafen gegangen. Ich kenne nur noch deinen Willen. Dir will ich dienen in Treue und Unterwürfigkeit. Ich will deiner würdig sein und, sofern es noch in meiner Kraft liegt, deinen Lebensweg mit Blumen bestreuen, wie sie nur einer heiligen Liebe entsprießen können.« Sie blieb stehen und schlang ihre Arme um den Nacken des tief ergriffenen Geliebten. Sie küsste ihn zärtlich, während heiße Tränen ihren Augen entstürzten. »Ja, du Getreuer«, entwand es sich ihrem übervollen Herzen, »ob Bilder des Todes und des Grauens uns umringen, ich küsse dich zum Beweis, dass ich meinen Eid als gelöst betrachte. Hast du aber aufgrund meines furchtbaren Ringens und Kämpfens mit den Dämonen eines immerhin gerechtfertigten Rachedurstes deinen Sinn noch nicht geändert, und das Mannweib hat deine Achtung noch nicht verloren, dann bestimme Tag und Stunde, und geschähe es in der ersten Stadt, welche wir berühren, wann ich deine Frau werden soll.«
»In der ersten Stadt, welche wir berühren«, wiederholte Nicodemo gerührt. Nach gewohnter Weise nebeneinander wie zwei gute Kameraden setzten sie sich wieder in Bewegung. »Du hast dich selbst besiegt um meiner Liebe willen«, fügte er mit ernster Innigkeit hinzu, »und dadurch bist du mir nur teurer geworden. Jetzt aber richte deine Blicke allein in die Zukunft. Lass hinter dir versinken, was geeignet ist, den Blick zu trüben. Ein neues Leben beginnt für uns beide, und ich weiß, die Blumen, welche du mir streust, werden mich deinen Weg freundlich schmücken.«
Ihre Aufmerksamkeit wurde durch Markolf gefesselt, der ihnen entgegenstürmte. Sie wollten ihn anreden, doch er schien sie nicht zu sehen, nicht zu hören.
»Daisy ist tot«, flüsterte Oliva klagend, als hätte es ihr widerstrebt, das herbe Wort mit dem Namen der lieblichen jungen Halbindianerin zugleich auszusprechen. »Komm, komm; unsere nächste gemeinschaftliche Aufgabe soll sein, Totenwache bei dem entschlafenen süßen Kind zu halten.« Nachdem Oliva und Nicodemo sich entfernt hatten, war es wie ein drückender Bann von den Gemütern der Zurückbleibenden, gleichviel, welcher sittlichen Stufe jeder Einzelne angehörte, gewichen. Sie schienen sich mehr oder minder unbewusst in die Empfindungen Nicodemos geteilt zu haben, welche diesen bewogen, Oliva in ihrem Tun zu wehren. Jetzt war ihre Aufmerksamkeit Quinch zugewendet, der mit stumpfem Erstaunen den Scheidenden nachspührte. Sein Ende war zwar besiegelt, allein jedem widerstrebte es sichtbar, zur Weiterführung der Verhandlung das Wort zu ergreifen. Erst als Oliva seinem Gesichtskreis entschwunden war, ermannte sich der Bandenchef, Maurus Vermittlung anzurufen.
»Ich setze voraus«, begann er eigentümlich zaghaft. »dass nunmehr nach Kriegsbrauch mit einem Gefangenen verfahren wird, der sich nichts anderes zu Schulden kommen ließ, als was mit der von ihm eingenommenen militärischen Stellung vereinbar ist.«
»Darüber werden andere entscheiden«, antwortete Maurus mit Eiseskälte. »Sie befinden sich jetzt in meiner Gewalt. An diesem Ort steht mir allein das Verfügungsrecht über Sie zu. Ich könnte Sie standrechtlich erschießen lassen; aber ich ziehe vor, mich streng an meine Dienstpflicht zu halten. Dieselbe gebietet mir, Sie an den Missouri zu schaffen und dort den betreffenden Behörden auszuliefern.« Dann forderte er Schahoka auf, ins Tal hinüberzueilen und einen Korporal und vier Mann herbeizurufen, um ihnen den Gefangenen zur Bewachung zu übergeben.
Er sprach noch, als Markolf hinter ihm auftauchte. Sich ihm zukehrend, erkannte er ihn kaum wieder, so bleich war er geworden. Seine Augen glühten wie im Irrwahn. Weder den Bruder schien er zu kennen noch eine der anderen vertrauten Gestalten. So trat er vor den in Entsetzen zusammen schauernden Bandenchef hin. Kurze Zeit betrachtete er ihn durchdringend, worauf er mit seltsam heiserer Stimme anhob: »Ein Engel der Unschuld ist durch deine Mordhand gefallen – Blut um Blut!« Den Revolver aus dem Gurt reißend, hätte er dem Gefangenen in der nächsten Sekunde den Kopf zerschmettert, wäre Maurus ihm nicht in den Arm gefallen, dass die Waffe sich in die Luft entlud.
»Markolf!«, rief er vorwurfsvoll aus, »deine Aufgabe ist es nicht, hier zu richten. Mir gehört der Mann. Ich bin verantwortlich dafür, dass er nach dem Buchstaben des Gesetzes abgeurteilt wird.«
»Wen anders soll ich verantwortlich für die Ermordung einer Heiligen machen, wenn nicht ihn?«, fragte Markolf keuchend. Sein sonst so freundliches offenes Antlitz verzerrte sich vor den in ihm tobenden gefährlichen Leidenschaften. »Gib mir den Weg frei, wenn noch eine Probe brüderlicher Gesinnungen in dir wohnt, noch ein Funke des Mitleids mit Derjenigen, die so lange bestimmt gewesen, mit meinem Namen auch den Deinigen zu tragen.«
»Fasse dich, Markolf«, versetzte Maurus besänftigend, noch immer dessen Arm haltend; »höre auf deinen Bruder. Dein Schmerz macht dich unzurechnungsfähig. Warte eine Viertelstunde, und ich weiß, du wirst es mir danken, dass ich dich gegen dich selbst, gegen eine deiner nicht würdige Handlung schützte. Du bist nicht dazu geschaffen, das Amt eines Henkers zu versehen.«
Funkelnden Blickes sah Markolf in die Augen des erzwungen ruhig schauenden Bruders. Wilde Verzweiflung und rasender Schmerz um die tote Geliebte hatten ihn offenbar der Besinnung beraubt. In jeder neuen Sekunde stand zu befürchten, dass er sich gewaltsam vom festen Griff befreite, unbekümmert darum, wie weit er durch seine körperliche Überlegenheit den eigenen Bruder schädigte. So verharrten beide in derselben Stellung wie mit dem Erdboden verwachsen. Kein Laut kam über ihre Lippen. Lang und tief atmeten sie, der eine in kochender Wut, der andere in wahrer Todesangst. Wie sie aber, verhielten alle Anwesenden sich schweigend. Keiner wagte, vermittelnd zwischen die Brüder zu treten, in der Besorgnis, durch das erste Wort Markolfs Leidenschaften zu reizen und vollständig zu entfesseln. Man hoffte, dass bei der herrschenden dumpfen Stille die zurückkehrende Vernunft dennoch einen friedlichen Ausgleich herbeiführen würde. Zwischen allen aber flogen die Blicke des Bandenchefs unstet und mit einem Ausdruck hin und her, als ob nur noch ein vom Wahnsinn umnachteter Geist den Körper belebt habe.
Da ertönte Kit Andrieux‘ Stimme, der, im Hintergrund stehend, die beiden Brüder so lange wunderlich neugierig überwacht hatte.
»Gin‘ral!«, rief er frei von jeder feindseligen Erregung aus. Sofort kehrte die Aufmerksamkeit aller sich ihm zu. »Sie werden begreifen, dass Sie in Ihrem verdammten Leben genug Unfug anstifteten, zu viel, als dass zwei rechtschaffene Brüder um Ihretwillen sich miteinander verfeinden dürften. Also, Gin‘ral, sehen Sie mir gerade ins Auge und bereiten Sie sich zur Reise zur Hölle vor …«
»Kit Andrieux – halten Sie ein …«, fiel Maurus ihm ins Wort. Doch eher hätte er einen Blick auf seinem Weg zur Erde aufgehalten, als den gewandten Fallensteller in seinen Bewegungen. Mit Gedankenschnelligkeit flog die Büchse an seine Schulter. Gleichzeitig krachte der Schuss, und mitten in die Stirn getroffen sank der Kopf des Bandenchefs nach hinten. Bevor aber jemand Zeit fand, seine Missbilligung oder Befriedigung auszusprechen, fuhr Kit während des Ladens seines Gewehrs in der ihm eigentümlichen gutmütig leichtfertigen Weise fort: »Mark, ich will dir nur sagen, dein ehrenwerter Bruder Käpt‘n hatte vollkommen recht: Das wäre keine Arbeit für den eisernen Mark gewesen. Für mich passte es sich besser. Ich bin nämlich eine alte Hand, und ob ich auf den Hund schoss oder auf wildes Getier – verdammt, Mark, das machte keinen Unterschied. Da er doch einmal heranmusste, war es am vernünftigsten, schnell ein Ende mit ihm zu machen. Viel Freude hätte ihm das Leben ohnehin nicht mehr eingetragen, und christlich war‘ es daher obendrein, ihn von seinen Schrecken zu erlösen. Ich vermute, Käpt‘n Durlach, Sie lassen das gelten. Ist es doch sonst nicht meine Art, an einem Mitmenschen mich ernstlich zu vergreifen, sofern er mich in Ruhe lässt; aber bei dem da, dem feigen Mörder der lieblichen Wiesenblume der Council-Bluffs, musste ich schon eine Ausnahme machen, wenn auch nur, um den Frieden zwischen zwei närrischen Brüdern wieder herzustellen.«
Um die Gemüter zu beruhigen, hätte kein geeigneteres Mittel ersonnen werden können, als die lange umständliche Erklärung des redseligen Fallenstellers. Und was er ursprünglich bezweckte, geschah. Angesichts des erschossenen Bandenchefs gewann Markolf seine Fassung zurück. »Verzeihe«, war das Einzige, was er hervorzubringen vermochte, indem er Maurus‘ Hand drückte, und sich abkehrend, schritt er gesenkten Hauptes davon.
Er war nicht weit gegangen, als die Gruppe der rauen Männer sich belebte. So lange hatten sich alle anscheinend teilnahmslos verhalten. Die eben beobachteten Vorgänge waren zu jäh und unerwartet aufeinandergefolgt, als dass die einfachen Naturen zu Atem und über die sie beherrschende Regung gespannter Neugierde hätten hinauskommen können. Jetzt aber drängten die verwitterten Gestalten sich zu Kit Andrieux heran, ihn als den pfiffigsten Burschen preisend, der es je verstanden habe, unbequemen Zweifeln und Meinungsverschiedenheiten mit einem Schlag ein Ende zu machen.
»Im Grunde war es am besten so«, erklärte auch Maurus, »nachträglich mag ich billigen, was vorher zu gestatten nicht in meiner Machtvollkommenheit lag. Sein Leben war verwirkt, und ihn mit uns fortzuschleppen wäre sicher keine sehr erträgliche Aufgabe gewesen.«
»Sicher nicht, bei Gott«, bestätigte Kit Andrieux treuherzig, »und ich bin froh, dass er mir aus den Augen kommt. Ging es mir doch fast wider den Strich, den Schurken wie einen fetten Hammel zum Schlachthaus zu geleiten, wie er es freilich tausendfach verdiente. Hatte sogar eine Art Mitleid mit ihm, wenn er mir morgens die fünfzig Dollar auszahlte und ich bedachte, wie bald es vorbei mit ihm sei. War er aber nicht schlau genug, mich heraus zu erkennen und mittels einer Fangleine mit einem handlichen Baumast zu verheiraten, so hat es doch nur an ihm selber gelegen. Und jetzt noch eins, Käpt‘n: Sie sehen da die beiden Koffer. Darinnen steckt so viel gestohlenes Geld, dass von den Zinsen ein nicht allzu vornehmer Mann ein recht komfortables Leben führen könnte. Die paar hundert Dollar, die in meine Tasche glitten, zählen nicht mit, denn die wurden mir von dem Gin‘ral als ehrlich verdient ausgezahlt.« Er lachte verschmitzt und fügte hinzu: »Auch das Geld wäre unehrlich geblieben, hätte ich nicht an jedem Morgen meinen Taglohn im Voraus in Empfang genommen. Die Zahlung für den heutigen Tag mag er mir dagegen schuldig bleiben. Sie werden aber wohl dafür sorgen, dass meine Kameraden, die herzhaften Otoe nicht ausgenommen, nicht leer ausgehen und einen kleinen Anteil an der Beute beziehen.«
»Über die Beute an barem Geld, nachdem sie in meinen Besitz übergegangen sind, darf ich nicht entscheiden«, antwortete Maurus, »allein ich glaube dafür bürgen zu können, dass alle befriedigt werden. Außerdem sind da die Pferde der Bande, und gern räume ich jedem das Recht ein, sich an denselben schadlos zu halten. Auch unter dem sonstigen Gepäck befindet sich vielleicht manches, was Sie und Ihre Kameraden gebrauchen können.«
Mit diesem Vorschlag erklärten alle sich einverstanden. Die Koffer mit dem Geld zwischen sich nehmend, stiegen die Männer zur Ebene hinauf, um sich auf dem nächsten Weg ins Lager zu begeben. Maurus folgte dagegen der Schlucht abwärts bis zu der Stelle, auf welcher Daisy gestorben war.
Ein Wehmut erzeugendes Bild bot sich dort seinen Blicken, sodass selbst ihm, dem auf Schlachtfeldern gereiften Soldaten, Tränen in die Augen drangen. Lang ausgestreckt lag Daisy unter ihrer Scharlachdecke, die beiden Arme auf derselben rastend. Der Tod hatte ihr blutleeres Antlitz gezeichnet, jedoch ohne das Liebliche zu verwischen, mit welchem das sanfte freundliche Kind bei Lebzeiten alle Herzen bei der ersten Begegnung für sich gewann. Aus dem Ausdruck der erstarrenden Züge ging hervor, dass, nachdem das Todesgeschoss sie in Bewusstlosigkeit versenkte, sie schmerzlos hinübergeschlummert war.
Die langen schwarzen Wimpern verschleierten den schmalen Zwischenraum, bis zu welchem die Lider sich über die Augen gesenkt hatten. Leicht geöffnet standen die verblassten Lippen, als hätte sie, im Begriff zu erwachen, dieselben zu einem herzigen Gruß regen wollen. Neben ihr kniete Oliva. Die raue verschlissene Vaquero-Bekleidung vermochte nicht länger zu täuschen, nicht zu verbergen die in tiefe Trauer versunkene Frauennatur. Immer wieder strich sie, gleichsam liebkosend, mit der schmalen Hand über die erkaltende Stirn hin, das lange Haar bald auf der einen, bald auf der anderen Seite ordnend und glättend, dass es über Schultern, Brust und Oberarme weit auf die Scharlachdecke hinausfloss. Eine Mutter hätte nicht schmerzlicher bewegt über ihr gestorbenes Kind wachen, ihm nicht zärtlicher die letzten Liebesdienste erweisen können, wie Oliva bei der noch immer holden Toten ihre so schnell gewachsene innige Zuneigung zum Ausdruck brachte. Ob dieselbe Hand gewohnt gewesen war, tödliche Waffen zu führen, in der Verteidigung des Lebens sogar sich auf ein feindliches Haupt zu richten: Fest war es, als ob sie sich zur Einsegnung geregt hätte, zur Einsegnung für den Eingang in eine bessere Heimat.
Ihr gegenüber hatte sich Markolf niedergelassen. Das Haupt tief geneigt, starrte er regungslos auf das stille Antlitz. Langsam rollte eine schwere Träne nach der anderen über die Wetter gebräunten Wangen in den Bart hinab. Ob noch andere bei der geliebten Toten wachten, andere sich näherten: Er beachtete es ebenso wenig, wie die zur Sicherheit in der Nachbarschaft aufgestellten Schildwachen. Sein Leben war bisher ein zu glückliches und sorgloses gewesen, zu sehr war er gewohnt, alles im Bereich seiner eigentümlichen Wünsche Liegende mit verhältnismäßig leichter Mühe zu erlangen, um dem vernichtenden Schlag in seiner ersten Wirkung mannhaft Widerstand leisten zu können. Zwei Schritte von ihm stand Nicodemo. Düster sah er auf die ergreifende Szene nieder. Wehmut durchzitterte ihn, während er Oliva beobachtete und erkannte, dass deren ursprüngliche Gemütsart immer mehr in ihre alten Rechte eintrat.
Als Maurus sich näherte, ging er ihm entgegen. Einen kurzen Anblick der Toten gönnte er ihm, worauf er den Erschütterten mit sich fortzog.
»Stören Sie die Trauernden nicht, weder durch Trostworte noch durch ermutigende Vorstellungen«, sprach er gedämpft. »Ihr Bruder bedarf der Zeit, um sich mit dem Gedanken an den Umfang seines unersetzlichen Verlustes vertraut zu machen, während Oliva im Weinen und Trauern sich selbst zurückgegeben wird. Wollen Sie etwas tun, so stellen Sie auf der Höhe einige Posten aus, um uns gegen etwaige hinterlistige Angriffe der versprengten Banditen zu schützen. Möchten Sie aber der armen Toten noch eine besondere Liebe erweisen, so befehlen Sie Ihren Leuten, auf geeigneter Stätte ein Grab auszuwerfen und in Ermangelung eines Sargs mit kurzen Pfählen auszufüttern. Auch eine genügende Anzahl stärkerer und längerer Pfähle lassen Sie in dem Gehölz herrichten, wie sie erforderlich, um die Stätte mit einem Palisadenzaun zu umgeben. Bevor die Nacht hereinbricht, muss die junge Tote den Augen Ihres Bruders entrückt sein. Bis dahin gönnen Sie ihm ungestörte Ruhe.«
Bereitwillig versprach Maurus alles. Mit einem Händedruck schieden sie voneinander.
Nachdem Maurus in dem nahen Tal, wo die Hälfte seiner Leute zurückgeblieben war, mit dem Kommandeur der anderen Kompanie alle ferneren Anordnungen vereinbart hatte, erstieg er zur Heimkehr zum Lager die Höhe. Oben eingetroffen, sah er um sich. Wohin er die Blicke wenden mochte, überall trafen sie auf schwarze Aschenfelder, ein wahres Bild des Todes. Der Himmel war noch immer schwer bewölkt. Nach wie vor wehte eisiger Wind aus Nordwesten. Leichten Aschennebel emporwirbelnd, beengte er die Fernsicht. Nirgends zeigte sich ein Punkt, auf welchem das Auge hätte länger rasten mögen. Etwas Menschenfeindliches lag in der traurigen Verödung der versengten Steppe. Nach den jüngsten Erfahrungen und den Anstrengungen der verflossenen Nacht wollte selbst in den Reihen der kriegsgewohnten leichtfertigen Söldlinge die frühere sorglose Stimmung nicht wieder zum Durchbruch kommen.
Als der Abend seine ersten Schatten voraussandte, da waren die gefallenen Bandenmitglieder in zwei Gräbern zur Ruhe gebracht worden. Quinch hatte man da eingescharrt, wo er sein Ende fand. Über die erbeuteten Pferde und Gepäckstücke war so verfügt worden, dass am folgenden Morgen der Rückmarsch angetreten werden konnte.
Wie Nicodemo geraten hatte, war alles ausgeführt worden. Zwischen der Schlucht und dem westlichen Militärlager, jedoch auf der Ebene selbst und in geringer Entfernung von dem in das Tal hinabführenden Abhang entfernt, erhoben sich fünf oder sechs alte Hickorybäume. Durch den Brand geschwärzt und der Blätter beraubt, ragten sie kahl und nackt in die düstere Atmosphäre empor. Ihre Lebenskraft war, wie unzählige Male zuvor, auch dieses Mal nicht durch das Feuer berührt worden. So stand zu erwarten, dass der Frühling sie aufs Neue schmückte, die Zweige sich belaubten zur freundlichen Beschauung einer geweihten Stätte. Und geweiht wurde sie durch die Gruft, welche im Lauf des Tages tief in die Erde hineingegraben und durch einen festen Palisadenzaun zum Schutz gegen leichenschändende Bestien eingefriedet worden war. Nur die eine schmale Seite stand noch offen. Neben derselben lagen die zum Verschluss bestimmten Pfähle.
Noch war das Grab offen. Unten auf einem von Blätter reichem Gesträuch und Ranken hergestellten Lager ruhte Daisy. Die Scharlachdecke verhüllte ihre schlanke Gestalt bis zur Brust hinauf. Einen Strauß Herbstblumen hielt sie in den gefalteten Händen. Ein grüner Kranz, durchflochten mit solchen Blüten, wie sie am Bach und aus den vom Feuer verschont gebliebenen Abhängen zu finden gewesen waren, schlang sich um das liebliche Haupt. Es waren die letzten Liebeszeichen Olivas. Markolf ließ es sich nicht nehmen, der Entschlafenen die letzten Liebesdienste selbst zu erweisen. In der Gruft stand er, die ihm zugereichten Pfähle auf dem festen Unterbau von Wand zu Wand sorgsam nebeneinander schichtend. Am Fußende beginnend, arbeitete er langsam weiter bis zum Kopfende hin. Bevor er die letzten Pfähle einfügte, kniete er auf der Bedachung nieder. Liebkosend strich er mit der Hand über das stille kalte Antlitz, welches tags zuvor noch in holdester Jugendfrische prangte und nunmehr auf ewig seinen Blicken entzogen werden sollte. Niemand sah, wie seine Augen heiße Tränen auf die erbleichten Wangen der Toten niedersandten. Wohl aber gewahrten die zu ihm Niederschauenden, wie der ungewöhnlich kräftige Körper in verhaltenem Weh sich leise wand, seine Hände beim Hineinpressen der letzten Pfähle zitterten. Dann aber gewann er seine Selbstbeherrschung zurück. Behutsam ordnete er die ihm zugereichten Zweige auf der Bedachung, dass zwischen den Pfählen hindurch keine Erde zu der stillen Schläferin hineinrieseln konnte. Als er sich endlich aufrichtete, waren seine Tränen versiegt.
Nachdem er die Gruft verlassen hatte, entblößten alle Umstehenden die Häupter zum stillen Gebet. Auf einen Wink Maurus‘ begannen die bereitstehenden Infanteristen ihre kurzen Schaufeln zu regen. Nicht unheimlich dröhnend, wie auf einen Brettersarg, fiel die Erde auf die Zweige hinab, sondern fast geräuschlos, als hätte es gegolten, eine sanft Schlummernde nicht in ihren süßen Träumen zu stören.
Düster überwachte Markolf, wie die Gruft sich allmählich füllte, endlich ein Hügel sich oberhalb derselben wölbte und mit zähen Rasenstücken überdeckt wurde. Gleichsam willenlos trat er zur Seite, als man dazu schritt, die Einfriedung zu schließen. Die Aufforderung seines Bruders, ihn zum Lager zu begleiten, lehnte er mit den Worten ab: »Du kanntest sie nicht, wie ich sie kennenlernte. Ein Engel der Güte und Unschuld war sie im vollen Sinne des Wortes. Ihre Liebe trieb sie in den Tod. Für mich zu sterben, war ihr letzter Trost. Mein Herz begrub ich mit ihr. Jetzt lass mich allein. Wer weiß, ob ich heute nicht zum letzten Mal hier stehe.« Sich mit beiden Armen auf die Einfriedung lehnend, starrte er auf den kleinen Hügel nieder.
Leise traten Maurus, Oliva, Nicodemo und Kit Andrieux von ihm fort. Schweigend folgten sie den bereits unterwegs befindlichen Männern. Bis ins Lager hinein sprachen sie kein Wort zueinander. Nur einmal ermannte Kit sich zu der aus tiefer Brust empor gesendeten Bemerkung: »Dem Gin‘ral hätte ich gegönnt, vor seiner Höllenfahrt einen einzigen Blick in das offene Grab zu werfen. Da möchte sein verrottetes Gewissen gezittert haben beim Gedanken an die Ewigkeit.«
Als sie im Lager eintrafen, war die Nacht bereits hereingebrochen. Markolf aber stand noch immer auf derselben Stelle, Arme und Haupt auf die Einfriedung gelehnt. Schwarz lagerte die stauberfüllte Atmosphäre auf der versengten Steppe. Nur da, wo in den Schutz gewährenden Schluchten die Mannschaften der beiden Militärlager ihre Feuer schürten und mit neuen Holzvorräten versahen, hing ein matter rötlicher Schein in der Luft. Nichts regte sich ringsum, nichts war hörbar, als das Heulen und Sausen des Windes, der mit wechselnder Gewalt über die Ebene fegte und stoßweise in die offenen Schluchten hineinschnob. Weder die Kälte noch den heftigen Anprall des Sturms fühlte Markolf, nicht den feinen Aschenstaub, welchen er atmend einsog. Er hatte tatsächlich sein Herz begraben. Woher hatten ihm da noch Empfindungen für äußere Eindrücke kommen sollen? Er stand und stand, bis endlich die zu seinen Ohren dringenden Töne sich in Worte verwandelten, in Worte, wie sie in seinem eigenen Herzen geboren wurden.
»Daisy! Daisy! Warum musstest du von mir gehen?« klang es wie eine tiefe Klage aus dem Seufzen des Windes; »Daisy! Daisy! Was soll ich ohne dich noch auf der Welt? Daisy! Daisy! Schlafe sanft in der traurigen Einöde! Daisy! Daisy! Möchte ich mich an deine Seite betten können!«
*
Die Nacht schritt vor. Im Lager wartete man vergeblich auf Markolfs Rückkehr. Erst als der Tag sich lichtete, wurde man seiner ansichtig, wie er, gleich den Übrigen, sich zum Aufbruch rüstete. Er sprach mit keinem. Niemand redete ihn an; aber Blicke der Wehmut folgten ihm, wohin er sich wenden mochte.
Die letzten Vorbereitungen zum Abmarsch waren beendet. Das Signal ertönte und der Zug setzte sich in Bewegung, um sich weiter abwärts mit dem anderen Kommando zu vereinen. Der Sturm hatte sich im Lauf der Nacht ausgetobt. Als man in gleiche Höhe mit der weithin erkennbaren Grabstätte getreten war, durchbrach die Sonne das gelockerte Gewölk ganz. In grellem Widerspruch standen die goldenen Strahlen mit der schwarzen Farbe der Ebene, aber auch mit den düsteren Betrachtungen, in welche die beiden Brüder sich versenkten. Denn auch Maurus trug sich, neben der Trauer um Markolfs entschwundene Herzensfreude, mit einem ihn schwer bedrückenden Bewusstsein. Der Colonel Rutherfield weilte nicht mehr unter den Lebenden. Die trüben Ahnungen Lydias hatten ihre Bestätigung gefunden. In der mörderischen Schlacht am Little Osage tödlich getroffen, war er in seinen Armen verschieden. Seine letzten Worte waren ein Segen, welchen Maurus seiner Tochter persönlich zutragen sollte. Wann das geschehen konnte, er wusste es nicht. Ebenso wenig, ob die Trauerkunde sie bereits auf einem anderen Weg erreichte. Ihm selbst war kaum Zeit geblieben, den Missionar und dessen Gattin durch wenige Zeilen über diesen neuen Schlag, welcher Lydia betroffen hatte, zu unterrichten und ihnen das Weitere anheimzugeben. Aber sein Herz krampfte sich schmerzlich zusammen, indem er die Wirkung dieses neuen und schwersten Verlustes auf diejenige sich vergegenwärtigte, deren Bild sein ganzes Sein erfüllte.
Um mit dem Kommando wieder zu seinem Regiment zu stoßen, musste Maurus der Richtung folgen, welche ihn nach Kansas City führte. Dieselbe entsprach zugleich den Wünschen der Männer, die nach den Council-Bluffs zurückzukehren wünschten. Nur Markolf und Kit Andrieux beabsichtigten, in genannter Stadt zu überwintern. Oliva und Nicodemo gedachten dagegen stromabwärts nach St. Louis zu reisen. Nachdem sie ihrem gefährlichen Beruf endgültig entsagt hatten, stand ihr Sinn nach der fernen Heimat, wohin nach Eintritt des Frühlings ihr Weg sie zum letzten Mal über die endlosen Grassteppen führen sollte. Bis zum legten Augenblick wünschten sie, mit den beiden Brüdern zusammenzubleiben. Dieselben bildeten gewissermaßen das Verbindungsglied zwischen ihnen und den in St. Louis gewonnenen Freunden, den Bewohnern des in grellem Bilderschmuck prangenden Hauses Martin Findegerns.