Archive

Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 9

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

9.

Hinrichtung des Kanzlers Mohr und des Bischofs Fisher. Prinzessin Mary und Jane Seymour.

Zwei edle Männer sollten dem neuen Glaubenssystem Heinrichs geopfert werden, zwei der edelsten Häupter in England dem Henkerbeil verfallen!

Es waren der 80-jährige Bischof Fisher und der treue, unerschütterliche Anwalt Katharinas und ihrer Tochter, der Kanzler Sir Thomas More. Beide hatten es gewagt, Heinrichs Recht auf die geistliche Obergewalt zu bestreiten und dem Papst treu zu bleiben.

Als dem König das vom Parlament ausgefertigte Urteil zur Unterschrift überbracht wurde, zuckte er heftig zusammen und legte das Papier auf den Tisch. Die Deputation aber bat fußfällig um Gnade für die hohen Verurteilten. Bischof Fisher war ebenso hoch geachtet um seiner Tugend und Frömmigkeit, seines reinen Wandels willen, wie Sir Thomas Mohr als Gelehrter und Diplomat.

»Der Bischof ist alt«, sagte Gardiner, »der Tod wird ihn bald abrufen, Majestät, und zudem besitzt er im hohen Grade die Liebe des Heiligen Vaters, der um seine Begnadigung bittet und den Bischof im Tower den Kardinalshut übersandt hat.«

»Den Hut mag der Papst senden«, sagte Heinrich spöttisch, »aber der Kopf dazu wird fehlen. Und More ist ein eigensinniger, halsstarriger Mann. Wir haben lange mit ihm Geduld gehabt, ihm Zeit zur Überlegung gegönnt.1 Ich darf keine Ausnahme mit ihm machen.«

»More ist das Haupt aller Opposition im Lande, Majestät«, sagte Anne, welche im Kabinett mit Stickerei beschäftigt saß. »Ihr könnt erst Ruhe erwarten, wenn der Schlange der Kopf zertreten ist. Mitleid wäre in diesem Fall nicht am Platz, wo Eure Majestät bisher so fest geblieben ist. Mores Freilassung wäre eine stille Unterwerfung Eurer Gewalt unter die des Papstes.«

»Da sei Gott vor!«, sagte Heinrich, durch ihre Worte gereizt. »Er falle denn, wie alle unsere Feinde vor und nach ihm!« Er ergriff rasch die hingehaltene Feder und unterschrieb das Bluturteil.

»Majestät, der Kanzler bittet um die Gnade, die seinen noch einmal zu sehen«, sagte Cromwell mit ernster, betrübter Miene.

»Unter soll gewährt werden, und alles, was er sonst verlangt.«

»Sein Leichnam …«

»Soll der Familie zum ehrlichen Begräbnis ausgeliefert werden«, sagte Heinrich und wandte sich rasch von ihm ab.

Der 80-jährige Bischof Fisher sollte seinem Freund und Lebensgefährten More zum Schafott vorangehen.

Am Morgen seiner Hinrichtung ließ er sich in den vollen bischöflichen Anzug kleiden und warf über seinen reichen Talar die schwere Goldkette, welche er einst von Katharina empfangen hatte. »Es ist ja heute mein Geburtstag«, sagte der ehrwürdige Greis zu den erstaunten Beamten, als sie ihn abholen wollten. »Mein Ehrentag, denn ich gehe zum Himmel ein.«

Es zeigte sich jedoch, dass Fisher körperlich zu schwach war, um den peinlichen Weg zu Fuß zu machen.

»Ei, da müsst Ihr mir noch die Ehre erweisen, mich hinzutragen«, sagte der Bischof lächelnd. »Es wird mir Sündigem eine größere Liebe erwiesen, als meinem lieben Heiland, der sein Kreuz selbst schleppen musste.«

Man setzte ihn in einen Sessel. Männer hoben ihn auf ihre Schultern und trugen ihn zu dem nahe gelegenen Towerhill (Schlosshügel), eine Erhöhung außerhalb der Ringmauer der Festung, und auf das Gerüst.

Da erhob sich der Greis, hielt vor der atemlos versammelten und unabsehbaren Menge das Neue Testament empor und beschwor bei diesem seinen Glauben, welcher die Kirche und den Papst rechtfertige.

»Selig sind, die da bis zum Ende beharren, ihnen ist die ewige Krone vorbehalten«, so schloss er seine Rede.

Er warf selbst sein Obergewand vom Hals zurück, hob die langen schneeweißen Haare zum Abschneiden in die Höhe und legte dann lächelnd, ohne ein Zucken, das Haupt auf den Block.

Ein lauter Aufschrei der Entrüstung, ein dumpfes Stöhnen und Weinen unter dem Volk – dann stürzte es sich wie ein verwundeter Tiger auf das Gerüst, um, ungeachtet der Soldaten, Tücher in das warme Blut zu tauchen und die abgeschnittenen weißen Haare als kostbare Reliquien unter sich zu teilen.

»Es lebe der Papst! Es lebe die Königin Katharina und unsere Prinzessin Mary!«, erscholl es drohend aus tausend und abertausend Kehlen, in dem sich die Menge langsam vor den Waffen der Soldaten zerstreute.

Kurze Zeit – und es erneuerte sich die Szene, denn der Kanzler More betrat seinerseits das das Blutgerüst. Auch er starb mit der Versicherung seiner Treue und Ergebenheit gegen den Papst, aber zugleich mit dem bedeutungsvollen Wunsch, dass der Himmel nicht dereinst seinen Tod an seinen Mördern räche. Er nannte keine Person, aber das Volk verstand ihn, denn man hatte erfahren, dass er in seinem Kerker für Anne gebetet und dieser mit prophetischen Geist ein herbes Schicksal vorausgesagt hatte. Abermals erhob sich der Ruf: »Es lebe Katharina! Es lebe der Papst!«

 

*

 

Heinrich befand sich bei Anne bei einem lebhaften Kartenspiel, als ein Edelmann in seiner Nähe die vollzogene Hinrichtung erwähnte. Der König warf die Karten auf den Tisch und schleuderte seiner munteren Gattin einen vorwurfsvollen Blick mit den Worten zu: »An diesem Mord seid Ihr schuld!« Er verließ hastig das Gemach.2

Eine Leichenblässe bedeckte Annes eben noch so strahlendes Gesicht. Es war das erste Mal, dass von seinen Lippen sie ein Vorwurf traf.

Sie hatte auch bald die wichtigeren Grund, den Tod Mores zu bereuen Papst Paul, wütend über den Tod seiner treuen Anhänger, und von dem hoch erzürnten Kaiser dazu aufgefordert, welcher More persönlich sehr zugetan gewesen war, gab Befehl, die lange zurückgehaltene, längst ausgefertigte Interdiktsbulle über Heinrich und seine Buhlerin zu veröffentlichen.

Es war im königlichen Schloss still geworden. Mitternacht war eben vorüber, als es leise an die Tür des kleinen Zimmers klopfte, auf welches die ehemalige Thronerbin von England durch ihre Stiefmutter beschränkt worden war. Mary war noch auf und wach, sie las noch vor dem Schlafengehen in einem ihrer katholischen Gebetbücher.

Auf Marys Antwort »Herein!« schlüpfte eine kräftige, graziöse Gestalt ins Zimmer und sank zu den Füßen der Prinzessin nieder.

»Ihr seid es, Jane Seymour?«, fragte Marie erstaunt. »Ihr habt Euch zu mir gewagt, Ihr, der Liebling meiner Stiefmutter?«

»Ich bin Lady Anne dankbar, Hoheit, für ihre große Güte gegen mich. Aber als sie mich bei meiner Rückkehr nach England zu ihrer Ehrendame ernannte, willigte ich nur auf die dringenden Bitten meines Vaters und meiner Brüder ein, nicht aus eigenem Antrieb.«

»Wie, ich dachte, Ihr wäret schon in Frankreich Freundinnen gewesen?«

»Wir befanden uns zugleich im Dienst der edlen Königin Claude«, sagte Jane Seymour, »allein Annes gefallsüchtiges Wesen, ihre Koketterie sagte mir nicht zu. Auch widerstrebt es meinem Gefühl, ihr als Königin zu gehorchen. Meine ganze Seele ist der edlen Katharina und Euch ergeben, Hoheit! Glaub mir, so war ich an die Heilige Jungfrau glaube, so ehrlich meine ich es mit Euch.3

»Ich will es glauben, Lady Jane«, versetzte Mary, »um meiner edlen Mutter willen werdet Ihr an mir nicht zur Verräterin werden. Aber ich billige auch Eure Unaufrichtigkeit gegen Lady Anne nicht«, setzte sie hinzu.

»Ich begehe an dieser keinen Verrat, in dem ich Euch liebe, Hoheit«, antwortete Jan mit offenen, freien Blicken. »Anne verlangt nur gehorsam von ihrer Umgebung. Liebe würde sie auch nicht verlangen, außer von einigen betörten Schmeichlern oder falschen Höflingen.«

»ich weiß, sie gibt manchen Anstoß durch ihre Heftigkeit und ihren Übermut«, sagte Mary.

»Sie hat mehr Feinde um sich, als Freunde, Hoheit. Ich beneide sie nicht um ihre Stellung. Mir ist es immer, als stände sie auf einem Vulkan, der plötzlich ausbrechen und sie verschlingen könnte.«

»Man muss ihr viel zugute halten, ihrer jetzigen Lage halber«, sagte Mary. »Wenn sie erst dem König einen Erben gegeben hat, dann wird sie vielleicht ruhiger und nachsichtiger gegen mich werden.«

»Ich wollte Euch eine Nachricht mitteilen, Hoheit, welche, nach dem Befehl des Königs, nicht besprochen werden darf, eine Nachricht von Rom.«

»Von Rom, von Reginald?«

»Nein«, erwiderte Jane, lächelnd über den entschlüpften Namen des heiß Geliebten. »Vom neuen Papst. Seine Heiligkeit hat den König und Lady Anne in den Bann getan!«

»Barmherziger Himmel, meine arme Mutter!«, rief Mary. »Wie wird sie darüber um den Vater sich betrüben!«

»Sie sollte sich freuen, Hoheit! Es kann dadurch eine Wendung Eures Geschicks eintreten.«

»Meine hohe Mutter denkt wie ihr Kind, Lady Seymour«, versetzte Mary sanft. »Die Rache ist des Herrn! Aber es kann nicht fehlen, dass die Bulle bekannt werde.«

er König erfuhr es, ehe der päpstliche Nuntius von Frankreich absegelte. Befehl ist gegeben, denselben bei seiner Landung in England abzufangen und das Pergament ihm zu entreißen.«

»Die Priester werden es schon wissen.«

»Ist wohl wahrscheinlich«, antwortete Jane. »Aber diesen ist bei Todesstrafe verboten, die Bulle dem Volk bekannt zu machen, weder auf den Kanzeln noch in den Beichtstühlen.«

»Ah, darum hat Lady Anne seit drei Tagen ihr Gemach nicht verlassen«, sagte Mary sinnend. »Ich begreife es. Es muss ihr sehr wehtun«, fügte sie mitleidig hinzu.

»Ihr seid ein guter, lieber Engel!«, rief Lady Jane mit lebhafter Wärme aus. »Aber Gott wird Eure Sanftmut, Eure Geduld belohnen, Hoheit! Auch für Euch wird noch der Tag der Gerechtigkeit kommen. Hofft nur!«

»Ich wünsche nichts, als mit meiner Mutter vereint leben und sterben zu dürfen«, sagte Mary in Tränen ausbrechend. »Jede andere Qual und Demütigung es gering gegen diese Trennung! Warum uns Armen nicht den Trost können, miteinander zu leiden? Und jetzt, wo sie so elend, so krank ist, ihrer Tochter so nahe und dennoch so fern! Ich meine oft, ich könne es nicht ertragen, Lady Jane, ich fühle mich versucht, mit List diesen Mauern zu entfliehen, zu ihr zu eilen! Oh, sagt mir, wäre es nicht möglich?«

»Möglich allerdings, Hoheit«, war die Antwort. »Ich selbst helfe Euch dazu mit Leib und Leben.«

»Trotz des Zorns des Königs?«

»Oh, diese würde mich wohl sanft treffen!«, rief Jan mit einem koketten, aber gutmütigen Lächeln.

»Lady Jane«, sagte Mary ernst, »nehmt Euch in Acht. Erregt den Argwohn meiner Stiefmutter nicht gegen Euch.«

»Ihr tut mir unrecht, Hoheit«, beteuerte Jane. »Ich habe mit seiner Majestät gar keine Beziehungen, als meine dienstlichen.«

»Wie kommt es denn, dass man sich am Hof allerlei zuraunt?«, fragte Mary.

»Ei, das geschieht, weil einige boshafte Zungen Lady Anne ärgern oder ihr Kummer verursachen wollen, damit – damit das Kind zu Grunde gehe!«

»Schrecklich, abscheulich!«, rief Mary aus. »Wer tut das?«

»Vornehmlich Annes Schwägerin, Lady Rochefort, dann Gardiner, der Freund Eurer edlen Mutter, und ihr eigener Oheim Lord Norfolk.«

»Lord Norfolk, der Anne alles verdankt?«

»So ist es hoch, Hoheit! Anne ist unvorsichtig, und in ihren Übermut glaubt sie, niemand Achtung schuldig zu sein. Sie hat diesen stolzen Mann schon mehrmals angesichts Cromwells beleidigt. Er trachtet nur nach der Gelegenheit, sich an ihr zu rächen – wenn nicht mehr!«

»Mehr? Was meint ihr damit?«

»Ei nun«, sagte Jane zögert, »der Lord behauptet, eine solche Ehe, die noch bei Lebzeiten der ersten Gemahlin geschlossen wurde, sei nicht sehr fest geknüpft. Sie könnte wieder gelöst werden.«

»So weit werden Sie es nicht reiben«, rief Mary aus, »und hat Anne einen Sohn, ist ihre Macht von Neuem befestigt.«

»Ja, wenn, Hoheit! Gott kann richten!«

»Aber wir kamen von unserem ersten Kapitel ab«, sagte Mary. »Wodurch sind die Stichstelle reden über Euch und den König entstanden?«

»Auf eine sehr einfache Art, Hoheit. Wir befanden uns vor einigen Wochen auf der Jagd, denn Ihr wisst, Lady Anne gibt den Bitten der Ärzte kein Gehör, die ihr Stille und Ruhe gebieten.«

»Leider! Mein Vater ist sehr in Sorgen darüber«, entgegnete Mary.

»Nun, wir wurden ziemlich in die Enge getrieben, da ein Eber auf uns zustürzte, mein Pferd scheute und einen Satz machte, der mich gegen einen Baum schleuderte und den Schleier zerriss. Seine Majestät sprengten mir zur Hilfe herbei und hoben mich vom Pferd. Dabei waren mir die goldenen Nadeln entfallen, welche mein Haar zusammenhielten, sodass diese sehr wirr um die Schultern flogen und aussahen wie die zornigen Borsten des Ebers.«

»Oder vielmehr wie ein Schleier von lichtem Gold«, sagte Mary bewundernd. »Sie sind in der Tat wunderschön, eure Haare, Lady Jane.«

»Nun, es hatte mir noch niemand etwas davon gesagt«, entgegnete Jane, »denn einem armen Fräulein flattiert man nicht. Aber jetzt bin ich stolz auf sie, da Eure Hoheit und Seine Majestät sie loben.«

»Mein Vater?«, fragte Mary erstaunt.

»Ja, Hoheit. Seine Majestät fasste den ganzen Wulst da in seine kräftige Faust und wickelte ihn sich dreimal um seinen Arm. Das gebe eine prächtige Kette, sagte er, die kein Ritter sprengen würde!«

»Vernahm Lady Anne diese Bemerkung?«, fragte Mary.

»Gewiss, Hoheit, sie hielt ja zu Pferde neben uns.«

»Bemerktet Ihr keine Bewegung an ihr?«

»Ich nicht, Hoheit. Allein man behauptet, sie habe dabei die Farbe gewechselt und sei einer Ohnmacht nahe gewesen. Aber warum fragt Ihr?«

»Ach, es war nur ein unbestimmter Gedanke, der mich durchzuckte«, versetzte Mary. »Ich habe gehört, dass sie einen Widerwillen gegen blonde Haare habe, und dass man ihr geweissagt hatte, solche würden ihr eins großen Kummer bereiten.«

»Von mir wird das schwerlich geschehen«, meinte Jane, indem sie aufstand und sich von der Prinzessin verabschiedete.

»Also Freundin, Lady Jane!«, sagte Mary liebreich.

»So lange ich lebe, Hoheit. Gott gebe, dass es einst in meiner Macht stehen möge, Euch meine Liebe zu beweisen.«

Show 3 footnotes

  1. In der Tat saßen beide seit einem Jahr im Tower.
  2. Geschichtlich
  3. Diese Freundschaft bewahrte Jane Seymour auch als dritte Gemahlin des Königs Heinrich für die Prinzessin Mary, welche Letztere auch durch sie in ihre Rechte wieder eingesetzt wurde.