Schinderhannes – Fünfzehntes Kapitel
Leben und Taten des berüchtigten Johann Bückler, genannt Schinderhannes
Für Jung und Alt zur Lehre und Warnung aufs Neue geschrieben von W. Fr. Wüst, Reutlingen 1870
Druck und Verlag von Fleischhauer & Spohn
Fünfzehntes Kapitel
Schinderhannes kommt in Gefangenschaft
Auf dem rechten Rheinufer trieb sich nun Jakob Ofenloch wieder herum. Seine Gesellschaft bestand aus seiner Frau, dem Christian Reinhard, der schwarze Jonas genannt, dessen Frau und dem Christoph Eckard.
Die Gefahr mehrte sich für ihn von Tag zu Tag. Er mochte wohl selbst erkennen, dass seine Stunde bald schlagen werde. Um der Gefahr zu entgehen, machte er allerlei Kreuz- und Querzüge. Mal hieß er Jakob Ofenloch, mal Jakob Schweickard. Heute war er ein wandernder Krämer, morgen zog er als Irdengeschirrhändler umher. Nirgends hielt er sich lange auf und wechselte namentlich immer die verschiedenen Gebiete. Seiner Aussage nach, die er später bei der gerichtlichen Untersuchung machte, wollte er seine Waren absetzen und sich dann bei den kaiserlichen Soldaten anwerben lassen.
In der oben bezeichneten ehrenwerten Gesellschaft wanderte Jakob Ofenloch eines Tages in dem Runkelschen Gebiet, als ein Streifkommando sämtliche Wanderer nach Wiedrunkel abführte. Hier wurden die Pässe untersucht und nicht ganz in Ordnung gefunden. Die Verhafteten wurden zwar wieder in Freiheit gesetzt, jedoch mit der Drohung entlassen, wenn sie das Gebiet wieder betreten, so erhalten sie 2 Jahre Schubkarrenstrafe und 50 Stockprügel obendrein.
Auf dem Jahrmarkt, der vierzehn Tage danach in Wolfenhausen im Runkelschen Gebiet gehalten wurde, hoffte Herr Ofenloch gute Geschäfte zu machen und ging in oben genannter Gesellschaft trotz der Warnung dorthin. Er war inzwischen in den Besitz eines Pferdes und eines Wägelchens gekommen und konnte so seine Waren leicht fortbringen. Ungehindert kamen sie in Wolfenhausen an und das Rösslein wurde in den Stall gebracht. Da erschien zu Ofenlochs Schrecken das nämliche Kommando wieder, das ihn vor vierzehn Tagen verhaftet hatte. Er und seine Begleiter wurden wiederum festgenommen. Nun war guter Rat teuer. Die 50 Stockprügel und die zweijährige Schubkarrenstrafe waren ihm nun gewiss. Doch nochmals leuchtete ihm der Stern der Hoffnung. Während sie vom Kommando durch das Dorf transportiert wurden, erkannte Eckard eine Gelegenheit zur Flucht. Ein Teil der Mannschaft setzte dem Fliehenden nach. Die übrigen Gefangenen waren also nimmer gehörig bewacht. So entsprangen auch der schwarze Jonas und Schinderhannes und beide erreichen glücklich das Weite. Kaum eine Stunde mochte der Letztere gekommen sein, als er von einem Trierschen Kommando angehalten wurde.
»Woher des Wegs?«, hieß es da, »und wohin, und wer seid ihr?« Diese drei Fragen versuchte er auf einmal zu beantworten, indem er mit äußerst geläufiger Zunge den Polizeimännern eine gar klägliche Schilderung von seinem Schicksal machte und ihr Mitleid zu erregen versuchte. In Wolfenhausen, erzählte er, habe man ihm sein Pferd, sein Wägelchen und seine Waren weggenommen, die er dort auf dem Markt habe verkaufen wollen, um danach unter die kaiserlichen Soldaten zu gehen. Das Streifkommando ließ sich aber nicht irre machen, sondern führte ihn nach Wolfenhausen zurück, wo ihn andere Soldaten in Verwahrung nahmen, um ihn nach Wiedrunkel zu bringen. Hier sprach er wiederholt seinen Wunsch aus, kaiserlicher Soldat zu werden. Vorläufig setzte man ihn indessen hinter Schloss und Riegel, übergab ihn jedoch am anderen Morgen einem kaiserlichen Werbeoffizier, der ihm als einem brauchbaren Rekruten 15 Gulden Handgeld gab. Auch erhielt er die Erlaubnis, seine Waren und seine Fuhre in öffentlichen Aufstreich zu bringen. Dagegen musste er an das Runkelsche Kommando 15 Gulden für gehabte Mühe bezahlen. Um unentdeckt zu bleiben, nannte er sich nun Jakob Schweickard. Unter diesem Namen wurde er von seinem Werber nach Limburg an der Lahn geliefert. Sein Kamerad Reinhard, der schwarze Jonas, trat nach einigen Tagen gleichfalls als Rekrut unter die Kaiserlichen. Bald aber traf ein, was Jakob Schweickard selbst befürchtet hatte. Man erkannte ihn als den weit und breit berüchtigten Schinderhannes sowie den schwarzen Jonas als seinen Kameraden. Der Werbeoffizier stellte nicht lange Untersuchung an, sondern ließ die gefährlichen Gauner in Ketten und Bande schlagen und schickte sie so wohlverwahrt nebst den Weibspersonen nach Frankfurt am Main an das Oberwerbekommando, wo sie am 12. Juni 1802 ankamen. Schnell hatte sich in dieser Stadt das Gerücht verbreitet, Schinderhannes werde von den Kaiserlichen gebracht werden. Diese lieferten wirklich zwei Burschen ein, aber keiner von ihnen konnte nach den Vorstellungen der Leute der Schinderhannes sein, denn ihn, das so berühmt gewordene Oberhaupt einer Räuberbande, dachte man sich als eine Gestalt, die schon beim ersten Anblick Schrecken erregen und durch einen ausgezeichneten, aber wenigstens guten Anzug auffallen und große Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde. Er war nur mit einem gewöhnlichen Wams, mit Reithosen und einem runden Hut bekleidet und sah wie ein anderer Mensch aus.
In Beziehung auf sein Äußeres wird er so beschrieben: Er war etwas über sechs Fuß groß, gut gewachsen, eher hager als fleischig. In seiner Jugend nannte man ihn nur den schönen Hans. Durch vieles Herumirren auf freiem Feld bekam er später eine braune Gesichtsfarbe. Sein Bart war stark. In seinem Gesicht zeigte sich nichts vom trotzigen Wesen eines Räubers, sondern etwas Feines und Verschmitztes. Sein Gang war rasch und fest, seine Haltung gerade und zuversichtlich.