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Jack Lloyd Folge 29

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Auf alte Bekanntschaft

Sie hatten Curacao mit den letzten Strahlen der untergehenden Sonne erreicht. Die kleine niederländische Hafenstadt lag auf einer Insel, einen guten Tag von der Küste Neuspaniens entfernt. Hier wollten Jack, Elena und ihre Männer die letzten notwendigen Dinge erledigen, bevor sie sich an die Ausführung ihres Plans begeben würden. Jack hatte den Mannschaften beider Schiffe Landgang für zwei Tage gewährt. Die folgenden Tage würden anstrengend werden und da war es sinnvoll, wenn die Männer zufrieden und ausgeglichen waren. Auf dem Weg von Port Royal nach Curacao hatten sie drei kleinere Prisen eingebracht, die allemal ausreichten, um jedem der Seemänner zumindest einen kleinen Anteil auszuzahlen, damit sie sich an Land vergnügen konnten. Und schon bald waren sie in den Tavernen und Bordellen der Handelsstadt verschwunden.

Jack, Joe, Dick und Elena standen auf dem Deckaufbau der White Swallow und betrachteten den Sternenhimmel.

»Die vielen Lichter am Himmel, die Sterne wirken so friedlich.« Elena seufzte leise. Sie war in den letzten Tagen immer melancholischer geworden. Joes Versetzung auf die Jungfrau von Cartagena hatte für Jack den gewünschten Erfolg mit sich gebracht, die Mannschaft war die ganze Fahrt über ruhig geblieben und hatte sich den Befehlen Elenas gebeugt. Die junge Frau begann langsam, sich bei ihren männlichen Untergebenen Respekt zu verschaffen. Und wenn dieser Plan, Elenas Plan, wirklich Erfolg haben sollte, dann würde der Erfolg der Männer noch wachsen. Wenn aber nicht, nun … da, wo Elena und er landen würden, wenn sie keinen Erfolg hatten, da wäre es dann auch egal, ob ihre Mannschaft sie respektierte. Jack betrachtete Elena kurz von der Seite. Ihre Stimmungsänderung war ihm selbst zuerst gar nicht aufgefallen. Joe hatte ihm heute, als die Offiziere beider Schiffe auf der Swallow zusammengekommen waren, in einer stillen Minute davon berichtet. Der Kapitän fragte sich, ob er der jungen Spanierin nicht zu viel zumutete. Ob sie sich selbst nicht zu viel abverlangte. Aber vielleicht war es auch nur die Trauer um ihren Vater, die sich langsam eine Bahn brach. Die junge Frau hatte ihre Gefühle lange Zeit in sich verschlossen. Dass sie irgendwann anfangen würde, um den Verstorbenen zu trauern, war klar gewesen. Jack hatte nur gehofft, dass sie etwas mehr Zeit bis zu diesem Augenblick gehabt hätten. Er brauchte Elena jetzt bei klarem Verstand. Doch von seinen Gedanken ließ er sich nichts anmerken. Lächelnd erklärte er: »Ich habe den Sternenhimmel schon immer geliebt. Es gibt kaum etwas Schöneres.«

Dick räusperte sich deutlich hörbar. In seiner ihm eigenen trockenen Art, mit der mittlerweile selbst Elena ganz gut zurechtkam, brummte er: »Sehr romantisch das alles. Käpt’n, ich wollte mich an Land abmelden.«

»Du gehst auch auf Landgang?« Joe sah den Seebären verwundert an.

Dick setzte ein Grinsen auf. »Keine Angst, Joe. Ich werde meinen Anteil nicht gleich der nächsten Hure zwischen die Schenkel schieben. Ich habe ein paar Jahre in Curacao gelebt. Daher kennt man noch den einen oder anderen. Es wird Zeit, einige alte Bekanntschaften aufzufrischen.«

»Dann viel Erfolg dabei. Und passt auf Euch auf, Steuermann«, gab Jack sein Einverständnis. Dick nickte, hob die Hand zum Gruß und machte sich auf den Weg zur Planke, die ihn auf den Steg an Land führte.

Elena und die beiden Männer an ihrer Seite sahen dem Holländer einen Moment lang nach. Schließlich erklärte Elena leise: »Ein guter Mann. Ich denke, wir können froh sein, dass wir ihn haben.«

»Ich fürchte auch«, brummte Joe leise.

***

Dick bewegte sich langsam durch die Straßen von Curacao. Er kannte die Stadt wie seine Westentasche. Zwar hatte sich in dem holländischen Handelsstädtchen das eine oder andere verändert, doch im Großen und Ganzen sah Dicks ehemalige Heimat noch so aus wie Jahre zuvor. Der alte Seebär setzte seine Füße beinahe mechanisch voreinander. Schließlich stand er vor einer alten Holztür, hinter der der Lärm einer Taverne zu vernehmen war. Das große Schild über der Tür trug einen Krug und lud zur Einkehr ein. Dick drückte die Tür auf und betrat den vollen Schankraum. Für einen Moment ließ der Lärm in dem großen Raum nach. Dick meinte sogar, einen Moment beinahe absoluter Stille zu vernehmen. Doch bereits einen Augenblick später war der Lärmpegel wieder so wie zuvor. Dick ging zu einem der wenigen freien Tische und ließ sich daran nieder. Es dauerte nicht lange und eine junge Frau erschien neben dem Seemann.

»Was kann ich Euch bringen?«

»Einen Krug Wein, meine Schöne. Und etwas Brot.«

»Kommt sofort.«

Dick fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und dann durch die Haare. Dabei hatte er die Augen geschlossen. Als er sie wieder öffnete, saßen zwei weitere Männer an seinem Tisch. Dick sah zuerst den Mann, der ihm gegenübersaß. Ein Lächeln huschte über seine Züge. Dann wanderte sein Blick nach links und das Lächeln gefror auf seinen Lippen. Als er die Mündung der einläufigen Pistole in der Seite spürte, wurde ihm klar, dass offenbar noch nicht genug Zeit vergangen war. Er hätte doch an Bord bleiben sollen. Wütend zischte der Mann links von ihm: »Dick ten Buren. Dass du dich hierher traust, ist schon fast dreist. Auf jeden Fall aber ist es dumm.«

»Sieht so aus«, brummte Dick leise.

»Steh auf, Mann. Wir sollten ein paar Schritte gehen.«

»Ich bin gern hier.«

»Das warst du immer schon. Steh auf, Dick. Oder soll meine Bleipuste dich kitzeln?«

»Nur die Ruhe, Martin. Nur die Ruhe.«

Die Männer erhoben sich. Dick wurde in die Mitte genommen und hinausgebracht. Als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, spürte er einen Tritt in die Kniekehlen.

Stöhnend sackte Dick in sich zusammen. Dann traf ihn ein weiterer Tritt in die Nieren. Dick fiel vornüber in den Staub. Er spürte noch vier oder fünf Tritte, dann umfing ihn eine gnädige Ohnmacht.

Fortsetzung folgt …

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