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Jack Lloyd Folge 28

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Ein neuer Steuermann

Jack blieb mit Elena auf dem Deckaufbau. Joe schickte er dem Neuankömmling entgegen, damit dieser ihn direkt zu den beiden Kapitänen brachte. Jack war gespannt, was der Mann wollte. In ihm hatte sich die zarte Hoffnung breitgemacht, dass er an Bord der Swallow anheuern wollte, doch eigentlich war dieser Gedanke regelrecht utopisch. So warteten Jack und Elena und sahen dem Mann, der da die Planke hinaufkam, entgegen.

Endlich stand Dick ten Buren vor den beiden, eine Kapuze so weit über den Kopf gezogen, dass sie ihm tief ins Gesicht herabhing. Er schaute auf und warf die Kapuze mit beiden Händen nach hinten. Ein breites Grinsen lag auf seinen Zügen.

»Da habt Ihr ja eine schöne Menge Landratten um Euch gesammelt, Käpt´n!«, dröhnte die Stimme des Hünen über das Schiff.

Einige der Männer, die an Deck noch mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt waren, ließen von ihrer Arbeit ab und sahen hinauf zum Deckaufbau.

Jack reichte Dick eine Hand und erwiderte lächelnd: »Warum seid Ihr hier, Steuermann? Um Euch über meine Mannschaft lustig zu machen?«

»Mitnichten, Käpt´n.« Dick schlug in die ihm gereichte Hand ein. Dann wandte er sich an Elena. »Eigentlich wollte ich hauptsächlich die Frau kennenlernen, die mehr in der Hose zu haben scheint, als die meisten Männer in der großen weiten Karibik. Dieser wahnsinnige Plan stammt von Euch, junge Lady?«

Elena zog ihre Augenbrauen zusammen. Sie war an Bord eines Schiffes groß geworden, an der Seite ihres Vaters. Sie kannte die derbe Sprache der Seeleute und sie wusste damit umzugehen. Aber auf diese Art hatte noch niemand mit ihr geredet. Ihr fehlten für einen Augenblick schlichtweg die Worte, sodass Jack helfend einsprang.

»In der Tat. Die Idee stammt von ihr. Sie ist übrigens Kapitän der Jungfrau von Cartagena

»Wie passend«, erwiderte Dick mit einem Grinsen auf den Lippen, dass eine Menge über seine Gedanken kundtat.

»Was wollt Ihr, Mann?« Elena hatte ihre Sprache wiedergefunden. Sie war nicht bereit, sich vor den Männern an Bord der Swallow wie eine wehrlose Frau behandeln zu lassen. Wenn sie den Respekt der Mannschaft – beider Mannschaften – erringen wollte, dann musste sie zeigen, dass sie auch in der Lage war, mit Dreistigkeiten wie den gerade erlebten zurechtzukommen.

Dick hob beschwichtigend beide Hände in die Höhe. »Ich wollte mich nicht ungehörig äußern, My Lady. Aber der Gedanke, dass eine Frau ein Freibeuterschiff befehligt, ist … nun ja, sagen wir … gewöhnungsbedürftig.«

»Dann gewöhnt Euch schnell daran. Seid Ihr hier, um uns dies mitzuteilen?«

»Nein, Kapitänin. Mal ehrlich, wie soll man Euch ansprechen? Es hat schon einen Sinn, dass dieses Wort nur in der männlichen Form gebräuchlich ist.«

»Käpt´n reicht völlig. Aber Ihr habt noch immer nicht meine Frage beantwortet. Was wollt Ihr?«

Dick spürte, dass Elena langsam dabei war, Geduld und Fassung zu verlieren. Auch Jack spannte sich bereits merklich neben seiner Gefährtin. Die Freude, die in Jacks Gesicht stand, als Dick die Swallow betreten hatte, war einem eher fragenden Gesichtsausdruck gewichen.

»Ich bin hier, um mich Euch anzuschließen. Natürlich nur, wenn Ihr noch Bedarf an einem guten Steuermann habt.«

»Den haben wir immer«, erwiderte Jack langsam. »Allerdings frage ich mich, wie es zu dieser Sinnesänderung kommen konnte.«

»Nun, wie ich schon sagte: Freibeuter sterben im Kampf oder am Alkohol. Das mit dem Alkohol hat in den letzten Jahren nicht geklappt. Vielleicht gelingt es mir nun im Kampf. Und was wäre ein würdigerer Rahmen als der Versuch, die Silberflotte zu kapern?«

»Ihr seid hier, weil Ihr draufgehen wollt?«, fragte Elena fassungslos.

»Drücken wir es so aus, Käpt´n. Ich bin hier, weil mir das Leben an Land in letzter Zeit ziemlich sinnlos erschienen ist. Und seit Euer Freund, Käpt´n Lloyd hier, mich aufgesucht hat, habe ich kaum an etwas anderes denken können, als an Euren wahnwitzigen Plan. Die Silberflotte fehlt mir definitiv noch in meiner Sammlung. Und wenn es nicht gelingt, nun gut, dann enden wir halt allesamt als Fischfutter.« Fast flüsternd fügte er hinzu: »Meine Zeit ist eh schon lange abgelaufen.«

Jack und Elena sahen sich einen Moment lang an. Jack, der nach dem ungehobelten Auftritt des alten Holländers kaum damit gerechnet hatte, dass dieser sich in ihnen wirklich anschließen würde, sah, dass Elena sich nicht sicher war, ob sie das Angebot des alten Seebären wirklich annehmen sollten.

»Wer sagt uns, dass Ihr keine Unruhe in die Mannschaften tragt?«, sprach sie ihre Bedenken laut aus.

»Warum? Weil ich es gewöhnungsbedürftig finde, von einer Frau Befehle entgegen zu nehmen? Das habe ich in der Vergangenheit nicht einmal im Bett getan. Aber ich werde mich zusammenreißen und mein Bestes geben. Keiner meiner Kapitäne konnte sich je über mangelnde Loyalität beklagen. Und Ihr, meine Dame, werdet nicht die Erste sein.«

Jack sah Elena noch einmal an. Doch diese schüttelte unmerklich den Kopf. Jack schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Er hatte gehofft, es würde länger dauern, bis sie sich das erste Mal uneinig sind und er sich durchsetzen müsste. Dass diese Situation bereits vor dem Beginn ihrer Reise eintrat, beunruhigte ihn. Aber er wollte den alten Holländer an Bord haben. So hatte er endlich einen passenden Ersatz für Joe, der von nun an auf der Jungfrau segeln würde.

»Willkommen an Bord, Mr. ten Buren. Aber damit eines klar ist: Eine Beleidigung gegen einen höher gestellten Offizier oder irgendwelche anzüglichen Reden gegenüber einem der Kapitäne werden hart bestraft.« Jack hoffte, dass er Elena besänftigen konnte, indem er gleich herausstellte, dass Dick sich auch ihr unterzuordnen hatte.

»Ich werde mich zu benehmen wissen«, erklärte Dick grinsend.

»Ihr werdet an Bord der Swallow bleiben und unter meinem Kommando segeln.«

Dick deutete eine Verbeugung an. Dann schlug er mit der Hand auf den Seesack, den er noch immer über die Schulter trug. »Und wo werde ich mich unter das Landvolk mischen dürfen?«

»Der Schlafsaal ist unter Deck. Und Ihr solltet aufhören, die Leute als Landratten zu bezeichnen. Auch Landratten haben spitze Zähne. Wenn ihr diese im Schlaf zu spüren bekommt, könnte es unschön für Euch enden.«

Dick nickte und wandte sich um. Während Joe ihn schweigend vom Deckaufbau hinab auf das Deck führte, brummte er: »Keinen Sinn für Humor, diese Engländer.«

Jack und Elena sahen dem neuen Steuermann hinterher. Schließlich brummte Elena: »Ich hoffe Ihr wisst, was Ihr da tut.«

»Das Beste, was ich tun konnte, Elena. Mit Sicherheit das Beste, was ich tun konnte.«

Fortsetzung folgt …

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