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Dreizehn Jahre im Wilden Westen – Kapitel I

Dreizehn Jahre im Wilden Westen
0der: Abenteuer des Häuptlings Sombrero
Nürnberg, 1877
Kapitel 1
Reise nach New York

An einem schönen Morgen im Monat Juli 1864 konnte man auf dem Nürnberger Bahnhof einen Jüngling in vollem Reisekostüm sehen, welcher in Begleitung einiger Verwandten auf die Abfahrt des Personenzuges nach Hannover harrte. Die schöne Stimme des Kondukteurs rief zum Einsteigen. Nach kurzem Abschied bestieg jener reizende Jüngling in Begleitung seines Onkels den Zug und hatte in einigen Minuten seine Vaterstadt weit hinter sich gelassen. Er war en route nach Amerika. Sein Onkel hatte es unternommen, ihm das Geleit bis an das Schiff in Bremerhaven zu geben, um dann zur alten Vaterstadt zurückzukehren.

Als jenen liebenswürdigen Jugendlichen habe ich hiermit die Ehre, mich selbst und meinen lieben Onkel und Taufpaten als den Begleiter vorzustellen.

In Eisenach stiegen wir aus und verweilten einige Zeit, um uns die Wartburg, das Annatal und andere Sehenswürdigkeiten anzuschauen sowie auch das Eisenacher Bier einer ganz genauen Prüfung zu unterwerfen. Von Eisenach setzten wir unsere Reise nach Hannover fort, wo wir uns ebenfalls aufhielten, um das Sehenswerte, worunter sich das Aquarium befand, zu inspizieren. Am vierten Tag kamen wir in Bremen an, wo ich alsbald meine Schiffspapiere besorgte und, da ich drei Tage hatte, ehe das Dampfschiff abging, mich auf eine Entdeckungsreise in das Innere Bremens anschickte.

Hier erblickte ich auch sogleich dem berühmten Bremer Ratskeller, wo man wirklich sehr gute Sorten Weines findet. Da selbst hatten wir einige Abende später ein Abendessen, gegeben von einigen Freunden und Bekannten, wobei Wein und Champagner derartig flossen, dass sich all mein Patriotismus in mir regte und ich mich genötigt fand, eine kleine Ansprache zu halten, deren Sinn aber, da er sehr tief war, niemand verstand. Es würde mich selbst schwerfallen, Aufklärung darüber zu geben. Das Souper fiel jedoch zur allgemeinen Befriedigung aus. Erst, nachdem die Polizeistunde einige Male verkündet war, traten wir mit bleiernem, langsamen Schritt den Weg zu unseren Gasthäusern an, wo wir uns noch einige Stunden des Schlafs der Gerechten erfreuten. Am nächsten Tag ging es nach Bremerhaven, um eingeschifft zu werden. Obwohl schon oft auf Schiffen gefahren, wie zum Beispiel auf dem Dutzendteich und Falznerweiher, so kamen wir doch der Atlantische Ozean sowie die großen Schiffe, welche hier vor Anker lagen, als bedeutend großartiger. Mein Schiff, der Dampfer Amerika, hatte bereits den Hafen verlassen und lag sechs bis sieben englische Meilen vom Landungsplatz entfernt. Daher würden wir Kajütenpassagiere auf einen kleinen Dampfer der Gesellschaft geladen, welcher uns hinaus zur Amerika zu bringen hatte, wo wir gegen halb sechs abends ankamen. Die Zwischendeckpassagiere waren bereits an Bord und empfingen uns mit einem vierzehnfachen donnernden Hoch. Wir kletterten die Schiffstreppe hinauf an Deck der Amerika, wo wir von den Stewards empfangen und uns die Kojen angewiesen wurden. Danach begaben wir uns in den Salon und nahmen unser erstes Abendessen auf dem Meer ein.

Mit der Schiffsmannschaft waren wir im Ganzen 875 Personen an Bord. Gegen vier Uhr am nächsten Morgen lichteten wir die Anker und machten uns auf den Weg. Bald fingen die Passagiere an, lange Gesichter zu machen. Hier und da hörte man schon einen und den anderen New York rufen. Die Seekrankheit hatte ihren Anfang genommen; besonders auf dem Teil des Verdecks, dass für Zwischendeckpassagiere war. Dort saßen sie, meistens Landleute, in Familiengruppen ganz trostlosen Angesichts. Man konnte das Heben und Reißen in ihrem Inneren ganz deutlich beobachten. Ich schlief sogleich in die Küche hinab. Bald erschien ich wieder auf dem Verdeck mit einem Stück gesalzen Specks an einem Schnürlein gebunden. Nun ging ich von einer Gruppe zur anderen, vor jeder ein Stück Speck halb verschluckend und dann an der Schnur wieder herausziehend. Zugleich machte ich die Pantomime des Erbrechens mit herzzerreißender Genauigkeit. Dieser Vortrag machte einen beruhigenden Eindruck auf die Gemüter und Mägen der Zuschauer. Sie fingen sofort an, das Verdeck mit bereits halbverdauten Nahrungsmitteln zu beschmutzen, worauf ich mich in das Raucherzimmer zurückzog, um mich an einer Flasche Bremer Bier zu laben.

Am zweiten Tag gegen Abend begegnete uns ein Lotsenboot. Der Lotse kam an Bord, um uns in den Hafen von Southampton zu bringen, wo wir auch um ein Uhr nachts anlegten. Da wir hier vierundzwanzig Stunden zu liegen gedachten, so ging ich gleich nach dem Frühstück in Begleitung einiger Reisekameraden an Land. Nachdem wir einige Reihen von Eckenstehern passiert hatten, welche uns Hunderte verschiedener Hotelkarten in die Hand drückten, gelangten wir glücklich in die Stadt, wo wir natürlich als Fremde alles dreifach bezahlen mussten und überall übers Ohr gezogen wurden. Dennoch amüsierten wir uns sehr gut und kehrten erst spät abends zum Amerika zurück.

Am nächsten Mittag waren wir wieder reisefertig und stachen in See; Salute aus zwei Kanonen feuern, wovon die eine, nicht an die Anstrengung gewöhnt, zerplatzte und einige Passagiere leicht verwundete. Bald waren wir auf dem Atlantik und hatten zwei Tage lang unruhiges Wetter. Hier und da bekamen wir Schweinsfische (Congiopodidae), auch einen vereinzelten Hai zu sehen. Die Zeit verging uns sehr schnell an Bord und es fehlte nicht an Unterhaltung. Ungefähr vierzehn Tage nach unserer Abreise von Southampton erblickten wir die Küste von Amerika gegen vier Uhr abends. Der Lotse kam an Bord und am Morgen gegen sieben Uhr legten wir in Hoboken New York an, wo wir Kajütenpassagiere sogleich landeten und uns nach New York begaben. Es war gerade Sonntag und das Glockenspiel vieler Kirchen schien uns einen feierlichen Empfang zu läuten. Ich begab mich mit einigen anderen zum Jegel’s Hotel, von Herrn Jegel aus Nürnberg gegründet, wo wir uns aller Bequemlichkeiten erfreuten und über einen guten Mittagstisch die Beschwerlichkeiten der Reise vergaßen. Montags in der Frühe suchte ich Herrn Roth auf, an welchen ich Briefe übergeben wollte und der mir eine Stelle versprochen hatte, fand ihn aber leider sehr krank, sodass er sich meiner nicht viel annehmen konnte. Er starb auch kurz darauf. So war ich ziemlich auf mich selbst angewiesen. Ich ging in ein boarding house, da das Hotelleben etwas zu kostspielig ist und begann nun, mich in New York umzusehen.