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Aus dem Wigwam – Askulsk

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig.1880

Askulsk

s lebte einst eine alte Witwe, welche zwei Töchter hatte, die so schön und weiß waren, dass sie die Askulsk oder Wiesel genannt wurden. Eines Tages, als ihre Mutter sie ausgeschickt hatte, Haselnüsse zu suchen, verirrten sie sich und konnten ihren heimatlichen Wigwam nicht wiederfinden. Als es Abend wurde, machten sie sich aus Zweigen und Gras ein weiches Lager, aber aus lauter Furcht war es ihnen nicht möglich, einzuschlafen.

Es war eine wunderschöne Nacht. Die hellen Sterne zogen die Aufmerksamkeit der Mädchen auf sich. Sie glaubten, dieselben seien menschliche Augen, und ergingen sich in allerlei Betrachtungen darüber.

»Liebst du die großen oder die kleinen Sterne? Wünschst du dir einen Mann mit großen oder kleinen Augen?«, fragte die Jüngste.

»Mir gefallen die großen Sterne, und ich würde einem Mann mit großen, leuchtenden Augen den Vorzug geben«, erwiderte die andere.

»Und ich«, sagte die Jüngste wieder, »liebe die Männer mit kleinen Augen, die kleinen Sterne gefallen mir am besten.«

Danach schliefen sie ein. Kurz darauf bewegte die Jüngere ihren Fuß und stieß gegen einen fremden Mann.

»Nimm dich in Acht«, sagte derselbe, »du hast meine Nebidschegwode – Medizin für die Augen – umgeworfen!«

Sie stand auf und sah ein altes, verkrüppeltes Männchen mit tief eingefallenen kleinen Augen vor sich. Dasselbe hatte ihr Gespräch gehört und nahm sie nun beim Wort.

Nach einigen Minuten stieß ihre Schwester mit dem Fuß an etwas und hörte darauf folgende Worte: »Nimm dich in Acht! Du hast meine Sekwon – rote Farbe – umgeworfen!«

Sie sprang auf und sah einen schönen, mit glänzenden Federn und Waffen geschmückten Krieger vor sich stehen. Seine großen, stechenden Augen waren auf das Mädchen gerichtet, welches die großen Sterne liebte.

»Bleibt liegen«, sagten die Fremden, »bis ihr die Eichhörnchen singen hört. Achtet aber nicht auf das Singen des Aduduech (Baumeichhörnchen), sondern steht erst auf, wenn das Abalkakumech (Erdeichhörnchen) singt!«

Sie blieben also liegen, bis sie die Stimme des Abalkakumech hörten. Was sie aber beim Erwachen am meisten erschreckte, war, dass sie sich auf einem hohen Baum befanden. Sie hatten sich zu hohe Dinge gewünscht, und dies war nun ihre Strafe dafür. Die armen Wiesel – wir müssen sie nun als solche betrachten – waren von einem sehr feinen Netz umgeben, sodass sie nicht fallen, aber auch ohne fremde Hilfe nicht heraussteigen konnten und nun auf jemand warten mussten, der sie erlöste.

Zuerst kam Tiam, das Elentier, vorbei.

»N’sesenen (älterer Bruder)«, riefen sie, »komm her und hole uns vom Baum. wir wollen deine Frauen sein!«

Tiam sah geringschätzend auf die kleinen Wiesel und sprach: »Ich bin schon verheiratet. Ich feierte im vergangenen Herbst Hochzeit!«

Als er fort war, kam Muin, der Bär. Auch er wurde gebeten, den Baum zu besteigen, um sie gegen das Versprechen, dass sie seine Frauen sein wollten, aus ihrer gefährlichen Lage zu befreien. Aber Muin antwortete, er brauche keine Frau mehr, da er sich bereits im Frühjahr verheiratet habe.

Danach kam ein kleines, niedliches Thier, nämlich Abistanauch, der Marder. Auch dieser wollte sich nicht zu ihrer Rettung entschließen, da er sich ebenfalls bereits zu Anfang des Frühjahrs vermählt hatte.

Kikwaju, der Hamster, war der Nächste, den sie um Hilfe anflehten. Dieser war ein heimtückischer Geselle und wollte sich mit ihnen ein Späßchen erlauben. Er kletterte den Baum hinauf und holte die jüngste Schwester zuerst herunter. Während dieser Zeit band die andere ihre schöne Haarschnur so fest um einen Ast, dass es lange dauerte, sie wieder loszumachen. Als sie ebenfalls auf dem Boden angekommen war, bat sie den freundlichen Hamster, doch ihre Haarschnur, die sie vergessen hatte, zu holen. Er solle jedoch Acht geben, dass er sie nicht zerreiße. Der Hamster gehorchte. Während er die vielen Knoten sorgfältig aufband, bauten die beiden Schwestern einen kleinen Wigwam, trugen einen Ameisenhaufen, ein Wespennest und einen großen Haufen Dorngebüsch hinein und liefen dann fort.

Als der Hamster die Hutschnur abgelöst hatte, kletterte er hinunter und ging in den Wigwam, aus welchem ihm muntere Scherze und lautes Lachen entgegentönten. Da er glaubte, dies ginge von den beiden Schwestern aus, so lief er schnurstracks hinein und fiel unglücklicherweise in den Dornbusch, den er, da es etwas dunkel war, nicht bemerkt hatte. Vor Schmerz laut aufschreiend, wollte er fortlaufen.

Da rief eine Stimme: »Namiskale (lauf meiner älteren Schwester zu)!«

Er stürzte zu deren vermeintlichem Sitz hin, wobei er in den großen Ameisenhaufen geriet, dessen Bewohner nun zu Tausenden in seinem Fell herumkrabbelten.

»N’kwuchkale (gegen meine jüngere Schwester)!«, sprach nun eine andere Stimme.

Der Hamster lief zu der anderen Ecke, wo sich das Wespennest befand. Er sah also ein, dass er der Gefoppte war, und schwor, sich blutig rächen und die Wiesel in taufend Stücke zerreißen werde.

Die beiden Schwestern hatten inzwischen das Weite gesucht und waren am Ufer eines großes Flusses angekommen, an welchem sie Tumgoligumech, den Kranich, stehen sahen. Sie redeten ihn mit »Oheim« an und baten ihn, sie hinüberzutragen.

»Ohne Bezahlung arbeite ich nicht«, erwiderte jener. »Ihr müsst wenigstens zuerst die Schönheit meiner Gestalt und Federn anerkennen! Gesteht also, dass ich gerade gewachsen bin und elegante Federn habe!«

»Wahrlich, unser Oheim hat die schönsten Federn von der Welt!«, gaben sie zur Antwort.

»Gesteht, das ich einen langen geschmeidigen Hals habe!«

»Wahrlich, unser Oheim hat den schönsten Hals von der Welt!«

»Gesteht, dass meine Beine außerordentlich gerade sind!« »Wahrlich, die Beine unseres Oheims sind außerordentlich gerade!«

Nachdem so die Eitelkeit des alten Kranichs befriedigt war, streckte er seinen Hals so weit aus, dass er bis ans andere Ufer reichte und die Wiesel gefahrlos hinüberklettern konnten.

Kaum hatten sie das jenseitige Ufer erreicht, als der wütende Kikwaju ankam. Da er keine Brücke in der Nähe sah, so befahl er dem Kranich in barschem Ton, ihn hinüberzutragen. Solches Betragen war dieser aber nicht gewohnt und wollte vor allen Dingen erst die Erklärung haben, dass er das schönste Geschöpf der ganzen Welt sei.

»Jawohl«, sagte der Hamster, »deine Beine sind gerade gewachsen, wenn auch etwas dünn! Deine Federn sind außerordentlich schön, leider aber mit Schlamm bespritzt! Dein Hals ist so gerade wie dieser Stock!« Dabei nahm er ein dünnes Stöcklein und bog es hin und her.

Darauf streckte der Kranich seinen Hals bis ans andere Ufer aus und der Hamster versuchte, hinüberzuklettern. Als er in der Mitte war, bog sich der Hals jedoch so sehr nach einer Seite, dass er hinab ins Wasser fiel und vom Strom fortgetrieben wurde.

»Ich will in Kajaligunuch landen!«, rief er beständig und landete auch da, aber er stieß dabei so heftig mit dem Kopf gegen einen Felsen, dass er tot niedersank.

Die Mädchen waren inzwischen in einem verlassenen Dorf angekommen und hatten sich in einen leerstehenden Wigwam gesetzt, um dort die Nacht zuzubringen. Da die ältere Schwester den Einfluss geheimer Zaubereien fürchtete, bat sie die jüngere, nichts anzurühren. Aber dieselbe schleuderte den Halsknochen eines Tieres, der vor der Tür lag, mit dem Fuß weit fort. Kaum hatten sie sich jedoch zur Ruhe niedergelegt, als Chumuchkegwech, der Halsknochen, anfing, sich bitter über die ihm widerfahrene Misshandlung zu beklagen, und erklärte, sich an der Übeltäterin zu rächen.

»Habe ich dir nicht gesagt«, rief die ältere Schwester, »dass du uns umbringen würdest, wenn du nicht alles ruhig liegen ließest?«

Doch dies vergrößerte nur noch die Angst des Mädchens. Flehentlich bat sie ihre Schwester, sie zu verbergen. Sobald sie ein Wort sprach, wiederholte es in spöttischem und beleidigendem Ton der Halsknochen. Am Morgen war jedoch alles wieder ruhig.

Sie marschierten rüstig weiter und kamen an einen Fluss, an dessen jenseitigem Ufer sie einen schönen jungen Mann sahen. Auf ihre Bitte, ihnen hinüberzuhelfen, legte er sich auf das Wasser. Und beide schritten ruhig über ihn weg. Zu Ehegattinnen wollte er sie aber nicht nehmen, da er mehr Frauen hatte, als er versorgen konnte.

Nach einer Weile sahen sie ein Kanu mit zwei Männern und baten diese, sie mitzunehmen. Sie taten es auch und fuhren weiter. Ihre Namen waren Kwimu, Taugenichts, und Magwis, Bruder Liederlich. Als sie weiterfuhren, verliebte sich Kwimu in die beiden Mädchen und sagte, dass er aus dem Land der Owealkesk oder der schönen Seemöwen sei. Aber Magwis winkte ihnen, ihm nicht zu glauben, da er ein abgefeimter Lügner wäre.

Bald danach erreichten sie das Land der Owealkesk. Die Seemöwen fanden an den fremden Mädchen solch großen Gefallen, dass zwei Söhne ihres Häuptlings sie zu Gattinnen nahmen. Die Hochzeit wurde mit großem Glanz gefeiert und die Wettspiele wollten gar kein Ende nehmen.

Der arme Kwimu ärgerte sich über seinen Misserfolg so sehr, dass er alles Mögliche aufbot, die Hochzeitsgäste zu ärgern. So warf er erst sein Kanu um und rief den jungen Mädchen zu, ihn doch zu retten. Aber eine alte Seemöwe sagte, man solle sich weiter nicht um ihn bekümmern, denn wenn er ertrinken würde, so würde nicht viel an ihm verloren sein. Da er herausfand, dass er allen gleichgültig war, so schwamm er wieder ans Ufer und verließ das Land auf Nimmerwiedersehen.