Jack Lloyd Folge 35
Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät
In der Höhle des Löwen
Elena hatte sich bei Jack untergehakt. Doch nachdem sie den Mann, der Jack völlig fremd war, gesehen hatte, wurde aus dem einfachen Unterhaken eher ein Klammergriff. Jack fürchtete schon, ihr Verhalten könnte auffallen, als er aus den Augenwinkeln sah, dass der weißhaarige Mann sich durch die Menge hindurch auf sie zubewegte. Bald würde es wahrscheinlich egal sein, ob ihr Verhalten auffällig war oder nicht. Wenn Elena recht behalten sollte, und dieser Mann für sie wirklich gefährlich werden konnte, dann würde dieser Abend wesentlich unschöner enden, als er begonnen hatte.
Es kam Jack vor, als wäre eine halbe Stunde vergangen, bis der Mann sie endlich erreicht hatte. Elena, die sich in der Zwischenzeit mehrfach geräuspert hatte, schien einigermaßen ihre Fassung wiedererlangt zu haben. Jack lächelte dem Fremden entgegen, der das Lächeln vorsichtig skeptisch erwiderte.
»Elena, ich hätte nicht damit gerechnet, Euch hier zu sehen.« Die Stimme des Mannes klang melodisch und angenehm. Er schien ein durchaus kultivierter Mensch zu sein neben seinem Auftreten war auch seine Kleidung durchaus in der Lage, Jack zu beeindrucken. Der Fremde war offensichtlich wohlhabend.
»Comte de Canero. Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Caracas muss sich geehrt fühlen, solch hohen Besuch in seinen Mauern willkommen heißen zu dürfen.«
»Ihr übertreibt, mein Kind.« Der Comte ergriff Elenas Hand, die diese ihm elegant entgegengestreckt hatte, und hauchte einen Handkuss darauf. Die Geste hatte Elena mit Jack einige Male geübt für den heutigen Abend. Jetzt konnte der Kapitän sie in absoluter Formvollendung beobachten. Jack hatte das leise Zittern in der Stimme seiner Begleiterin vernommen. Er hoffte nur, dass der Comte Elena nicht so gut kannte, dass er es auch gehört hätte.
»Doch sagt, wer ist der schmucke Mann hier an Eurer Seite? Ich wusste nicht, dass Ihr bereits geheiratet habt, meine Teure.«
Elena lachte gezwungen. Dann wedelte sie verlegen mit einer Hand und erklärte leise: »Dieser Mann ist weder mein Gatte noch mein Verlobter. Nein, Comte, ich bin in der Tat noch immer nicht vergeben, sehr zum Unglück meines Herrn Vater, wie Ihr Euch sicher vorstellen könnt.«
»Ja, Euer alter Herr würde Euch nur allzu gern in den Händen eines wohlhabenden und ruhig lebenden Adligen sehen. Nur weit weg von jeder Holzplanke, habe ich nicht recht?«
Die beiden lachten, was ziemlich aufgesetzt klang. Jack war sich noch nicht ganz sicher, was er hier vor sich hatte. Er wurde das Gefühl nicht los, dass Elena und der Comte sich gegenseitig taxierten. Irgendetwas schien den Mann an der Anwesenheit Elenas hier in Caracas zu stören. Jack wusste nur noch nicht was. Er würde es herausfinden müssen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, in ein offenes Messer zu rennen.
»Ihr kennt ihn nur zu gut. Wenn er gewusst hätte, dass er Euch hier treffen könnte, bin ich mir sicher, er wäre selbst aus Havanna hergekommen.«
Jetzt schien Elena einen Punkt erreicht zu haben, an dem der Comte es für notwendig hielt, die Maskerade fallen zu lassen. Jack sah, wie einen Augenblick lang mehr als nur Argwohn in seinen Augen stand. Da war das reine Misstrauen zu lesen. Und von einem Moment auf den anderen veränderte sich auch die Stimme des Comte. Aus dem melodischen, freundlichen Geschwätz wurde plötzlich eine ernste Frage, die Elena nicht unvorbereiteter hätte treffen können.
»Wenn Ihr gerade in Havanna ward, warum haben wir uns dann nicht dort bereits getroffen? Ich bin gestern erst hier eingetroffen und habe mich zuvor mehrere Wochen in der schönsten Stadt auf Kuba aufgehalten. Der Gouverneur hatte Euch erwartet, und Euren Vater. Doch statt Eurer war nur ein Piratenjäger in seinem Palast erschienen. Und der hatte eine durchaus interessante Geschichte zu erzählen.«
Jack musste sich zusammenreißen, um nicht lauthals loszufluchen. Der einzige Drang, der in diesem Augenblick ebenso groß war, war der, wegzulaufen. Sie waren aufgeflogen, bereits am ersten Abend. Diese ganze Unternehmung war Wahnsinn gewesen. Wie hatten sie denken können, ein unerfahrener Kapitän, die Tochter eines Händlers und eine Handvoll Freibeuter könnten gemeinsam das Schatzschiff der Silberflotte kapern? Der Traum endete heute Abend. Und wahrscheinlich machten sie in den Kellern des Palastes schon ein Verlies für sie bereit. Wenn die spanische Inquisition ihn und seine Männer in die Finger bekam, würden sie kurzen Prozess mit ihnen machen. Der Galgen war ihnen sicher. Und auch für Elena sah es alles andere als gut aus. Immerhin hatte sie mit Seeräubern gemeinsame Sache gemacht. Der Kapitän schloss für einen Augenblick die Augen und bereitete sich darauf vor, gleich den kleinen Dolch, den er eher zur Zierde an seiner Uniform trug, zu ziehen und sich zumindest für einen kleinen Moment zu verteidigen. Elenas Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und brachte ihn in die Realität zurück.
»Wenn ihr die Geschichte meint, wir wären von einem englischen Freibeuter überfallen und getötet worden, dann solltet Ihr Euch fragen, ob Ihr dem Mann, der diese Dinge erfunden hat, wirklich Glauben schenken wollt.«
»Erfunden?« Jetzt wanderten die Augenbrauen des Comte langsam nach oben. »Was meint Ihr mit erfunden?«
»Nun, wie Ihr seht, lebe ich noch.«
»Und in Eurer Begleitung befindet sich ein junger Mann, auf den durchaus die Beschreibung des Unholds passen würde, der angeblich Euch und Euren Vater überfallen haben soll.«
»Ich weiß nicht, von wem genau Ihr sprecht, Comte. Aber ich verbitte mir solche Unterstellungen.« Jack hatte das Gefühl, unbedingt etwas sagen zu müssen. Der Blick, den der Comte ihm nach seinen Worten zuwarf, war Beweis genug, dass der junge Mann sich geirrt hatte. Elena hob eine Hand und legte sie Jack besänftigend auf den Arm. Dann wandte sie sich wieder an den Comte.
»Ich weiß nicht genau, was man Euch berichtet hat. Aber ich versichere Euch, dass sich die Angelegenheit aufklären lassen wird.«
»Das will ich hoffen, Elena. Um Euret Willen. Wir wissen beide, wie aufgeregt die Stadtwachen sind, wenn eine Silberflotte erwartet wird. Der Gouverneur wäre sicherlich nicht erfreut, wenn er das Gefühl haben müsste, dass Personen in seiner Stadt sind, die nicht vertrauenswürdig sind.«
»Wo können wir uns ungestört unterhalten, Comte? Ihr sollt die ganze Geschichte hören, dann könnt Ihr selbst Euch ein Bild davon machen, wie vertrauenswürdig wir wirklich sind.«
»Dann folgt mir doch bitte. Mein lieber Freund, der Gouverneur, wird sicher nichts dagegen haben, wenn wir uns für einen Moment von der Gesellschaft absondern.«
Jack und Elena folgten dem Mann durch das Gewühle, bis er ihnen schließlich eine Tür wies, hinter der ein leerer aber dennoch hell erleuchteter Raum lag. Die beiden traten ein. Jack atmete tief durch, als ihnen noch drei Soldaten folgten. Der Comte, der sah, dass die Anwesenheit der Wachen den beiden nicht gefiel, lächelte Elena sanft an.
»Ihr werdet sicher verstehen, dass ich sichergehen möchte, dass ich das Ende dieses Gespräches noch erlebe.«
»Das wäre nicht notwendig gewesen, Comte«, zischte Elena aufgebracht.
»Beweist es mir. Dann werden wir weitersehen.«
Mit diesen Worten warf der Comte die Tür zu. Jack sah Elena einen Augenblick lang von der Seite an, während sie sich langsam zu sammeln schien. Unser Tod, schoss es Jack durch den Kopf. Warum muss diese Frau nur immer recht behalten?
Fortsetzung folgt …
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