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Jack Lloyd Folge 18

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

In letzter Sekunde

Jack fühlte sich schwach. Seine Verletzung war nicht lebensgefährlich, aber der Blutverlust reichte aus, um ihn seiner Kräfte zu berauben. So kostete es den jungen Kapitän äußerste Anstrengung, sich auf den Beinen zu halten, während er von seinen Peinigern durch die Straßen Santiagos gestoßen wurde. Das leise Wimmern Elenas zeigte ihm, dass die Männer mit dem Mädchen nicht viel sanfter umgingen als mit ihm. Ob ihr klar war, dass diese Behandlung nichts war gegen das, was sie noch erwartete? Jack hatte schreckliche Schuldgefühle. Letztlich war Elena in dieser Situation, weil man sie bei ihm gefunden hatte. Es war also seine Schuld, dass sie in diese Lage geraten war. Er musste einen Weg finden, sie zu befreien. Die Tatsache, dass es um sie herum vollkommen still war, zeigte Jack, dass die Männer sie durch irgendwelche Nebengassen führten, womöglich um nicht aufzufallen. Die Männer waren Piratenjäger. Solche Leute wurden in den Häfen ihrer Auftraggeber zwar geduldet und wenn sie einen guten Grund dazu hatten, dann durften sie gelegentlich sogar auf Soldaten der Armee zurückgreifen, doch in der Regel verachtete man sie genauso wie die Piraten selbst. Die meisten Piratenjäger waren selbst einmal Freibeuter gewesen. Für sie hatte die Piratenjagd sich letztlich als einträglicher erwiesen. Entweder das oder sie waren selbst gefangen genommen und von den Vorzügen des Jägerlebens überzeugt worden. Was auch immer in diesem Fall zutraf, Jack war klar, dass sein Feind ein Mann war, der keine Skrupel kannte. Er würde Elena und ihren Vater brutal ermorden und diese Morde dann Jack in die Schuhe schieben. Der Gouverneur von Havanna würde den Engländer an den Galgen bringen und seinen Häscher mit einer großzügigen Entlohnung versehen. In der Zwischenzeit würde Edmund die Dokumente in San Juan abliefern und seinerseits von dem dortigen Gouverneur eine saftige Belohnung erpressen. Die einzigen Verlierer in diesem Spiel waren er selbst, Elena und ihr Vater.

Langsam wurden Stimmen lauter. Sie kamen zwar noch aus weiter Ferne, aber als sich das leise Rauschen des Meeres unverkennbar darunter mischte, erkannte Jack, dass sie sich dem Hafen näherten. Wenn ihm irgendetwas einfallen sollte, um sie aus dieser Lage zu befreien, dann wäre jetzt ein passender Zeitpunkt dafür. Als sie das Haus verlassen hatten, waren sie, der Zahl der Schritte, die Jack hatte hören können, nach zu urteilen, von mehr als sieben Männern begleitet worden. Mittlerweile war Jack sich sicher, nur noch die Schritte dreier anderer Männer zu hören. Wahrscheinlich hatte sich die Gruppe unterwegs getrennt, um nicht weiter aufzufallen. Der Kaufmann murmelte ein Gebet. Jack schloss die Augen und versuchte, sich irgendwie zu orientieren. Doch es wollte ihm nicht gelingen. Einen Augenblick lang war ihm, als hätte er Elena schluchzen gehört. Doch dann war das Geräusch schon wieder verschwunden. Das, was er dann hörte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

»Was ist, Hernand, sollen wir uns die Kleine hier schon einmal vornehmen, bevor wir sie nachher an Bord teilen müssen?«

Ein dreckiges Lachen war die Antwort auf die Frage eines ihrer Wächter. Der dritte im Bunde brummte: »Der Kapitän hat befohlen, sie nur an Bord zu bringen. Ich nehme an, er will sich zuerst mit ihr amüsieren.«

»Ach was. Es wird ihn nicht weiter stören, wenn wir ihm die Kleine schon ein wenig gefügig gemacht haben.« Leiser, fast schon flüsternd fügte er hinzu: »Hier durch diese Gasse geht es auf einen verlassenen Hinterhof. Da wird sie niemand hören.«

»Dann los, Männer. Fred, du bleibst bei den beiden Männern. Wenn Hernand und ich mit der Kleinen fertig sind, bist du an der Reihe.«

»Aber lasst mir was übrig.«

Jack spürte, wie eine unbändige Wut in ihm aufstieg. Elena schrie auf, als einer der Männer sie von den beiden anderen Gefangen wegstieß. Offensichtlich versuchte sie sich zu wehren. Dann hörte Jack einen dumpfen Schlag und mit einem Mal war Stille eingekehrt. Jetzt begann der Kaufmann aus seiner Erstarrung zu erwachen. Leise zeterte er: »Was habt ihr mit meiner Tochter vor? Ihr dürft dem Kind nichts tun. Wir sind Spanier, so wie ihr. Wenn ihr auch nur ein Haar gekrümmt wird …«

»Halts Maul, Alter!«, fuhr ihn der Mann an, der von seinen Gefährten mit Fred angesprochen worden war. Ein leiser Schrei des Kaufmannes zeigte Jack, dass der Wächter den Mann geschlagen hatte. Die Schritte der anderen beiden hatten sich mittlerweile immer weiter entfernt. Offenbar war der Schlag, den Elena abbekommen hatte, so hart gewesen, dass sie ohnmächtig geworden war.

Jack atmete tief durch und lauschte in die Nacht hinaus, ob er irgendetwas hörte. Doch da war nichts. Auch die Stimmen, die er vorhin gehört hatte, hatten sich mittlerweile wieder entfernt. Nur das leise Rauschen des Meeres war als Hintergrundgeräusch geblieben. Der Freibeuter atmete tief durch. Wahrscheinlich hatten die Männer den angestrebten Hinterhof längst erreicht und fielen dort gerade über die junge Frau her.

Leises Röcheln riss Jack aus seinen Gedanken. Hatte der Wächter etwa die Geduld verloren und den Kaufmann kurzerhand hier vor Ort umgebracht? Doch im nächsten Augenblick hörte er die vertraute Stimme seines alten Freundes Joe.

»Schnell, macht die Fesseln los und die Säcke von den Köpfen. Wir müssen verschwinden.«

Der Kaufmann, der noch immer benommen war von dem Schlag, den er abbekommen hatte, jammerte: »Meine Tochter. Rettet meine Tochter.«

Jack spürte, dass ein Messer seine Fesseln durchtrennte. Dann zog jemand den Sack von seinem Kopf. Er sah Fred auf dem Boden liegen. Sein ansonsten weißes Hemd hatte in der Herzgegend einen großen Blutfleck.

»Der Mann hat recht. Wir müssen seiner Tochter helfen.«

»Aye Käpt´n. Aber du wirst niemandem helfen. Pablo und ich werden uns darum kümmern. Ihr anderen wartet hier.«

Zu seinem Erstaunen sah Jack, dass acht seiner Männer hier waren, die meisten von ihnen hatte er bei der Swallow vermutet. Wie war das möglich? Die Zeit von dem Überfall bis jetzt hatte niemals ausgereicht, um die Männer bei der Swallow zu verständigen und wieder hier herzukommen. Jack beschloss, Joe später zu fragen, wie die beiden entkommen waren und welchem Umstand sie die Verstärkung zu verdanken hatten. Jetzt galt es erst einmal, Schlimmeres zu verhindern.

Joe und Pablo waren mit zwei weiteren Männern in die Gasse gelaufen. Sie sahen bereits den Platz am Ende des Durchganges, als sie den langgezogenen Schrei einer jungen Frau hörten. Voller Wut und Hass stürmten die vier Männer auf den kleinen Hinterhof und warfen sich auf die beiden Piratenjäger, von denen sich einer gerade über das mittlerweile fast völlig entkleidete Mädchen hermachte. Dann waren die Freibeuter auch schon über ihnen. Doch auch wenn sie die Überraschung auf ihrer Seite hatten, Hernand war ein erbitterter Gegner. Innerhalb von Sekunden hatte der Hüne die Situation richtig eingeschätzt und bereits sein Entermesser in der Hand, als Joe und Pablo ihm entgegentraten. Selbst zu zweit brauchten die beiden erfahrenen Seemänner eine Weile, bis sie eine Lücke in der Deckung des Riesen fanden. Und es war schließlich Pablo, der eine Unachtsamkeit Hernands, der gerade einen Ausfall in Joes Richtung versuchte, nutzte und ihm seinen Säbel tief in die Nierengegend stieß. Röchelnd brach der Riese zusammen. Sein Kumpan war danach schnell besiegt. Die beiden Männer wurden zum Sterben liegen gelassen. Letztlich mussten Jack und die Seinen vor dem Morgengrauen verschwunden sein. Ansonsten war ihnen die ganze spanische Garnison auf den Fersen. Elena, die am ganzen Körper zitterte, war offenbar außer Stande zu erkennen, wer auf ihrer Seite stand und wer nicht. Als Joe und Pablo dem Mädchen aufhelfen wollten, trat sie um sich und wehrte sich laut schreiend. Erst ihr Vater, der kurzerhand von einem der Männer herbeigeholt wurde, schaffte es, sie soweit zu beruhigen, dass sie sich wieder ankleiden und noch immer zitternd und schluchzend ihren Befreiern anschließen konnte.

Die Männer schlugen den Weg zum Hafen ein. Doch dort angekommen mussten sie erkennen, dass sie zu spät kamen. Mitten im Hafenbecken lag die Jungfrau von Cartagena. Der Lärm vom Deck des Schiffes, die Fackeln und die Soldatenzahl am Kai zeigten Jack und den Seinen, dass das Schiff bereits in der Hand Edmunds war. Der Verräter hatte einen Sieg davon getragen. Für den heutigen Tag zumindest.

»Wie ich das sehe, werdet Ihr eine Weile unsere Gäste sein müssen, Kapitän.« Jack sah den Kaufmann nicht an, doch er spürte, dass es in dem Mann brodelte. Die weinerliche Art des Spaniers war einer gefährlichen Ruhe gewichen. Der Mann nickte nur. Dann murmelte er: »Bei der heiligen Jungfrau, dafür werden diese Bastarde bezahlen.«

Fortsetzung folgt …

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