Schinderhannes – Vierzehntes Kapitel
Leben und Taten des berüchtigten Johann Bückler, genannt Schinderhannes
Für Jung und Alt zur Lehre und Warnung aufs Neue geschrieben von W. Fr. Wüst, Reutlingen 1870
Druck und Verlag von Fleischhauer & Spohn
Vierzehntes Kapitel
Einige Anekdoten von Schinderhannes
In den bisherigen Abschnitten haben wir den Schinderhannes als Verbrecher kennen gelernt, als einen Mann, der dem Gesetz und der bürgerlichen Ordnung Hohn sprach und das Recht mit Füßen trat. Es ist billig, dass wir auch einiges anführen, was ihn uns von einer guten Seite zeigt.
Wir haben bereits erwähnt, wie Schinderhannes manche Gewalttätigkeiten und Misshandlungen verhinderte, welche seine Gefährten zu verüben im Begriff waren. Hier noch einiges über diese Seite seines Charakters.
Er hatte ein mitleidiges Herz, was bei seinem ursprünglichen Gewerbe als Abdecker doppelt zu beachten und in die Waagschale zu legen ist. Er half armen Leuten gern aus der Not, freilich nicht immer auf rechtmäßige Weise, sondern meistens so, wie jener Schuhmacher, der dem Gerber das Leder stahl, um armen Leuten Schuhen daraus machen zu können.
Zur Zeit des Kreuznacher Marktes kam er unterwegs mit einer Frau zusammen.
»Wohin, Frau?«, fragte er.
Sie antwortetet ihm: »Ich will nach Kreuznach gehen und mir ein Kühchen kaufen.«
»Warum denn nur ein Kühchen und keine Kuh?«, fragte Schinderhannes wieder.
»Dazu reicht mein Geld nicht«, antwortete sie.
»So will ich Euch das Geld geben«, sagte jener und überreichte ihr wirklich eine Summe.
Nun blieb er aber in der Nähe, merkte sich den Verkäufer, der ein Jude war, ganz genau und nahm ihm nachher auf dem Heimweg das Geld wieder ab.
Ein anderes Mal saß Schinderhannes im Fallbrücker Hof und nahm eine Erfrischung zu sich. Da trat ein Gerichtsbote von Mainz ein und erklärte, dass er beauftragt sei, dem Bauern Beschlag auf das ganze Vermögen zu legen, damit sein Gläubiger, ein Kaufmann von Alfenz, befriedigt werden könne. Der Hofbesitzer war darüber sehr bestürzt und wusste sich nicht zu raten und zu helfen.
»Wie viel seid Ihr denn dem Kaufmann schuldig?«, fragte Schinderhannes.
»Die Schuld beträgt 500 Gulden«, erwiderte jener.
»Ich will hier ins Mittel treten«, sprach Schinderhannes, »und Euch das Geld verschaffen. Lasst nur dem Mann sagen, er solle kommen und sein Geld selbst abholen.«
Der Kaufmann wurde benachrichtigt und ließ nicht lange auf sich warten. Er erschien und nahm das Geld in Empfang. Schinderhannes aber passte diesem im Wald ab, nahm ihm die 500 Gulden wieder ab und dazu noch sechs Karolin für gehabte Mühe und prügelte ihn überdies noch derb durch. An den Hofbesitzer machte er keine Ansprüche wegen Rückbezahlung, sondern schenkte ihm die Schuld.
Manche Leute wendeten sich an Schinderhannes, wenn ihnen Pferde oder anderes Vieh oder sonstige Gegenstände gestohlen worden waren, und baten ihn, es ihnen wieder zu verschaffen. Das tat er denn auch in manchen Fällen, wofür er gewöhnlich ein schönes Geschenk erhielt. So brachte er es zum Beispiel dahin, dass ein Müller seine zwei Pferde wieder erhielt, um die er durch Diebstahl gekommen war. Schinderhannes saß schon über ein Jahr im Gefängnis in Mainz, als ihm der Müller vier französische Taler zum Geschenk überschickte, worüber jener vor Freude sprang und hüpfte. Einen Taler überbrachte er sogleich seiner Frau. Die drei anderen, sagte er, müsse er für einen wichtigen Weg aufbewahren, worunter er ohne Zweifel den Gang zu seiner Hinrichtung verstand.
Eine Anekdote, die seine Gutherzigkeit bezeichnet, mag hier auch noch angeführt werden. Ein Mädchen, einen Korb am Arm tragend, ging durch einen Wald. Schinderhannes holte sie ein und sah sie weinen.
»Warum weinst du, mein Kind?«, fragte er teilnehmend. »Ach«, gab das Mädchen zur Antwort, »die Leute im Dorf haben mir gesagt, der Schinderhannes sei in diesem Wald. Wenn der nun käme und nähme mir meine 300 Gulden, die ich in diesem Korb trage, dann könnte ich und mein Hans kein Haus mehr kaufen und wären recht unglücklich.«
»Sei nur ruhig, ich will dir deinen Korb tragen und dich durch den Wald begleiten und schützen«, sagte Schinderhannes und beruhigte und tröstete so das verzagte Mädchen. Auf einmal pfiff er und mehrere seiner Leute sprangen aus dem Dickicht des Waldes hervor. Das Mädchen erschrak, erholte sich aber schnell, wie die Gesellen auf einen Wink ihres Begleiters wieder verschwanden.
Nachdem das Ende des Waldes erreicht war, gab er dem Mädchen den Korb zurück, indem er sprach: »Sage deinem Amtmann, der Schinderhannes habe dir dein Vermögen durch den Wald getragen.«
Schinderhannes saß mit dem berüchtigten Benzel in einer Hütte auf dem Hunsrück. Sie hatten eine Bibel auf dem Tisch liegen, lasen in derselben und machten ihre Bemerkungen. ein Gendarm war in der Nähe der Hütte und erfuhr, dass beide Gauner wehrlos seien. Er sprang hinein, packte beide an der Kehle und rief: »Ergebt euch, Spitzbuben! Holla! Wachtmeister! Gendarmen, hierher!«
»Es kam aber kein Wachtmeister und kein Gendarm«, erzählte Schinderhannes. »Da bekam ich wieder frischen Mut, schleuderte Benzel1 und den Polizeimann von mir weg und sprang zum Fenster hinaus ins Freie. Mich hat er so nicht gekriegt, und auch Benzel wäre durchgekommen, wenn ich gewusst hätte, dass der Gendarm allein war.
Als der Gendarm beim öffentlichen Verhör in Mainz den Vorfall erzählte, so wendete er sich bei dem Ausdruck Spitzbuben, ergebt euch mit echt französischer Galanterie an Schinderhannes und sagte: »Ich hoffe, er wird mir diesen Ausdruck nicht übel nehmen.«
Worauf Schinderhannes ebenso artig erwiderte: »Ganz und gar nicht, Herr Gendarm!«
Man erzählte sich eine Menge Anekdoten von Schinderhannes, in welchen er als ein ganz ritterlicher Räuber dargestellt wird. Da aber die Wahrheit derselben nicht verbürgt werden kann, so mögen sie unerwähnt bleiben.
Dagegen tischt der Herausgeber noch eine Anekdote auf, für deren Echtheit er zwar gleichfalls nicht einstehen kann, die aber den Schinderhannes als einen recht listigen Räuber darstellt.
Schinderhannes saß in der Schenke hinter einer Flasche Wein. Die Gäste erzählten gar vieles, was der Schinderhannes getan hatte und getan haben sollte. Nun nahm der Dorfmessner das Wort und sagte, sein Herr Pfarrer habe schon oft und erst früh am Morgen geäußert, er möchte den Schinderhannes auch einmal sehen. Er, der Messner, habe ihm darauf erwidert: »Nehmen Sie sich in Acht, Herr Pfarrer, dass der Schinderhannes ihren schönen Braunen nicht bekommt, wenn Sie heute nach Sp. reiten.«
Schinderhannes bezahlte seinen Wein, trank aus und ging fort. Im Wald traf er einen Bettler, der an zwei Krücken ging. Diesem kaufte er eine Krücke ab und ging weiter auf dem Waldweg fort. Nun schnürte er die Krücke an einen Baum hinauf, legte sich unter denselben und verband seinen Fuß, als ob er gebrochen wäre.
Bald kam der Pfarrer auf seinem Braunen daher geritten. Schinderhannes bat ihn, er möge ihm doch seine Krücke vom Baum herunterholen, sonst ginge er hier zugrunde. Spitzbuben haben ihm die Krücke genommen und auf den Baum gehangen. Von Mitleid ergriffen, stieg der Pfarrer ab, um dem Armen die Stütze wieder zu verschaffen.
Aber Schinderhannes schwang sich schnell auf des Pfarrers schönen Braunen und rief: »Herr Pfarrer, nun kennen Sie den Schinderhannes. Leben Sie wohl!« Im Nu war er den Blicken des staunenden Pfarrers verschwunden.