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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 46

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

46. Wie Rübezahl noch einmal eine Jungfer ist.

Der Kräuterklauber, welcher eigentlich ein Schuster ist, aber einmal im Befreiungskrieg, wo sie ihn brauchten, Offizier war und den sie seitdem abgesetzt haben, weil keine Franzosen mehr zu versohlen sind und sich die Edelleute da überall wieder eingeschustert haben, der Kräuterklauber also kennt die Kriegsknechte so gut wie den Krieg selbst, den er bis zu Ende mitgemacht hatte, und kann in dem Punkt ein Wort mitsprechen. Also weiß er auch, wie es der Kriegsknecht gewöhnlich macht, und weiß besonders, dass er in der Regel von drei Artikeln zu reden gewohnt ist, unter denen die Frauenzimmer und Liebesabenteuer obenan stehen, wenn gleich das, was sie reden, nicht immer wahr ist.

Die nun folgende Geschichte ist aber wahr, wie Bumban feierlich versichert hat, wenn auch eben nicht fein. Da sie einmal zu Rübezahls Leben und Taten gehört, so muss sie der Kräuterklauber erzählen, er mag wollen oder nicht.

Es reisten nämlich einmal mehrere Kriegsoffiziere in das Gebirge. Rübezahl hörte da gar wohl, wie sie sich von nichts unterhielten, als von ihren Liebesabenteuern und Streichen, und wie sie sich darauf gar noch viel einbildeten.

Da sagte er bei sich selbst: »Warte, ich werde euch euer liederliches Wesen schon versalzen.« Er verwandelte sich also in eine schöne Jungfrau und begleitete die Männer unsichtbar an der Seite im Gebüsch fort. Als sie ein Stück das Gebirge hinauf waren, fing er mit jungfräulicher Stimme ein schönes Liedlein an und sang so schmelzend wie eine Nachtigall. Kaum hörten die Herren die Stimme, so fingen sie alsbald Feuer und sprühten durch das Dickicht durch auf die Stimme los. Ja, einer machte sogar, um sich bemerkbar zu machen, den Lockvogel, und fing ebenfalls zu singen an.

Bald war es, als ob der ganze Wald sänge, so viele Stimmen erhoben sich nun. Wenn der Erste sang:

Nachtigall, ich hör dich singen,
mein Herz tut mir im Leibe springen …,

so fistulierte ein anderer dort

Mädel in dem roten Mieder,
Hopsasa trallalera …

und ein Dritter schnarrte:

Schönstes Hirschlein über die Maßen

und dergleichen schöne Liedlein mehr.

Indessen war alle Mühe vergeblich durch das Dickicht zu dringen. Sie mussten, so schwer es ihnen auch ankam, doch wieder umkehren. Sie waren jedoch kaum wieder auf dem Wege und zogen gespannt aufwärts, so hörten sie von einem Felsen herunter die nämliche Stimme. Sogleich waren sie wieder von den Rossen und auf den Beinen und kletterten die Felsen hinauf. Dort suchten sie von Stein zu Stein, sahen aber leider nichts als eine alte Krähe, so sie mit heiserem Gekrächze empfing und darauf fortflog. Ärgerlich über die Täuschung, kehrten sie wieder zum Wege zurück, der aufs Hochgebirge führte, und ritten langsam die Lehne hinauf.

Als sie nun aber um eine Ecke herumbogen, saß vor ihnen auf dem Moos ein Mägdlein, so anzusehen war wie ein Engel, aber mit aufgelöstem Haar, entblößter Brust und in Tränen schwimmend. Sogleich sprangen die Offiziere von den Rossen, setzten sich teilnehmend zu ihr und fragten, was ihr fehle.

»Ach«, seufzte das Mägdlein, »mir kann doch niemand helfen, und ich bin ganz verlassen in der Welt.« Dabei weinte sie gar bitterlich.

Die Kriegsknechte aber sagten, das wäre nicht, und jeder von ihnen wolle sich ihrer annehmen – der Kräuterklauber glaubt es schon – und fingen also auch gleich an, sie zu trösten, und nahmen sie mit, denn das Trösten gefiel ihnen.

Indem sagte der eine halblaut zu den übrigen: »Das ist ein Bissen für uns.« Er dachte freilich nicht, dass es jemand gehört habe.

Aber einer hatte es wohl gehört und sagte auch halblaut: »Und ihr seid ein Braten für mich.« Und das hörte niemand.

So gelangte die Gesellschaft endlich zu einer Baude, deren Wirt Rübezahl kannte. Es war die alte schlesische Baude, die damals noch neu war. Rübezahl redete heimlich mit dem Wirt. Nun wussten beide, woran sie waren.

Unterdessen liebkosten die Offiziere dem Mägdlein, bis es Zeit war zum Schlafengehen. Sie baten sie auch, sich zu ihnen auf die Streu zu legen, welches Zumuten die Jungfrau mit Höflichkeit und Bitten ablehnte. Lieber bat sie sich vom Wirt ein besonderes Kämmerlein aus, wo sie sich ihre Lagerstätte bereiten ließ.

Hierauf wünschte sie den Herren Gute Nacht und schlüpfte behände in ihre Kammer. Aber es wollte doch manchen von diesen bedünken, als ob sie in der Zerstreuung die Türe etwas offen gelassen hatte.

Der Wirt gab wie abgesprochen den Offizieren einen Wink. Diese verfehlten denn auch nicht, sich einer nach dem anderen in die Kammer zu schleichen. Tröstlich sahen aber die Gesichter nicht aus, als einer nach dem anderen wieder herauskam. Indessen — auf einen Hieb fällt kein Baum, dachten sie und krochen aufs Neue hinein. Sie konnten jedoch dem Mägdlein keine besondere Gunstbezeigung abgewinnen, und alles, was sie endlich bewilligte, war, dass die Herren mit in der Kammer schlafen durften, unter der Bedingung, dass sie ihr kein Leid zufügen wollten. Den Leuten war es jedoch mit ihrem Versprechen kein Ernst. Sie setzten dem armen Mägdlein in der dunklen Kammer gar ernstlich zu. Die aber wehrte sich da drinnen wie ein Bär.

Ehe die Geschichte so weit kam, hatte sich die gute Jungfer schon des Weiteren umgesehen und sich die Hände mit Ruß und Fett tüchtig eingerieben. Während sie nun die Herren bat, ihrer zu schonen, streichelte sie einem nach dem anderen das Gesicht und färbte sie auf diese Art kohlschwarz. Zu machen war aber hier nichts, das sahen die lieben Kriegsknechte endlich wohl ein. Darum kamen sie zuletzt zur Ruhe und schliefen ein. Nun war es mit Rübezahls Jungfrauschaft aus.

Denn kaum hatte er freies Spiel, so ließ er seiner Tücke auch freien Lauf. Aber der Kräuterklauber hätte nicht gedacht, dass er eine so widrige Strafe erfinden würde, wie es geschah, weil freilich die Menschen heutzutage viel gebildeter sind, als damals und sich in jene Zeit nicht wohl hineindenken können. Er tat es aber doch, und freilich damals musste es den Leuten gar derb kommen, wenn sie etwas merken sollten. Darum trug er die Knochen von Tieren, die unweit der Baude lagen, herbei und legte einen Teil davon an seine, der Jungfer, Stelle, einen anderen Teil zwischen die Offiziere und einen dritten Teil hing er gerade vor die Kammertür. Damit war er aber gar noch nicht zufrieden, sondern er ließ den armen Kriegsknechten auch noch die Stiefel voll Dornen und Disteln stecken. Hierauf ging er mit dem Wirt zur Tür hinaus und verriegelte dieselbe. Dann nahm er einen Sack voll lebender Ameisen, den er früher schon beiseitegestellt hatte, und schüttelte dieselben, nachdem er vorher das Fenster leise geöffnet, durch dasselbe in die Kammer aus. Hierauf horchten sie.

Die Ameisen fielen bald über die Schlafenden her, die freilich darüber erwachten.

»Herr Bruder, wachst du?« fragte endlich der eine, »es müssen Flöhe hier sein, denn sie beißen.«

»Nein«, sagte der andere, »es sind Wanzen, denn sie zwicken.«

»Ihr habt recht«, meinte der Dritte, »denn sie springen nicht, sie laufen.«

Damit erhoben sie sich, stießen aber nach allen Seiten hin an die Gerippe. Als sie zur Tür hinauswollten, an eben dergleichen. An Geschrei ließen sie es nun eben nicht fehlen, aber es kam niemand. Endlich fanden sie ihre Stiefeln und fuhren hinein. Weit ging es jedoch nicht von wegen der Dornen und Disteln.

Unter so traurigen Umständen blieb ihnen denn endlich nichts mehr übrig, als unter Seufzen und Wehklagen den Tag zu erwarten. Als der aber anbrach, da fiel ihnen der Mut. Denn sie entsetzten sich vor sich selbst, als sie ihre schwarzen Gesichter, die sie nur mit Mühe reinigen konnten, und ihre vollgestopften Stiefel erblickten, die sie auch noch auszuräumen hatten.

Ganz kleinlaut gingen sie zur Haustür. Die musste aber auch noch aufgebrochen werden. Als sie nun endlich draußen standen unter Gottes freien Himmel und erleichterten Herzens seufzten »Gottlob!«, so stand noch zum Überfluss vor ihnen auf einem Pfahl eine Tafel mit der Inschrift:

Strafe für Fleischeslust und Frechheit, vom Fürsten dieser Berge.

Was sie dazu für Gesichter gemacht hatten, weiß dermalen der Kräuterklauber nicht.