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Die Gespenster – Zweiter Teil – Dreiundfünfzigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Dreiundfünfzigste Erzählung

Das unterirdische nächtliche Seufzen auf dem Kirchhof zu Rathenow

Im Sommer des Jahres 1777 hörten mehrere vorübergehende Rathenower des Abends gegen elf Uhr in der Gegend des Kirchhofes neben dem Turm der Stadtkirche ein dumpfes unterirdisches Wimmern. Bei vielen erregten diese den Ohren schrecklichen, spukhaften Töne ein überaus unbehagliches Grausen der Haut. Verweilen in einer so zweideutigen Gegend war daher keineswegs ihre Sache. Sie eilten vielmehr ungesäumt vorüber. Einige von den Vorübergehenden aber waren verständige Leute, welche wenigstens ein dunkles Gefühl von ihrer Pflicht, dem Ursprung der Klagestimme nachzuspüren, hatten. Auch fehlte es ihnen in der Tat nicht an gutem Willen, diese Pflicht der Menschenliebe ungeachtet der Aufopferung, welche es sie kostete, zu erfüllen. Allein, wie es auch sonst wohl zu geschehen pflegt, so war auch hier der Geist willig und das Fleisch schwach. Die Vernunft überlegte und wollte zur Untersuchung schreiten, aber die Haut grauste und die Haare standen zu Berge, sobald man sich der unterirdischen Stimme drei oder vier kleine Schritte genähert hatte.

Wirklich waren die unverständlichen Töne, wie aus dem Inneren der Erde hervorgestoßen, wegen des Ungewöhnlichen in dieser Wahrnehmung, im eigentlichsten Sinne schaudererregend. Es gehörte schon viel gesetztes Wesen und noch mehr Entschlossenheit dazu, um sich diesem Schlund prüfend zu nähern. Wenn die Beherzten auch eben nicht fürchteten in den Schlund hinabgezogen oder wenigstens bei ihrer Annäherung von dem spukenden Geist boshaft erschreckt zu werden, so wusste man doch nicht, wie man das obwaltende große Dunkel natürlich erklären sollte.

Es blieb daher dabei: Die Vorübergehenden und alle, welche durch deren Erzählung auf die spukhafte Kirchhoferscheinung aufmerksam gemacht und herbeigelockt worden waren, hörten das unterirdische Gestöhne, ohne durch den Augenschein sich völlig zu überzeugen, ob dasselbe eines natürlichen oder übernatürlichen Ursprungs sei.

Am nächstfolgenden Morgen versammelte sich in aller Frühe ein Haufen Neugieriger in derjenigen Gegend des Kirchhofs, wo es in der verflossenen Nacht gespukt hatte. Man wies mit Fingern auf einen Fleck hin und lachte überlaut. Sie lachten aber über das in der Erde entdeckte Gespenst – über einen betagten, liederlichen Bettler, der in seiner Betrunkenheit den Abend zuvor im Finstern über den Kirchhof gegangen und in ein tiefes Grab, welches der Totengräber eben erst vollendet hatte, getaumelt war. Aus einer leichten Verwundung am Kopf schloss man, dass er mit diesem früher als mit den Füßen in die Gruft gekommen sei und über den dadurch verursachten Schmerz sowie über das kühle und harte Nachtlager gestöhnt und seine unterirdische Klagen hervorgebrummt haben mochte.