Aus dem Wigwam – Der Mann aus der Asche
Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig.1880
Der Mann aus Asche
or langer, langer Zeit gedachten die Schawanen, die Walkulla, welche in Florida am großen Salzsee wohnten, mit Krieg zu überziehen. Aber ein Teil schien damit nicht recht einverstanden zu sein, da ihr Häuptling gesagt hatte, dass die Walkulla tapfer und listig und auch, wie die Medizinmänner glaubten, ihre Götter mächtiger seien. Der Närrische Büffel und die anderen jungen Krieger, welche streitsüchtigen Charakters waren, wollten indessen nicht darauf hören und sagten, die Walkulla seien lauter Feiglinge. Die Furchtsamen und Alten, die Verzagten und Knieschlottrigen möchten ja ruhig zu Hause bei Frauen und Kindern bleiben. Nach zwei Monaten kämen sie mit vielen Gefangenen wieder zurück und würden sie alsdann zu geröstetem Walkullabraten einladen.
Den meisten jungen Leuten des Schawanenstammes leuchteten diese Bemerkungen ein und sie bereiteten sich zum Kriegszug vor. Die Älteren und Klügeren aber blieben ruhig zu Hause und gingen der friedlicheren Jagd nach. Es verstrichen zwei, ja drei Monate, aber die Krieger kehrten nicht zurück. Da das Land der Walkulla nur eine Weiberreise von sechs Sonnen von dem der Schawanen entfernt war, so glaubten Letztere, ihre Leute seien besiegt und erschlagen worden.
Da rief der Häuptling alle zurückgebliebenen Krieger und Medizinmänner zusammen und fragte sie, wo ihre Söhne seien.
»Sie sind tot!«, sagte Tschenos, der älteste und weiseste der Zauberer. »Die Walkulla sind von Männern von fremder Farbe und Sprache unterstützt worden. Dieselben kamen auf dem Rücken eines mächtigen Vogels mit großen weißen Flügeln über das Salzmeer und kämpften mit Donner und Blitz.«
Darauf fingen die Frauen an zu weinen und die Männer griffen zu den Waffen, um die Walkulla und ihre fremden Verbündeten zu bekriegen.
Doch Tschenos befahl ihnen, sich niederzusetzen. »Einer lebt noch«, sagte er, »und er wird bald hier sein, denn sein Fußtritt ist in meinem Ohr. Er hat seine Rache gekühlt und das Blut seiner Feinde aus großen Kürbisflaschen getrunken. Doch vor den Männern mit Donner und Blitz floh er. Ich sehe ihn kommen. Er ist müde und hungrig und sein Köcher enthält keine Pfeile mehr. In seinen Armen trägt er einen Gefangenen. Legt darum Hirschfleisch auf die Kohlen und holt Mais. Ärgert ihn aber nicht, denn er hat gefochten wie ein hungriger Löwe!«
Als der weise Tschenos diese Worte geredet hatte, trat der Närrische Büffel ruhig und gelassen unter sie. Er stand da wie eine schlanke Fichte und sah den Häuptling und die alten Medizinmänner stumm an. Sein Körper war über und über mit Blut bespritzt und seinen linken Arm hatte er mit einer Tierhaut umwickelt. Er sah hager und hohläugig aus, als ob er lange gefastet hätte. Sein Köcher war leer, aber an einer Stange trug er sieben Skalpe. Sechs davon hatten langes schwarzes Haar und das des siebenten war gelb wie dürres Laub und gelockt wie wilde Efeuranken.
»Wo sind unsere Söhne?«, fragte der alte Häuptling.
»Frage den Wolf und den Panther!«, erwiderte jener.
»Sage uns, wo unsere Söhne sind! Unsere Weiber verlangen nach ihnen!«
»Wo ist der Schnee des vergangenen Jahres? Floss er nicht den Fluss hinunter in das große Salzmeer? Unsere Brüder sind auf dem Strom der Zeit in das Meer der Ewigkeit getragen worden. Der große Stern sieht sie am Ufer des Walkullaflusses, aber sie sehen ihn nicht. Panther und Wolf heulen ungestört zu ihren Füßen und die Adler schreien über ihnen, aber sie hören sie nicht. Der Geier wetzt seinen Schnabel an ihren Knochen und sie fühlen es nicht, denn sie sind tot.«
Als er diese Rede beendet hatte, fingen die Weiber an, laut zu schreien. Die Männer sprangen auf, um ihre Säcke mit Mais und getrocknetem Fleisch zu füllen, zur Reise in das Land der Mörder ihrer Söhne.
Doch jener fuhr fort: »Wer hat jemals gehört, dass der Närrische Büffel gelogen und sich vor seinen Feinden gefürchtet hätte? Väter, die Walkulla sind schwächer als wir. Ihre Arme sind nicht so stark und ihre Herzen nicht so groß wie die unsrigen. Sie können so wenig gegen die Schawanen Krieg führen, wie ein furchtsames Hirschlein gegen einen hungrigen Wolf. Der Närrische Büffel hätte die Skalpe des halben Stammes ganz gut allein nehmen können. Aber es ist ein fremdes Volk unter sie gekommen. Die Haut desselben ist so hell wie die Falten der Wolke. Ihr Haar leuchtet wie der Stern des Tages. Sie kämpfen nicht wie wir mit Pfeilen und Keulen, sondern mit Donner und Blitz und eisernen Spießen. Seht auf meinen linken Arm! Er wurde vom Donnerkeil eines Weißen getroffen. Der Skalp des Schützen liegt nun vor den Füßen unseres Häuptlings. Wir überfielen die Walkulla als sie ganz unvorbereitet waren und den grünen Korntanz aufführen wollten. Wir schlichen uns nahe heran und verbargen uns still im Dickicht in der Nähe ihres Lagers, denn die Schawanen sind wie die listige Natter und nicht wie die dumme Klapperschlange. Sie bereiteten dem Großen Geist ein Opfer und wussten nicht, dass er die Schawanen geschickt hatte, ihr Blut damit zu vermischen. Ihr Häuptling erzählte ihnen, dass der Meister des Lebens die Walkulla liebe und er viele fette Bären und Hirsche für sie in die Jagdgründe getrieben habe. Ihr Korn habe er groß und süß werden lassen, damit sie den Fremden, welche auf den weißen Flügeln eines Vogels zu ihnen gekommen seien, Nahrung bieten könnten. Als wir diese Worte hörten, wussten wir nicht, was wir tun sollten. Der Kriegsgott hatte sie in unsere Hände gegeben, aber wer waren die Fremden? Führten sie dieselben Waffen wie wir und war ihr Schutzgeist mächtiger als der unsrige? Krieger, ihr kennt den Jungen Adler, den Sohn des Alten Adlers, der gegenwärtig in unserer Mitte ist. Er sagte: ›Ich sehe viele fremde Männer um ein Feuer sitzen und will hingehen und ausfinden, wer sie sind.‹ Der Alte Adler scheint fragen zu wollen, warum ich nicht selbst ging, und ich will es ihm sagen. Der Närrische Büffel ist größer als der größte Mann seines Stammes. Kann sich der Hirsch in einer Fuchshöhle und ein Schwan hinter einem Grashalm verbergen? Der Junge Adler aber war klein. Er war die listige schwarze Schlange, welche geräuschlos im Gras kriecht und nur dann bemerkt wird, nachdem sie zugebissen hat. Als er zurückkam, erzählte er, dass sich viele fremde Männer in unserer Nähe befänden. Ihre Gesichter und Wigwams seien so weiß wie der Schnee auf dem Rückgrat des Großen Geistes (das Alleghenygebirge). Das Fliegende Eichhorn sagte, Flucht sei jetzt keine Feigheit. Aber der Närrische Büffel hat nie einem Feind den Rücken gezeigt, ohne vorher sein Blut gesehen zu haben. Der Junge Adler hatte kurz vorher die neuen Mokassins angezogen und war zum kriegstüchtigen Mann erklärt worden. Da ihn die alten Krieger sicher verachtet hätten, wenn er ohne Skalp zurückgekehrt wäre, so beschlossen wir beide, die Walkulla und ihre Verbündeten allein anzugreifen. Als dies unsere anderen jungen Krieger sahen, griffen sie ebenfalls zu den Waffen und stürzten sich mit uns auf die Feinde. Die Walkulla fielen wie Regen in den Sommermonaten. Aber plötzlich stand ein Feind gegen uns auf, dem wir nicht widerstehen konnten. Die Fremden griffen uns mit Donner und Blitz an. Väter, eure Söhne fielen wie dürre Blätter bei heftigem Sturmwind und die wilden Tiere sättigen sich jetzt an ihrem Fleisch. Ein Donnerkeil der Fremden traf meinen Arm, aber ich floh nicht. Diese sechs Skalpe entriss ich den Walkulla; der andere hat gelbes Haar. Habe ich meine Schuldigkeit getan?«
Die umstehenden Krieger antworteten bejahend.
Tschenos aber sagte: »Nein! Du gingst in das Lager der Walkulla, um ihr Opfer, das sie dem Großen Geist bringen wollten, mit Menschenblut zu vermischen. Dies ist die Ursache unseres Unglücks. wenn du den beleidigten Gott wieder versöhnen willst, so opfere ihm das, was dir am liebsten ist!«
Der Närrische Büffel sah den Priester grimmig an und sagte: »Ich fürchte den Großen Geist, aber ich opfere ihm weder Eltern noch Geschwister, doch will ich einen Hirsch töten und zu seiner Ehre verbrennen!«
»Du hast«, sagte Tschenos, »uns deine Skalpe gezeigt und von der unglücklichen Schlacht erzählt. Von deinem Gefangenen aber hast du, wie es scheint, absichtlich geschwiegen. Der Große Geist hat mir mitgeteilt, dass du einen Gefangenen mit zarten Füßen und zitterndem Herzen mitgebracht hast!«
»Der Närrische Büffel hat nie gelogen. Er hat einen Gefangenen, eine Frau, eine Tochter der Sonne. Sobald ich mein Haus gebaut habe, soll sie es mit mir bewohnen und die Mutter meiner Kinder werden.«
»Wo ist sie?«
»Sie sitzt am Ufer des Flusses neben dem Baum, den der Große Geist mit einem Blitz spaltete. Ich habe sie dort gelassen, weil jene Stelle heilig ist. Ich werde sie holen, aber rührt sie nicht an, denn sie ist furchtsam wie ein junges Reh und weint wie ein kleines Kind, das seine Mutter vermisst.« Darauf ging er fort und holte sie. Ihr Gesicht war mit einem weißen Schleier bedeckt. Der Häuptling bat sie, ihn abzunehmen, und sie tat es. Die Tränen rollten unaufhörlich über ihre Wangen. Der Närrische Büffel gab ihr zu verstehen, dass sie nichts zu befürchten habe. Ihre Augen waren wie der Nordstern, der sich nie bewegt. Der Große Geist hatte nichts Schöneres geschaffen.
»Ich habe tapfer für sie gefochten«, sagte der Närrische Büffel. »Drei rotbemalte Krieger und drei mit Donner und Blitz bewaffnete Bleichgesichter standen an ihrer Seite. Wo sind sie jetzt? Ich trug sie fort. Als es dunkel wurde, wickelte ich sie in warme Tierfelle ein und wachte an ihrer Seite, bis die Sonne wieder aufging. Wer sagt nun, dass sie nicht mein Weib und die Mutter meiner Kinder werden soll?«
Der Alte Adler stand auf, ging zu der fremden Jungfrau, legte seine Hand auf ihren Kopf und weinte. Die anderen Krieger, welche ihre Söhne verloren hatten, weinten ebenfalls, aber traten nicht an sie heran.
»Wer kann ewig leben?«, sagte der Krieger. »Den schnellen Fuß hemmt das Alter und das leuchtende Auge verdunkelt Sorge und Gram. Es ist besser, sie starben als tapfere Jünglinge, als dass sie alt und schwach wurden.«
»Rache!«, schrien sie plötzlich alle laut auf. »Hört nicht auf den jungen Krieger, den die Tochter der Sonne bezaubert hat!«
Der Närrische Büffel reichte ihnen die Friedenspfeife, aber sie nahmen sie nicht an und sangen unter Tränen ein weitschallendes Lied der Klage und Rache.
Als die Fremde sie so klagen und singen hörte, weinte sie ängstlich und schmiegte sich Schutz suchend an den wilden Krieger. Sie lispelte einige Worte, aber niemand verstand sie. Tschenos sagte, sie bete zu ihrem Gott. Der Alte Adler und die anderen Indianer, welche ihre Söhne verloren hatten, baten den Priester, er solle sie doch ihrer Rache opfern.
Aber jener erwiderte: »Brüder und Krieger! Unsere Söhne taten großes Unrecht, die Walkulla zu überfallen, als sie dem Großen Geist für seinen reichen Segen dankten. Er gab daher den Donner in die Hand der Fremden, damit sie diese Freveltat bestrafen konnten. Lasst uns daher vorsichtig sein, seinen Zorn gegen uns nicht von Neuem anzufachen. Wenn wir diese Fremde dem Opfertod weihen, so kommt der Große Geist vielleicht selbst mit Donner und Blitz über uns und zerschmettert uns, wie er den heiligen Baum zerschmetterte. Lasst sie diese Nacht ruhig bei uns bleiben. Sie mag sich am Feuer im Rathaus wärmen und jeder mag darauf bedacht sein, dass ihr kein Leid widerfahre. Morgen wollen wir unserem Gott ein Opfer von Hirschfleisch bringen. Er wird uns alsdann sagen, ob wir sie dem Feuertod überantworten sollen oder nicht. Wenn er nicht spricht, nun, dann soll ihr Schicksal vom Willen des Alten Adlers und der anderen Krieger abhängig sein.«
»Dein Rat ist gut«, sagte der Häuptling. »Macht ihr ein weiches Bett von Tierfellen und behandelt sie freundlich, denn es ist leicht möglich, dass sie die Tochter des Großen Geistes ist.«
Darauf zogen sich alle in ihre Wigwams zurück. Nur der Närrische Büffel blieb vor dem Rathaus sitzen und wachte. Am anderen Morgen gingen sie auf die Jagd und töteten einen fetten Hirsch, den sie Tschenos zum Opfern brachten. Er legte ihn auf das Feuer und stimmte einen heiligen Gesang an. »Lasst uns horchen«, sagte er, »ob uns der Große Geist hört.«
Sie lauschten, aber sie hörten nichts. Sie fragten ihn, warum er nicht spreche, aber er antwortete nicht. Tschenos sang weiter.
»Husch!«, rief er plötzlich, »ich höre das Krähen des Donnerhahnes. Der Große Geist ist in unserer Nähe.«
Er ging näher ans Feuer und sprach mit ihm, aber niemand verstand, was er sagte.
»Was teilt dir der Große Geist mit?«, fragte der Häuptling.
»Er sagt, die junge Frau soll hier bei uns bleiben und die Mutter vieler Kinder werden.«
Viele freuten sich deshalb und äußerten den Wunsch, sie als ihre Schwiegertochter zu sehen.
Diejenigen aber, welche ihre Söhne verloren hatten, schrien: »Wir wollen Blut sehen und wenn wir um Rat beim bösen Geist anfragen müssen!«
Nicht weit vom Ratsfeuer der Schawanen war ein großer, mit verfaulten Baumstämmen und scharfkantigen Steinen besäter Hügel. In demselben war eine große Höhle. Wie lang diese war, wusste niemand, außer Sketupah, dem Priester des bösen Geistes, der dort seinen Meister verehrte. Es war ein unheimlicher, allgemein gefürchteter Platz. Wenn jemand am Eingang der Höhle ein Wort sprach, so wurde es im Inneren in donnerähnlicher Stimme nachgeahmt.
Sketupah war ein merkwürdiger Geselle. Er ging stets tief gebückt, hatte schlangenähnliches Haar und einen Mund, der von einem Ohr bis zum anderen reichte. Seine Augen schienen zwei feurige Kohlen zu sein und seine langen Beine waren nicht dicker als ein Bäumchen von zwei Sommern. Die Indianer fürchteten ihn ebenso sehr wie den bösen Geist selbst und brachten ihm zahlreiche Geschenke, um sich seiner und seines Meisters Gunst zu versichern.
Der Alte Adler ging vor die Höhle und rief: »Sketupah!« »Sketupah!«, antwortete die heisere Stimme des Bewohners. Bald darauf kam er hervor und fragte den Krieger nach seinem Begehr.
»Rache für unsere Söhne, die von den Walkulla und ihren Freunden, die auf dem Rücken eines weißflügligen Vogels über das Salzmeer kamen, umgebracht worden sind!« »Rache!«, erwiderte die hohle Stimme.
»Hört uns dein Meister?«, fragte der Alte Adler.
»Mein Meister sehnt sich erst nach einem Opfer. Er will Blut sehen!«, sagte der Alte. »Er wird euch späterhin mitteilen, ob er euren Wunsch gewähren wird. Geht hin und fangt einen Wolf, eine Klapperschlange und eine Schildkröte und bringt sie, wenn der Stern des Tages aufgeht, her!«
Die rachsüchtigen Krieger taten nach seinem Befehl und brachten ihm das Verlangte. Sketupah befahl ihnen, aus giftigen Pflanzen und fruchtlosen Bäumen ein Feuer anzumachen, während er das Opfer bereite. Er zog dem Wolf das Fell ab und band es mit der Klapperschlange um seinen Körper. Die Schale der Schildkröte befestigte er mit den Gedärmen des Wolfes auf seinem Kopf, warf die Reste jener Tiere ins Opferfeuer und fing zu singen und zu tanzen an.
Als er damit fertig war, horchte er. Aber der böse Geist gab keine Antwort von sich. Doch als er sich zu einem neuen Tanz anschickte, sah man, wie sich ein großer Ball den Berg hinaufrollte. Als er vor ihnen angekommen war, kroch ein merkwürdig aussehender kleiner Mann daraus hervor. Sein Gesicht war so schwarz wie Rabenfedern und seine Augen so grün wie Gras. Sein Haar, aus dem der Ball gemacht war, war so lang, dass es im Wind wie der Schweif eines Feuersternes aussah. Er fletschte die Zähne und lachte laut auf.
»Was willst du von mir?«, fragte er Sketupah.
Der Priester antwortete: »Die Schawanen verlangen nach Rache. Sie wollen die schöne Tochter der Sonne opfern, die der Närrische Büffel aus dem Lager der Walkulla gebracht hat.«
»Geht hin und holt sie her!«, donnerte der böse Geist.
Der Alte Adler und die anderen Krieger taten die.
Der Närrische Büffel stand wachend vor ihrem Wigwam und hatte eben die Keule erhoben, um die Eindringlinge niederzuschlagen, als Tschenos sagte: »Lass sie die Tochter der Sonne mitnehmen, und die Nation der Schawanen wird, ehe ein Tag vergeht, sehen, wessen Gott der Stärkste ist, der meine oder der Sketupahs!«
Darauf banden sie die Jungfrau an einen Pfahl und errichteten einen Scheiterhaufen. Der Närrische Büffel hatte sich bisher ruhig verhalten, da er im zuversichtlichen Glauben war, dass sie der Große Geist befreien würde. Doch als er sah, dass der Holzstoß angezündet wurde und die Flammen nach allen Seiten sprühten, ließ er den Kriegsruf erschallen und streckte die Hand nach Sketupah aus. Aber es war vergebens, denn sein Meister blies ihm ins Gesicht. Augenblicklich stürzte er leblos zusammen. Darauf befahl der böse Geist, Tschenos zu ergreifen. Sie gehorchten ihm.
Als sie ihn ebenfalls auf den brennenden Holzstoß festgebunden hatten, rief er mit lauter Stimme: »Hilf mir, Meister des Lebens! Zerreiße die Bande und rette mich vom Feuertod!«
Darauf sahen die umstehenden Indianer plötzlich zwei große Lichter, heller und größer als die größten Sterne, über des Großen Geistes Rückgrat kommen und sich zum Land der Schawanen bewegen. Zuerst waren sie ganz nahe beisammen, doch als sie näher kamen, teilten sie sich. Bald erkannte man, dass es zwei Augen waren. Allmählich kam der ganze Umriss eines Mannes zum Vorschein, der so groß war, dass sein Kopf bis an den Himmel reichte. Der Große Geist stand vor ihnen.
Als der Teufel seiner ansichtig wurde, tat er sich ebenfalls auseinander und wurde so groß wie sein Feind.
Doch sobald er das Zeichen des Friedens von sich warf, sprach der Meister mit einer Stimme, die alle Berge erbeben machte. »Du hast gelogen!«
»Ich habe nicht gelogen!«, erwiderte jener.
»Hast du mir nicht versprochen, bei den Bleichgesichtern zu bleiben und meine roten Kinder nicht mehr zu belästigen?«
»Ja! Aber diese Jungfrau kam aus meinem Land. Sie ist weiß und gehört mir!«
»Sie gehört dir nicht, denn ich gab sie einem braven Krieger zum Weib, den du getötet hast!«
»Ich muss sie haben!«, rief der böse Geist ärgerlich.
»Wenn deine Kraft größer ist als die meine, und wenn deine Augen weiter sehen als die meinen, dann kannst du so sprechen. Geh wieder zu deinen Leuten am Aufgang der Sonne und lass meine braven Rothäute in Frieden.«
Der Feige verstummte und schrumpfte wieder zu der Gestalt zusammen, in der er sich zuerst gezeigt hatte. Darauf wickelte er sich in sein langes Haar und rollte den Berg hinab.
Als er fort war, nahm der Große Geist menschliche Gestalt an und sprach: »Schawanen! Ich habe euch immer geliebt und liebe euch noch. Ich habe eure Feinde in eure Hand gegeben, euer Korn wachsen lassen und die Jagdgründe mit fettem Wild gefüllt. Wem ging es besser und wer kämpfte tapferer als die Schawanen? Das Gras wächst hoch, das Wasser ist kühl und süß. Bewohnt ihr nicht das schönste Land der Erde? Warum aber überfielt ihr die Walkulla, als sie mir ihr Dankopfer darbrachten? Warum überfielt ihr sie, als sie ihre Waffen niedergelegt und die Kriegsfarbe abgewaschen hatten, um mir zu Ehren einen Tanz aufzuführen? Ihr erschlugt sogar ihren Priester, meinen Diener. Deshalb gab ich eure Söhne in ihre Hände und rettete nur einen Krieger, um euch ihr Schicksal zu melden. Schawanen! Die fremden Männer, die auf den Flügeln des großen Vogels über das Salzmeer kamen, sind eure Brüder. Obwohl sie weiß sind und ihr rot seid, obwohl ihr Haar die Farbe der untergehenden Sonne und das eure die eines verkohlten Baumstammes hat, so seid ihr doch Brüder, denn ich habe euch alle erschaffen. Die Schawanen sind beständig rot, da nie Furcht ihr Herz ängstigt und das Blut aus ihren Wangen treibt. Das Herz des Bleichgesichtes ist wie das eines Vogels. Es zittert vor Angst und deshalb ist sein Gesicht stets blass. Auch die Schawanen waren früher weiß und bewohnten mit ihren weißen Brüdern dasselbe Land. Doch als ich sie hierher brachte und sie zwischen Bären, Schlangen und blutdürstigen Wilden leben ließ, wurden sie stark und kühn und verloren die Farbe der Furcht.
Meine lieben Schawanen! Die Walkulla und ihre Verbündeten haben viele von euch getötet, aber ich werde euch andere und stärkere Männer geben. Ihr habt jetzt drei Stämme, bald aber werdet ihr vier haben, und der vierte soll der größte und stärkste aller Indianerstämme sein! Schawanen! Wenn ihr meinen Worten folgt, werdet ihr meine Macht und Güte sehen. Fügt der weißen Gefangenen kein Leid zu und behandelt sie freundlich, wenn ihr nicht von wilden Tieren zerrissen und von den Blitzen meines Atems vernichtet werden wollt! Scharrt die Asche und Kohlen des Scheiterhaufens zusammen und legt den Körper des Närrischen Büffels hinein, sobald der Abendstern aufgegangen ist. Ruft alsdann die ganze Nation zusammen und lasst jeden Holz herbeitragen. Legt aber kein Fichtenholz darauf noch Holz von dem Baum, der weiße Blumen trägt. Auch dürft ihr nicht den Strauch, dessen Tau krank macht, mitbringen. Lasst das Feuer zwei Monate lang Tag und Nacht brennen. Am ersten Tag des dritten Monats müsst ihr nichts mehr darauf legen, sondern es ausgehen lassen. Am Tag danach kommt ihr alle her mit euren Weibern, Kindern, alten Vätern und Müttern. Tschenos, dem ihr stets gehorchen müsst, wird dann die Jungfrau zum Aschenhaufen führen. Fürchtet euch nicht vor dem, was danach geschehen wird!«
Als der Große Geist diese Worte gesprochen hatte, nahm er seine frühere Riesengestalt wieder an. Aus seinen Schultern wuchsen große weiße Flügel, auf denen er sich aus dem Land der Schawanen erhob. Dasselbe betrat er seither nicht wieder.
Die Indianer befolgten sein Gebot. Sie geleiteten die weiße Jungfrau in ihr Rathaus und legten den Körper des Närrischen Büffels in einen Aschenhaufen und unterhielten während der angegebenen Zeit ein Feuer darauf. Am ersten Tag des dritten Monats ließen sie es ausgehen und riefen am folgenden Morgen alle Mitglieder ihrer Nation herbei. Der Priester führte die weiße Jungfrau aus der Ratshütte vor die Asche. Der Mequachake- Stamm, dessen Mitglieder meistens Medizinmänner waren, stand am nächsten und dann kam der Kiskapokoke-Stamm, der wegen seiner tapferen, furchtlosen Krieger allgemein berühmt war.
Als sie so still umherstanden, fing die Asche an sich zu beleben und nach allen Richtungen, nach der Sonne, nach dem großen Stern, nach dem Fluss der Flüsse und dem Land der Walkulla zu verfliegen. Wie dies die Priester und die Krieger sahen, klatschten sie in die Hände, tanzten und riefen »Piqua«, welches der Mann, welcher aus der Asche kommt bedeutet. Sie logen nicht, denn plötzlich trat ein junger, schlanker Mann hervor, der viel schöner als irgendeiner der ganzen Nation der Schawanen war. Das Erste, was er tat, war, dass er den Kriegsruf ausstieß und Pfeil, Bogen, ein Beil und Kriegsfarbe verlangte, die ihm auch augenblicklich gegeben wurden. Doch als er das weiße Mädchen erblickte, warf er alles wieder weg, ging zu ihr und sah ihr in die Augen.
»Diese Jungfrau muss mein Weib werden!«, sagte er zu dem Häuptling.
»Wer bist du?«, fragte jener.
»Ich bin ein Mensch aus Asche gemacht.«
»Wer machte dich?«
»Der Große Geist.«
Darauf fragte der Häuptling den Priester Tschenos, ob sie der Große Geist zu seiner Frau bestimmt habe.
»Ja«, erwiderte dieser, »denn sie lieben sich und ihrer Ehe wird ein großer, mächtiger Stamm entspringen, den man Piqua nennen wird.«