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Die Gespenster – Zweiter Teil – Einundvierzigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Einundvierzigste Erzählung

Nachtrag zur einundvierzigsten Erzählung des ersten Bandes: vom wilden Jäger

Des jetzigen Erbpächters vom Rathenowschen Kämmereivorwerk, Herrn Wesenbergs Vorgänger, Herr Katsch, kehrte im Frühjahr 1772 von Berlin zu seinem Vorwerk bei Neufriedrichsdorf zurück. Um die Reise von neun Meilen in einem Tag zu vollenden, nahm er die Nacht mit zu Hilfe. Es war fast Mitternacht, als er in die Gegend des im Holz gelegenen Markgrafenberges zwischen Nennhausen und Rathenow ankam. Es herrschte in der überaus angenehmen Nacht eine völlige Windstille. Schauderhaft war es daher für Herrn Katsch, als sich plötzlich ein schreckliches Geräusch im Wald erhob.

Eine Art von Sturmwind folgte unmittelbar des bisherigen Windstille. Er schien die ganze ruhige Natur um ihn her in Aufruhr bringen zu wollen. Dem Gehör nach schien der geöffnete Windsack des Aiolus ganz in der Nähe zu sein, welchem er fürchterlich rauschend enteilte. Auch blies er kleine Feuerfunken schnell vorüber. Kein Wunder daher, wenn die Wagenpferde scheu und wild wurden. Ja, diese machten vor Augst, ungeachtet sie den Tag über schon acht Meilen zurückgelegt hatten, Miene zum Durchgehen.

Dem Reisenden fiel bei diesem wilden Geräusch auf der Stelle die allgemeine Volkssage vom wilden Jäger oder dem wütenden Heer ein. Er hatte bis dahin geglaubt, dasjenige, was vom Aberglauben so genannt werde, sei wohl nur eine Ausgeburt der von Gespensterfurcht empörten Sinne und einer zu wirksamen Einbildungskraft. Nun aber überzeugte er sich, dass der absprechende Gespensterunglaube auch wohl einmal der Wahrheit auf den Fuß treten und sich an ihr versündigen dürfte. Als ein gesetzter Mann beobachtete er ohne ängstliche Furcht, was um ihn her vorging. Nichts war gewisser, als dass das immer noch zunehmende Sausen und Schwirren um seinen Wagen her nicht etwa in Herrn Katschs Kopf nur, sondern auch äußerlich in der Wirklichkeit da war. Seine eigene, seines Reisegefährten und seines Knechtes hinterher verglichene Aussagen über das, was sie wahrgenommen hatten, stimmten, nachdem das Gespenst verschwunden war, auf das Genaueste überein und überzeugten ihn vollkommen von der Wirklichkeit des Gehörten und Gesehenen. Auch selbst die plötzliche Unruhe, das Scheuwerden und die versuchte Flucht seiner Wagenpferde trugen das ihre zu dieser Überzeugung bei, indem auch sie, auf eine völlig unzweideutige Art die Wirklichkeit des Vernommenen erwiesen.

Nach etwa fünf Minuten wechselte das unbändige Geräusch in der dem Anschein nach empörten Natur plötzlich wieder mit der vorigen Windstille ab. Diese hielt an, bis Herr Katsch das neue Dorf erreicht hatte. Er hielt das bestandene spukhafte Abenteuer für nichts Übernatürliches und glaubte mit Recht, dasselbe einer ihm unbekannten Naturerscheinung zuschreiben zu müssen. Welcher – das kümmerte ihn nicht. Er überließ es dem Zufall und den Naturkundigen, das dabei obwaltende Dunkel aufzuklären.

Wirklich rechtfertigte auch der Erfolg diese Erwartungen, obwohl erst viele Jahre nachher.

Dem Herrn Leutnant von Heugel, Leib- Carabinier-Regiments, war es vorbehalten, einst in der nämlichen Gegend des Markgrafenberges ein dem vorhin erzählten ganz ähnliches Abenteuer zu erleben und die nähere Bekanntschaft des wilden Jägers zu machen. Jener hatte sich im Herbst 1796 in dem von Briestenschen Haus zu Nennhausen verspätet, und es wollte bereits finster werden, als er, begleitet von seinem Bedienten, des Abends zu Pferde nach Rathenow zurückkehrte. Das Mondlicht, worauf er gerechnet hatte, blieb aus. Es säuselte ein sanftes Lüftchen und spielte mit den Blättern und Zweigen der Bäume. Bald aber vernahm sowohl er als auch sein Diener ein schnell daher rauschendes Sausen, einen Ungestüm in den Baumzweigen und allerlei Töne von Geschöpfen, denen er in der ganzen Natur nichts zu vergleichen wusste.

Ganz so hatte er sich immer das Geräusch gedacht, welches der wilde Jäger, nach der ihm davon gemachten Erzählung, verursachen soll. Es heulte, schwirrte, pfiff und rauschte immer fürchterlicher um ihn her. Man hatte alle Aufmerksamkeit nötig, um die schnaubenden und höchst unruhigen Pferde zu bändigen. Zuweilen war es, als ob schwache Flämmchen vor ihnen vorüber flögen. Dieser letzte Umstand spannte Herrn von Heugels Aufmerksamkeit und Erwartungen mehr, als alles Übrige, und mit Recht. Glücklicherweise führte auch dies den Aufschluss über die höchst wunderbare Erscheinung und die Bekanntschaft mit der Natur des wilden Jägers zunächst und hauptsächlich herbei. Er glaubte zu bemerken, dass das Schwirren, Rauschen und Pfeifen um seinen Kopf herum vorzüglich lebhaft war. Er glaubte, die Luftgespenster neben sich vorüber und zwischen den Pferden durchfliegen zu sehen, denn sein Bedienter musste der Finsternis wegen vor ihm reiten. Auch hatte das beständig vernommene Schwirren die höchste Ähnlichkeit mit demjenigen Geräusch, welches Vögel mittelst der Flügelschwingungen in der Luft hervorbringen, wenn sie in unserer Nähe vorüberziehen. Zuletzt bemerkte Herr von Heugel auch, dass etwas von oben nach seinem Hut herabschoss und sich dann wieder emporschwang. Diese oft wiederholten Wahrnehmungen gaben seinen Schlüssen und Vermutungen endlich die wahre Richtung. Er erkannte in den vorüberfliegenden Körpern große Nachtvögel. Das, was an ihnen wie kleine Flämmchen funkelte, waren die großen, im Finstern wirklich schrecklichen Feueraugen derselben. Diese Vögel waren aber offenbar Nachteulen, und zwar, was frühere Erfahrungen vermuten lassen, die sogenannten Ohreulen. Das, was unserem Reisenden noch vor wenig Augenblicken unbegreiflich schien und ihn in die unangenehmste Verlegenheit setzte, war ihm nun ganz klar und veranlasste ihn zu unterhaltende Beobachtungen. Er war in der Regimentsuniform und bemerkte, dass die Eulen, an der Zahl wenigstens zwölf, den großen und schwankenden weißen Federbusch seines Hutes für ein Tier halten mochten, worauf sie Jagd machen zu wollen schienen. Er nahm endlich den Federbusch vom Hut herunter und steckte ihn in die Überrocktasche. Nun ließen ihn die Nachtvögel ungeschoren und zogen überhaupt nach Verlauf von ungefähr fünf Minuten mit Geräusch und lautem Geschrei vorüber.

Da diese Eulenversammlung im Herbst mit der vorhin erzählten von Herrn Katsch im Frühjahr beobachteten Erscheinung offenbar gleichen Ursprungs war, so sieht man hieraus, dass diese sonst ungeselligen Nachtvögel auch noch außer ihrer Begattungszeit, zum Beispiel um der gemeinschaftlichen Jagd willen, beieinander leben müssen.