Jack Lloyd Folge 20
Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät
Rachegelüste
Edmund stand an der Reling und starrte auf das Meer hinaus. Das Schiff, das sich langsam näherte, war die White Swallow, da gab es keinen Zweifel. Edmund hatte befohlen, einen Teil der Segel einzuholen. Auch wenn ihm das ungläubige Blicke der Männer, die ihm von seinem neuen Kommodore zugeteilt worden waren, eingebracht hatte, er hatte einen Plan. Costellos hatte es nicht geschafft, Jack Lloyd endgültig auszuschalten. Aber der Stachel, den dieser Aufschneider ihm beigebracht hatte, schmerzte Edmund noch immer. Seine Ehre war verletzt. Und der Pirat würde nicht ruhen, ehe er diesen Umstand nicht gesühnt hatte. Er hatte schon kurz nach ihrem Zweikampf den Beschluss gefasst, einen passenden Augenblick abzuwarten, um Jack in irgendeiner Form ans Messer zu liefern. Santiago hatte ihm eine perfekte Möglichkeit geboten. Eigentlich war es seine Absicht gewesen, in der Stadt direkt zur Stadtwache zu gehen und den Freibeuter, der sich eingeschlichen hatte und einen armen Kaufmann bedrängte, der dazu noch Vertrauter eines mächtigen Gouverneurs war, anzuzeigen. Doch dann war er eher zufällig Costellos, einem berühmt berüchtigten Piratenjäger begegnet. Die Geschichten über diesen Mann waren so mannigfaltig, dass man kaum glauben konnte, dass es Menschen gab, die noch nicht von ihm gehört hatten. Dass Jack offenbar trotzdem nichts mit dem Namen des Jägers hatte anfangen können, hatte Edmund wieder in seiner Meinung über den jungen Engländer bestätigt.
»Wärst du doch nur Kaufmann geblieben, du Wurm«, murmelte er, während er noch immer das feindliche Schiff anstarrte. In diesem Augenblick trat der Ranghöchste der Männer, die Edmund im Moment befehligen durfte, zu ihm. Einen Moment lang schauten beide in die Ferne, bis der Mann sich schließlich leise räusperte. Edmund löste den Blick von dem Ziel seiner Begierden und schaute den Seemann fragend an.
»Gibt es ein Problem, Maat?«
»Nur Fragen, Kapitän. Fragen, die sich die gesamte Mannschaft stellt.«
»Dann stellt sie doch mir. Vielleicht kann ich Euch und die Mannschaft ja erleuchten.« Edmunds Stimme klang ironisch, beinahe sarkastisch. Der Blick seines Gegenübers verfinsterte sich unmerklich.
»Warum reduzieren wir unsere Geschwindigkeit? Wir werden verfolgt, da wäre es doch durchaus sinnvoll, zu beschleunigen.«
»Nur, wenn wir Angst vor diesem Gegner hätten.« Die Antwort Edmunds klang beiläufig, war aber ein schwerer Vorwurf gegen den Mann vor ihm. Dementsprechend belegt klang die Stimme des Maats auch als er nachhakte: »Kapitän, wir haben klare Befehle …«
»Die wir auch befolgen werden. Wir werden die Dokumente in Port Royal abliefern, eine Belohnung aushandeln und dann Eurem Herrn folgen, um ihm seinen Anteil auszubezahlen. Danach bin ich frei, meiner Wege zu gehen, und dieses Schiff gehört dann mir.«
»Exakt, Kapitän. Danach. Also solltet Ihr den Auftrag nicht unnötig gefährden, nur weil Ihr eine persönliche Fehde mit jemandem zu begleichen habt.«
Noch bevor sein Gesprächspartner auch nur daran denken konnte zu reagieren, hatte Edmund bereits ein Messer gezogen und es dem Spanier an den Hals gelegt.
»Was wollt Ihr damit sagen, Maat?«
Der Mann schwieg. Aber sein Gesicht zeigte jetzt deutlich, was er von dem Mann hielt, dessen Befehlen er in den nächsten Tagen noch folgen musste.
»Ihr solltet keinen Fehler machen, Mann. Costellos würde Euch das niemals verzeihen«, zischte der Maat bemüht gelassen. Die Drohung sollte Edmund einschüchtern. Doch der Pirat lachte nur verächtlich.
»Ich werde ihm sagen, dass Ihr mir gegen seinen ausdrücklichen Befehl den Gehorsam verweigert habt. Glaubt Ihr, Costellos würde es mir übel nehmen, dass ich seinen Befehlen Nachdruck verliehen habe?«
»Ich wollte nur sichergehen dass Ihr wisst …«
»Ich weiß genau, was ich tue!», fuhr Edmund den Seemann an. Er zog die Klinge vom Hals des Mannes zurück und schaute wieder auf das Meer hinaus.
»Wenn wir sie einfach hinter uns lassen in der Hoffnung, ihnen zu entkommen, werden sie Port Royal kurz nach uns erreichen. Was glaubt Ihr, wie der Gouverneur reagieren würde, wenn ich eine Audienz bei ihm erhalte und plötzlich der Mann, den er eigentlich ausgeschickt hat, diese Dokumente zu holen, auftaucht?«
»Ihr denkt …«
»Das ist Port Royal. Dort kann Jack sich frei bewegen. Wir können nicht zulassen, dass er oder einer seiner Männer je wieder die Stadt betreten. Haben wir uns verstanden, Maat?«
»Aye, Kapitän.«
»Gut.» Nach einem Moment der Stille fügte Edmund leise und drohend hinzu: »Und stellt nie wieder eine meiner Entscheidungen in Frage. Es wäre das Letzte, was Ihr tut.«
Nach diesen Worten ließ er den Mann allein an der Reling stehen und begab sich in seine Kajüte. Es würde noch eine Weile dauern, bis die White Swallow in Gefechtsnähe war, und er wollte ausgeruht sein, wenn er Jack endlich ein zweites Mal gegenübertrat. Dieses Mal würde es niemanden geben, der ihn in letzter Minute ablenkte. Edmund ließ sich auf seine Pritsche sinken und schloss die Augen. Er sah Jack vor sich, mit weit aufgerissenen Augen und ängstlichem Blick. Sein Feind kniete vor ihm am Boden. Würde er winseln? Um Gnade flehen? Oder würde er wie ein Mann, wie ein echter Freibeuter, bereitwillig in den Tod gehen? Über Edmunds Gesicht zog ein finsteres Lächeln. Er würde die Schande austilgen, die Jack ihm beigebracht hatte. Und er würde nicht den Fehler machen, den der Kapitän damals gemacht hatte: Bei Edmund gab es keine Gnade.
Fortsetzung folgt …
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