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Jack Lloyd Folge 17

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Edmunds Rache

Jack spürte einen beißenden Schmerz, der in seine Schulter eindrang. Die Wucht, mit der er getroffen wurde, ließ ihn gegen den Schreibtisch hinter ihm taumeln, der Schock raubte ihm das Gleichgewicht. Ehe er sich versah, lag er der Länge nach auf dem Boden. Einen Augenblick lang drehte sich der Raum um ihn herum. In weiter Ferne hörte er weitere Schüsse, die Schreie von Männern und Durcheinanderrufen von Kommandos. Er musste wieder auf die Beine und zu seinen Männern. Wer auch immer sie überfallen hatte, die Feinde wussten offenbar, wie man kämpfte.

Jack kämpfte sich stöhnend hoch.

»Ich habe nichts damit zu tun!«, beteuerte der spanische Kaufmann und sah sich mit schreckgeweiteten Augen im Raum um. Elena, die ebenfalls geschockt wirkte, konnte den Blick nicht von der klaffenden Wunde in Jacks Schulter nehmen. Der Kapitän spürte, wie der warme Lebenssaft seinen Arm hinunterlief. Die Wunde blutete stark.

Die Tür wurde aufgestoßen und ein wahrer Riese von einem Mann betrat den Raum. Sein Säbel war blutbefleckt und auch auf seiner Kleidung waren an verschiedenen Stellen Blutflecken. Der Mann bleckte die Zähne und taxierte erst Jack, dann den Kaufmann und schließlich Elena. Als er die Spanierin genauer betrachtete, zog ein hässliches Grinsen über seine Züge, die von einer grässlichen Narbe, welche von seinem linken Ohr bis hinunter zum Kinn reichte, entstellt waren.

Elena, die den Blick des Fremden spürte und instinktiv Angst bekam, versuchte sich hinter ihrem Vater zu verstecken, doch der zitternde und ängstliche Kaufmann taugte nicht wirklich als Schutz.

Der Fremde betrat den Raum und hinter ihm schob sich ein wesentlich kleinerer Mann mit einem Dreispitz auf dem Kopf und einem Degen in der Hand durch die Tür. Der Neuankömmling raunte dem Riesen etwas zu, dann schob er seinen Degen in die Scheide zurück. Sein Blick blieb an dem jungen Kapitän hängen. Nach einem Moment der Stille, in dem Jack feststellte, dass auch der Lärm auf dem Flur verebbt war, fragte der Fremde: »Ich nehme an, dass Ihr Jack Lloyd habt. Habe ich recht?«

»Wer will das wissen?«, ächzte Jack unter Schmerzen.

»Mein Name ist Franco Costellos. Ich bin meines Zeichens Piratenjäger. Und Ihr, mein Lieber, seid mir ein willkommener Fang.«

Jack lachte laut auf. »Wirklich, Señor Costellos, bin ich das? Ihr irrt Euch, Kapitano. Ich glaube nicht, dass irgendjemand Euch für meinen Tod ein Kopfgeld oder für mein Leben ein Lösegeld zahlen wird.«

»Oh, das sehe ich aber anders. Wisst ihr, es war gestern gegen Abend. Meine Männer und ich saßen in einer der Hafentavernen und ließen es uns gut gehen, als ein Fremder sich zu uns gesellte. Sein Name war irgendetwas mit Edmund.«

Jack stieß hörbar die Luft aus. Joe hatte recht gehabt. Es war die falsche Entscheidung gewesen, diesen Hund am Leben zu lassen.

»Er berichtete mir von einem Piraten, der einen Händler abfangen und ihm wichtige Dokumente abjagen sollte. Diese sollte er dann dem Gouverneur von Port Royal überbringen.«

»Eine interessante Geschichte, Kapitano. Und wer sagt Euch, dass dieser Edmund Euch nicht angelogen hat?«

Ein Lächeln zog über die Züge des Piratenjägers. Er öffnete die Tür und rief etwas auf den Gang hinaus. Einen Augenblick später erschien Edmund in der Tür. Jacks Gesicht versteinerte sich. Sein Blick traf den des Verräters und wenn er nur gekonnt hätte, er hätte den Mann auf der Stelle niedergestreckt.

»Das hast du nicht erwartet, nicht wahr, Kapitän?« Das letzte Wort spuckte Edmund beinahe aus. Seine Verachtung für Jack war so deutlich spürbar, dass man sie fast mit Händen greifen konnte.

»Er ist es, das ist Jack Lloyd. Ein Kaufmann, der meinte, Pirat spielen zu können. Was ist nun? Ich habe meinen Teil der Abmachung eingehalten.«

»Und ich werde meinen einhalten, mein Freund.« An Jack gewand fuhr Costellos fort: »Ich nehme an, dass der geschätzte Mann hier in eurer Begleitung der Kaufmann der Jungfrau von Cartagena ist. Demzufolge werdet Ihr die Dokumente für den Gouverneur schon in Euren Händen haben, habe ich recht?«

»Fahrt zur Hölle«, ächzte Jack, der seine Wut nur schwer zügeln konnte. Im Kopf überschlug er seine Möglichkeiten. Durch die mittlerweile geöffnete Tür erkannte er, dass sich noch mehr Männer auf dem Flur vor der Tür versammelt hatten. Von Joe, Pablo oder einem seiner anderen Gefährten war nichts zu sehen. Selbst wenn er die einläufige Pistole aus dem Gürtel bekam und einen sicheren Schuss auf Costellos abgeben konnte, war das auf jeden Fall sein Ende. Und was diese Männer dann mit Elena und ihrem Vater anstellen würden, dass wagte Jack sich nicht im Entferntesten vorzustellen. Ihm blieb keine andere Wahl, als sich zu ergeben, wenn er zumindest die beiden Menschen, die ohne eigenes Verschulden und nur durch ihn in diese Situation geraten waren, schützen wollte.

»Das würde Euch so passen, Lloyd«, murmelte der Piratenjäger und ging zwei Schritte auf den Kapitän zu.

»Und jetzt gebt mir die Dokumente. Oder wollt Ihr, dass ich meine Männer die junge Dame ein wenig kitzeln lasse?«

Jack schluckte trocken. Dann griff er in seine Jacke und beförderte das Päckchen mit den Dokumenten zu Tage. Er reichte es dem Spanier, der ihm das Paket mit einem Lächeln auf den Zügen abnahm.

»Euer Mann hatte recht. Ihr taugt nicht zu einem echten Piraten. Zu menschenfreundlich.«

Der Piratenjäger drehte sich um und ging wieder zur Tür. Dann wandte er sich noch einmal an Jack. »Ach ja. Und was Eure Sorge angeht, dass Ihr niemandem auch nur ein Goldstück wert sein könntet, da kann ich Euch beruhigen. Der Gouverneur von Havanna wird mit Sicherheit ein nettes Sümmchen für Eure Ergreifung bezahlen.«

»Warum sollte er?«

»Nun ja.« Ein dreckiges Grinsen zog über seine Züge. »Wenn er erfährt, dass ihr einen engen Vertrauten von ihm bestialisch ermordet, seine Tochter geschändet und schließlich eurer Mannschaft ausgeliefert habt, um sie dann auf hoher See über Bord zu werfen, dann wird er froh sein, ein solches Scheusal beseitigt zu wissen.«

Jack wurde noch eine Nuance blasser, als er es ohnehin schon war.

Elena stieß einen leisen Schrei aus, was den Riesen, der noch immer teilnahmslos im Raum stand, zu einem fiesen Lachen veranlasste. Nur der Kaufmann schien nicht verstanden zu haben, was Castellos gerade gesagt hatte.

»Das werdet Ihr nicht wagen«, brummte Jack mit mühsam gebändigter Wut.

»Wer sollte mich aufhalten?« Lächelnd übergab Castellos das Päckchen mit den Dokumenten an Edmund.

»Hier. Nehmt so viele Männer, wie ihr benötigt, und entert die Jungfrau von Cartagena

»Hier mitten im Hafen? Die Wachen werden Euch niederringen!«

»Welche Wachen, Mr. Lloyd? Ich habe den Kommodore der Stadtwache darüber in Kenntnis gesetzt, dass ich in dieser Nacht hier einen Piraten jage. Und wenn ich ihm mitteile, dass Ihr auf der Jungfrau Zuflucht gefunden habt, dann wird er mir notfalls noch Männer zur Verfügung stellen.«

Jack schüttelte langsam den Kopf. »War es das wert, Edmund? Joe und Pablo und all die anderen Kameraden. Du hast sie verraten. Und während sie ehrenvoll gestorben sind, versteckst du dich hinter den Vollmachten eines Piratenjägers.«

»Sie haben sich dir angeschlossen, Kapitän. Ihr Tod ist ihre eigene Schuld.« Mit einem Grinsen auf den Zügen fuhr der Verräter fort: »Oder, wenn du jemand anderem die Schuld geben willst, dann gib sie dir selbst. Du hattest die Gelegenheit, mich zu töten. Du hättest sie nutzen sollen.«

»Genug geredet. Edmund, mach dich auf den Weg. Ich erwarte dich in vier Wochen wieder hier und dann will ich meinen Anteil an der Prämie haben. Und ich warne dich … du solltest nicht versuchen, mich zu hintergehen. Im Gegensatz zu deinem alten Kapitän bin ich ein Mann, der bereit ist, ungehorsame Gefolgsmänner zu bestrafen.«

»Natürlich, Kapitano.«

Edmund und die meisten der Männer, die im Haus waren, entfernten sich. Nach einem Moment des Aufbruchs herrschte wieder Ruhe im Raum.

»Hernand. Fessel die drei und sorge dafür, dass sie still sind. Dann brechen wir auch auf.«

Castellos verließ den Raum und überließ es dem Riesen und einem weiteren seiner Männer, seinen Befehl auszuführen. Jack warf Elena einen Blick zu, in dem Sorge und Mitleid standen. Die junge Frau erwiderte den Blick nicht, sondern starrte nur auf den Spanier, der mit einem Lächeln auf den Zügen und einem Strick in den Händen auf sie zutrat. Jack erkannte, dass sie einen Moment lang mit dem Gedanken spielte, sich zu wehren. Doch der Gedanke an den riesigen Hernand, der noch immer in der Tür stand, schien ihr Warnung genug zu sein. Zuerst wurden Elenas Hände auf den Rücken gefesselt. Dann widmete der Matrose sich dem Kaufmann und zu allerletzt kam Jack an die Reihe. Seine Schulter schmerzte entsetzlich, als ihm die Arme auf den Rücken gedreht wurden. Aber Jack schaffte es, nicht aufzuschreien. Diese Genugtuung wollte er seinen Gegnern nicht verschaffen. Schließlich wurden ihnen Säcke über die Köpfe gezogen. Dann stießen ihre Peiniger die drei durch den Flur hinaus in die kühle Nachtluft.

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2011 by Johann Peters