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Jack Lloyd Folge 16

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Verraten und verkauft

Joe hatte Jack direkt nach seiner Ankunft in ihrem Versteck darüber informiert, dass der Plan offensichtlich aufging. Doch erst am Abend, als sie dann schließlich einen Moment allein im Raum waren, weihte der alte Seemann seinen Kapitän und Freund auch in seine Bedenken ein. Jack hörte dem Ersten Maat geduldig zu. Noch bevor er zu einer Erwiderung ansetzen konnte, stürmte Pablo in den Raum.

»Kapitän. Ein einzelner Mann an der Tür. Er behauptet, der Kaufmann zu sein und will zu dir.«

»Joe. Geh und sieh nach, ob er es wirklich ist, und bring ihn dann herein.«

Joe und Pablo verschwanden und schlossen die Tür. Jack war für einen Moment allein mit seinen Gedanken. Er schloss die Augen, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und atmete tief durch. Joe hatte ein Stück weit recht, wenn er sagte, dass es unmenschlich und falsch war, eine unschuldige junge Frau gefangen zu nehmen und ihren Vater dazu zu zwingen, ein Vaterlandsverräter zu werden. Aber auf der anderen Seite waren da noch immer dieser Hass und diese Wut auf alles Spanische. Diese beiden Gefühle waren nach dem Tod seines großen Idols Owen Wills immer stärker geworden. Erst hier in Santiago hatte Jack langsam begonnen, seine Objektivität wiederzufinden. Die junge Kaufmannstochter Elena konnte nichts für die Taten einiger spanischer Soldaten, ebenso wenig wie ihr Vater. Aber Jack hatte nun einmal einen Auftrag und er beabsichtigte diesen auszuführen. Letztlich war es auch ein Stück weit die Schuld des spanischen Kaufmannes selbst. Als er den Auftrag annahm, geheime Dokumente zu transportieren, wusste er mit Sicherheit um die Gefahr eines Überfalls. Wahrscheinlich war es Geld- oder Gewinnsucht, die den Mann dazu getrieben hatte. Oder einfach nur die Tatsache, dass er ein Vertrauter des Gouverneurs war. Jack fuhr sich noch einmal mit der Hand über das Gesicht, als könnte er die trüben Gedanken und die Selbstzweifel damit wegwischen. Er musste sich schnell fangen, denn auf dem Flur waren bereits die Schritte mehrerer Männer zu hören, die sich der Tür näherten. Schließlich klopfte es. Jack atmete durch. Dann rief er laut: »Herein.«

Die Tür wurde geöffnet und Joe betrat als Erster den Raum. Er nickte seinem Kapitän knapp zu. Der Kaufmann war gekommen und er war allein. Nach ihm kam ein Mann durch die Tür, der in etwa im selben Alter zu sein schien, wie Wills es gewesen war. Mit einem Mal spürte Jack einen Stich im Herzen. Dieser Mann war gramgebeugt und blass wie eine frisch gestrichene Wand. Dicke Augenringe zeigten an, dass der Kaufmann in der letzten Zeit offenbar wenig geschlafen hatte. Der Mann wirkte zerbrechlich und angreifbar. Jack schluckte schwer. Er musste diese Dokumente haben. Wenn die Übergabe vorbei war, würde er dem Mann seine Tochter wiedergeben, unversehrt. Er hatte im Laufe des Tages versucht, sich mit der jungen Spanierin zu unterhalten. Doch die Dame hatte seine Anwesenheit in ihrer kleinen Kammer schlichtweg ignoriert. Dennoch hatte er sein Versprechen gehalten: Ihr war kein Haar gekrümmt worden.

»Wo ist meine Tochter?«, fragte der Kaufmann gepresst. Jack lächelte den Mann freundlich an. Es kostete ihn große Überwindung, nicht sofort zu befehlen, Elena aus ihrer Kammer zu holen.

»Erst einmal, willkommen in Eurem Heim. Ich denke, wir sollten zuerst das Geschäftliche klären, bevor wir an eine Familienzusammenführung denken.« Jack gab sich größte Mühe, so unbeteiligt wie möglich zu klingen. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass seine Stimme belegt und kratzig klang. Der Kaufmann schüttelte energisch den Kopf.

»Ich bin hier, allein, wie Ihr es gefordert habt. Ich habe die Dokumente bei mir, die Ihr verlangt habt. Jetzt will ich meine Tochter sehen. Wenn Ihr ein Mann von Ehre seid, wie Ihr selbst behauptet, dann werdet Ihr einem Vater diesen Wunsch nicht verwehren.«

Jack sah aus den Augenwinkeln, wie Joe zusammenzuckte. Pablo, der als Letzter den Raum betreten hatte, wirkte völlig unbeteiligt. Jack hatte angeordnet, dass die restlichen Männer sich im Haus und um das Haus herum verteilen sollten, für den Fall, dass sie doch angegriffen werden sollten. Bisher schien jedoch alles ruhig geblieben zu sein. Und sein Gegenüber wirkte auf den Kapitän nicht wie jemand, der bereit gewesen wäre, ein Risiko einzugehen. Jack nickte lächelnd.

»Ich denke, Ihr habt recht. Pablo, hol bitte unseren Gast.«

Der Portugiese nickte und verschwand wortlos. Nach einem kurzen Augenblick kehrte er in Begleitung Elenas zurück. Die junge Frau war nicht gefesselt und der Blick ihres Vaters zeigte deutliche Erleichterung, als er bemerkte, dass sie wirklich keinerlei Verletzungen davongetragen hatte. Keine körperlichen zumindest.

»Da seht Ihr Eure Tochter. Ich habe mein Versprechen gehalten. Sie wird Euch bestätigen können, dass ihr kein Haar gekrümmt wurde. Jetzt solltet Ihr Euren Teil des Handels einhalten.«

Der Kaufmann griff in seine weiten Jackentaschen. Joe und Pablo legten die Hände auf die Griffe ihrer Entermesser, die sie an ihren Gürteln trugen, doch der alte Mann brachte keine Waffe, sondern ein kleines verschnürtes und versiegeltes Paket zum Vorschein.

»Hier sind die Dokumente, die Ihr verlangt habt.«

»Und Ihr seid Euch sicher, dass das alles ist? Kein weiteres Paket, kein kleiner Brief, den Ihr mir vorenthaltet?«

Die Augen des Kaufmannes weiteten sich. Erschrocken stammelte er: »Bei meinem Leben, Señor. Ich schwöre Euch, es gibt keine weiteren Dokumente. Das ist alles, was mir ausgehändigt wurde.«

Jack betrachtete den alten Mann einen Moment. Dann zog ein Lächeln über seine Züge. Er nickte langsam.

»Ich glaube Euch. Aber ich muss sicher gehen, dass Ihr nicht sofort zur Stadtwache lauft und uns anzeigt. Pablo wird Euch beide leicht fesseln, sodass Ihr in der Lage seid, Euch selbst zu befreien. Dann werden wir Santiago verlassen.«

»Tut nur meiner Tochter nichts«, brummte der Kaufmann ergeben.

Jack nickte. »Ich halte mein Wort, wenn ich es einmal gegeben habe.«

Jack steckte das Päckchen in seine Jackentasche und gab Pablo ein Zeichen. Der Portugiese ging wieder zur Tür und öffnete diese. In diesem Augenblick peitschten mehrere Schüsse auf der Straße. Jack warf Joe einen fragenden Blick zu. Dieser zuckte nur mit den Schultern und zog sein Entermesser. Pablo hatte ebenfalls bereits die Waffe in der Hand und postierte sich vor der Tür. Jack zog eine einläufige Pistole und schaute den Kaufmann und seine Tochter, die sich erschrocken an ihren Vater drückte, wütend an. Leise zischte er: »Wie konntet Ihr so dumm sein.«

»Ich habe nichts damit zu tun«, zischte der Kaufmann zurück. »Meine Männer haben den Befehl, an Bord der Jungfrau zu bleiben und meine Rückkehr abzuwarten.«

Jack legte die Stirn in Falten. »Aber … wer?«

»Sie sind an der Tür, Käpt´n«, murmelte Pablo und ließ sein Entermesser einmal schwingen. Jack schaute sich im Raum um. Es gab kein Fenster und die einzige Tür, die von diesem Raum abging und nicht in den Flur führte, bot ebenfalls keinen Ausweg. Dahinter lag nur eine kleine Schlafkammer.

»Dann wollen wir sie würdig empfangen.« Jacks Stimme klang entschlossen. Mit lautem Krach barst das Holz der Haustür. Mehrere Männer rannten den Flur entlang. Es wurden Befehle gebrüllt. Wieder erschollen zwei Schüsse, zwei Männer schrien entsetzt auf. Dann wurde der Lärm eines Handgemenges laut. Jack warf Joe einen kurzen Blick zu. Als dieser nickte, rief er: »Hinaus! Wir müssen den Unseren helfen.«

Pablo riss die Tür auf. Wieder knallte ein Schuss. Jack stöhnte kurz gequält auf. Pablo und Joe sahen sich gegenseitig, dann ihren Kapitän an. Aus dem Flur war eine laute Stimme zu vernehmen.

»Lloyd muss in einem der hinteren Räume sein! Sucht ihn!«

Wut und Hass zeichneten sich auf den Gesichtern der beiden Seeleute ab. Dann stürmten sie in den Flur hinaus und warfen sich den Feinden entgegen. Das Letzte, was Joe hörte, war das polternde zu Boden gehen eines Körpers. Dann war da nur noch Kampflärm.

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2011 by Johann Peters