Abenteuer des Captains Bonneville 14
Washington Irving
Abenteuer des Captains Bonneville
oder: Szenen jenseits der Felsengebirge des fernen Westens
Verlag von J. D. Sauerländer. Frankfurt am Main, 1837
Dreizehntes Kapitel
Erzählung von Kosato, Renegat der Blackfeet.
Wenn die Weichherzigkeit und die langen Erduldungen der durchbohrten Nasen den Captain Bonneville schmerzten, so befand sich noch ein anderes Individuum im Lager, den sie noch weit mehr kränkten. Dies war ein Renegat der Blackfeet, namens Kosato, ein feuriger, leidenschaftlicher Jüngling, der mit einer schönen Frau desselben Stammes zu den Nez Percé geflüchtet war. Obwohl in den Stamm aufgenommen, behielt er doch den ungestümen, kriegerischen Charakter seiner Nation bei und hasste die friedlichen und harmlosen Gewohnheiten seiner Umgebung. Die Hirsch-, Elen- und Büffeljagd, die für sie das höchste Ziel ihres Ehrgeizes war, war für ihn zu kleinlich, um seine rastlose wilde Natur zu befriedigen. Das Herz glühte ihm, sich allen Zufällen und Gefahren eines räuberischen Herumstreicherlebens aussetzend, auf Raubzüge, den Hinterhalt, Scharmützel und Wegelagerei auszugehen.
Das neuliche Schwärmen der Blackfeet um das Lager, ihre nächtlichen Räubereien und ebenso verwegenen, als gelungenen Diebstähle, hatten ihn in beständiger Aufregung erhalten, gleich einem im Käfig eingesperrten Falken, der seinen ehemaligen Gefährten in ungestörter Freiheit über sich stoßen und schreien hört.
Der Versuch des Captain Bonneville, den kriegerischen Geist der Nez Percé zu erwecken und sie zur Vergeltung anzufeuern, wurde von Kosato eifrig unterstützt. Mehrere Tage lang schmiedete er Pläne der Rache und bemühte sich, eine Expedition zusammenzubringen, welche Schrecken und Verheerung in den Städten der Blackfeet verbreiten sollte. Es wurden alle Mittel von ihm angewendet, jene gewaltigen Triebfedern der menschlichen Handlungen in Bewegung zu setzen, mit denen er am meisten vertraut war. Er versammelte die, auf seine kräftige Beredsamkeit lauschenden Wilden um sich herum, zog sie mit ihrem erlittenen Unrecht und Beschimpfungen auf, entwarf ein glänzendes Gemälde der Triumphe und Trophäen, die ihnen noch zu erreichen stünden. Er erzählte ihnen Geschichten von verwegenen und romanhaften Unternehmungen, von Geheimmärschen, versteckten Hinterhalten, mitternächtlichen Überfällen, von Verheerungen, Bränden, Plünderungen und Skalpierungen, verbunden mit triumphierender Heimkehr, Festen und Lustbarkeiten der Sieger. Diese schwärmerischen Erzählungen wurden von der Trommel, dem Geheule, dem Kriegsgeschrei und dem Kriegstanze begleitet, die den Mut der Indianer so sehr anfeuern. Alles wurde jedoch an der friedlichen Gesinnung seiner Zuhörer umsonst verschwendet. Kein Nez Percé konnte zur Rache angefeuert oder zu einem ruhmwürdigen Krieg aufgereizt werden. In der Bitterkeit seines Herzens beklagte der Renegat der Blackfeet das Unglück, das ihn von einem Stamm verwandter Geister getrennt und ihn genötigt hatte, seine Zuflucht zu Wesen zu nehmen, die von kriegerischem Mut so entblößt waren.
Der Charakter und das Benehmen dieses Mannes zog die Aufmerksamkeit des Captain Bonneville auf sich. Er war neugierig, zu hören, aus welcher Ursache er seinen Stamm verlassen hatte und mit einer solchen tödlichen Feindschaft auf ihn zurückblickte. Kosato erzählte ihm seine Geschichte ganz kurz. Sie schildert uns lebhaft, welche tiefen und mächtigen Leidenschaften in der Brust dieser, mit Unrecht sogenannten Stoiker herrschen.
»Ihr seht meine Frau«, sagte er, »sie ist gut. Sie ist schön und ich liebe sie. Und doch ist sie die Ursache all meines Ungemachs gewesen. Sie war die Frau meines Häuptlings. Ich liebte sie mehr als er und sie wusste es. Wir sprachen zusammen, wir lachten zusammen und eins suchte die Gesellschaft des anderen auf. Wir waren so unschuldig wie die Kinder. Der Häuptling wurde eifersüchtig und befahl ihr, nicht mehr mit mir zu sprechen. Sein Herz verhärtete sich gegen sie und seine Eifersucht ward immer wütender. Er schlug sie ohne Ursache und Barmherzigkeit und drohte ihr geradezu, sie umzubringen, wenn sie nur nach mir sähe. Wollt ihr die Denkzeichen seiner Wut sehen, so seht diese Narben.
Seine Wut gegen mich war nicht minder verfolgend. Es streiften Kriegspartien der Crow um uns herum. Unsere jungen Leute hatten ihre Spur gesehen. Alle Herzen wurden ermutigt, sich zu schlagen. Meine Pferde standen vor meiner Hütte. Plötzlich kam der Häuptling, nahm sie, um sie an seine eigenen Pfähle zu binden, und nannte sie sein Eigentum. Was konnte ich tun? Er war Häuptling. Ich durfte nicht sprechen, allein das Herz glühte mir in der Brust. Ich wohnte nicht länger dem Rat, der Jagd oder den Kriegsfesten bei. Was hatte ich dort zu tun – ich, ein unberitterer und herabgewürdigter Krieger. Ich enthielt mich der Gesellschalt und dachte an nichts als an mein erlittenes Unrecht und die erduldete Kränkung.
Ich saß eines Abends auf einem kleinen Hügel, der die Weide übersah, auf welchem die Pferde weideten. Ich sah die Pferde, die mir einst angehört hatten unter jenen des Häuptlings grasen. Dies machte mich toll und ich saß eine Zeit lang über den mir angetanen Beschimpfungen brütend da, und die Grausamkeiten, welche sie, die ich liebte, meinetwegen erduldet hatte, bis mein verwundetes Herz schwoll und ich mit den Zähnen knirschte.
Während ich hinab in die Wiese sah, erblickte ich den Häuptling, der unter seinen Pferden herumging. Ich heftete meine Augen auf ihn mit einem Falkenblick. Mein Blut kochte. Ich zog den Atem an. Er ging in die Weiden. In einem Augenblick richtete ich mich auf, mit der Hand an meinem Messer flog ich eher, als dass ich lief. Ehe er es gewahr wurde, sprang ich auf ihn und legte ihn mit zwei Streichen zu meinen Füßen nieder. Ich bedeckte seinen Leichnam mit Erde und bestreute den Platz mit Laubwerk. Ich eilte hierauf zu ihr, die ich liebte, erzählte ihr, was ich getan hatte und drang in sie, mit mir zu entfliehen. Sie antwortete mir nur mit Tränen. Ich erinnerte sie an das Unrecht, das ich erlitten hatte, und an die Schläge und Streiche, die sie von dem Verstorbenen habe ertragen müssen, und dass ich nichts als eine Handlung der Gerechtigkeit begangen hätte. Ich drang abermals in sie, zu fliehen, allein sie weinte nur noch mehr und hieß mich gehen. Das Herz war mir schwer, meine Augen jedoch trocken. Ich schlang die Arme ineinander. ›Wohlan‹, sagte ich, Kosato wird allein in die Wüste gehen. Niemand wird bei ihm sein, als die wilden Tiere der Prärie. Die Blutdürstigen mögen ihn auf der Spur folgen, sie mögen ihn überfallen, wenn der schläft und ihre Rache sättigen. Du aber wirst sicher sein. Kosato will allein gehen.‹
Ich ging weg. Sie sprang mir nach und umschlang mich mit ihren Armen. ›Nein‹, rief sie, ›Kosato soll nicht allein gehen. Ich will mitgehen, wohin er geht. Er soll sich nie mehr von mir trennen.‹
Wir rafften in der Eile das Notwendigste zusammen. Indem wir uns aus dem Dorf stahlen, bestiegen wir die ersten Pferde, die wir fanden. Tag und Nacht forteilend, erreichten wir bald diesen Stamm. Wir wurden von ihnen willkommen aufgenommen und haben in Frieden bei ihnen gelebt. Sie sind gut und wohlwollend. Sie sind ehrlich, allein sie haben Weiberherzen.«
Dies war Kosatos Geschichte, wie sie dem Captain Bonneville von ihm erzählt wurde. Sie ist von der Art, wie sie sich öfters im Leben der Indianer ereignen, wo Entführungen von Stamm zu Stamm ebenso häufig sind, wie unter den Romanhelden und Heldinnen der sentimentalen Zivilisation, und oft zu blutigen und dauernden Fehden Anlass geben.