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Der Spion – Kapitel 25

Balduin Möllhausen
Der Spion
Roman aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, Suttgart 1893

Kapitel 25

Scheiden

Während Martin Findegern nach der flüchtigen Begrüßung mit Captain Houston eiligst seines Wegs zog, führte dieser mit Krehle in der Werkstatt ein längeres Gespräch sowohl den nächtlichen Überfall betreffend als auch seine bevorstehende Abreise. Demnächst hatte er Margaretha im Garten aufgesucht. Die Schürze aufgesteckt, war sie mit dem Einsammeln reifer Samenkapseln beschäftigt, schritt ihm aber entgegen, sobald sie seiner ansichtig wurde. Holdselig errötend erwiderte sie seinen ehrerbietigen Gruß freundlich. Ihre Augen seinen Blicken unbefangen darbietend, reichte sie ihm gewohnter Weise die Hand.

»Der auf die schreckensvolle Nacht folgende Tag war freilich gut genug«, bemerkte sie, mit ihrem gewinnenden Lächeln auf das von Houston angeregte Gespräch eingehend, »wenn nur das bisherige Sicherheitsgefühl nicht so tief erschüttert worden wäre.«

»Sie dürfen nicht vergessen, dass die Rebellion im Dahinsinken begriffen ist und mit deren Ende auch jenen finsteren Auswüchsen die Lebensader unterbunden wird. Außerdem erfuhr ich von Krehle, dass der Onkel Findegern, dem ich begegnete, einen Weg eingeschlagen hat, der ihm und seinem ganzen Haus die größte Sicherheit gewährleistet.«

»Was bedeutet Gewährleisten in diesen schrecklichen Kriegszeiten, wo, wie die jüngste Erfahrung mich belehrte, jeder neue Tag die ungeahntesten, widerwärtigsten Überraschungen bringen kann?«

»So müssen wir das unsere dazu beitragen, schwankenden Bürgschaften erhöhte Festigkeit zu verleihen. Das liegt im Bereich unserer Macht, wenn wir neben unermüdlicher Wachsamkeit die peinlichste Vorsicht walten lassen.«

Margaretha sah forschend zum Captain auf. In seiner Stimme hatte sich verraten, dass die letzten Worte nicht ohne Absicht gewählt waren. Sie vermutete wenigstens eine ernstere Bedeutung und versetzte nachdenklich: »Sie sprechen in Rätseln. In Ihren Worten verbirgt sich irgendeine geheimnisvolle Beziehung.«

»Ich leugne es nicht«, gab Houston zögernd zu, »scheue aber in der Besorgnis, Unzufriedenheit zu erregen, in meiner Erklärung deutlicher zu sein. Schon einmal hatte ich das Unglück, in einem ähnlichen Fall Zweifeln, sogar Missbilligung zu begegnen.« Und aufmerksam überwachte er das freundliche Antlitz.

Margaretha runzelte die Brauen leicht und sah vor sich nieder. Einige Sekunden sann sie nach, worauf sie mutwillig lachend bemerkte: »Ich errate: Sie beziehen sich auf Miss Harriet, eines der liebenswürdigsten Geschöpfe, welches mich jemals wahrhaft bezauberte.«

»Ich gebe es zu, fühle aber zugleich, dass ernster Widerspruch mir droht, und so bescheide ich mich damit, an meine frühere Warnung erinnert zu haben.«

»Und Ihre böse Meinung über die Arglose fernerhin bestehen zu lassen«, nahm Margaretha mit einem Eifer das Wort, welcher ihren Wangen eine nur langsam schwindende tiefere Glut verlieh. »Nein, nein, so leichten Kaufes darf ich Sie nicht entkommen lassen. Was auch immer Sie an ihr abermals zu bemängeln haben: Ich muss es wissen, um sie verteidigen zu können.«

Langsam einherwandelnd, waren sie vor den Bänken unter dem Pfirsichbaum eingetroffen. Dort ließ Margaretha sich nieder. Durch eine anmutige Bewegung bedeutete sie Houston ebenfalls Platz zu nehmen, worauf sie ihre Schürze öffnete und die rasselnden Samenkapseln einzeln zu zerdrücken begann. Houston überwachte die von lieblicher Jungfraulichkeit umwobene holde Gestalt gespannt, während er fragte: »Sie bestehen darauf, dass ich rückhaltlose Offenheit walten lasse?«

»Ich bestehe darauf«, hieß es mit unzweideutiger Entschiedenheit zurück, welche durch ein bezeichnendes Lächeln nicht gemildert wurde.

»Ich gebe zu bedenken, dass ich nach der Art, in welchem meine erste Andeutung aufgenommen wurde, dieselbe bald bereute, ich auch jetzt noch von dem Wunsch beseelt bin, Ihre Empfindungen zu schonen.«

»Ein Ausweichen, welches nur geeignet ist, meine Neugierde zu steigern«, las Margaretha gleichsam aus den knisternden Kapseln heraus. »Klingt es doch, als ob es sich um Fürchterliches handelte.«

»Ja, um Fürchterliches, wenn man erwägt, wem es zur Last gelegt wird«, bestätigte Houston nunmehr erregt, »denn fürchterlich verdient genannt zu werden, wenn eine dem Kindesalter noch nicht lange entwachsene junge Dame unter dem Vorwand, Musik zu betreiben, sich in ein friedliches Haus eindrängt und das ihr gezollte Vertrauen missbraucht, um an dessen Bewohnern Verrat zu üben.«

»Dessen halten Sie Miss Harriet für fähig?«

»Ich bin davon überzeugt«, antwortete Houston mit wachsendem Eifer, »so fest überzeugt, dass ich Ihnen dringend rate, den Verkehr mit ihr abzubrechen.«

Ruhig sah Margaretha auf und in des Captains Augen, indem sie bemerkte: »Das sind schwere Anklagen, zu schwer, um sie ohne Beweise glauben zu dürfen oder deshalb die Beziehungen zu einer dankbaren Schülerin fallen zu lassen.«

»War es nicht Beweis genug, dass nach Harriets rätselhaftem Abendbesuch die heimlichen Verfolgungen Olivas und ihres Begleiters sofort ihren Anfang nahmen? Und der frevelhafte Angriff, welcher in jüngster Nacht auf Ihr Haus erfolgte, kann der auf etwas anderes zurückgeführt werden, als dass jemand, der hier verkehrt, die Schilderungen selbst der harmlosesten Vorgänge zu einer Stelle trägt, wo sie in sträflichem Fanatismus zu verbrecherischen Zwecken ausgenutzt werden? Und deshalb rate ich nochmals: Seien Sie vorsichtig. Legen Sie aber nur den geringsten Wert auf die Beteuerung meiner aufrichtigen Ergebenheit, dann meiden Sie den Verkehr mit Personen, die Ihnen und allen, die zu Ihnen gehören, verderblich werden können.«

»Wunderbar«, versetzte Margaretha. Wenn des Captains Mitteilungen nicht wirkungslos für sie verhallten, so befand sie sich doch nicht in der Stimmung, es einzuräumen. »Tatsächlich wunderbar. Während Harriet nur Gutes, sogar Schmeichelhaftes von Ihnen zu sagen weiß, scheinen Sie es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, sie unserem Haus gänzlich zu entfremden.«

»Wem fällt andererseits zur Last, wenn man – und dafür erhielt ich Beweise – darauf ausging, mich von hier zu vertreiben?«

Margaretha beschäftigte sich wieder mit ihrem Blumensamen. Sie bezweifelte nicht, dass Houston ernste Veranlassung gefunden habe, mit einer derartigen Entschiedenheit seine Ansichten zu vertreten. Allein das schon jetzt anzuerkennen, hätte sie nimmermehr über ihr eigenwilliges Herz gebracht. Einmal zum Widerspruch gereizt, erzeugte es fast den Eindruck, als wäre ihr daran gelegen gewesen, die Laune des Captains ebenfalls verbitternd zu beeinflussen.

»Jetzt bin ich es, die darauf drängt, unser Gespräch in weniger unfreundliche Bahnen zu lenken«, hob sie mit einem Lächeln an, welches ebenso viel mutwilligen Spott wie Überhebung und Herzlichkeit in sich barg. »Eine Meinung steht der anderen zu schroff gegenüber, als dass ein Ausgleich zu erwarten wäre. Nur eines möchte ich noch wissen, bevor wir uns dem klaren blauen Himmel oder unserem herbstlichen Laubdach oder endlich den schrecklichen Karikaturen des ehrlichen alten Krehle zuwenden. In Ihren lebhaften Erörterungen hoben Sie ausdrücklich hervor, dass gerade der heutige Abend Sie zu dringenden Warnungen verpflichte, doppelt befremdend, nachdem Sie zuvor unsere fernere Sicherheit als unerschütterlich hinstellten. Weshalb also gerade der heutige Abend?«

Houston atmete auf. Indem er die Blicke bewundernd auf das geneigte reizvolle Antlitz heftete, schwanden mehr und mehr die Zweifel, welche bisher seine eigenen Züge beherrschten. Unsicher klang dagegen seine Stimme, als er erwiderte: »Jene Bemerkung entschlüpfte mir gewissermaßen unwillkürlich. Ich halte sie aufrecht, weil es mir leider – für mich wenigstens leider und dennoch meinem Gefühl willkommen – nicht beschieden ist, des hier waltenden patriarchalischen Friedens mich länger erfreuen zu dürfen.«

Margaretha sah zu ihm auf. Ihre Augen lachten, während verhaltener Spott ihren Mund umspielte. Die Ankündigung kam ihr zu überraschend, um etwas anderes dahinter zu vermuten, als den Ausfluss einer gereizten Stimmung. Einige Sekunden schien sie sich an des Captains Ernst zu weiden, worauf sie wie beiläufig bemerkte: »Sie beabsichtigen, Ihren bisherigen Zeitvertreib aufzugeben und damit den Täuschungen, welchen der gute Onkel Findegern so lange unterworfen gewesen, ein Ende zu machen? Das kam schneller, als ich voraussetzte, obwohl ich über das Endergebnis nie im Zweifel war.« Der Schürze sich zuneigend, fuhr sie etwas eifriger fort, Kapseln zu zerdrücken.

Houstons Antlitz hatte sich dunkler gefärbt. Bittere Enttäuschung war an Stelle der beinahe ängstlichen Spannung getreten.

»Sicher war das Endergebnis vorherzusehen«, sprach er ruhig, die anmutige Gestalt verstohlen mit heißen Blicken umfangend, »nur die Ursachen dafür sind auf einem anderen Feld zu suchen, als auf dem der wechselnden Launen und des Überdrusses an dieser oder jener Beschäftigung. Ich stehe nämlich im Begriff, zu meinem Regiment zurückzukehren, und bin gekommen, um mit meinem Lebewohl den innigsten Dank für die mir in so hohem Grad erwiesene freundliche Teilnahme und Güte zu einen.«

Margaretha fühlte die auf ihr ruhenden Blicke, fühlte, dass jede leiseste ihrer Bewegungen aufmerksam beobachtet wurde, und suchte geneigten Hauptes unbeirrt weiter unter den Kapseln. Welche Wirkung die offenbar unerwartete Kunde auf sie ausübte, vermochte Houston daher nicht aus ihren Zügen herauszulesen. In ihrer Haltung hätte er dagegen vergeblich nach einem Merkmal irgendeiner durch seine Mitteilung erzeugten Regung gesucht. Noch immer mehr oder minder unter dem Einfluss des vorher gegangenen Gesprächs war sie zu sehr auf der Hut. So hätte man auch ihre Stimme mit dem Gesang einer aufsteigenden Lerche vergleichen mögen, als sie antwortete: »Zu irgendwelchem Dank sind Sie am wenigsten verpflichtet. Im Gegenteil, weit eher wären Sie berechtigt, einen solchen von dem getreuen Onkel Findegern zu erwarten für die vielen unterhaltenden Stunden, welche Sie ihm bereiteten. Er wird Ihren Aufbruch beklagen, vor allem aber …« Lachend sah sie wieder auf. »… dass Sie bei Ihrer seltenen Veranlagung zur Tischlerei seine eigenen Worte den Hobel wieder mit dem Schwert vertauschen.«

»Ich tue, was Ehre und Begeisterung für das Vaterland gebieten«, versetzte Houston sichtbar peinlich berührt. »Ich heiße sogar die Gelegenheit willkommen, wieder Schulter an Schulter mit alten Kameraden zu stehen. Schämen müsste ich mich, wäre es anders. Damit ist nicht ausgesprochen, dass ich zu seiner Zeit nicht abermals zur Werkstatt zurückkehre, wie ich schon früher andeutete.« Unabsichtlich verlieh er seinen letzten Worten einen herben Klang.

»Dessen wären Sie fähig?«, fragte Margaretha ungläubig. Sie schien einen neuen Ausbruch ihrer Heiterkeit gewaltsam zurückzudrängen. »Doch ich habe keine Ursache, Ihren Worten zu misstrauen. Warnen möchte ich Sie dagegen, dem Onkel Findegern eine feste Zusage zu erteilen und damit der Möglichkeit, abermals, wenn auch gegen Ihren heutigen ehrlichen Willen, Täuschungen zu begehen, ein weites Tor zu öffnen. Denn wer bürgt dafür, dass, wenn Sie erst in der Ferne weilen, nicht andere Einflüsse sich geltend machen, als diejenigen, welche Sie an die Hobelbank führten. Dann gute Nacht, Herr Martin Findegern! Gute Nacht, Herr Doktor Krehle! Gute Nacht den hässlichen Särgen auf immer und ewig …«

»Bis endlich der meine dasteht, um den vielleicht zerschmetternden Körper in sich aufzunehmen«, warf Houston bitter ein.

Margaretha presste die Lippen flüchtig aufeinander, sprach aber anscheinend unbefangen weiter: »Eine Bemerkung, die mir am fernsten lag. Auf der Zunge schwebte mir nur, dass leicht, wie es Ihnen wurde, in eine staubige Werkstatt überzusiedeln, es Ihnen noch weniger schwer werden dürfte, nach dem Friedensschluss in jeden anderen Beruf einzulenken. Und bekennen Sie ehrlich: Es gibt ja so viele Ereignisse und Zufälle, von welchen der Bestand unserer ernstesten Vorsätze abhängt.«

»Gern gebe ich das zu«, pflichtete der Captain bereitwillig bei. In der Hast seiner Erwiderung offenbarte sich, dass die Leichtherzigkeit, mit welcher Margaretha die Unterhaltung weiterführte, ihn, zumal in der augenblicklichen Stimmung, gleichsam feindselig anwehte. »Ist doch eine winzige kleine Bleikugel imstande, den hochfliegenden Plänen und Hoffnungen eine endgültige Grenze anzuweisen.«

»Immer wieder diese Mahnungen an Tod und Grab«, versetzte Margaretha plötzlich klagend, »mich aber müssen sie doppelt schmerzlich ergreifen, weil ich um einen Bruder sorge, der von denselben Gefahren bedroht ist, welchen Sie entgegengehen.«

»Das hätte ich bedenken sollen«, erwiderte Houston beschämt, »ich bekenne meine Schuld und bereue sie aufrichtig. Mit meinem Leben möchte ich sie sühnen. Ein böses Verhängnis waltet über mir, dass ich überall anstoße. Das erschüttert meinen Mut in einer Weise, dass ich kaum noch weiß, in welche Worte ich mein letztes Lebewohl kleiden soll. Hatte ich doch so innig gehofft, eine Erinnerung mit von hier mitzunehmen, die selbst im wildesten Schlachtgetümmel mir wie ein schützender Engel zur Seite gestanden, jenes Gefühl der Vereinsamung von mir genommen hätte, welchem ich so manche trübe Stunde verdanke.«

Unbefangen blickte Margaretha in seine Augen. »Ich sollte irgendeinen günstigen oder nachteiligen Einfluss auf Ihre Erinnerungen ausüben können?«, fragte sie wie in einer Anwandlung kindlicher Neugierde.

»Urteilen Sie selbst«, fuhr Houston nunmehr minder erregter fort, »seitdem ich zum ersten Mal in Ihrem gastlichen Haus vorsprach, trug mich eine zwar vermessene, jedoch unendlich freundliche Hoffnung. Dieselbe gewann für mich von Tag zu Tag greifbarere Formen. Entzückende Bilder bauten sich vor meinem Geist auf; Bilder, in welchen Sie selbst die Glück verheißende Seele bildeten. Und dem allen soll ich jetzt entsagen, es hinter mich werfen, wie einen unberechtigten leeren Traum? Soll es mein Los sein, nachdem ich von hier schied, dieses Haus und dessen Umgebung als eine mir verbotene Stätte zu betrachten? Unmöglich kann Ihnen verborgen geblieben sein, dass ich Sie mit anderen Empfindungen betrachtete, als mit denen einer herzlichen Freundschaft. Und wenn Sie dies alles wissen, wird es Ihnen dann immer noch schwer, mir das Glück zu gönnen, auch fernerhin mit diesen Hoffnungen mich tragen zu dürfen?«

So lange Houston sprach, hatte Margaretha keinen Blick von ihm gewendet. Wie vor einem sich allmählich vor ihr enthüllenden ungeahnten Rätsel sprach maßloses Erstaunen aus ihren Augen. Sie mochte fühlen, dass ihre Wangen tiefer erglühten. Es verheimlichend, neigte sie das Haupt, nun aber tiefer, ihrer Arbeit wieder zu. Wie spielend regten sich ihre Hände. So saß sie da, als ob sie sich allein befunden hätte, die Worte des Captains ungehört für sie verhallt waren. Erst durch das andauernde Schweigen zum Bewusstsein zurückgerufen, blickte sie wieder zu ihm auf. Wie dieser aber den ihr holdes Antlitz beherrschenden Ausdruck deuten sollte, ob als plötzlich erwachte Befangenheit, als Mutwillen oder Wohlwollen, er wusste es nicht. Am wenigsten ahnte er, dass es in Margarethas Geistsinn verwirrend wogte, dass sie vergeblich nach Klarheit rang, nichts mehr fürchtete, als die ihr selbst noch unverständlichen geheimnisvollen Regungen zu verraten.

»Ich sollte Ihre Hoffnungen wirklich beeinflussen?«, fragte sie mit einer Anklage von Spott. »Kenne ich dieselben doch nicht weiter, als sie berechtigt erscheinen. Sie können sich doch nur darauf beschränken, dass nach Beendigung des schrecklichen Krieges Tage eines ungetrübten Glückes Ihrer harren, Sie in dem zu wählenden neuen Beruf Ihre volle Befriedigung finden. Darin, glauben Sie mir, stimmen meine Wünsche mit Ihren Hoffnungen vollkommen überein.«

Houston senkte den Blick. Wie auf eine Erwiderung sinnend, runzelte er die Brauen tief. Wiederum mit einem Ausdruck der Neugierde, welchem sich seltsames Bedauern beigesellte, betrachtete Margaretha sein ernstes Antlitz. Sie sah, wie es in demselben arbeitete, meinte zu entziffern, dass er sich weit fort sehnte und dennoch scheute, sich zu entfernen. Erst nach einer längeren Pause richtete er sich wieder auf. In seinen ehrlichen Augen ruhte bittere Entsagung.

»Ich begreife«, sprach er kalt, sogar ausdruckslos, »jemand, der sich rüstet, ins Feld zu ziehen, wo eiserne Würfel über seine Zukunft entscheiden, besitzt kein Recht, mit seinem Wünschen und Hoffen über eine bestimmte Grenze hinauszugehen. Ich klage nicht, es ist ein Los, welches ich mit vielen Tausenden teile. So will ich beides noch mehr einschränken; meine Hoffnungen so weit, dass es mir noch einmal vergönnt sein mag, hier vorzusprechen und mich von aller Wohlergehen zu überzeugen; meine Wünsche dagegen – nun, verzeihen Sie meine Kühnheit, auf ein Andenken aus Ihrer Hand, bei dessen Anblick ich mir Ihre freundliche Gestalt umso lebhafter zu vergegenwärtigen vermag.«

Margaretha sann einige Sekunden nach. Die kurz zuvor empfundenen verwirrenden Regungen hatten offenbar ihre Bedeutung verloren. »Ich dachte, die Verwirklichung der von Ihnen bezeichneten Hoffnungen läge in Ihrer Gewalt«, sprach sie darauf etwas erzwungen lächelnd, »und ich glaube, dafür bürgen zu können, dass die beiden alten Sonderlinge Sie in der Werkstatt mit offenen Armen empfangen. Und Ihre Wünsche?« Abermals sann sie nach. Indem sie den sie erwartungsvoll beobachtenden Augen Houstons auswich, bemerkte sie eine in ihren Bereich hineinragende Spätrose. Unterhalb derselben aus dem zierlich eingefassten Beet blühten Reseda, Astern und Immortellen. »Ihre Wünsche?«, wiederholte sie zögernd, während ihre Blicke beinahe boshaft neckisch zwischen den verschiedenen Blumen hin und her flogen, »nun, die sind so bescheiden, dass es frevelhaft wäre, ihnen nicht entgegen zu kommen.« Unter der ängstlich gespannten Aufmerksamkeit des Captains streckte sie die Hand nach der Rose aus, lenkte sie aber mit verhaltenem Lachen des Mutwillens auf halbem Weg nach unten, wo sie nach kurzem Suchen eine eben erschlossene Immortelle brach und mit den Worten Hier das Erinnerungszeichen! Houston überreichte.

Dieser nahm sie zögernd. Sein Antlitz war bleich geworden. Bittere Selbstverspottung schwebte um seine Lippen, wohnte in seinen Augen.

»Halt und saftlos, wie verdorrtes Holz, ohne Duft, wie das Gestein, prangt sie in der gelben Farbe des Neides«, sprach er mit plötzlich veränderter Stimme.

»Aber auch unsterblich«, versetzte Margaretha nunmehr beleidigt, »welche andere Blüte wäre bezeichnender für jemand, der im Begriff steht, sich dem Kriegsglück in die Arme zu weisen?«

Houston erhob sich. »Auch diese Strohblume soll mir ein teures Andenken sein«, sprach er kalt, dass es klang wie angeschlagener Stahl. »Mag sie immerhin wenig geeignet sein, der holden Geberin Bild zu veranschaulichen, so gemahnt sie wenigstens durch ihre eigene Unvergänglichkeit an Regungen, die nur mit dem Tod ihren Abschluss finden.« Hastig sah er zur Uhr. »Ich säumte schon zu lange«, fuhr er fort, sich eines eigentümlich leichtfertigen Tons befleißigend. »Leben Sie daher wohl, Miss Margaretha. Grüßen Sie die beiden alten Herren herzlich von mir, und werden Sie so glücklich, wie ich es Ihnen aufrichtig wünsche. Sollten Sie eines Tages von mir hören, so gedenken Sie meiner in Nachsicht.«

Einige Sekunden ruhten ihre Hände ineinander. Feindselig begegneten sich ihre Blicke, und doch schlugen ihre Herzen, als hätten sie daran ersticken müssen, beide hatten die Empfindung, als ob sie mit diesem Abschied ein Verbrechen an sich selbst und anderen begingen.

»Möge auch Ihnen das Glück stets zur Seite bleiben«, brachte Margaretha mühsam und ohne jeden wärmeren Anklang hervor.

Der Captain verneigte sich ehrerbietig. Sich umkehrend schlug er die Richtung zum Haus ein. Margaretha blickte ihm bestürzt nach. Ihre Lippen öffneten sich, um ihn zurückzurufen, schlossen sich aber bald wieder in verletztem Stolz. Dann lauschte sie auf die festen Schritte, die vom Flurgang her nur noch gedämpft herüberschallten. In der Hoffnung, dass Houston noch einmal in der Werkstatt vorsprechen würde, sah sie sich getäuscht. Nur kurze Zeit schwankte sie. Dann sich erhebend, eilte sie ins Haus und in ihr Zimmer. Dort trat sie an das nächste Fenster. Behutsam hinausspähend, fiel ihr erster Blick auf den Captain, wie er sich mit einer gewissen Entschiedenheit auf die Pforte zu bewegte. So viel sie zu unterscheiden vermochte, schwang er die Immortelle nachlässig neben sich. Das Haupt trug er geneigter, als es sonst seine Art war. Des Hundes, der ihn zutraulich über den wüsten Platz begleitete, achtete er nicht.

Unbewusst legte Margaretha die Hand auf den Verschluss des Fensters. Ihr Antlitz hatte die Farbe blühender Gesundheit verloren. Mit jedem neuen Schritt, welchen der Captain zurücklegte, blickten ihre Augen starrer. Hätte er nur ein einziges Mal zurückgeschaut, so würde ein ihn wunderbar durchzitternder Ruf zu seinen Ohren gedrungen sein. Allein es war, als hatte er den Anblick des Hauses und der Werkstatt, wo er so lange als gern gesehener Freund verkehrte, nicht mehr zu ertragen vermocht.

Die Pforte öffnete sich vor ihm. Er trat auf die Straße hinaus, sie mit der rückwärts greifenden Hand schließend. Das war das Letzte, was Margaretha von ihm sah. Wie zum Tod erschöpft, sank sie neben dem Fenster auf einen Stuhl, achtlos, dass sie Kapseln und Samenkörner auf den Fußboden verschüttete.